Index
24/01 Strafgesetzbuch;Norm
FrG 1997 §36 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des R S, (geb. 18.7.1962), vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 25. Mai 1999, Zl. SD 178/99, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 25. Mai 1999 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm § 48 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer, der seinen eigenen Angaben zufolge seit 1988 (dem vorliegenden Akt zufolge habe er sich aber am 23. Dezember 1988 von seiner Wiener Wohnanschrift abgemeldet und angegeben, nach Jugoslawien zu ziehen) in Österreich lebe, habe sich im September 1989 wegen des Verdachtes des Einbruchdiebstahles in Untersuchungshaft befunden. Am 24. November 1989 sei er auf Grund dieser Anzeige vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen der Vergehen des versuchten Diebstahles, der Urkundenunterdrückung und des Gebrauches fremder Ausweise (§§ 15, 127, 229 und 231 StGB) rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Am 7. April 1990 habe er die Ausstellung eines Sichtvermerkes unter Vorlage einer Verpflichtungserklärung seiner Lebensgefährtin beantragt. Dieser Antrag sei von der Erstbehörde am 5. Juni 1990 auf Grund der zuvor genannten Verurteilung abgelehnt worden. Erhebungen zufolge habe der Beschwerdeführer das Hoheitsgebiet daraufhin nicht verlassen, sondern sei weiterhin in Wien aufhältig geblieben. Am 7. Dezember 1990 habe er neuerlich unter Vorlage einer Verpflichtungserklärung die Ausstellung eines Sichtvermerkes beantragt. Da jedoch keine tragfähige Verpflichtungserklärung vorgelegen habe, habe er in weiterer Folge seinen Antrag am 28. Jänner 1991 zurückgezogen. Am 27. September 1991 sei der Beschwerdeführer im Rahmen einer Verkehrskontrolle angehalten und wegen seines unrechtmäßigen Aufenthalts zur Anzeige gebracht worden. Nach Vorlage einer Heiratsurkunde, wonach der Beschwerdeführer am 13. April 1992 in Wien seine Lebensgefährtin geheiratet gehabt habe, und eines Befreiungsscheines habe der Beschwerdeführer erstmals Sichtvermerke, und zwar gültig vom Juni 1992 bis Ende Jänner 1995, erhalten. Am 17. November 1994 sei der Beschwerdeführer von Beamten des Bezirkspolizeikommissariates Schmelz wegen des Verdachtes der vorsätzlichen Körperverletzung zur Anzeige gebracht worden. Eine weitere Anzeige wegen des Verdachtes der schweren Körperverletzung sowie der gefährlichen Drohung sei am 6. März 1995 erfolgt. Auf Grund dieser Anzeige sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien mit Urteil vom 4. Mai 1995 wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung und der Körperverletzung (§§ 107 und 83 StGB) zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Dieser Verurteilung sei zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer seiner Ehefrau, von der er am 28. Februar 1995 geschieden worden sei, einen Faustschlag ins Gesicht versetzt, sie mit dem Umbringen bedroht und sie auch gewürgt habe. Darüber hinaus sei gegen den Beschwerdeführer im Februar 1995 auch eine Anzeige wegen des versuchten schweren Betruges erstattet worden. Zwischenzeitlich habe der Beschwerdeführer über einen Aufenthaltstitel zum Zweck der unselbstständigen Erwerbstätigkeit, gültig vom 31. März 1995 bis 7. Jänner 1997, verfügt. Nachdem er seine Ex-Gattin, die bereits die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten hätte, neuerlich geheiratet habe, habe er zuletzt eine Niederlassungsbewilligung, gültig bis 3. Februar 1999, erhalten. Mittlerweile, und zwar am 24. November 1998, sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des schweren Betrugs nach den §§ 146, 147 Abs. 2 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten rechtskräftig verurteilt worden, wobei diese Freiheitsstrafe gemäß §§ 31 und 40 StGB als Zusatzstrafe unter Bedachtnahme auf das Urteil vom 4. Mai 1995 verhängt worden sei. Dieser Verurteilung sei zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Ehefrau und weiteren Komplizen (die ebenfalls rechtskräftig verurteilt worden seien) Einbruchsdiebstähle in ihre haushaltsversicherten Wohnungen fingiert hätten und dadurch Angestellte einer Wiener Versicherung zur Auszahlung von S 180.000,-- zu verleiten versucht hätten.
Auf Grund des zuvor dargestellten Sachverhaltes, insbesondere der beiden zuletzt erfolgten Verurteilungen, bestehe kein Zweifel, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde. Er sei offenbar nicht gewillt, die österreichischen Rechtsvorschriften einzuhalten. Dies dokumentiere der Beschwerdeführer sehr augenfällig dadurch, dass er sich trotz einer unmittelbar nach seiner ersten Einreise erfolgten rechtskräftigen Verurteilung nicht davon habe abhalten lassen, neuerlich straffällig zu werden. Unter diesem Blickwinkel könne eine Zukunftsprognose für den Beschwerdeführer nicht positiv ausfallen. Angesichts des den rechtskräftigen Verurteilungen zu Grunde liegenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers lägen die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 FrG vor. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sei nämlich auch dann zulässig, wenn triftige Gründe vorlägen, die zwar nicht die Voraussetzungen der im § 36 Abs. 2 FrG angeführten Fälle aufwiesen, wohl aber in ihrer Gesamtheit die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme rechtfertigten. In so einem Fall könne gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn dem nicht die Bestimmungen der §§ 37 und 38 FrG entgegenstünden.
Der Beschwerdeführer sei mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und für zwei Kinder sorgepflichtig. Bemerkenswerterweise habe er in seinem Verlängerungsantrag vom 28. Jänner 1999 seine Wohnanschrift mit Wien 16, Lerchenfelder Gürtel, den Wohnsitz seiner Ehefrau hingegen mit Wien 16, Wattgasse, angegeben. Jedenfalls sei aber auf Grund der familiären Bindungen des Beschwerdeführers sowie in Anbetracht der Tatsache, dass er derzeit bei einem näher genannten Unternehmen als Beifahrer für einen Behindertenfahrdienst angestellt sei, von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff in sein Privat- und Familienleben auszugehen. Dessen ungeachtet sei die gegen ihn gesetzte fremdenpolizeiliche Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Rechte Dritter - dringend geboten. Das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers habe, wie bereits dargelegt, gezeigt, dass er nicht in der Lage oder nicht gewillt sei, die österreichischen Rechtsvorschriften einzuhalten. Im Rahmen der nach § 37 Abs. 2 FrG erforderlichen Interessenabwägung sei auf den langjährigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen gewesen. Gleichzeitig sei aber zu berücksichtigen gewesen, dass der daraus ableitbaren Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, weil die dafür erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich gemindert werde. Der Beschwerdeführer, der zwar laut seinen eigenen Angaben seit 1988 in Österreich lebe, verfüge erst seit Mitte 1992 über einen Aufenthaltstitel und sei somit auch erst seit diesem Zeitpunkt in Österreich rechtmäßig niedergelassen. Allfälligen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seinen Angehörigen könne er - wenn auch möglicherweise in eingeschränkter Form - auch vom Ausland aus nachkommen. Diesen solcherart geminderten privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers stünden die genannten, hoch zu veranschlagenden, öffentlichen Interessen gegenüber. Bei Abwägung dieser Interessen sei die belangte Behörde zu der Auffassung gelangt, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie keinesfalls schwerer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme. Auch die für den Beschwerdeführer geltende Sonderbestimmung des § 48 Abs. 1 FrG stehe der Erlassung des vorliegenden Aufenthaltsverbotes nicht entgegen, da er nicht seit zehn Jahren unterunterbrochen über einen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet verfüge. Wie bereits dargelegt, sei der Beschwerdeführer erst seit Mitte 1992 rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen und darüber hinaus sei er laut Auskunft des Zentralmeldeamtes bis 15. April 1996 in Wien 16, Lerchenfelder Gürtel, polizeilich gemeldet gewesen, von wo er jedoch mit dem zuvor genannten Datum amtlich abgemeldet worden sei. Erst am 10. März 1997 sei eine neuerliche Anmeldung an dieser Adresse erfolgt. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick darauf, dass keine besonderen, zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände vorlägen, habe die belangte Behörde von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand nehmen können.
2 Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, der Sache nach Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Beschwerdeführer wendet gegen den angefochtenen Bescheid u.a. ein, dass dem vorliegenden Aufenthaltsverbot "rechtlich rein formal" eine im Jahr 1989 verhängte Geldstrafe, welche zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides getilgt gewesen sei, sowie eine (weitere) "einzige Verurteilung" zu einer insgesamt sechsmonatigen bedingten Freiheitsstrafe zu Grunde lägen. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, es begegne keinen rechtlichen Bedenken, ein Aufenthaltsverbot ausschließlich auf § 36 Abs. 1 (gegebenenfalls unter Bedachtnahme auf die §§ 37 und 38 FrG) zu stützen, wenn triftige Gründe vorlägen, die zwar nicht die Voraussetzungen der im § 36 Abs. 2 FrG angeführten Fälle aufwiesen, wohl aber in ihrer Gesamtheit die im § 36 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertigten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Jänner 2000, Zl. 98/18/0375, unter Hinweis u.a. auf das einen Suchtgiftfall betreffende Erkenntnis vom 26. März 1999, Zl. 98/18/0344). Dies gilt auch für die der Beurteilung nach § 36 Abs. 1 Z. 1 FrG entsprechende (vgl. in diesem Sinn etwa das hg. Erkenntnis vom 21. September 2000, Zl. 98/18/0050, mwH) - für den Beschwerdeführer als Angehörigen einer Österreicherin (vgl. § 47 Abs. 3 Z. 1 FrG) vorliegend maßgebliche - Beurteilung gemäß § 48 Abs. 1 leg. cit., wonach ein Aufenthaltsverbot nur zulässig ist, wenn auf Grund seines Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist, wobei nach dem zuletzt zitierten Erkenntnis bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 48 Abs. 1 FrG auf den Katalog des § 36 Abs. 2 FrG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden darf.
Die belangte Behörde sah im Beschwerdefall das für die Erlassung des vorliegenden Aufenthaltsverbotes bedeutsame Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers (erkennbar) in dem den unter I.1. angeführten gerichtlichen Verurteilungen zu Grunde liegende Fehlverhalten sowie in dem festgestellten unrechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet bis Mitte des Jahres 1992. Wenn auch der Behörde einzuräumen ist, dass dieses Fehlverhalten des Beschwerdeführers eine nicht unerhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellt, reicht dieses aber auf dem Boden der vorgenannten Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht aus, um von die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes erlaubenden triftigen Gründen im besagten Sinn sprechen zu können. Hiebei ist zu berücksichtigen, dass das der Verurteilung vom 24. November 1989 (zu einer Geldstrafe) zu Grunde liegende Fehlverhalten mehr als neun Jahre zurückliegt, woraus sich eine maßgebliche Minderung der daraus ableitbaren Gefährdung öffentlicher Interessen durch den Beschwerdeführer ergibt. Weiters stehen die unter I.1. angeführten Verurteilungen vom 4. Mai 1995 und vom 24. November 1998 zueinander im Verhältnis gemäß §§ 31 und 40 StGB und sind daher als Einheit zu werten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Oktober 2000, Zl. 2000/18/0013), weshalb die dafür insgesamt verhängte bedingte Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten unterhalb der im § 36 Abs. 2 Z. 1 dritter Fall FrG gezogenen - als Orientierungsmaßstab fungierenden - Grenze bleibt. Ferner ist bei der Beurteilung der Voraussetzungen für die besagte Annahme zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer auf dem Boden der unbestrittenen Sachverhaltsfeststellungen nach der Anzeige wegen des versuchten schweren Betrugs im Februar 1995 bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides am 2. Juni 1999 kein gerichtlich strafbares Fehlverhalten gesetzt und zudem bis zum 3. Februar 1999 (somit bis zu einem Zeitpunkt kurz vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides) trotz des besagten Fehlverhaltens über eine Niederlassungsbewilligung verfügt hat. Vor diesem Hintergrund kommt dem im angefochtenen Bescheid herangezogenen Gesamtfehlverhalten nicht ein solches Gewicht zu, dass die besagte Beurteilung nach § 48 Abs. 1 FrG gerechtfertigt wäre.
3. Da somit die belangte Behörde verkannte, dass das von ihr als maßgeblich erachtete Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers für die im § 48 Abs. 1 FrG umschriebenen Annahme nicht ausreicht, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand ein gesonderter Ersatz von Umsatzsteuer nicht vorgesehen ist.
Wien, am 30. Jänner 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1999180213.X00Im RIS seit
30.04.2001