Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Jacqueline S*****, geboren am 11. Juli 2000, *****, vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie - Rechtsvertretung für die Bezirke 17, 18 und 19, Gatterburggasse 14, 1190 Wien), über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 27. Mai 2010, GZ 43 R 256/10f-51, womit der Rekurs der Minderjährigen gegen die telefonische Anordnung des Bezirksgerichts Döbling vom 18. Februar 2010, GZ 10 P 5/05h-34, zurückgewiesen wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Minderjährige ist die Tochter von Veronica Ruth S***** und Nikolaus S***** und lebt bei der obsorgeberechtigten Mutter.
Der Vater ist nach dem am 15. 12. 2004 vor dem Bezirksgericht Landeck zu 1 C 77/04-5 abgeschlossenen Vergleich zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 204 EUR ab 1. 10. 2004 verpflichtet (ON 1).
Das Erstgericht gewährte der Minderjährigen mit Beschlüssen vom 27. 3. 2006 (ON 12) und 2. 3. 2009 (ON 29) Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe für die Zeiträume vom 1. 3. 2006 bis 28. 2. 2009 bzw vom 1. 3. 2009 bis 29. 2. 2012 (Weitergewährung).
Am 18. 2. 2010 wurde vom Erstgericht - wegen der am 9. 2. 2010 beim Bezirksgericht Landeck zu 6 S 4/10w erfolgten Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens über das Vermögen des Unterhaltsschuldners - telefonisch bei der Unterhaltsvorschussabteilung des Oberlandesgerichts Wien die Innehaltung der Vorschussauszahlung bis auf monatlich 50 EUR „angeordnet“ (Amtsvermerk ON 34).
Das Rekursgericht wies den dagegen erhobenen Rekurs der Minderjährigen zurück. Es vertrat den Standpunkt, das Erstgericht habe im formlosen Weg, ohne Beschlussfassung, eine Innehaltung der Vorschüsse anordnen wollen, wie es das Gesetz (§ 16 Abs 2 UVG idF FamRÄG 2009) nunmehr verbiete. Der Präsident des Oberlandesgerichts habe derartige formlose Verständigungen als unbeachtlich zu qualifizieren. Der „angefochtene Telefonanruf“ könne nicht mehr saniert werden. Er weise keine Beschlussqualität auf und könne diese auch nicht mehr erlangen. Das Rekursgericht beurteile die Rechtslage daher (zwar) „zunächst“ übereinstimmend mit der Rekurswerberin, gelange jedoch rechtlich zum Ergebnis, dass kein Substrat für eine Anfechtung vorliege. Einer „Aufhebung des Telefonanrufs“ bedürfe es nicht.
Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht mit der Begründung zu, dass zur neuen Problematik des § 16 Abs 2 UVG noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
Gegen den Zurückweisungsbeschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass die angefochtene Innehaltung ersatzlos behoben werde.
Der Revisionsrekurs ist mangels Beschwer unzulässig.
Rechtliche Beurteilung
Das für die Zulässigkeit des Rechtsmittels im Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung erforderliche Rechtsschutzinteresse fehlt, wenn der Entscheidung nur mehr theoretisch-abstrakte Bedeutung zukäme, da es nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen ist, über bloß theoretisch bedeutsame Fragen abzusprechen (RIS-Justiz RS0002495). Auch für Rechtsmittel im Außerstreitverfahren gilt das Erfordernis der Beschwer (RIS-Justiz RS0006598; 6 Ob 192/09t; 7 Ob 44/10m).
Bei der Beschwer unterscheidet man die formelle Beschwer und die materielle Beschwer. Die formelle Beschwer reicht nicht immer aus. Widerspricht die angefochtene Entscheidung dem vom Rechtsmittelwerber in der Vorinstanz gestellten Antrag, dann ist, wenn die Rechtsstellung des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung nicht beeinträchtigt wird (er also materiell nicht beschwert ist), sein Rechtsmittel dennoch zurückzuweisen (5 Ob 81/10p mwN).
Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht mit Beschluss vom 24. 6. 2010 (ON 62) die am 18. 2. 2010 telefonisch (bzw durch den Beschluss ON 57) angeordnete Innehaltung bereits selbst aufgehoben und ausgesprochen, dass die Vorschüsse auszuzahlen sind. Dazu führte es aus, dass sich die Innehaltungsgründe nicht als stichhaltig erwiesen hätten.
Durch diese - von der Rechtsmittelwerberin allein angestrebte - Aufhebung der bekämpften Innehaltung ist die Beschwer weggefallen. Das Rechtsmittel ist daher zurückzuweisen, weshalb auf die angesprochene Frage nicht eingegangen werden kann.
Schlagworte
Zivilverfahrensrecht,UnterhaltsrechtTextnummer
E95289European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0100OB00061.10H.0914.000Im RIS seit
05.11.2010Zuletzt aktualisiert am
20.03.2012