Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Lina Luisa K*****, geboren am 7. Oktober 1993 und der minderjährigen Lorena Larissa K*****, geboren am 4. Oktober 1995, beide *****, beide vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger Land Steiermark (Bezirkshauptmannschaft Liezen, Jugendwohlfahrt, 8940 Liezen, Hauptplatz 12), über den Revisionsrekurs des Bundes vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 28. April 2010, GZ 2 R 123/10b, 2 R 124/10z-43, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Liezen vom 24. Februar 2010, GZ 3 PU 214/09m-27 und 28, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Unterhaltsvorschussanträge der Minderjährigen abgewiesen werden.
Text
Begründung:
Die beiden Minderjährigen sind die Töchter von Edeltraud K***** und Leopold Z*****. Sie leben bei ihrer Mutter.
Mit Beschluss vom 29. 1. 2010 verpflichtete das Erstgericht den Vater, für seine beiden Töchter ab 1. 12. 2009 jeweils monatlich 170 EUR Unterhalt zu zahlen. Dieser Beschluss wurde dem Vater am 3. 2. 2010 zugestellt. Der Beschluss erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.
Am 19. 2. 2010 beantragte der Jugendwohlfahrtsträger als Vertreter der Minderjährigen beim Erstgericht die Gewährung eines monatlichen Unterhaltsvorschusses in Titelhöhe. Durch die am 17. 12. 2009, GZ 4 E 3937/09v-2 vom Bezirksgericht Liezen bewilligte Exekution sei der laufende Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze hereingebracht worden.
Mit Beschlüssen vom 24. 2. 2010 gewährte das Erstgericht den Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe vom 1. 2. 2010 bis 31. 10. 2011 bzw 31. 10. 2013 (ON 27 bis 30). Der Unterhaltsschuldner habe nach der am 24. 2. 2010 eingetretenen Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbetrag nicht zur Gänze geleistet. Beim Bezirksgericht Liezen sei gegen ihn am 16. 12. 2009 eine Forderungsexekution eingebracht worden.
Das Rekursgericht gab den gegen diese Beschlüsse vom Bund erhobenen Rekursen nicht Folge. Voraussetzung für die Gewährung eines Titelvorschusses sei, dass der Unterhaltsschuldner den laufenden Unterhaltsbeitrag nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des Unterhaltstitels nicht zur Gänze leiste (§ 3 Z 2 UVG idF FamRÄG 2009). Das UVG ordne nach wie vor an, dass die Vorschüsse vom Beginn des Monats, in dem das Kind sie beantrage, zu gewähren seien (§ 8 Satz 1 UVG). Zu bevorschussen sei daher der ab diesem Monat „laufende Unterhalt“. Da der Vorschussantrag hier am 19. 2. 2010 eingebracht worden sei, handle es sich auch beim Unterhalt für den Monat Februar 2010 um einen „laufenden Unterhalt“.
Der letzte Tag für die Erhebung eines Rekurses gegen den Beschluss vom 29. 1. 2010 (mit dem die Unterhaltspflicht des Vaters rückwirkend ab 1. 12. 2009 auf jeweils 170 EUR herabgesetzt worden sei) sei - aufgrund der Beschlusszustellung an den Vater am 3. 2. 2010 - der 17. 2. 2010 gewesen. Der Unterhaltstitel sei daher am 18. 2. 2010 rechtskräftig und vollstreckbar geworden. Ab diesem Tag sei festgestanden, dass für Februar 2010 jeweils ein Unterhalt von monatlich 170 EUR für die Minderjährigen zu zahlen sei. Der Vater sei daher nach Eintritt der Vollstreckbarkeit seiner Zahlungspflicht für Februar 2010 nicht nachgekommen. Die von § 3 Z 2 UVG geforderte Voraussetzung habe somit für die diesen Monat betreffenden laufenden Unterhaltsbeiträge vorgelegen. Anhaltspunkte dafür, dass der Vater die laufenden Unterhaltsbeiträge ohnehin leisten werde, seien zum Zeitpunkt der Antragstellung am 19. 2. 2010 nicht ersichtlich gewesen. Den Minderjährigen sei auch nicht vorzuwerfen, keinen „tauglichen“ Exekutionsantrag eingebracht zu haben, weil die aufgrund früherer Unterhaltstitel bestehende Unterhaltspflicht mit dem Beschluss vom 29. 1. 2010 lediglich herabgesetzt, aber trotz erst vor kurzem angestrengter Exekution (Exekutionsbewilligung vom 17. 12. 2009) nach dem Antragsvorbringen nicht zur Gänze hereingebracht worden sei. Die Vorschussgewährung ab 1. 2. 2010 sei daher zu Recht erfolgt.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 3 Z 2 UVG idF FamRÄG 2009 fehle.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer Antragsabweisung, in eventu einer Gewährung der Unterhaltsvorschüsse erst ab 1. 3. 2010; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Jugendwohlfahrtsträger tritt als Vertreter der Minderjährigen in seiner Revisionsrekursbeantwortung den Beschlüssen der Vorinstanzen „vollinhaltlich bei“.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.
Der Revisionsrekurswerber macht geltend, die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Z 2 UVG nF lägen erst dann vor, wenn der Unterhaltsschuldner nach dem Eintritt der Vollstreckbarkeit des Exekutionstitels den fällig werdenden laufenden Unterhaltsbeitrag nicht leiste und das Kind (spätestens zugleich mit dem Vorschussantrag) einen tauglichen Exekutionsantrag eingebracht habe. Entscheidend sei also die Nichtleistung des nach dem Eintritt der Vollstreckbarkeit fällig werdenden laufenden Unterhalts. Die bis zu diesem Zeitpunkt fällig gewordenen Unterhaltsbeiträge seien unterhaltsvorschussrechtlich hingegen unbeachtlich. Hier sei die Vollstreckbarkeit des Unterhaltstitels aber erst am 18. 2. 2010 eingetreten. Daher hätten die Voraussetzungen für einen Unterhaltsvorschuss frühestens ab März 2010 vorliegen können, wenn der Unterhaltsschuldner den für März 2010 fällig werdenden Unterhaltsbeitrag nicht bezahlt hätte. Zum Zeitpunkt des Vorschussantrags (19. 2. 2010) könne noch gar nicht festgestanden haben, ob der Schuldner überhaupt säumig oder ob er den für März 2010 fällig werdenden Unterhalt ohnehin leisten werde.
Dazu hat der Oberste Gerichtshof Folgendes erwogen (wie bereits in den Entscheidungen vom 17. 8. 2010, 10 Ob 38/10a, 10 Ob 39/10y, 10 Ob 40/10a, 10 Ob 52/10k und 10 Ob 53/10g, die bisher noch nicht veröffentlicht wurden):
Das UVG wurde durch das FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75, novelliert. Die geänderte Fassung ist im Wesentlichen am 1. 1. 2010 in Kraft getreten (§ 37 UVG).
Bis zum Inkrafttreten der Novellierung setzte § 3 UVG neben dem Bestehen eines im Inland vollstreckbaren Unterhaltstitels (Z 1) voraus, „dass eine wegen der laufenden Unterhaltsbeiträge geführte Exekution nach § 291c Abs. 1 EO oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderung oder eine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, eine Exekution nach § 372 EO auch nur einen in den letzten sechs Monaten vor Stellung des Antrags auf Vorschussgewährung fällig gewordenen Unterhaltsbeitrag nicht voll gedeckt hat“.
Während § 3 Z 1 UVG unverändert blieb, wurde § 3 Z 2 UVG mit dem FamRÄG 2009 novelliert. Die Norm erhielt in ihrem ersten (auf Inlandsverhältnisse bezogenen) Teil folgende Fassung:
„Vorschüsse sind zu gewähren, wenn … 2. der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet sowie das Kind glaubhaft macht (§ 11 Abs. 2), einen Exekutionsantrag nach § 294a EO oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderung oder keine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, einen Exekutionsantrag auf bewegliche körperliche Sachen unter Berücksichtigung von § 372 EO eingebracht zu haben.“
Nach dem unverändert gebliebenen § 4 Z 1 UVG sind Vorschüsse auch zu gewähren, wenn zwar die Voraussetzungen des § 3 Z 1 UVG gegeben sind, aber die Führung einer Exekution nach § 3 Z 2 UVG aussichtslos erscheint, besonders, weil im Inland ein Drittschuldner oder ein Vermögen, dessen Verwertung einen die laufenden Unterhaltsbeiträge deckenden Ertrag erwarten lässt, nicht bekannt ist.
Da § 3 Z 2 UVG auf die nicht vollständige Leistung des laufenden Unterhaltsbeitrags nach Eintritt der Vollstreckbarkeit abstellt, ist es für die Gewährung von Unterhaltsvorschuss unerheblich, ob allenfalls bestehende Unterhaltsrückstände nicht gezahlt werden. Nach der Neufassung des § 3 Z 2 UVG kommt es weiters nicht mehr auf eine erfolglose Exekutionsführung an, sondern es genügt, dass das Kind „taugliche“ Exekutionsmaßnahmen eingeleitet hat (vgl IA 673/A BlgNR 24. GP 36).
§ 4 Z 1 UVG regelt den Titelvorschuss bei Aussichtslosigkeit der Exekution. Es handelt sich um einen Sonderfall zu dem in § 3 UVG geregelten Grundfall (2 Ob 5/07k = SZ 2007/111 mwN). Der Unterschied liegt nur darin, dass im Fall des § 4 Z 1 UVG die Einleitung einer Exekution nach § 3 Z 2 UVG entbehrlich ist, weil bereits aufgrund der objektiven Lage zur Zeit der Beschlussfassung erster Instanz eine Exekutionsführung für jedermann aussichtslos erscheinen muss (vgl 2 Ob 5/07k = SZ 2007/111; RIS-Justiz RS0108900 [T2]). Auch bei einer Unterhaltsvorschussgewährung nach § 4 Z 1 UVG ist - neben dem Vorliegen eines vollstreckbaren Unterhaltstitels - Voraussetzung, dass der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet (Neumayr in Schwimann, ABGB3 I § 4 UVG Rz 1). Darunter ist zu verstehen, dass die nach Eintritt der Vollstreckbarkeit fällig werdenden laufenden Unterhaltsbeiträge nicht bezahlt werden. Die bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit fällig gewordenen Unterhaltsbeiträge sind insoweit unterhaltsvorschussrechtlich unbeachtlich. Damit soll der Charakter der Vorschussleistung als Substitut für fehlende laufende Unterhaltsleistungen zum Ausdruck kommen, während Rückstände einer Bevorschussung nach dem UVG weiterhin nicht zugänglich sind (vgl Neuhauser, Änderungen beim Unterhaltsvorschuss, iFamZ 2009, 275 [276]).
Der im Außerstreitverfahren ergangene Unterhaltsfestsetzungsbeschluss wird - mangels einer Sonderregelung - mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft vollstreckbar (§ 43 Abs 1 AußStrG). Formelle Rechtskraft (§ 42 AußStrG) bedeutet Unanfechtbarkeit der Entscheidung in dem Verfahren, in dem sie ergangen ist. Sie tritt ein mit
- Zustellung der Entscheidung, wenn gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel (mehr) zulässig ist
- ungenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist,
- Abgabe eines Rechtsmittelverzichts,
- Zurücknahme eines eingebrachten Rechtsmittels (Fucik/Kloiber, AußStrG § 42 Rz 1). Die Rechtsmittelfrist beginnt mit der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung (§ 46 Abs 1 AußStrG [Rekurs], § 65 Abs 1 AußStrG [Revisionsrekurs]).
Im vorliegenden Fall ist die Vollstreckbarkeit des Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses am 18. 2. 2010 eingetreten, weil der Beschluss am 3. 2. 2010 dem Unterhaltsschuldner zugestellt wurde und die 14-tägige Rechtsmittelfrist ungenützt am 17. 2. 2010 abgelaufen ist.
Maßgeblicher Stichtag für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vorschussgewährung ist im Unterhaltsvorschussverfahren das Datum der Entscheidung erster Instanz (RIS-Justiz RS0076052 [T5]). Im vorliegenden Verfahren war an diesem Tag (24 . 2. 2010) zwar der Unterhaltstitel vollstreckbar; die weitere Voraussetzung der nicht vollständigen Leistung des laufenden Unterhalts nach Eintritt der Vollstreckbarkeit war aber nicht gegeben; konnte doch zu diesem Zeitpunkt noch kein Rückstand an laufendem Unterhalt iSd § 3 Z 2 UVG bestehen, weil ein nach Eintritt der Vollstreckbarkeit laufender Unterhaltsbeitrag noch nicht fällig war.
In Stattgebung des Revisionsrekurses sind die Beschlüsse der Vorinstanzen im Sinn einer Antragsabweisung abzuändern, weil im maßgeblichen Zeitpunkt nicht alle Voraussetzungen der begehrten Vorschussgewährung erfüllt waren (zu allem bereits: 10 Ob 39/10y).
Schlagworte
UnterhaltsrechtTextnummer
E95279European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0100OB00058.10T.0914.000Im RIS seit
05.11.2010Zuletzt aktualisiert am
20.03.2012