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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1993 §37 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des am 21. Mai 1980 geborenen JB, vertreten durch Dr. Marie Helen Pichler, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Strauchgasse 1-3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 5. November 1997, Zl. SD 450/97, betreffend Feststellung gemäß § 54 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 5. November 1997 wurde gemäß § 54 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in Ruanda gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.
Der Beschwerdeführer sei seinen eigenen Angaben zufolge am 19. Juni 1995 aus Italien kommend ohne Sichtvermerk, somit illegal, über die grüne Grenze, somit unter Umgehung der Grenzkontrolle, nach Österreich eingereist. Er habe am 20. Juni 1995 einen Asylantrag gestellt und angegeben, dass er dem Stamm der "Tutsis" angehörte und dass im Dezember 1994 sein Heimatdorf von den Hutus überfallen und viele getötet und das Dorf zerbombt worden wäre. Sein Vater und sein älterer Bruder wären getötet worden und er wüsste nicht, wo sich seine Mutter aufhalten würde. Er wäre im Dezember 1994 in Begleitung eines anderen mit einem Boot über einen See nach Zaire gefahren. Er hätte seine Heimat wegen des Krieges und weil er seine Familie verloren hätte, verlassen. Dort wären sie von einem "weißen Mann" aufgegriffen worden, bei dem sie einige Zeit hätten leben können. Von "dem Massaker in Zaire" wären sie nicht betroffen gewesen. Dieser Mann hätte ihnen gesagt, dass Zaire kein gutes Land wäre und hätte sie zu einem Schiff gebracht. Anfang Mai hätten sie das Schiff bestiegen und wären im Juni nach Italien gekommen. Ein "Schwarzer" hätte ihnen gesagt, dass auch Italien kein gutes Land wäre und dass sie, zumal sie kein Geld gehabt hätten, nach Österreich weiter reisen sollten. Dieser Mann hätte sie bis zur österreichischen Grenze gebracht. Der Asylantrag sei am 26. Juni 1995 abgewiesen worden, von der Bezirkshauptmannschaft Baden sei die Ausweisung verfügt worden.
Der seinerzeit gestellte Feststellungsantrag stütze sich auf das Vorbringen im Asylverfahren. Bereits im November 1995 habe die Erstbehörde beabsichtigt, gegen den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot wegen Mittellosigkeit zu erlassen. Im Jänner 1996 sei der Beschwerdeführer wegen Verdachtes des gewerbsmäßigen Suchtgifthandels zur Anzeige gebracht und in der Folge wegen Vergehens gemäß § 16 Abs. 1 des Suchtgiftgesetzes rechtskräftig verurteilt worden. Der Asylantrag des Beschwerdeführers sei in zweiter Instanz vom Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 18. Oktober 1996 (rechtskräftig seit 24. Oktober 1996) abgewiesen worden. Der Beschwerdeführer habe im Asylverfahren keine Umstände vorbringen können, die auf eine individuelle Verfolgung durch staatliche Institutionen aus asylrechtlich relevanten Gründen hindeuten würden. Er habe durch sein Vorbringen deutlich gemacht, dass der Grund für die Flucht in der damals bestehenden Kriegssituation und den damit verbundenen Angriffen und Gewalthandlungen bestanden hätte. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Minderheit stelle noch keinen Asylgrund dar. Am 11. Jänner 1997 sei der Beschwerdeführer neuerlich wegen Verdachtes des Suchtgifthandels angehalten worden, habe jedoch die Vorwürfe bestritten. Im März sei er wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt rechtskräftig verurteilt worden.
Die Erstbehörde habe ihren Bescheid damit begründet, dass der Beschwerdeführer bei seiner Vernehmung am 6. Oktober 1995 im Beisein einer Vertreterin des Jugendamtes angegeben hätte, dass er in seiner Heimat weder strafrechtlich noch politisch noch sonst im Sinn des § 37 FrG verfolgt würde. In der nunmehr vorliegenden Berufung werde dies so erklärt, dass der Beschwerdeführer damit lediglich zum Ausdruck hätte bringen wollen, dass er von den Behörden in Ruanda zum Zeitpunkt seiner Flucht nicht bestraft worden wäre. Auf Grund der wirren Verhältnisse in seiner Heimat könnte zwar von keiner behördlichen Verfolgung ausgegangen werden, doch müsste er befürchten, im Zug der weiteren Auseinandersetzungen "als Tutsis" vom feindlichen Stamm der Hutus getötet zu werden, da diese in seiner Heimat die tatsächliche Macht inne hätten.
Daraus alleine könne aber eine Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG nicht abgeleitet werden. Auszugehen sei davon, dass die geltend gemachte Bedrohung konkret und aktuell sein müsse. Diese Bedrohung müsse vom Staat ausgehen oder zumindest gebilligt werden. Eine Bedrohung, die - ohne Billigung durch staatliche Stellen - nur von Privatpersonen ausgehe, sei nicht geeignet, die Tatbestände des § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG zu erfüllen. Insbesondere fielen auch allgemeine Gefahren, die von Rebellengruppen ausgingen, und auch Gefahren, die durch bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen entstünden, nicht in den Bereich der zitierten, ein Abschiebungsverbot begründenden Gefahren, da die Auswirkungen einer Bürgerkriegssituation für alle Angehörigen der jeweiligen Streitparteien im gleichen Ausmaß gegeben seien und daher keine konkrete persönliche Bedrohung des Beschwerdeführers darstellten. Konkrete Anhaltspunkte für das "(völlige) Fehlen einer funktionierenden Staatsgewalt" in Ruanda, wo die Regierungsgewalt von Tutsis und Hutus gemeinsam ausgeübt werde, Flüchtlinge repatriiert worden seien und Übergriffe im Wesentlichen nur in den Grenzgebieten erfolgten "(Fischer-Weltalmanach 1998, S. 588)", lägen nicht vor und habe der Beschwerdeführer auch nicht geltend machen können.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung iS des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebene Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. Für die Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung ist es erforderlich, dass sich die Gefährdung auf das gesamte Gebiet des vom Antrag umfassten Staates bezieht. (Vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis vom 10. Mai 2000, Zl. 97/18/0251, mwH.)
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat (wie soeben angesprochen) in seiner Rechtsprechung keinen Zweifel daran gelassen, dass drohende Verfolgungen gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG, die nicht vom Staat selbst ausgehen oder von diesem gebilligt werden, den Fällen der vom Staat ausgehenden oder von ihm gebilligten Bedrohung gleichzuhalten sind, wenn der betreffende Staat infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht in der Lage ist, eine drohende Verfolgung zu verhindern (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 9. Februar 1999, Zl. 96/18/0184, mwH). Diese Auffassung vertritt offenbar auch die belangte Behörde, wenn sie ausführt, dass in dem in Rede stehenden Staat für "das (völlige) Fehlen einer funktionierenden Staatsgewalt" keine konkreten Anhaltspunkte gegeben seien; sie gibt damit zu erkennen, dass ihrer Ansicht nach nicht davon gesprochen werden könne, dass in diesem Staat eine - ausreichend funktionierende - Staatsgewalt fehle. Dieser Auffassung liegen die auf den "Fischer-Weltalmanach 1998, S. 588" gestützten Feststellungen zu Grunde, dass "die Regierungsgewalt von Tutsis und Hutus gemeinsam ausgeübt, Flüchtlinge repatriiert wurden und Übergriffe im Wesentlichen nur in den Grenzgebieten erfolgen" (vgl. oben I.1.).
Im Fischer-Weltalmanach 1998, Sp. 586 ff finden sich u.a. folgende Ausführungen:
"Regierung aus 11 Hutu und 10 Tutsi. ........ Die ruandische Regierung trifft mit Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen Vorbereitungen zur Repatriierung und bemüht sich um 'nationale Versöhnung'. ......
Besonders in nordwestlichen Grenzgebieten kommt es immer wieder zu Übergriffen auf die Zivilbevölkerung, sowohl durch Hutu-Milizen als auch durch die Tutsi-dominierten Streitkräfte. Laut UN-Angaben (8. 8. 1997) wurden innerhalb der Monate Mai und Juni 1997 mehr als 2000 Zivilpersonen von der Armee oder den Milizen getötet. Der ehem. Generalsekretär der Ruandischen Organisation zur Verteidigung der Menschenrechte, Joseph Matata, erklärt im Juli 1997, dass die Armee vor allem im Osten und Norden des Landes gegen die Zivilbevölkerung vorgehe. - Im Januar und Februar 1997 werden 5 ausländische Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und der UN, ein kanadischer Priester und der Vizepräsident des Obersten Gerichtshofes ermordet. Die Täter werden nicht ermittelt."
(Hervorhebungen im Original sind nicht wiedergegeben).
Ein Vergleich dieser Ausführungen mit den besagten behördlichen Feststellungen zeigt, dass letztere daraus lediglich einige Punkte herausgreifen und sich insoweit mit diesen Ausführungen nur zum Teil decken, ergibt sich doch daraus, dass die Regierung lediglich "Vorbereitungen zur Repatriierung" treffe, und dass Übergriffe auf die Zivilbevölkerung in erheblichem Ausmaß in mehreren Teilen des Landes, besonders aber in den nordwestlichen Grenzgebieten, vorkämen. Von daher lassen sich diese - maßgeblichen - Feststellungen nicht zur Gänze durch die zitierten Ausführungen im Fischer-Weltalmanach 1998 belegen.
Den Verwaltungsakten sind auch keine sonstigen Verfahrensergebnisse zu entnehmen, auf die diese Feststellungen gestützt werden könnten, weshalb die Begründung des angefochtenen Bescheides in relevantem Ausmaß mangelhaft geblieben ist.
3. Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil eine Vergütung der beantragten Umsatzsteuer gesetzlich nicht vorgesehen ist.
Wien, am 30. Jänner 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998180124.X00Im RIS seit
28.05.2001