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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1997 §57 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde 1. der T K, (geb. 10.2.1960), 2. der A K, (geb. 1.3.1990) und 3. der I K, (geb. 18.7.1991), alle in Zell/Moos, vertreten durch Dr. Gerhard Zenz, Rechtsanwalt in 5310 Mondsee, Rainerstraße 5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 26. Juni 1998, Zl. St 198/97, betreffend Feststellung gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 26. Juni 1998 wurde gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass die beschwerdeführenden Parteien in Albanien gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht seien.
Die beschwerdeführenden Parteien seien albanische Staatsangehörige und am 1. September 1996 unter Umgehung der Grenzkontrolle, aus Italien kommend, in das Bundesgebiet eingereist. Ihre Asylanträge seien vom Bundesasylamt (Außenstelle Traiskirchen) abgewiesen worden, ebenso seien ihre dagegen eingebrachten Berufungen vom Bundesminister für Inneres abgewiesen worden. Gegen die letztinstanzlichen Bescheide hätten die beschwerdeführenden Parteien ihren eigenen Angaben zufolge Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof eingebracht. Die Erstbeschwerdeführerin habe Verfolgungsgründe nicht geltend gemacht, sondern lediglich angegeben, ihrem Ehemann nach Österreich gefolgt zu sein. In ihrer Berufung vom 23. Mai 1997 habe sie Verletzung des Parteiengehörs geltend gemacht. Darüber hinaus habe sie ausgeführt, dass sie im Fall ihrer Rückkehr mit ihrer sofortigen Verhaftung zu rechnen hätte. Auch vor den Kindern würde nicht Halt gemacht. Im Heimatstaat der Beschwerdeführerin würde eine Staatsgewalt fehlen, die sie vor Übergriffen verschiedener Gruppierungen, welche nunmehr das Land terrorisierten, schützen könnte. In vielen Teilen des Landes wäre der Regierung Albaniens die Kontrolle über das Land völlig entglitten. In der niederschriftlichen Einvernahme am 18. Juni 1997 habe sie noch ausgeführt, dass ihr Ehemann bis August 1994 im Dienst einer kriminalpolizeilichen Gruppierung gestanden wäre. Im Jahr 1994 wären sämtliche im Staatsdienst befindliche Beamte entlassen worden. Nach dem Regimewechsel wären viele Gesetzesbrecher, die von ihrem Gatten bei seiner beruflichen Tätigkeit inhaftiert worden wären, wiederum auf freien Fuß gekommen. Im November 1994 wäre die Zweitbeschwerdeführerin aus dem Kindergarten von einer Gruppe Gesetzesbrecher, an deren Verhaftung ihr Ehemann mitgewirkt hätte, entführt worden. Gegen Bezahlung eines Lösegeldes wäre sie freigelassen worden. Die Erstbeschwerdeführerin wäre ständig mit der Tötung bzw. Ausrottung ihrer Familie bedroht worden. Sie habe wiederum auf ihre unverzügliche Festnahme hingewiesen bzw. auf Unruhen, zu denen es in ihrem Heimatstaat immer wieder kommen würde. Im südlichen Teil Albaniens wären derartige Unruhen beinahe an der Tagesordnung. Abschließend habe die Erstbeschwerdeführerin auch auf die Gefahr der Blutrache hingewiesen. Mit Schreiben vom 3. Juni 1998 sei der Erstbeschwerdeführerin der "ho. Wissensstand" über die derzeitige Lage in Albanien mitgeteilt worden. Auf dieses Schreiben dürfe, um Wiederholungen zu vermeiden, verwiesen werden. In ihrer Stellungnahme vom 15. Juni 1998 habe die Erstbeschwerdeführerin ihre Gründe wiederholt bzw. ausgeführt, dass sie sich der Ansicht der belangten Behörde, wonach die Staatsgewalt wieder hergestellt wäre, nicht anschließen könnte. Die Situation in Albanien wäre noch immer instabil. Auch habe sie diesem Schreiben einige Zeitungsartikel beigelegt, aus denen hervorgehe, dass es in dem besagten Staat verschiedentlich zu Terrorakten gekommen wäre.
Der Bundesminister für Inneres habe in seinem Bescheid vom 17. Juni 1996 rechtskräftig festgestellt, dass der Erstbeschwerdeführerin die Flüchtlingseigenschaft nicht zukomme und sie in ihrem Heimatland vor Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention sicher sei. Der Begriff des Flüchtlings decke sich mit den Verfolgungsgründen nach § 57 Abs. 2 FrG; es könne daher davon ausgegangen werden, dass diese Verfolgungsgründe nicht vorlägen, da die Erstbeschwerdeführerin im darauffolgenden fremdenpolizeilichen Verfahren keine neue Tatsachen vorgebracht habe und, was die Fluchtgründe anlange, auf ihr Vorbringen im Asylverfahren verwiesen bzw. dieses wiederholt habe. Der belangten Behörde sei es auf Grund des im § 46 AVG verankerten Grundsatzes der Unbeschränktheit der Beweismittel nicht verwehrt, die Ergebnisse des Asylverfahrens zu berücksichtigen. Im Hinblick darauf, dass im Asylverfahren die Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung zu prüfen sei, und § 57 Abs. 2 FrG auf die Bedrohung von Leben und Freiheit des Fremden aus denselben Gründen abstelle, sei die Berücksichtigung der Ergebnisse des Asylverfahrens nicht unzulässig, ja vielmehr naheliegend. Zusammenfassend sei auszuführen, dass die Erstbeschwerdeführerin in "keinster Weise" behauptet hätte, von den Organen ihres Heimatstaates selbst im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG gefährdet/bedroht zu werden. Sie habe lediglich die Gefahr der Blutrache bzw. die Gefahr, die von verschiedenen terroristischen Gruppierungen ausgehe, ins Treffen geführt. Ferner habe sie behauptet, dass es in ihrem Heimatstaat noch keine gefestigte staatliche Ordnung gebe. Diesbezüglich habe sie auch verschiedene Zeitungsartikel vorgelegt. Diese von der Erstbeschwerdeführerin vorgelegten Zeitungsartikel deckten sich jedoch mit dem Schreiben der belangten Behörde vom 3. Juni 1998, in dem ausgeführt worden sei, dass es zweifellos im besagten Staat "immer wieder zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und kriminellen Banden bzw. zu Sprengstoffanschlägen kommen würde". Es sei Tatsache, dass sich in diesem Staat Verbrecherorganisationen gebildet hätten. Die Polizei sei jedoch bemüht, dieses Unwesen zu bekämpfen und habe diesbezüglich bereits Erfolge zu vermelden. Als Fazit sei der Beschwerdeführerin im Schreiben der belangten Behörde vom 3. Juni 1998 dargelegt worden, dass sich im besagten Staat sehr wohl eine staatliche Ordnungsmacht befinde und diese auch bemüht sei, die staatliche Ordnung situationsbedingt aufrecht zu erhalten bzw. energisch gegen das Verbrecherunwesen vorgehe. Ein allumfassender Schutz könne auch in Staaten westlicher Prägung nicht gewährleistet werden. Diesem Wissensstand der belangten Behörde habe die Erstbeschwerdeführerin lediglich lapidar widersprochen. Stichhaltige Gründe für diese ablehnende Haltung habe sie keine vorbringen können. Auch habe die Erstbeschwerdeführerin in "keinster Weise" glaubhaft dargetan, weshalb sie im Fall ihrer Rückkehr in ihren Heimatstaat mit ihrer sofortigen Verhaftung zu rechnen hätte. Konkrete Gründe hiefür habe sie keine angegeben. Aus den oben angeführten Tatsachen sei die belangte Behörde zu dem Schluss gekommen, dass im Fall der Erstbeschwerdeführerin bzw. im Fall ihrer Kinder keine Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 vorliege.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, der Sache nach Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 75 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 57 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 75 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der im § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis vom 7. Juli 1999, Zl. 99/18/0080, mwH.)
2. Die Beschwerde macht (u.a.) geltend, die Erstbeschwerdeführerin habe bereits im Zug des Verwaltungsverfahrens dargestellt, dass sie und ihre Familie mehrfach von unbekannten Personen bedroht worden seien und ihre Tochter entführt worden sei. Diese sei eine Woche lang verschollen gewesen und erst gegen Bezahlung eines hohen Lösegeldes wieder freigelassen worden. Gerade die vormalige Tätigkeit ihres Ehemannes als "regimetreuer Kriminalpolizist" führe zu den Bedrohungen, die die Erstbeschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren angeführt hätte, weswegen eine Zugehörigkeit der Beschwerdeführerinnen zu einer bestimmten sozialen Gruppe bestehe, welche nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes - von wem auch immer - verfolgt werde. Wenn die belangte Behörde ausführe, dass es zu Zusammenstößen zwischen Polizei und kriminellen Banden und zu Sprengstoffanschlägen kommen würde und sich Verbrecherorganisationen gebildet hätten, so sei der Hinweis, wonach sich die Polizei bemühte, dieses Unwesen zu bekämpften, nicht überzeugend, zumal die belangte Behörde keine konkreten Tatsachen behaupte, sondern lediglich auf Vermutungen zurückgreife.
3. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg. Die belangte Behörde hat festgestellt (vgl. oben I.1.), dass es in Albanien "zweifelsohne ... immer wieder zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und kriminellen Banden bzw. Sprengstoffanschlägen kommen würde", sich dort Verbrecherorganisationen gebildet hätten, und dass die staatliche Ordnungsmacht bemüht sei, die staatliche Ordnung situationsbedingt aufrecht zu erhalten und energisch gegen das Verbrecherunwesen vorgehe, ein "allumfassender Schutz" aber auch in "Staaten westlicher Prägung" nicht gewährleistet werden könne. Damit hat die belangte Behörde insgesamt zu erkennen gegeben, dass sich in dem besagten Staat die staatlichen Ordnungskräfte zwar bemühten, die staatliche Ordnung aufrecht zu erhalten, es ihnen situationsbedingt aber nicht gelinge, Zusammenstöße und Sprengstoffanschläge hintanzuhalten. Vor diesem Hintergrund hätte sich die belangte Behörde angesichts der im bekämpften Bescheid wiedergegebenen konkreten (von der Behörde nicht in Zweifel gezogenen) Angaben, dass nämlich der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin bis 1994 ein einem früheren politischen Regime treuer Kriminalpolizist gewesen sei, und die Zweitbeschwerdeführerin von einer früher von diesem verhafteten Person entführt worden und nur gegen die Bezahlung eines Lösegeldes freigelassen worden sei, näher damit auseinandersetzen müssen, ob es tatsächlich zu Verfolgungsmaßnahmen gegenüber ehemaligen regimetreuen Polizisten und deren Familienangehörigen komme und gegebenenfalls, ob der Staat nicht willens oder nicht in der Lage sei, dies zu unterbinden (vgl. in diesem Sinn das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 1998, Zl. 98/18/0076). Für die Beurteilung, ob der in Rede stehende Staat hiezu nicht in der Lage ist, kommt es nicht darauf an, dass in diesem Staat eine Staatsgewalt völlig fehlt, sondern darauf, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort für die beschwerdeführenden Parteien von dritter Seite trotz der von der belangten Behörde genannten Bemühungen der staatlichen Ordnungsmacht eine Bedrohung bzw. Gefährdung iSd § 57 Abs. 1 und/oder § 57 Abs. 2 FrG zu erwarten ist (vgl. in diesem Sinn zur Rechtslage nach dem Asylgesetz 1997 das hg. Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0256).
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Unterbleiben dieses Verfahrensmangels zu einem anderen, für die Beschwerdeführerinnen günstigen Ergebnis gekommen wäre, hat sie den bekämpften Bescheid mit einem wesentlichen Verfahrensmangel belastet.
4. Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und - auf Grund der sich aus der mangelhaften Sachverhaltsfeststellung ergebenden unzureichenden Begründung - lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer in dem in der genannten Verordnung festgesetzten Pauschalbetrag für den Schriftsatzaufwand bereits enthalten ist.
Wien, am 30. Jänner 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998180372.X00Im RIS seit
30.04.2001