Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 28. September 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Prammer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Martin W***** wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB, AZ 4 Hv 13/10m des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die von der Generalprokuratur gegen die Durchführung der Hauptverhandlung ohne Beiziehung eines Verteidigers erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, zu Recht erkannt:
Spruch
Im Strafverfahren gegen Martin W*****, AZ 4 Hv 13/10m des Landesgerichts für Strafsachen Graz, verletzt die Durchführung der Hauptverhandlung ohne Beiziehung eines Verteidigers § 61 Abs 1 Z 5 StPO.
Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 23. März 2010, GZ 4 Hv 13/10m-9, wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht verwiesen.
Text
Gründe:
Im Strafverfahren 4 Hv 13/10m des Landesgerichts für Strafsachen Graz legte die Staatsanwaltschaft mit Strafantrag Martin W***** das Verbrechen der (versuchten) schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB zur Last (ON 5). Der Einzelrichter beraumte die Hauptverhandlung an (ON 1 S 3 f), ohne den Angeklagten gemäß § 61 Abs 3 StPO aufzufordern, einen Verteidiger zu bevollmächtigen oder die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers nach § 61 Abs 2 StPO zu beantragen. In dieser Hauptverhandlung (ON 8), die sohin entgegen § 61 Abs 1 Z 5 StPO ohne Beiziehung eines Verteidigers durchgeführt wurde, wurde der Angeklagte anklagekonform schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt (ON 8, 9).
Über das als „Einspruch“ bezeichnete Rechtsmittel des Angeklagten (ON 10) gegen dieses Urteil wurde bisher nicht entschieden.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 61 Abs 1 Z 5 StPO bedarf der Angeklagte in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht als Einzelrichter eines Verteidigers, wenn für die Straftat außer in den Fällen der §§ 129 Z 1 bis 3 und 164 Abs 4 StGB eine drei Jahre übersteigende Freiheitsstrafe angedroht ist. Aufgrund der gesetzlichen Strafdrohung des § 106 Abs 1 StGB (sechs Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe) war im vorliegenden Verfahren die Vertretung des Angeklagten durch einen Verteidiger in der Hauptverhandlung zwingend vorgeschrieben. Die Durchführung der Hauptverhandlung ohne Zuziehung eines Verteidigers verletzt somit - wie die Generalprokuratur gemäß § 23 Abs 1 StPO zutreffend ausführt - das Gesetz in der Bestimmung des § 61 Abs 1 Z 5 StPO.
Fallbezogen kann eine Benachteiligung des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden. Der Oberste Gerichtshof sah sich somit gemäß § 292 letzter Satz StPO veranlasst, das genannte Urteil aufzuheben und Verfahrenserneuerung anzuordnen. Für den zweiten Rechtsgang wird das Verschlechterungsverbot zu beachten sein (vgl RIS-Justiz RS0092039).
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E95454European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0110OS00105.10S.0928.000Im RIS seit
20.11.2010Zuletzt aktualisiert am
20.11.2010