Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 28. September 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Prammer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Wolfgang N***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1, Abs 2 vierter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 11. März 2010, GZ 6 Hv 159/09w-66, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Wolfgang N***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1, Abs 2 vierter Fall StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 27. September 2009 in N***** S***** R***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs sowie zur Duldung und zur Vornahme von dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen genötigt, indem er sie mit beiden Händen zunächst rücklings gegen einen Stein stieß, sie anschließend mit seinem Körpergewicht dagegen sowie ihre gespreizten Beine in die Höhe drückte, ihren Rock hoch und den Slip zur Seite schob und - jeweils gegen ihren Willen - gewaltsam zunächst einen Finger in ihre Scheide einführte, sodann den vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr vollzog und anschließend aufgrund der von ihr geäußerten Schmerzen erklärte: „Entweder machen wir so weiter oder du bläst mir einen!“, sie also zur Vornahme des Oralverkehrs an ihm aufforderte, wobei er ihren Kopf festhielt, ihren Mund zu seinem Penis führte und mit ihrem Kopf entsprechende Vor- und Rückbewegungen ausführte, wodurch sie in besonderer Weise erniedrigt wurde, weil der Angeklagte im Rahmen des Oralverkehrs in ihren Mund ejakulierte und sie das Ejakulat schluckte.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf Z 4, 5a, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Die Verfahrensrüge (Z 4) behauptet eine Verletzung von Verteidigungsrechten durch die Abweisung seiner in der Hauptverhandlung am 21. Dezember 2009 (ON 40 S 113 iVm ON 37 S 3) und am 11. März 2010 (ON 65 S 39 f iVm ON 45) gestellten Anträge auf Vornahme eines Lokalaugenscheins im Beisein eines gerichtsmedizinischen Sachverständigen insbesondere zum (gegen den Anklagevorwurf gerichteten) Beweisthema, dass in Anbetracht der örtlichen Verhältnisse und des Neigungswinkels des Steins sowie der Größenverhältnisse der beteiligten Personen eine aktive Teilnahme des Mädchens am Geschlechtsverkehr Voraussetzung gewesen sei, um in der vom Erstgericht angeführten Position einen Geschlechtsverkehr vornehmen zu können. Diese örtlichen und anatomischen Gegebenheiten sind im Akt jedoch vollständig fotografisch dokumentiert (ON 3 S 77, ON 62 zur Neigung und Oberflächenbeschaffung des Felsens; ON 21 und Beilage A./ zu den Größenverhältnissen; ON 3 S 79 zu den Bodenverhältnissen), sodass der Beweisantrag über die bloße Behauptung hinaus, zweidimensionale Lichtbilder würden zur Beurteilung des Sachverhalts nicht ausreichen (ON 45 S 5), darzulegen gehabt hätte, wieweit das beantragte Beweismittel demnach die Ermittlung der Wahrheit zu fördern geeignet sein solle, zumal auch der gerichtsmedizinische Sachverständige erklärt hatte, mit den Lichtbildern das Auslangen zu finden (ON 65 S 39). Im Ergebnis strebt der Angeklagte eine reine Erkundungsbeweisführung an (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 341 mwN), der im Stadium der Hauptverhandlung (RIS-Justiz RS0118123 [T1, T2], RS0097230) gegenständlich umso weniger entsprochen werden konnte, als Anhaltspunkte für eine Teilnahmewilligkeit des Opfers (das sich im Sinne von § 156 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StPO erklärt hatte - ON 14 S 24) an der intendierten Tatrekonstruktion (s ON 45) nicht dargetan wurden (RIS-Justiz RS0117928).
Die in der Beschwerde nachgetragenen Gründe für die Antragstellung verstoßen gegen das für die Prüfung eines Zwischenerkenntnisses geltende Neuerungsverbot (RIS-Justiz RS0099618, RS0099117).
Die Tatsachenrüge (Z 5a) stützt sich auf Divergenzen der Aussagen des Opfers zu seinem Nachtatverhalten mit Aufzeichnungen einer Überwachungskamera (s dazu US 14 und 12 f) sowie auf Äußerungen des medizinischen Sachverständigen zu den physikalischen Gegebenheiten bei der inkriminierten Vergewaltigung auf einem Felsen (ON 48 S 27 f - s dazu US 15 ff) - die im Übrigen außerhalb seines Fachgebiets liegen - und zur Körperregion des Aufprallens auf dem in Rede stehenden Stein nach einem Anstoß (ON 65 S 35 - vgl US 17 f).
Erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Konstatierungen entscheidender Tatsachen werden dadurch beim Obersten Gerichtshof nicht ausgelöst.
Der formelle Nichtigkeitsgrund nach Z 5a greift nämlich seinem Wesen nach erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, maW intersubjektiv gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahelegen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt - wird dadurch nicht ermöglicht. Die Tatsachenermittlung im kollegialgerichtlichen Verfahren bleibt den Richtern erster Instanz vorbehalten, die unter dem Eindruck der unmittelbaren, mündlichen und kontradiktorischen Beweiserhebung entscheiden. Beweiswürdigende Detailerwägungen diesseits der Schwelle erheblicher Bedenklichkeit - wie in Erledigung einer Berufung wegen Schuld - sind dem Obersten Gerichtshof somit verwehrt und auch in einer Tatsachenrüge nicht statthaft (RIS-Justiz RS0118780, RS0119583).
Die auf die Ausschaltung der Qualifikation nach § 201 Abs 2 vierter Fall StGB zielende Subsumtionsrüge (Z 10) referiert zwar die bezughabenden Feststellungen (US 8), stellt in der Folge argumentativ aber auf andere - aus anders gelagerten Beispielsfällen der Rechtsprechung entnommene - Kriterien ab, um aus dem fallaktuellen Fehlen solcher Umstände das Nichtvorliegen der bekämpften Qualifikation abzuleiten. Dabei lässt sie jedoch jede Auseinandersetzung mit der diesen Behauptungen entgegenstehenden einhelligen Judikatur (14 Os 143/06w; 15 Os 14/07h) vermissen und leitet darüber hinaus prozessordnungswidrig nicht aus dem Gesetz ab, weshalb das durch das Halten des Kopfes bedingte notgedrungene Schlucken des Ejakulats (US 8) nicht über das mit einer Vergewaltigung jedenfalls verbundene Maß an Opferdemütigung hinausgehen solle (RIS-Justiz RS0095315).
Die vermissten Feststellungen zur subjektiven Tatseite der die Deliktsqualifikation nach § 201 Abs 2 vierter Fall StGB begründenden Tathandlungen finden sich - was der Beschwerdeführer übergeht - auf US 8. Feststellungen zu einem auf die rechtliche Beurteilung seines Verhaltens gerichteten Vorsatz hatte das Gericht nicht zu treffen.
Der Sanktionsrüge (Z 11, gemeint zweiter Fall) ist zu entgegnen, dass körperliche Schmerzen des Tatopfers nicht Tatbestandsvoraussetzung des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1, Abs 2 vierter Fall StGB sind und demgemäß nicht schon die Strafdrohung bestimmen. Ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot liegt somit nicht vor (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 711).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, aber entgegen der dazu abgegebenen Äußerung des Angeklagten bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E95360European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0110OS00113.10T.0928.000Im RIS seit
14.11.2010Zuletzt aktualisiert am
14.11.2010