Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Rolf Gleißner und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** S*****, gegen die beklagte Partei Gemeinde B*****, vertreten durch Dr. Alfons Klaunzer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung des aufrechten Bestands eines Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Juli 2010, GZ 13 Ra 19/10g-14, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Die Beklagte stellt nicht in Abrede, dass die Begründung und Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen (mit einer Dauer von mehr als sechs Monaten) nach der Tiroler Gemeindeordnung 2001 (§ 30 Abs 1 lit h) grundsätzlich in die Zuständigkeit des Gemeinderats fällt. Sie beruft sich jedoch darauf, dass es sich beim Ausspruch einer Entlassung um eine dringende Angelegenheit iSd § 51 der Tiroler Gemeindeordnung 2001 handle, bei der das zur Entscheidung berufene Gemeindeorgan nicht rechtzeitig einberufen werden könne, weshalb der Bürgermeister allein zur Entscheidung berufen sei.
2. Nach gesicherter Rechtsprechung stellen die in der Gemeindeordnung enthaltenen Vorschriften über die Vertretung der Gemeinden nicht bloße Organisationsvorschriften über die interne Willensbildung öffentlich-rechtlicher Körperschaften dar, sondern enthalten vielmehr Einschränkungen der Vertretungsmacht des Bürgermeisters nach außen (RIS-Justiz RS0014717). Eine durch einen erforderlichen Gemeinderatsbeschluss nicht gedeckte Willenserklärung des Bürgermeisters bindet mangels der dafür erforderlichen Vertretungsbefugnisse die Gemeinde daher grundsätzlich nicht (RIS-Justiz RS0014664). Zudem kommt nach der Judikatur die nachträgliche Sanierung (durch Genehmigung seitens des zuständigen Gemeindeorgans) einer ursprünglich fehlerhaften Entlassung ebenso wenig in Betracht, wie die Entlassung unter einer vom Willen des Arbeitnehmers unabhängigen Bedingung, weil die Entlassung die Rechtslage mit Wirkung ex nunc gestaltet (RIS-Justiz RS0019484). Nach diesen Grundsätzen ist eine vom Bürgermeister allein ausgesprochene Entlassung nicht nur schwebend, sondern grundsätzlich unwirksam, wenn der Bürgermeister zum Ausspruch der Entlassung nach den Organisationsvorschriften nicht (allein) zuständig war (9 ObA 9/09b).
Bei diesen Grundsätzen handelt es sich um allgemein gültige Schlussfolgerungen zur Wirksamkeit von Willenserklärungen in Vertretung von Gemeinden mit Rücksicht auf die landesgesetzlichen Organisationsvorschriften.
3.1 In der Vorschrift des § 51 der Tiroler Gemeindeordnung 2001, auf die sich die Beklagte beruft, ist für dringende Fälle ebenso wie in der Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967 (§ 47 Abs 1: bei Gefahr in Verzug; vgl 9 ObA 9/09b) und im Niederösterreichischen Gemeinde-Vertragsbedienstetengesetz 1976 (§ 42 Abs 1: wenn für den Ausspruch einer Kündigung oder Entlassung die Genehmigung des zuständigen Organs nicht rechtzeitig eingeholt werden kann; vgl 9 ObA 90/99x) eine Eilzuständigkeit des Bürgermeisters vorgesehen. Mit Bezug auf den Prozessstandpunkt der Beklagten stellt sich somit die Frage, ob eine Entlassung von vornherein und allgemein wegen Gefahr im Verzug die rechtzeitige Einberufung des Gemeinderats ausschließt. Von der Beklagten wird diese Frage unter Hinweis auf das Erfordernis der Unverzüglichkeit der Entlassung bejaht.
3.2 Gewiss ist auch eine öffentlich-rechtliche Körperschaft gehalten, einen Entlassungsgrund unverzüglich nach Kenntnisnahme des die vorzeitige Auflösung rechtfertigenden Sachverhalts durch das für den Ausspruch der Entlassung zuständige Organ geltend zu machen (vgl 9 ObA 90/99x). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass bei juristischen Personen und insbesondere im öffentlichen Bereich die Willensbildung regelmäßig umständlicher und langwieriger als bei physischen Personen erfolgt, weil die Wahrnehmung der Zuständigkeit nach Maßgabe der Kompetenzverteilung und auch der Aktenlauf gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Dadurch bedingte Verzögerungen werden von der Rechtsprechung daher grundsätzlich als gerechtfertigt anerkannt (RIS-Justiz RS0029328; 9 ObA 155/09y).
Die Beklagte führt im gegebenen Zusammenhang ins Treffen, dass ein dringender Fall nach § 51 der Tiroler Gemeindeordnung 2001 und damit die Eilzuständigkeit des Bürgermeisters gegeben sei, weil - anders als im angeblich nicht vergleichbaren Fall der Entscheidung 9 ObA 9/09b zur Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967 - eine Einberufungsfrist von fünf Tagen nach schriftlicher Verständigung (vgl § 34 der Tiroler Gemeindeordnung 2001) in Ansehung von (grundsätzlich) elf Gemeinderäten zu beachten sei.
Die hier angesprochenen Besonderheiten in den landesrechtlichen Organisationsvorschriften können allerdings keine Abweichung von den dargestellten allgemeinen Grundsätzen im Hinblick auf das Erfordernis der Unverzüglichkeit des Ausspruchs der Entlassung bewirken. Vielmehr stellt die Frage, ob diesem Erfordernis durch Befassung des Gemeinderats entsprochen werden kann, eine Beurteilung im Einzelfall dar, die im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage begründet.
3.3 Aus der in der außerordentlichen Revision angeführten Literaturstelle (Brandmayr/Ludwig, Kommentar zur Tiroler Gemeindeordnung 2001, 156), wonach als dringende Angelegenheit iSd § 51 leg cit beispielsweise die Erlassung einer ortspolizeilichen Verordnung, sofern ein besonders rasches Vorgehen erforderlich sei, oder ein sofortiger Ausspruch der Entlassung bei Eintritt eines Entlassungsgrundes in Betracht kämen, lässt sich für die Beklagte nichts gewinnen. Die aufgezählten Beispielsfälle beziehen sich auf das Vorliegen von „Gefahr im Verzug“, was nach den genannten Autoren bedeutet, dass zur Abwehr einer bestehenden oder wahrscheinlichen Gefahr ein sofortiges Einschreiten erforderlich ist. Auch nach diesen Überlegungen kann der Bürgermeister somit nur bei Gefahr im Verzug über eine Entlassung allein entscheiden. Die von der Beklagten argumentierte Gleichstellung einer jeden Entlassung mit einer dringenden Angelegenheit iSd § 51 der Tiroler Gemeindeordnung 2001 kann somit auch aus der besprochenen Kommentarstelle nicht zwingend abgeleitet werden; eine solche Gleichstellung wäre auch nicht haltbar.
4.1 Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Entlassung des Klägers trotz Befassung des Gemeinderats unter Berücksichtigung des Erfordernisses seiner Einberufung nach Maßgabe der einschlägigen landesgesetzlichen Organisationsvorschriften unverzüglich hätte ausgesprochen werden können und ein dringender Fall nach § 51 der Tiroler Gemeindeordnung 2001 nicht bestanden habe, ist jedenfalls vertretbar. Die Bedachtnahme auf die gesetzliche Kompetenzverteilung und die Befassung des zuständigen Gemeindeorgans betrifft gerade einen Umstand, der bei Beurteilung der Rechtfertigung einer Verzögerung im Ausspruch der Entlassung nach der Rechtsprechung zu berücksichtigen ist. Darauf, dass die Einberufung des Gemeinderats aus konkreten Hinderungsgründen nicht innerhalb der durchaus noch kurzen Einberufungsfrist nach § 34 der Tiroler Gemeindeordnung 2001 (fünf Tage nach schriftlicher Verständigung) möglich gewesen sei und der Bürgermeister aufgrund solcher besonderer Umstände von der Eilzuständigkeit berechtigt Gebrauch gemacht hätte, stützt sich die Beklagte in ihrem Rechtsmittel nicht.
4.2 Das Argument der Beklagten in der außerordentlichen Revision, ihr sei nicht zumutbar gewesen, den Kläger nach Setzung des Entlassungsgrundes noch mindestens sechs Tage zu beschäftigen, wird schon dadurch entkräftet, dass es ihr freigestanden wäre, den Kläger bis zur Entscheidung des Gemeinderats von seiner Tätigkeit zu entheben.
4.3 Da im vorliegenden Fall die Eilzuständigkeit des Bürgermeisters der Beklagten nach § 51 der Tiroler Gemeindeordnung 2001 nicht gegeben war, kommt den (zugegebenermaßen zu hinterfragenden) Überlegungen des Berufungsgerichts, dass im Rahmen des § 51 der Tiroler Gemeindeordnung 2001 eine Entlassung durch den Bürgermeister aufschiebend bedingt ausgesprochen werde, keine Bedeutung zu.
5. In der Zustimmung des Gemeinderats der Beklagten zu der vom Bürgermeister ausgesprochenen Entlassung des Klägers anlässlich der Gemeinderatssitzungen vom 4. 12. 2009 und 21. 1. 2010 ist weder eine eigene Entlassungserklärung des Gemeinderats gelegen noch wurde eine solche Entlassungserklärung des Gemeinderats dem Kläger zugestellt. Die individuelle Mitteilung der Entlassung stellt aber eine unabdingbare Voraussetzung für deren Wirksamkeit dar (vgl 9 ObA 9/09b).
6. Insgesamt lassen sich die in der Rechtsprechung des Höchstgerichts anerkannten Grundsätze zur Beurteilung der Wirksamkeit einer Entlassung durch den Bürgermeister einer Gemeinde trotz der geringfügigen Unterschiede in den einschlägigen landesgesetzlichen Organisationsvorschriften auf den vorliegenden Fall übertragen. Da die Vorinstanzen von diesen Grundsätzen nicht abgewichen sind und auch eine auffallende Fehlbeurteilung im Einzelfall nicht vorliegt, ist keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zu klären. Die außerordentliche Revision der Beklagten war daher zurückzuweisen.
Schlagworte
11 Arbeitsrechtssachen,Textnummer
E95433European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:009OBA00084.10H.0929.000Im RIS seit
18.11.2010Zuletzt aktualisiert am
14.03.2012