TE OGH 2010/9/30 13Os90/10z (13Os99/10y, 13Os100/10w)

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Veröffentlicht am 30.09.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat am 30. September 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Lässig, Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Saadati als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen Alfred T***** wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG, AZ 38 Hv 189/09t des Landesgerichts Salzburg, über die von der Generalprokurator gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 27. Jänner 2010, AZ 7 Bs 15/10w (= ON 13 der Hv-Akten), und einen anderen Vorgang erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 38 Hv 189/09t des Landesgerichts Salzburg verletzen das Gesetz

1. der Vorgang, dass der Vorsitzende die Zustellung der Anklageschrift an den Angeklagten selbst verfügte, obwohl dieser bereits durch einen Verteidiger vertreten war, in der Bestimmung des § 83 Abs 4 StPO;

2. der Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 27. Jänner 2010, AZ 7 Bs 15/10w (= ON 13 der Hv-Akten), in der Bestimmung des § 215 Abs 1 StPO.

Dieser Beschluss des Oberlandesgerichts Linz wird aufgehoben.

Dem Landesgericht Salzburg wird aufgetragen, die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Salzburg vom 12. Oktober 2009, AZ 6 St 117/09s (= ON 4 der Hv-Akten), dem Verteidiger zuzustellen.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Salzburg legte Alfred T***** mit beim Landesgericht Salzburg eingebrachter Anklageschrift vom 12. Oktober 2009, AZ 6 St 117/09s (= ON 4 der Hv-Akten), ein darin als Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG beurteiltes Verhalten zur Last.

Der Vorsitzende verfügte die Zustellung der Anklageschrift an den Angeklagten selbst (S 1 des Anordnungs- und Bewilligungsbogens, ON 5 f), obwohl aus den vom Finanzamt Salzburg-Stadt als Finanzstrafbehörde erster Instanz der Staatsanwaltschaft vorgelegten und von Letzterer dem Gericht übermittelten Unterlagen hervorging, dass Alfred T***** im vorliegenden Finanzstrafverfahren bereits durch Rechtsanwalt Dr. Peter R***** als Verteidiger vertreten war (ON 2 S 471 ff; vgl § 196 Abs 1 FinStrG).

Den von diesem ausgeführten Einspruch gegen die Anklageschrift (ON 7) wies das Oberlandesgericht Linz mit Beschluss vom 27. Jänner 2010, AZ 7 Bs 15/10w (= ON 13 der Hv-Akten), zurück, weil es ihn als verspätet ansah. Auf den Umstand, dass die Anklageschrift dem Angeklagten selbst zugestellt worden war, obwohl dieser bereits durch einen Verteidiger vertreten war, ging es nicht ein.

Rechtliche Beurteilung

Dem Landesgericht Salzburg und dem Oberlandesgericht Linz unterliefen, wie die Generalprokuratur in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, Gesetzesverletzungen:

1. Die Zustellung der Anklageschrift (§ 213 Abs 1 StPO) an den Angeklagten selbst verstieß gegen § 83 Abs 4 StPO, wonach dem Verteidiger zuzustellen ist, soweit der Beschuldigte (§ 48 Abs 2 StPO) durch einen solchen vertreten wird (Birklbauer/Mayrhofer, WK-StPO § 213 Rz 8; § 195 Abs 1 FinStrG). Demnach wurde die Anklageschrift nicht wirksam zugestellt (Murschetz, WK-StPO § 83 Rz 1-3; vgl Achammer, WK-StPO § 58 Rz 19, 49).

Daran ändert übrigens der Umstand nichts, dass die Anklageschrift dem Verteidiger später, wie aus dem Einspruch ersichtlich ist, zukam, hatte das Erstgericht doch gerade nicht ihn, sondern den Angeklagten als Empfänger angegeben (RIS-Justiz RS0121448, RS0106442, RS0083733).

2. Daher lag ein verspäteter Einspruch gegen die Anklageschrift entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Linz nicht vor. Seine Entscheidung verstieß demnach gegen § 215 Abs 1 StPO.

Mit Blick auf § 292 letzter Satz StPO sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzungen wie aus dem Spruch ersichtlich mit konkreter Wirkung zu verbinden.

Damit hat sich, wie anzumerken bleibt, die dem Obersten Gerichtshof überdies vorliegende Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 9. April 2010, AZ 7 Bs 81/10a (= ON 17 der Hv-Akten), mit welchem dem Angeklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung des Einspruchs gegen die Anklageschrift verweigert wurde, erledigt.

Misst nämlich der Oberste Gerichtshof - wie im gegebenen Fall - seinem Erkenntnis (§ 292 fünfter Satz StPO) eine den Angeklagten begünstigende Wirkung zu und hebt eine diesen benachteiligende Verfügung auf (§ 292 siebenter Satz StPO), gelten von der kassierten rechtslogisch abhängige weitere Verfügungen gleichermaßen als beseitigt (Ratz, WK-StPO § 292 Rz 28; RIS-Justiz RS0100444), womit der Bezugspunkt der genannten Beschwerde weggefallen ist.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E95446

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0130OS00090.10Z.0930.000

Im RIS seit

20.11.2010

Zuletzt aktualisiert am

20.11.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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