Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 30. September 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Lässig, Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Saadati als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen Evelyn F***** und einen anderen Angeklagten wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG und anderer strafbarer Handlungen, AZ 11 Hv 130/07g des Landesgerichts Leoben, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss (ON 105) und das Urteil (ON 106) dieses Gerichts vom 14. Dezember 2009 erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner zu Recht erkannt:
Spruch
In der Strafsache AZ 11 Hv 130/07g des Landesgerichts Leoben verletzt das Urteil dieses Gerichts vom 14. Dezember 2009 (ON 106) § 358 Abs 4, § 358 Abs 5 und § 360 Abs 1 StPO.
Dieses Urteil, das im Freispruch des Ecmel Ö***** vom Vorwurf, im Jahr 2004 vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen wissentlich eine Verkürzung von Umsatzsteuer bewirkt zu haben, unberührt bleibt, wird aufgehoben und dem Landesgericht Leoben aufgetragen, die Akten im Sinn des § 358 Abs 2 StPO der Staatsanwaltschaft zu übersenden.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Text
Gründe:
Mit unangefochten in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 15. Jänner 2008 (ON 48) wurden Evelyn F***** und Ecmel Ö***** - anklagekonform (ON 35) - jeweils mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG (A) und nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG (B) schuldig erkannt.
Danach haben sie an verschiedenen, in der Steiermark gelegenen Orten als Geschäftsführer mehrerer Lokale vorsätzlich Abgabenverkürzungen bewirkt, nämlich unter Verletzung
(A) abgabenrechtlicher Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflichten
I) Evelyn F***** für das Jahr 2002 an
1) Umsatzsteuer um 32.388,23 Euro und
2) Einkommensteuer um 70.809,14 Euro,
II) Ecmel Ö***** an
1) Umsatzsteuer für die Jahre 2001 um 2.059,04 Euro und 2002 um 24.695,52 Euro sowie
2) Einkommensteuer für das Jahr 2002 um 26.724,23 Euro, weiters
(B) der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen an Umsatzsteuer
I) Evelyn F***** für das Jahr 2003 um 39.332,34 Euro,
II) Ecmel Ö***** für die Jahre 2003 um 28.415,08 Euro und 2004 um 11.973,90 Euro,
wobei sie dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss hielten.
Das Schöffengericht verhängte hiefür nach § 33 Abs 5 FinStrG unter Anwendung des § 21 Abs 1 (zu ergänzen:) und Abs 2 FinStrG über Evelyn F***** eine Geldstrafe von 25.000 Euro, für den Fall deren Uneinbringlichkeit zwei Monate Ersatzfreiheitsstrafe, über Ecmel Ö***** eine Geldstrafe von 15.000 Euro, für den Fall deren Uneinbringlichkeit sechs Wochen Ersatzfreiheitsstrafe.
Am 17. November 2009 beantragte die Staatsanwaltschaft zu Gunsten beider Verurteilter die Wiederaufnahme des Verfahrens „gemäß §§ 353 Z 2 und 354 StPO iVm § 222 FinStrG“ mit der wesentlichen Begründung, aus einem im Verfahren gegen einen abgesondert verfolgten Mittäter erstatteten Gutachten (ON 56) ergebe sich, dass der Verurteilung zu hohe strafbestimmende Wertbeträge zu Grunde gelegt worden seien. Dabei erklärte sie auch, einer sofortigen Entscheidung in der Sache (§ 360 Abs 1 StPO) nicht entgegenzutreten (ON 100).
Einem Vorgehen im Sinn des § 360 Abs 1 StPO stimmten sodann auch die Finanzstrafbehörde (ON 104), Evelyn F***** (ON 1 S 3t) und Ecmel Ö***** (ON 103) zu.
Am 14. Dezember 2009 fasste die Vorsitzende des Schöffengerichts zunächst den Beschluss, das Verfahren „gemäß § 353 Z 2 StPO“ wiederaufzunehmen (ON 105), und fällte hierauf „gemäß § 360 Abs 1 StPO“ ein neuerliches Urteil (ON 106), das - mit Ausnahme der dem Ecmel Ö***** angelasteten Abgabenverkürzung für das Jahr 2004 (B/II) - dem Grunde nach den Schuldspruch des Urteils vom 15. Jänner 2008 wiederholte, dabei aber von folgenden Verkürzungsbeträgen ausging:
Zu A hinsichtlich Evelyn F***** (I) für das Jahr 2002 30.211,56 Euro an Umsatzsteuer und 61.965,90 Euro an Einkommensteuer sowie
bezüglich Ecmel Ö***** (II) für das Jahr 2001 2.129,89 Euro an Umsatzsteuer und für das Jahr 2002 18.854,23 Euro an Umsatzsteuer sowie 5.965,94 Euro an Einkommensteuer,
zu B für das Jahr 2003 an Umsatzsteuer hinsichtlich Evelyn F***** 37.145,13 Euro (I) und
bezüglich Ecmel Ö***** 22.404,62 Euro (II).
Hiefür verhängte das Erstgericht nach § 33 Abs 5 FinStrG unter Anwendung des § 21 (zu ergänzen:) Abs 1 und Abs 2 FinStrG über Evelyn F***** eine Geldstrafe von 20.000 Euro, für den Fall deren Uneinbringlichkeit zehn Wochen Ersatzfreiheitsstrafe, und über Ecmel Ö***** eine Geldstrafe von 8.000 Euro, für den Fall deren Uneinbringlichkeit drei Wochen Ersatzfreiheitsstrafe.
Die Anrechnung der von den Angeklagten bis dahin auf die mit dem Urteil vom 15. Jänner 2008 ausgesprochenen Strafen geleisteten Zahlungen (Kostenheft in Band VII) unterblieb.
Ecmel Ö***** ließ das Urteil vom 14. Dezember 2009 unbekämpft, über die von Evelyn F***** dagegen ergriffene Berufung (ON 107, 108) wurde noch nicht entschieden.
Die Generalprokuratur erhob gegen den Beschluss (ON 105) und das Urteil (ON 106) vom 14. Dezember 2009 die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes und begründete diese wie folgt:
1) Gemäß § 31 Abs 5 Z 2 StPO obliegt die Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme nach § 357 StPO, soweit nicht das Bezirksgericht zuständig ist (vgl § 480 StPO), dem Landesgericht als Senat von drei Richtern.
Demgegenüber entschied in casu gerade nicht der Drei-Richter-Senat des Landesgerichtes Leoben, sondern die - funktionell unzuständige - Vorsitzende (als Einzelrichterin) über den von der Staatsanwaltschaft Leoben gestellten Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens.
2) § 360 Abs 1 StPO eröffnet dem Wiederaufnahme-Gericht - und zwar in der Zusammensetzung wie sie für die Entscheidung über die Wiederaufnahme vorgesehen ist (Fabrizy, StPO10 § 360 Rz 2) - in den Fällen des § 353 StPO die Möglichkeit, mit der im Wiederaufnahme-Beschluss gelegenen Beseitigung des Ersturteils gegebenenfalls - ohne Verfahrenswiederholung sogleich ein Urteil zu fällen, wodurch der Beschuldigte freigesprochen oder antragsgemäß nach einem milderen Strafsatz bestraft wird (Lewisch in WK-StPO § 360 Rz 1 u 3 ff).
Das unter Bezugnahme auf § 360 Abs 1 StPO gefällte Urteil vom 14. Dezember 2009 hat nun aber nicht den - gemäß § 31 Abs 5 Z 2 StPO für die Entscheidung über den Wiederaufnahme-Antrag zuständigen - Drei-Richter-Senat, sondern eine - funktionell unzuständige - Vorsitzende (als Einzelrichterin) zur Urheberin.
3) Die Wiederaufnahme ist stets antragsgebunden (vgl die §§ 352, 353, 355 f StPO). Der jeweils konkret vorliegende Antrag auf Wiederaufnahme legt den Verfahrensgegenstand fest; nur innerhalb des solcherart vorgegebenen Rahmens hat das Gericht die wiederaufnahmerelevanten Umstände zu erheben (vgl zum Ganzen: Lewisch in WK-StPO § 357 Rz 10 f; 14 Os 83/02).
Vorliegendenfalls beantragte die Staatsanwaltschaft Leoben die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß den §§ 353 Z 2 und 354 StPO iVm § 222 FinStrG, weil ihrer Ansicht nach das Landesgericht Leoben seinem Urteil vom 15. Jänner 2008 zu hohe strafbestimmende Wertbeträge zugrunde gelegt hatte. Das Landesgericht Leoben beschloss hingegen global und ohne jede Einschränkung, dass „das Strafverfahren gegen Evelyn F***** und Ecmel Ö***** gemäß § 353 Z 2 StPO wiederaufgenommen“ wird. Mit Blick sowohl auf den Spruch als auch auf die (weiter vorne wiedergegebene) Begründung dieser Entscheidung (in der im Übrigen jedwede Bezugnahme auf die Sondernorm des § 222 FinStrG fehlt) ist davon auszugehen, dass der vorliegende Bewilligungsbeschluss das gesamte zugrunde liegende - verurteilende - Urteil beseitigte (vgl RIS-Justiz RS0101064 und Lewisch in WK-StPO § 58 Rz 3 ff).
Solcherart setzte sich das Landesgericht Leoben über die durch den Wiederaufnahme-Antrag der Staatsanwaltschaft Leoben gezogenen Grenzen hinweg, wodurch das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 353 und 354 StPO iVm § 222 FinStrG verletzt wurde.
4) Gemäß § 358 Abs 2 StPO tritt das Verfahren durch die Wiederaufnahme grundsätzlich - mit Ausnahme des Falles eines Freispruchs oder der antragsgemäßen Anwendung eines milderen Strafsatzes (vgl § 360 StPO) - in den Stand des Ermittlungsverfahrens. Die Staatsanwaltschaft hat die nach Maßgabe der bewilligenden Entscheidung erforderlichen Anordnungen oder Anträge zu stellen. Die für das Ermittlungsverfahren und die Anklage geltenden Bestimmungen sind auch hier anzuwenden.
Da das Verfahren nach Wiederaufnahme in ein Verfahrensstadium vor Erhebung der Anklage tritt, ist die alte Anklageschrift „gegenstandslos geworden“. Es bedarf einer neuerlichen - selbständigen - Anklage (Anklageschrift); damit wird der „rechtlichen Eigenständigkeit“ des erneuerten Verfahrens Rechnung getragen (vgl Lewisch in WK-StPO § 358 Rz 43 f).
Fallaktuell hatte die - von der Wiederaufnahme des Strafverfahrens noch gar nicht verständigte - Staatsanwaltschaft Leoben noch keine neuerliche schriftliche Anklage eingebracht.
Die - zwar nach (wenn auch [mangels Zustellung des Wiederaufnahme-Beschlusses an die Beteiligten] noch nicht rechtskräftige) Bewilligung der Wiederaufnahme des Strafverfahrens, aber ohne neuerliche schriftliche Anklage sowie ohne Durchführung einer Hauptverhandlung erfolgte - Urteilsfällung vom 14. Dezember allein „durch die vorsitzende Richterin“ verletzt daher mehrfach - zum Nachteil beider Angeklagter - das Gesetz, insbesondere den in § 358 Abs 2 iVm § 4 StPO zum Ausdruck kommenden Anklagegrundsatz sowie in den in den §§ 6 (rechtliches Gehör), 7 (Recht auf Verteidigung), 11 (Mitwirkung von Schöffen an der Hauptverhandlung und Urteilsfällung) und 12 (Mündlichkeit und Öffentlichkeit des gerichtlichen Hauptverfahrens) StPO angeführten Grundsätzen.
5) Schließlich verletzt das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 14. Dezember 2009 noch das in § 358 Abs 5 iVm § 16 StPO angeführte Verschlechterungsverbot, das jede einzelne Unrechtsfolge je für sich betrifft (RIS-Justiz RS0100700; Ratz in WK-StPO § 290 Rz 43). Denn die im genannten Urteil gemäß § 20 FinStrG für den Fall der Uneinbringlichkeit der über Evelyn F***** verhängten Geldstrafe an deren Stelle festgesetzte Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von zehn Wochen ist im Vergleich zu jener im (Erst-)Urteil vom 15. Jänner 2008 ausgemessenen Ersatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von zwei Monaten strenger ausgefallen.
6) Das Unterbleiben der Anrechnung der von den Angeklagten bereits tatsächlich geleisteten Teilzahlungen (vgl insoweit das im letzten Aktenband einliegende „Kostenheft“ und ON 92a) auf die verhängten Geldstrafen im Urteil vom 14. Dezember 2009 verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 358 Abs 4 StPO, wonach bereits erlittene Strafen auf Freiheits- und Geldstrafen anzurechnen sind.
7) Bleibt abschließend anzumerken, dass in einem allfälligen neuen Rechtsgang zu beachten sein wird, dass Ecmel Ö***** mit dem in Rede stehenden Urteil vom 14. Dezember 2009 - zumindest konkludent - vom Vorwurf der im Jahr 2004 begangenen Abgabenhinterziehung(en) durch vorsätzliche Verkürzung von Umsatzsteuer unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 Umsatzsteuergesetz 1972 entsprechenden Voranmeldungen (§ 33 Abs 2 lit a FinStrG) - rechtskräftig - freigesprochen wurde. § 17 Abs 1 StPO verbietet insoweit die wiederholte Strafverfolgung wegen derselben Tat („ne bis in idem“; Art 4 des 7. ZPMRK). Zudem steht nach derzeitiger Aktenlage auf Basis der durch das Urteil vom 14. Dezember 2009 herabgesetzten Verkürzungsbeträge iVm dem angeführten konkludenten Freispruch der hier für die Gerichtszuständigkeit maßgebende strafbestimmende Wertbetrag von 75.000 Euro (§ 53 Abs 1 lit b FinStrG) bei diesem Angeklagten in Frage.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
(I) Die Generalprokuratur zeigt mit Recht auf, dass das Unterbleiben der Anrechnung der auf die Geldstrafen geleisteten Teilzahlungen die dies ausdrücklich anordnende Bestimmung des § 358 Abs 4 StPO verletzt.
(II) Ebenso zutreffend wird festgehalten, dass nach § 358 Abs 5 StPO das Verbot der Verschlechterung (§ 16 StPO) auch dann gilt, wenn - wie hier - die Wiederaufnahme nur zu Gunsten des Angeklagten bewilligt worden ist. Dieses Verbot betrifft jede einzelne Unrechtsfolge für sich und meint solcherart nicht die Gesamtsanktionslast (RIS-Justiz RS0100700; Ratz, WK-StPO § 290 Rz 43). Demgemäß stellt der Evelyn F***** betreffende Ausspruch einer in Relation zum Urteil vom 15. Jänner 2008 (ON 48 S 107) höheren Ersatzfreiheitsstrafe (ON 106 S 5) ungeachtet der Verhängung einer geringeren Geldstrafe einen Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot dar.
(III) Zur Frage des gesetzlichen Spruchkörpers ist klarzustellen, dass sich diese im vorliegenden Fall nicht nach § 31 Abs 5 Z 2 StPO bestimmt, weil § 221 Abs 1 FinStrG durch den Verweis auf § 32 Abs 3 StPO eine abweichende Regelung trifft (so auch AB zur FinStrG-Novelle 2007, 122 BlgNR 23. GP 1). Die angesprochene Verweisungsnorm im Sinn eines Weiterverweises auf § 31 Abs 5 Z 2 StPO zu verstehen (so Fellner, FinStrG §§ 220 bis 226 Rz 11; mit selbem Ergebnis, aber ohne Begründung Leitner/Toifl/Brandl, Finanzstrafrecht³ Rz 2255), würde dieser Bestimmung den Sinn nehmen, weil § 195 Abs 1 FinStrG ohnedies die subsidiäre Geltung der StPO im gerichtlichen Finanzstrafverfahren anordnet.
Nicht zuletzt mit Blick auf das verfassungsrechtliche Erfordernis eines stets klar erkennbaren gesetzlichen Richters (Art 83 Abs 2 B-VG) betrifft § 221 Abs 1 FinStrG jeden Fall von Wiederaufnahme zu Gunsten des Verurteilten aufgrund von die Gerichtszuständigkeit oder den strafbestimmenden Wertbetrag in Frage stellenden „neuen Tatsachen oder Beweisen“ (einschließlich der Fälle des § 223 FinStrG), sodass über die Wiederaufnahme nach § 220 FinStrG mangels besonderer Anordnung ein mit drei Richtern besetzter Senat (§ 195 Abs 1 FinStrG iVm § 31 Abs 5 Z 2 StPO), über eine solche nach §§ 221 bis 223 FinStrG hingegen der nach § 221 Abs 1 FinStrG zur Entscheidung allein berufene Vorsitzende des (nach § 357 Abs 1 letzter Fall StPO zuständigen) Gerichts zu entscheiden hat.
Zielt schließlich die Wiederaufnahme außerhalb des Regelungsbereichs des § 221 Abs 1 FinStrG auf einen Freispruch des Verurteilten, gelten mangels besonderer Bestimmungen im FinStrG jene der StPO (§ 195 Abs 1 FinStrG), womit auch in diesen Fällen die Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme dem Landesgericht als Senat von drei Richtern obliegt (§ 31 Abs 5 Z 2 StPO).
(IV) Eine vom Gegenstand des Wiederaufnahmeantrags abweichende Beschlussfassung liegt hier nicht vor, weil es insoweit allein auf das Wesen des Entscheidungsgegenstands ankommt (vgl 14 Os 161/96, EvBl 1997/89, 472 sowie 14 Os 8/02, SSt 64/14 = EvBl 2002/154, 566). Dieser stimmt aber angesichts der ausdrücklichen Begründung der Wiederaufnahme bloß mit herabgesetztem strafbestimmenden Wertbetrag (ON 105) zweifelsfrei mit dem Antragsgegenstand (ON 100) überein.
(V) Soweit die Generalprokuratur in mangelnder „Durchführung einer Hauptverhandlung“ Verletzungen der §§ 6, 7, 11 und 12 StPO reklamiert, zugleich aber die Zulässigkeit „sofortiger“ Urteilsfällung nicht in Frage stellt, geht sie daran vorbei, dass § 360 StPO gegenüber § 358 StPO spezielle Anordnungen trifft. Bedürfte es zur Urteilsfällung ohnehin stets erneuter Anklageerhebung samt „Durchführung einer Hauptverhandlung“, hätte die Vorschrift keinen Anwendungsbereich, was als Auslegungsergebnis mit Blick auf die Gesetzesbindung (auch) der Gerichte ausscheidet (Art 18 Abs 1 B-VG).
Da die Verfassungskonformität des § 360 StPO, dessen Inhalt gerade darin besteht, von erneuter Anklage samt „Durchführung einer Hauptverhandlung“ zu dispensieren, nicht in Frage gestellt wird, bleibt offen, worin mit Bezug auf §§ 6 (rechtliches Gehör), 7 (Recht auf Verteidigung) und 12 (Mündlichkeit und Öffentlichkeit) StPO eine Verletzung des § 360 StPO geltend gemacht wird (Ratz, WK-StPO § 292 Rz 12). Überlegungen des Obersten Gerichtshofs, der sich mit Ausnahme der von § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO genannten Fälle auf die von der Generalprokuratur ausdrücklich oder doch durch deutliche Hinweisung geltend gemachten Gesetzesverletzungen zu beschränken hat (§§ 292 erster Satz, 290 Abs 1 erster Satz StPO), zur Grundrechtskonformität des § 360 StPO erübrigen sich mangels Anwendbarkeit dieser Vorschrift (Art 89 Abs 2 B-VG; vgl WK-StPO, Lewisch § 360 Rz 8 ff, Ratz, § 362 Rz 10).
(VI) Indem die Generalprokuratur in der Urteilsfällung nach § 360 StPO ohne erneute Anklageerhebung eine Gesetzesverletzung erblickt, reklamiert sie im Ergebnis allerdings (zudem) Urteilsfällung entweder vor Rechtswirksamkeit oder aber ohne Anklage (vgl § 281 Abs 1 Z 3 oder 8 StPO; Lewisch, WK-StPO § 358 Rz 46, 48). Wenn auch Anwendbarkeit des § 360 StPO von erneuter Anklage dispensiert, hat der Oberste Gerichtshof demnach zu prüfen, ob die Behauptung der Generalprokuratur, Urteilsfällung nach Wiederaufnahme hätte erneuter Anklage bedurft, in Fällen von Wiederaufnahme nach §§ 221 ff FinStrG zutrifft. Dies ist aus nachstehenden Gründen der Fall.
Verurteilung nach einem milderen Strafgesetz kommt nämlich schon deshalb nicht in Betracht, weil strafbestimmende Wertbeträge einerseits die gerichtliche Strafbarkeit, andererseits den Strafrahmen, niemals aber den Strafsatz (= Strafgesetz), also die Subsumtion entscheiden (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 25, 666 f; RIS-Justiz RS0119249, RS0125243; zuletzt auch 674 BlgNR 24. GP 4, 692 BlgNR 24. GP 3; grundlegend 13 Os 105/08b, EvBl 2009/78, 515). Was die Strafbarkeit anlangt, unterscheidet das FinStrG zwischen gerichtlicher und sonstiger Ahndung, also zwischen Finanzvergehen, die gerichtlich strafbare Handlungen (rechtliche Kategorien) sind und anderen Finanzvergehen. § 221 FinStrG meint allein diese Trennlinie, nicht aber sonstige Fälle verneinter gerichtlicher Strafbarkeit (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 626 bis 631), indem er die Entscheidung über Zuständigkeit oder Unzuständigkeit der Gerichte „zur Ahndung“ anspricht. Für den Fall der Wiederaufnahme bloß wegen Unzuständigkeit der Gerichte zur Ahndung von Finanzvergehen ordnet die im Sinn des § 195 Abs 1 FinStrG „etwas Besonderes“ vorschreibende Bestimmung des § 221 Abs 3 FinStrG „im Übrigen“ die Anwendung des § 202 FinStrG an. § 202 Abs 2 FinStrG hinwieder schreibt vor, das Gericht habe „sich in seinem Beschluss auf die Entscheidung zu beschränken, ob ihm die Ahndung der Tat als Finanzvergehen zukomme“ und „im Beschluss darzulegen, aus welchen Gründen es die gerichtliche Zuständigkeit annehme oder ablehne“. Der einer solchen Ablehnung nachfolgende Freispruch wegen Unzuständigkeit der Gerichte „zur Ahndung“ hätte solcherart keinen über die schon beschlussförmig abgelehnte Zuständigkeit der Gerichte „zur Ahndung“ hinausgehenden Inhalt. Da dem Gesetz kein sinnloser Formalakt unterstellt werden darf, scheidet sofortiger Freispruch nach § 360 StPO bei Wiederaufnahme nach § 221 FinStrG aus.
Auch ein bei rechtsrichtiger Beurteilung zur Ablehnung der Gerichtszuständigkeit führender Sachverhalt, wie er dem Urteil des Landesgerichts Leoben vom 14. Dezember 2009 hinsichtlich Ecmel Ö***** zu Grunde liegt (nämlich ein die Gerichtszuständigkeitsgrenze von 75.000 Euro nicht erreichender Wertbetrag [§ 53 Abs 1 FinStrG]), hätte demnach nicht zu einem Urteil nach § 360 StPO führen dürfen.
So gesehen wurde durch das mit der Nichtigkeitsbeschwerde angefochtene Urteil § 360 StPO verletzt, was die - ersatzlose - Beseitigung dieser Entscheidung nach § 292 letzter Satz StPO ermöglicht, mit der Folge, dass die Sache in den Stand des Ermittlungsverfahrens tritt (§ 195 Abs 1 FinStrG, § 358 Abs 2 erster Satz StPO).
Dies gilt auch hinsichtlich Ecmel Ö*****, weil das Landesgericht Leoben bei Bewilligung der Wiederaufnahme nicht (zugleich) nach § 221 Abs 2 FinStrG die Entscheidung getroffen hat, die Gerichtszuständigkeit abzulehnen. Dass es im nachfolgenden Urteil angesichts der getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu Unrecht gerichtliche Strafbarkeit bejaht hat, steht der Vorgangsweise nicht entgegen. Zum einen schließt Urteilsaufhebung sowohl mangels Rechtswirksamkeit der Anklage (vgl § 281 Abs 1 Z 3 [§ 221 Abs 1] StPO) als auch wegen fehlendem Anklagewillen (vgl § 281 Abs 1 Z 8 StPO) ein Vorgehen nach § 292 Abs 1 iVm § 288 Abs 2 Z 3 StPO aus (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 529 f, § 288 Rz 4). Zum anderen ist hier der Anklagewille der Staatsanwaltschaft mit Blick auf deren Einverständnis zur Urteilsfällung nicht zu bezweifeln, sodass die Aufhebung nach § 292 Abs 1 iVm § 288 Abs 2 Z 1 StPO geschieht und sich die von 13 Os 68/07k, 69/07g für den Fall der Anklageüberschreitung angesprochene Problematik nicht stellt.
Die gegen das kassierte Urteil gerichtete Berufung der Evelyn F***** ist gegenstandslos (RIS-Justiz RS0100444).
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E95450European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0130OS00093.10S.0930.000Im RIS seit
20.11.2010Zuletzt aktualisiert am
30.01.2013