TE OGH 2010/10/5 4Ob139/10k

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Veröffentlicht am 05.10.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Berethalmy und Dr. Christiane Berethalmy-Deuretzbacher, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei K***** GmbH, *****, vertreten durch Hochleitner Ransmayr GesbR, Rechtsanwälte in Eferding, wegen 50.000 EUR sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 12. Mai 2010, GZ 1 R 148/09d-13, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 29. Juni 2009, GZ 26 Cg 55/09f-9, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die mit Gesellschaftsvertrag vom 9. 1. 2006 gegründete B***** Limited (in der Folge: Lieferantin) mit Sitz in England besitzt eine Zweigniederlassung in Wien. Mit Beschlüssen des Handelsgerichts Wien vom 1. 9. 2009 und 7. 9. 2009 (4 Se 176/09y, 4 Se 261/09y) wurden gegen die Zweigniederlassung gerichtete Konkursanträge mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen. Die Zweigniederlassung in Wien ist seit Anfang Oktober 2009 in Liquidation; sie ist seither gemäß § 39 FBG aufgelöst.

Mit rechtskräftigem Versäumungsurteil des Landesgerichts Wels vom 29. 5. 2008, 2 Cg 44/08k, wurde die Lieferantin verpflichtet, der Klägerin 1.704.473,18 EUR sA als Kaufpreis für gelieferte Mineralölprodukte zu zahlen. Die Klägerin ließ zur Hereinbringung ihrer vollsteckbaren Forderung angebliche Forderungen der Lieferantin ua gegen die hier Beklagte als Drittschuldnerin pfänden und überweisen. In ihrer Drittschuldnererklärung bestritt die Beklagte den Bestand der gepfändeten und überwiesenen Forderungen; die Lieferantin habe zwar mit sieben Rechnungen einen Betrag von (insgesamt) 2.766.424,44 EUR ihr gegenüber in Rechnung gestellt, aus Zeiträumen weit vor der Zustellung der Exekutionsbewilligung stehe ihr jedoch eine Gegenforderung gegen die Lieferantin von zumindest 5.857.360,95 EUR zu, mit der sie gegen die Forderung der Lieferantin aufgerechnet habe.

Die Klägerin begehrte mit Drittschuldnerklage vom 9. 3. 2009 von der Beklagten 50.000 EUR sA. Die von der Beklagten behauptete Gegenforderung bestehe nicht zu Recht. Die Exekutionsbewilligung sei der Beklagten spätestens am 27. 11. 2008 zugestellt worden. Da der Klägerin der genaue Betrag, der zu überweisen gewesen wäre, nicht bekannt sei, behalte sie sich eine Ausdehnung des Klagebegehrens vor.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die Lieferantin habe ihr wiederholt Dieselkraftstoffe geliefert und das Entgelt jeweils inklusive 20 % USt in Rechnung gestellt. Zwischen Juni 2007 und September 2007 habe die Beklagte aufgrund solcher Lieferungen und Rechnungen 29.286.804,71 EUR zuzüglich 20 % USt von 5.857.360,95 EUR, zusammen daher 35.144.165,66 EUR, gezahlt. Mit Sammelberichtigungen vom 12. 11. und 13. 11. 2007 habe die Lieferantin die Rechnungen für den genannten Zeitraum dahin geändert, dass die Umsatzsteuer durchgehend auf 0 EUR berichtigt worden sei, da es sich um steuerfreie „ig-Lieferungen“ gemäß Art 138 RL 2006/112/EG gehandelt habe. Die Beklagte habe der Lieferantin daher um 5.857.360,95 EUR zu viel gezahlt. Die Lieferantin habe diese Überzahlung nicht zurückbezahlt. Aus Lieferungen der Lieferantin an die Beklagte sei noch ein Kaufpreis von 2.766.424,44 EUR unberichtigt; diese Forderung der Lieferantin gegenüber der Beklagten habe im Zeitpunkt der Exekutionsführung nicht mehr bestanden, da die Beklagte mit ihrer eigenen Forderung über 5.857.360,95 EUR gegen die Forderung der Verpflichteten die Aufrechnung erklärt habe. Die Frage, ob die Beklagte hiefür Vorsteuer in Anspruch genommen habe, sei rechtlich nicht relevant; zufolge Art XII Z 2 EGUStG sei nämlich bei Ersatzforderungen unbeachtlich, ob ein Unternehmer zum Abzug von Vorsteuern berechtigt sei.

Die Klägerin replizierte, sie habe der Beklagten Rechnungen übermittelt, in denen 20 % Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen gewesen seien. Es sei davon auszugehen, dass die Beklagte die von ihr an die Lieferantin gezahlte Steuer gegenüber dem Finanzamt im Rahmen des Vorsteuerabzugs geltend gemacht habe. Die Beklagte habe bisher nicht vorgebracht und auch nicht belegt, womit die Behauptung, sie habe zuviel gezahlt, tatsächlich begründet werde. Eine Überzahlung setze voraus, dass die Beklagte keine Vorsteuer geltend gemacht habe, nicht habe geltend machen können oder geltend gemachte Vorsteuer wieder an das Finanzamt rückführen habe müssen. Sollten Lieferungen der Lieferantin an die Beklagte in Wahrheit nicht umsatzsteuerpflichtig gewesen sein, sei eine „Berichtigung“ durch Übersendung von neuen Rechnungen zivilrechtlich ohne Bedeutung, weil die vereinbarte Leistung erbracht und das vereinbarte Entgelt geleistet worden sei. Die einseitige nachträgliche Abänderung einer Vereinbarung sei nicht möglich; eine derartige Fehleinschätzung falle gegebenenfalls in den Bereich des Kalkulationsirrtums. Die Beklagte habe aber ohnehin keineswegs „zuviel“ bezahlt, weil ein Unternehmer in Wahrheit immer nur den Nettobetrag zahle, indem er Vorsteuer geltend machen könne. Die Umsatzsteuer sei daher für den Unternehmer aufkommensneutral. Da die Beklagte im Ergebnis nur den Nettobetrag bezahlt habe, sei in ihrem Vermögen keine Änderung eingetreten. Eine teilweise „Rückzahlung“ des Kaufpreises durch die Lieferantin an die Beklagte stellte letztere besser als vereinbart. Ein Fehler bei der Verrechnung oder Nichtverrechnung der Umsatzsteuer könne nicht einfach durch eine „Sammelberichtigung“ behoben werden, weil der gesamte Vorgang auch steuerrechtlich abgeschlossen sei. Die Berichtigung sei gegenüber dem Finanzamt vorzunehmen, wobei in solchen Fällen „üblicherweise“ ein Direktausgleich zwischen den Finanzämtern erfolge, weil in Wirklichkeit keine Vermögensverschiebung eintrete.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Lieferantin habe vier Sammelberichtigungen an die Beklagte versendet, damit sie die ausgewiesene Steuer nicht gemäß § 11 Abs 12 UStG aufgrund der Rechnung schulde. Somit bestehe auf Seiten der Beklagten eine Überzahlung von 5.857.360,95 EUR. Der Einwand der Klägerin, es bestehe keine Forderung der Beklagten gegenüber der Lieferantin, weil die Beklagte den Betrag gegenüber dem Finanzamt als Vorsteuer geltend gemacht habe, sei nicht zu behandeln, weil das Gericht im Ersatzrecht abgabenrechtliche Vorfragen nicht entscheiden müsse, damit das Verfahren nicht durch Steuerfragen erschwert oder verzögert werde. Die (von der Klägerin gepfändete) Forderung der Beklagten von 5.857.360,95 EUR sei rechtswirksam mit offenen Forderungen der Lieferantin von 2.766.424,44 EUR aufgerechnet worden. Damit sei die Forderung der Beklagten erloschen und die Beklagte aus der Drittschuldnerexekution der Klägerin gegenüber nicht zur Leistung verpflichtet.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück; es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil Rechtsprechung zur Abgrenzung des Anspruchs auf Rückzahlung irrtümlich bezahlter Umsatzsteuer von der Regelung des Art XII Z 2 EGUStG sowie zum Vorliegen einer Bereicherung eines Verkäufers, der vereinbarungsgemäß, aber irrtümlich für eine nicht steuerpflichtige Lieferung auch Umsatzsteuer in Rechnung gestellt und nach Erhalt des Entgelts die Rechnung durch Herausnahme des Umsatzsteuerbetrags vermindert habe, fehle. Durch die Pfändung einer Forderung werde die Rechtsstellung des Drittschuldners nicht geändert; es stünden ihm alle Einwendungen und Gegenansprüche zu, die er vor der Pfändung gehabt habe. Die Beklagte als Drittschuldnerin könne ihre (behauptete) Gegenforderung daher spätestens im Drittschuldnerprozess gegenüber der Klägerin als Überweisungsgläubigerin geltend machen. Die von der Beklagten behauptete und vom Erstgericht festgestellte außergerichtliche Aufrechnung setze die Anerkennung der Hauptforderung voraus. Die Beklagte mache als Gegenforderung einen Bereicherungsanspruch wegen irrtümlicher Zahlung einer Nichtschuld (§ 1431 ABGB) oder wegen Wegfalls des Grundes (§ 1435 ABGB) geltend. Der vom Verkäufer geforderte Preis enthalte grundsätzlich auch die Umsatzsteuer, sofern nichts anderes vereinbart worden sei. Falls Warenlieferungen nicht umsatzsteuerpflichtig gewesen seien, liege zivilrechtlich im Verhältnis zwischen Verkäufer und Käufer, der einen Bruttobetrag gezahlt habe, eine teilweise Zahlung einer Nichtschuld vor. Art XII Z 2 EGUStG stehe entgegen der Auffassung des Erstgerichts der Geltendmachung dieser Gegenforderung nicht entgegen. Es handle sich nicht um die Geltendmachung eines Bereicherungsanspruchs samt Umsatzsteuer, die den Ersatzberechtigten zufolge seiner Vorsteuerabzugsberechtigung nicht belaste, sodass der Ersatzpflichtige gemäß Art XII Z 3 EGUStG die Umsatzsteuer vom Ersatzberechtigten in einem eigenen Verfahren zurückverlangen könne. Während die Klägerin vorgebracht habe, dass die Beklagte zufolge der Möglichkeit zum Vorsteuerabzug keineswegs zuviel gezahlt habe und bei einer Berichtigung von Rechnungen nach §§ 11 Abs 2, 16 Abs 1 UStG „üblicherweise ein Direktausgleich zwischen den Finanzämtern“ erfolge, wodurch in Wirklichkeit keine Vermögensverschiebung eintrete, habe sich die Beklagte insoweit nur auf Art XII Z 2 EGUStG berufen, was aber nicht zielführend sei. Das Erstgericht werde daher im Sinne des Vorbringens der Klägerin mit der Beklagten zu erörtern haben, inwieweit unter Einbeziehung des Steuerrechts letztlich eine Bereicherung der Lieferantin zu Lasten der Beklagten vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Beklagten ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig; das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

Die Beklagte macht geltend, das Berufungsgericht habe dem Erstgericht zu Unrecht die Klärung umsatzsteuerrechtlicher Vorfragen aufgetragen; dies widerspreche der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach steuerrechtliche Vorfragen im Zivilprozess nicht zu behandeln seien. Die Rechnungskorrekturen im Anlassfall bewirkten steuerrechtlich, dass die Beklagte als Leistungsempfängerin um den ursprünglich zu Recht geltend gemachten Vorsteuerbetrag, der ihr nunmehr „verloren“ gehe, entreichert, die Lieferantin als leistende Unternehmerin hingegen durch die Umsatzsteuergutschrift um eine nicht mehr geschuldete Umsatzsteuer bereichert sei. Das Umsatzsteuerrecht sehe in derartigen Fällen jedoch keinen Vorteilsausgleich vor; eine Rückabwicklung könne nur auf zivilrechtlicher Grundlage erfolgen. Vor diesem Hintergrund sei die bei der Gemeinschuldnerin eingetretene Bereicherung infolge Nichtrückzahlung der zu Unrecht erhaltenen Umsatzsteuer evident, weshalb die Beklagte ihr gegenüber insoweit einen Anspruch auf Rückersatz besitze, als die Beklagte nicht geschuldete Umsatzsteuer gezahlt habe. Schon die Rechtssicherheit gebiete, dass das Gericht nicht über steuerrechtliche Vorfragen zu entscheiden habe, damit abweichende Ergebnisse gegenüber einem nachfolgenden Steuerverfahren vermieden würden.

1.1. Dem zu Art XII Z 3 EGUStG 1972 formulierten Rechtssatz, dass das Gericht bei der Entscheidung über den Anspruch auf Ersatz einer Sache oder Leistung die Umsatzsteuer, die aus dem Titel des Schadenersatzes, der Bereicherung, der Verwendung oder des Prozesskostenersatzes begehrt wird, nicht gesondert zu behandeln und auch nicht die abgabenrechtliche Vorfrage zu entscheiden hat, ob der Ersatzberechtigte die Umsatzsteuer im Weg des Vorsteuerabzugs vergütet erhalten könnte (RIS-Justiz RS0038172), liegen jeweils Sachverhalte zugrunde, bei denen über den Ersatz einer (Haupt-)Sache oder (Haupt-)Leistung etwa aus dem Titel des Schadenersatzes oder der Bereicherung zu entscheiden war. Der Ersatzbetrag wird in derartigen Fällen zunächst brutto (also einschließlich der auf die Lieferung oder Leistung entfallenden Umsatzsteuer) zugesprochen und sodann in einem allenfalls nachfolgenden zweiten Verfahren geklärt, ob dem Ersatzpflichtigen gegenüber dem Ersatzberechtigten ein Rückersatzanspruch in Höhe jenes Umsatzsteuerbetrags zusteht, den der Ersatzberechtigte als Vorsteuerabzug geltend machen könnte (vgl RIS-Justiz RS0075909, RS0037853, RS0037844, RS0037872).

1.2. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass diese Rechtsprechung im Anlassfall keine Anwendung findet. Gegenstand des strittigen bereicherungsrechtlichen Ersatzanspruchs ist nämlich keine Sache oder Leistung zuzüglich darauf entfallender Umsatzsteuer, sondern allein jener Teilbetrag bezahlter Entgelte für Umsatzgeschäfte (Lieferungen von Treibstoffen), der auf die in den dafür ursprünglich ausgestellten Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer entfällt. Die aus dem Titel Bereicherung zurückverlangte Leistung besteht demnach hier allein aus dem Umsatzsteueranteil des Kaufpreises für jene Geschäftsfälle, in denen nachträglich die Brutto-Rechnung um den darin ausgewiesenen Umsatzsteuerbetrag herabgesetzt worden ist.

1.3. Unter diesen besonderen Umständen muss das Gericht, das über den Bestand eines zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs (irrtümliche Zahlung einer Nichtschuld gemäß § 1431 ABGB oder Kondiktion wegen Wegfalls des Grundes gemäß § 1435 ABGB) und dessen allfälliges Erlöschen infolge Aufrechnung abzusprechen hat, bei seiner Entscheidung auch die sich aus dem Sachverhalt ergebenden steuerrechtlichen Gesichtspunkte berücksichtigen. Dem Ergänzungsauftrag des Berufungsgerichts liegt demnach im Ergebnis eine zutreffende Rechtsauffassung zugrunde.

2. Bei seiner neuerlichen Entscheidung wird das Erstgericht dabei folgende Rechtslage zu beachten haben:

2.1. Zur Wechselbeziehung zwischen zivilrechtlichem Kaufpreis und steuerrechtlicher Belastung eines Umsatzgeschäfts entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass bei richtiger betriebswirtschaftlicher Kalkulation die Umsatzsteuerbelastung regelmäßig im geforderten Kaufpreis berücksichtigt wird. Der vom Verkäufer geforderte Preis enthält daher grundsätzlich auch die Umsatzsteuer, sofern nichts anderes vereinbart wurde oder ein abweichender Handelsbrauch besteht (7 Ob 574/92 = SZ 65/105 mwN; vgl RIS-Justiz RS0038212, RS0038198).

2.2. Der veräußernde Unternehmer darf zwar Umsatzsteuer in einer Rechnung gesondert ausweisen, die der Leistungsempfänger als Vorsteuerbetrag abziehen darf (§ 12 Abs 1 UStG). Diese steuerrechtliche Vorschrift ändert aber nichts daran, dass auch diese Steuer grundsätzlich ein Teil des Kaufpreises ist. Die Berechtigung zur gesonderten Ausweisung erfolgte nur aus umsatzsteuerrechtlichen Gründen, hat aber auf die zivilrechtliche Leistungspflicht keinen Einfluss. Der Veräußerer darf daher jenen Betrag, der seinen umsatzsteuerlichen Nachteilen entspricht, nicht zusätzlich zum vereinbarten Kaufpreis vom Käufer fordern (7 Ob 574/92 = SZ 65/105 = RIS-Justiz RS0037922).

2.3. Im Anlassfall ist die umgekehrte Frage zu beantworten, ob ein Lieferant und Rechnungsaussteller umsatzsteuerrechtliche Vorteile (die nach den Behauptungen darin liegen sollen, dass sich erst nach Lieferung, Ausstellung einer Brutto-Rechnung und deren Zahlung herausgestellt hat, dass die Lieferung nicht umsatzsteuerpflichtig ist) an den Käufer weiterzugeben hat, also ob und unter welchen Voraussetzungen der Käufer einen zivilrechtlichen Rückforderungsanspruch für den Fall besitzt, dass der Leistende und Rechnungsaussteller zunächst zu Unrecht Umsatzsteuer in einer Rechnung ausweist, die Rechnung aber nachträglich dahin berichtigt, dass er sie um den darin ausgewiesenen Steuerbetrag verringert.

3.1. Aus steuerrechtlicher Sicht ist davon auszugehen, dass die Rechnung nach dem System des Umsatzsteuergesetzes Bindeglied zwischen dem leistenden Unternehmer als Steuerschuldner und dem Leistungsempfänger als Vorsteuerabzugsberechtigtem ist. Aus der Rechnung werden die Daten für die Ermittlung der Steuerschuld und für die Höhe des Vorsteuerabzugs gewonnen. Soweit es sich um steuerpflichtige Vorgänge zwischen Unternehmen handelt und der Abnehmer zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, wird die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer jeweils durch den Vorsteuerabzug aufgehoben (Ruppe, UStG³ § 11 Rz 115).

3.2. Der Unternehmer schuldet für einen Umsatz grundsätzlich jenen Steuerbetrag, der sich bei Heranziehung des Entgelts unter Anwendung des entsprechenden Steuersatzes ergibt. Hat der Unternehmer jedoch in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren Steuerbetrag ausgewiesen, so schuldet er diesen [höheren] Betrag aufgrund der Rechnung (USt-RL 2000 Rz 1733; Kolacny/Caganek, USt 1994³ § 11 Anm 36).

3.3. Führt ein Unternehmer eine Leistung aus und stellt dafür ohne Missbrauchsabsicht irrtümlich einen Steuerbetrag in Rechnung, den er nicht schon aufgrund der Leistung schuldet (weil zB die Leistung steuerfrei ist), liegt steuerrechtlich ein überhöhter Steuerausweis vor (Ruppe aaO Rz 127). Im Fall einer solchen irrtümlichen Rechnungslegung kann der Unternehmer den unzutreffenden und unberechtigten Steuerausweis berichtigen (Nachweise zur Rsp des VwGH bei Ruppe aaO Rz 123). Werden die Bedingungen für die Steuerfreiheit erfüllt, muss der Unternehmer folglich die Rechnung gegenüber dem Abnehmer berichtigen, um die Steuerfreiheit geltend machen zu können (Ruppe aaO 130).

3.4. Für eine solche Rechnungsberichtigung gilt § 16 Abs 1 UStG sinngemäß. Das bedeutet einerseits, dass aufgrund der Berichtigung nicht nur der leistende Unternehmer seine Steuerschuld korrigieren darf (Wegfall der abstrakten Steuerschuld), sondern auch der Leistungsempfänger den in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug korrigieren muss (Ruppe aaO 137; UFSG 4. 3. 2008, RV/0105-G/08). Diese Regelung führt zu Problemen, wenn der Leistungsempfänger den vollen Rechnungsbetrag einschließlich Umsatzsteuer bereits bezahlt hat. Der Unternehmer kann in diesem Fall seine Umsatzsteuer-Schuld vermindern, obwohl er den entsprechenden Betrag noch nicht zurückgezahlt hat, der Empfänger muss Vorsteuer zurückzahlen, auch wenn der Unternehmer sie ihm noch nicht erstattet hat (Ruppe aaO Rz 137).

3.5. Ergibt sich nachträglich, dass ein Vorgang zunächst als steuerbar und steuerpflichtig behandelt wird, obwohl er tatsächlich gar nicht steuerbar ist, liegt eine unrichtige rechtliche Beurteilung im Zeitpunkt der Entstehung der (vermeintlichen) Steuerschuld vor, der bei bereits rechtskräftiger Veranlagung allenfalls im Wege zur Verfügung stehender Verfahrenstitel [durch die Steuerbehörden] zu korrigieren ist (Kanduth-Kristen in Berger/Bürgler/Kanduth-Kristen/Wakounig, UStG-Kommentar 1.07 § 16 Rz 6 [www.rdb.at]).

4.1. Aus zivilrechtlicher Sicht ist davon auszugehen, dass die in einer Rechnung ausgewiesene Steuer grundsätzlich Teil des Kaufpreises ist (siehe zuvor Punkt 2.2.).

4.2. Ist die Rechnung unrichtig, etwa weil sich nachträglich Steuerfreiheit der Lieferung herausstellt, sind allfällige Rückforderungsansprüche des Leistungsempfängers nach Zahlung des ungekürzten Rechnungsbetrags unter irrtumsrechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen. Die Änderung der Rechnung als deklarativer Beweisurkunde bewirkt als solche keine Änderung der wahren Forderung (vgl Ertl in Rummel, ABGB3 § 1376 Rz 3 mwN).

4.3. Hat der Leistungsempfänger bei Vertragsabschluss über die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs geirrt, liegt ein Irrtum über die Berechnung des Preises der Leistung, also ein Kalkulationsirrtum, vor, der beachtlich ist, wenn die Kalkulation offengelegt und damit zum Geschäftsinhalt gemacht wurde (vgl RIS-Justiz RS0014927; RS0014904 [T3]). Wird die Steuer in der Rechnung gesondert ausgewiesen, wird in aller Regel von einer Offenlegung der Preiskalkulation und somit von einem Geschäftsirrtum auszugehen sein, der unter den Voraussetzungen des § 871 ABGB (Veranlassung durch den Vertragspartner oder gemeinsamer Irrtum) zur Anfechtung oder Anpassung des Vertrags berechtigt (so auch Kolacny/Caganek, USt 1994³ § 11 Anm 34).

4.4. Wurde der vereinbarte Kaufpreis infolge irrtumsrechtlicher Vertragsanpassung nachträglich um den darin enthaltenen Umsatzsteuerbetrag vermindert, und hat der Leistungsempfänger den ursprünglichen Kaufpreis bereits gezahlt, führt dies zu einem bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch im Ausmaß der Überzahlung.

4.5. Zusammengefasst gilt: Die in einer Rechnung über eine Lieferung oder sonstige Leistung gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer ist Teil des Kaufpreises. Führt ein Unternehmer eine Lieferung oder sonstige Leistung aus und stellt dafür ohne Missbrauchsabsicht irrtümlich einen Steuerbetrag in Rechnung, den er nicht schon aufgrund der Leistung schuldet (weil zB die Leistung steuerfrei ist), liegt steuerrechtlich ein überhöhter Steuerausweis vor. Im Fall einer solchen irrtümlichen Rechnungslegung kann der Unternehmer den unzutreffenden und unberechtigten Steuerausweis berichtigen. Hat der Leistungs- und Rechnungsempfänger den Kaufpreis schon vor Rechnungsberichtigung gezahlt, führt die Rechnungskorrektur zivilrechtlich zu einem bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch im Ausmaß der Überzahlung, sofern die Voraussetzungen einer irrtumsrechtlichen Vertragsanpassung (vom Vertragspartner veranlasster oder gemeinsamer Irrtum über eine offengelegte und damit zum Geschäftsinhalt gemachte Kalkulation) vorliegen.

5.1. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren unter Beachtung dieser Grundsätze mit den Parteien zu erörtern und sodann festzustellen haben, ob a) die steuerrechtlichen Voraussetzungen für die Rechnungsberichtigung durch die Lieferantin vorlagen, bejahendenfalls, ob b) die zivilrechtlichen Voraussetzungen einer Vertragsanpassung infolge Irrtums (Herabsetzung der Entgelte im Ausmaß der fälschlich verrechneten Umsatzsteuer) gegeben sind. Erst dann wird abschließend beurteilt werden können, ob eine allfällige Bereicherung der Lieferantin zu Lasten der Leistungsempfängerin eingetreten ist.

5.2. Ob eine rechtsgrundlose Bereicherung vorliegt, ist im Dreiecksverhältnis Lieferant/Leistungsempfänger/Finanzbehörde zu prüfen. Handelt es sich - wie hier - bei Lieferant und Leistungsempfänger um vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmen, führt der Leistungsaustausch zwischen ihnen in Ansehung der Umsatzsteuer zu keiner Vermögensverschiebung und ist insoweit daher neutral: Die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer wird vom Lieferanten beim Leistungsempfänger inkassiert und an die Finanzbehörde abgeführt, wo sie dem Leistungsempfänger als Vorsteuer angerechnet wird.

5.3. An dieser Beurteilung ändert sich im Regelfall auch nichts, wenn eine nachträgliche Rechnungsberichtigung (Reduktion um den Steuerbetrag) erfolgt: Diesfalls erhält der Lieferant für die schon abgeführte Umsatzsteuer eine Gutschrift bei der Finanzbehörde, die dem Leistungsempfänger, der bereits einen Vorsteuerabzug erreicht hat, einen korrespondierenden Betrag als Forderung vorschreibt.

5.4. Der bereicherungsrechtliche Ausgleich hat bei solchen Konstellationen demnach im Grundverhältnis zwischen Lieferant und Leistungsempfänger dadurch stattzufinden, dass ersterer den vom Leistungsempfänger zu Unrecht kassierten Entgeltsanteil in Höhe der Steuer rückerstattet.

5.5. Dem Einwand eines „Direktausgleichs“ zwischen den Finanzämtern ist entgegenzuhalten: Hat der entreicherte Leistungsempfänger als Kläger anspruchsbegründend bewiesen, dass steuerrechtlich die Voraussetzungen der erfolgten Rechnungsberichtigung gegeben sind, ist damit durch Verwendung von Erfahrungsschlüssen im Sinne eines Anscheinsbeweises (vgl dazu etwa 17 Ob 35/09k mwN) auch bewiesen, dass sich die Rechnungskorrektur der Lieferantin im Verhältnis zur Finanzbehörde aus steuerrechtlicher Sicht neutral auf das Vermögen von Lieferantin und Leistungsempfängerin ausgewirkt hat, weil damit zwar einerseits eine vermeintlich bestehende Steuerschuld der Lieferantin auf null herabgesetzt, andererseits aber in gleicher Höhe infolge des zu Unrecht in Anspruch genommenen Vorsteuerabzugs eine Forderung gegenüber der Leistungsempfängerin begründet worden ist. Freilich stünde in diesem Fall der Beklagten die Entkräftung des Anscheinsbeweises offen, etwa durch den Nachweis der ernsthaften Möglichkeit, dass im Einzelfall vom steuerlichen Normalfall abgewichen worden und sie deshalb nicht bereichert ist. In diesem Fall hätte die Klägerin sodann den vollen Beweis für die behauptete Bereicherung der Beklagten zu erbringen.

6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

Textnummer

E95272

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0040OB00139.10K.1005.000

Im RIS seit

04.11.2010

Zuletzt aktualisiert am

27.06.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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