TE OGH 2010/10/5 4Ob57/10a

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Veröffentlicht am 05.10.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin Republik Österreich, vertreten durch die Österreichische Bundesforste AG, Purkersdorf, Pummergasse 10-12, diese vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, gegen den Antragsgegner Land Steiermark, Graz, Karmeliterplatz 2, vertreten durch Dr. Ulrich O. Daghofer, Rechtsanwalt in Graz, wegen Festsetzung einer Entschädigung gemäß § 25 stmk NSchG, über den Rekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 26. November 2009, GZ 1 R 283/09y-18, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Irdning vom 17. August 2009, GZ 1 Nc 13/09i-13, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die antragsabweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Parteien haben die Kosten ihrer Rechtsmittelschriftsätze jeweils selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Steiermärkische Landesregierung erklärte im Jahr 1991 per Verordnung eine Region ihres Bundeslandes zum Naturschutzgebiet. Die forstliche und jagdliche Nutzung ist auf diesen Gebieten nur sehr eingeschränkt zulässig. Die Antragstellerin (im Folgenden: der Bund) als Grundeigentümerin brachte 1993/1994 beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung einen Entschädigungsantrag wegen dieser Nutzungseinschränkungen ein. Die für die Ertragsminderung und Wirtschaftserschwernis festgesetzten Entschädigungsbeträge bekämpfte der Bund durch entsprechende Antragstellung beim zuständigen Bezirksgericht, welches gemäß § 25 des steiermärkischen Naturschutzgesetzes 1976 (im Folgenden: stmk NSchG) für Ertragseinbußen im Bereich der Forstwirtschaft eine Entschädigung von 3.773.891,05 EUR und hinsichtlich Ertragseinbußen im Bereich Jagd eine solche von 2.036.139,24 EUR festsetzte. Das Rekursgericht hob diese Entscheidung in der Folge als nichtig auf und wies den verfahrenseinleitenden Antrag des Bundes zurück, weil der Bescheid der Verwaltungsbehörde gegenüber der Österreichischen Bundesforste AG und nicht gegenüber dem Bund ergangen sei, sodass dieser nicht zur Anrufung des Gerichts legitimiert sei. Den dagegen vom Bund erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs wies der Oberste Gerichtshof zu 2 Ob 171/08y zurück. Der 2. Senat führte in seiner Begründung aus, das Bundesforstegesetz 1996 habe während des laufenden Verwaltungsverfahrens zur Festsetzung der Entschädigung die dinglichen Berechtigungen an den Bundesforsten auf die nunmehrige Antragstellerin als Grundeigentümerin und die österreichische Bundesforste AG als Fruchtgenussberechtigte aufgespalten. Der Entschädigungsbescheid des Amts der Steiermärkischen Landesregierung sei nur gegenüber der österreichischen Bundesforste AG ergangen und betreffe jene Schäden, die dem Fruchtgenussberechtigten und nicht dem Eigentümer entstanden seien. Der Eigentümer wäre etwa durch eine Verkehrswertminderung des Grundstücks geschädigt, deren Abgeltung aber nicht Gegenstand des Bescheids gewesen sei.

              Mit dem nunmehr gegenüber dem Bund erlassenen Bescheid vom 17. 12. 2008 gab das Amt der Steiermärkischen Landesregierung dessen Antrag auf Entschädigung für seine unter Naturschutz gestellten Grundstücke keine Folge. Dieser Bescheid wurde der Vertreterin des Bundes am 22. 12. 2008 zugestellt.

              Am 20. 3. 2009 begehrte der Antragsteller (Bund) beim Erstgericht gemäß § 25 stmk NSchG die Festsetzung einer Entschädigung für die durch die Unter-Schutz-Stellung eingetretene Minderung des Verkehrswerts seiner im Naturschutzgebiet liegenden Flächen mit (zumindest) 9.196.215 EUR bei Einmalzahlung oder 275.914,04 EUR bei jährlicher Zahlung. Gemäß § 25 Abs 1 stmk NSchG idF LGBl Nr 56/2004 bestehe ein Anspruch auf angemessene Entschädigung nicht nur dann, wenn der Grundstückseigentümer eine erhebliche Minderung des Ertrags oder eine nachhaltige Erschwernis der Wirtschaftsführung erleide, sondern auch im Fall eines sonstigen erheblichen Vermögensnachteils. Eine Verkehrswertminderung stelle einen solchen Vermögensnachteil dar, weshalb der Bund Anspruch auf eine Entschädigung für die Verkehrswertminderung seiner betroffenen Grundstücke habe. Im Übrigen stehe einer solchen Entschädigung auch der Wortlaut des § 25 Abs 1 stmk NSchG in der bis 31. 10. 2004 geltenden alten Fassung nicht entgegen. Außerdem sei gemäß § 25 Abs 6 stmk NSchG das Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetz (EisbEG) sinngemäß anzuwenden. Nach § 4 Abs 1 EisbEG sei der Enteigner verpflichtet, den Enteigneten für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile gemäß § 365 ABGB schadlos zu halten, was wiederum bedeute, dass die Verkehrswertminderung der betreffenden Grundstücke zu ersetzen sei.

              Der Antragsgegner (im Folgenden: das Land) wendete ein, der Entschädigungsantrag sei ausschließlich nach § 25 stmk NSchG in der zum Zeitpunkt der Unter-Schutz-Stellung geltenden Fassung zu beurteilen. Ein Anspruch des Bundes auf Entschädigung einer allfälligen Verkehrswertminderung bestehe daher nicht. § 4 Abs 1 EisbEG sei gemäß § 25 Abs 6 stmk NSchG nur für das Verfahren zur Festsetzung einer Entschädigung, nicht aber für materiellrechtliche Entschädigungsfragen sinngemäß anwendbar. Zudem sei der Bund für die Erhaltung der Natur verantwortlich und ein Verkauf von für den Naturschutz und die Ökologie wichtigen Flächen daher nicht möglich. Ohne Verkaufsmöglichkeit bestehe aber gar kein Verkehrswert.

              Das Erstgericht wies den Antrag ab. Ob eine Entschädigung nach § 25 stmk NSchG zustehe, sei nach der Rechtslage zum Zeitpunkt der Unter-Schutz-Stellung zu beurteilen. Letztere sei bereits 1991 erfolgt, weshalb das stmk NSchG in der Fassung vor der Novelle 2004 anzuwenden sei. Nach dem damaligen Wortlaut des § 25 Abs 1 stmk NSchG bestehe ein Anspruch auf Entschädigung aber nur, wenn der Grundstückseigentümer eine erhebliche Minderung des Ertrags oder eine nachhaltige Erschwernis der Wirtschaftsführung erleide. Ein Anspruch auf Entschädigung für Verkehrswertminderung lasse sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Materialien zum stmk NSchG ableiten. § 4 Abs 1 EisbEG sei gemäß § 25 Abs 6 stmk NSchG nur für „das Verfahren nach Absatz 3“, nicht aber hinsichtlich des materiellrechtlichen Anspruchs anzuwenden. Im Übrigen sei der Bund zur Erhaltung der Natur und zur Förderung des Naturschutzes verpflichtet. Es erscheine daher zumindest fragwürdig, wenn er vom Land, das für die Einrichtung von Naturschutzgebieten zuständig sei und dadurch den postulierten Naturschutz praktisch umsetze, hohe Summen für eine Minderung des Verkehrswerts von in einem Naturschutzgebiet gelegenen Flächen fordere.

              Das Rekursgericht hob diesen Beschluss auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück; den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Rekursgericht zu. Das Gericht habe auf eine Änderung der Rechtslage in jeder Lage des Verfahrens Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das in Streit stehende Rechtsverhältnis anzuwenden seien und sofern anders lautendes Übergangsrecht fehle. So könne der Betroffene die erst nach dem Eingriff vom Gesetzgeber vorgesehene Ausdehnung des Entschädigungsanspruchs für sich geltend machen. Der Bund könne sich daher mangels einer anders lautenden Übergangsbestimmung auf die am 1. 11. 2004 in Kraft getretene stmk NSchG-Novelle 2004 berufen. Er habe demnach gemäß § 25 Abs 1 stmk NSchG nF Anspruch auf angemessene Entschädigung eines erlittenen „sonstigen erheblichen Vermögensnachteils“, wozu auch eine Verkehrswertminderung von durch Unter-Schutz-Stellung betroffenen Grundstücken zu zählen sei. Eine Verkehrswertminderung liege hier wegen der durch die Verordnungen der Steiermärkischen Landesregierung vom 27. 5. 1991, LGBl 36, 37, 38 und 39 konkret verfügten Ge- und Verbote, die zu einer unmittelbaren Beeinträchtigung der Nutzung der im Naturschutzgebiet erfassten Liegenschaften führten, nahe. Konkrete Ge- und Verbote seien einer Bewertung nach § 25 stmk NSchG und einer Entschädigung zuzuführen. Das habe im Hinblick auf den Wortlaut des § 25 Abs 1 stmk NSchG nF auch für eine Verkehrswertminderung der Grundstücke des Liegenschaftseigentümers zu gelten. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob eine erweiternde Interpretation des § 25 stmk NSchG in der Fassung vor der Novelle 2004 zur Zuerkennung einer Entschädigung für Wertminderung führen könnte oder § 4 Abs 1 EisbEG im Entschädigungsverfahren nach § 25 stmk NSchG auch in materiellrechtlicher Hinsicht anwendbar sei. Das Erstgericht werde im fortgesetzten Verfahren zu prüfen haben, inwieweit eine Verkehrswertminderung der Liegenschaften des Bundes im verordneten Naturschutzgebiet eingetreten sei. Da ein Wertungswiderspruch darin erblickt werden könnte, dass der Bund (erst) aufgrund einer Gesetzesänderung im Jahr 2004 einen Anspruch auf Entschädigung für eine Verkehrswertminderung seiner Grundstücke geltend machen könne, obwohl der diesen Anspruch begründende und für die Bemessung der Entschädigung maßgebliche Eingriff bereits Jahre zuvor durch die Verordnungen des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung vom 27. 5. 1991 bewirkt worden sei, sei der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zuzulassen.

              Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Antragsgegners (Land) erkennbar wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt wird.

Rechtliche Beurteilung

              Der Rekurs ist zulässig und berechtigt.

              Das Land macht geltend, gemäß § 5 ABGB wirkten Gesetze im Zweifel nicht zurück. Eine Rückwirkung wäre nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung möglich. Dies sei aber im Zusammenhang mit dem stmk NSchG nicht der Fall. Die Novelle aus 2004 sei daher auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anzuwenden. Ihre Anwendung wäre eine „eklatante Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes“, wenn alle übrigen (schon abgewickelten) Entschädigungsfälle nach den Bestimmungen des stmk NSchG aF behandelt worden wären. Aus den Materialen zum stmk NSchG 1975 ergebe sich, dass eine Entschädigung nur für den Nutzungsentgang zu leisten und eine allfällige Verkehrswertminderung nicht zu vergüten sei. § 4 Abs 1 EisbEG sei nicht anzuwenden, weil § 25 Abs 6 stmk NSchG anordne, dass das EisbEG (bloß) für das Verfahren und für Ansprüche dritter Personen aufgrund dinglicher Rechte sinngemäß anzuwenden sei und Grundstückseigentümer nicht als „dritte Personen“ verstanden werden könnten. Zum Zeitpunkt der Unter-Schutz-Stellung habe das Bundesgesetz über die Österreichischen Bundesforste (BGBl 1977/610) gegolten. Aufgabe der Österreichischen Bundesforste - damals einheitliches Rechtssubjekt mit dem Bund - sei es, an der Gestaltung von Naturparks mitzuwirken und zu diesem Zweck den Besitzstand zu erhalten. Dies bedeute, dass die gegenständlichen Flächen vom Bund nicht verkauft werden durften. Ohne die Möglichkeit eines Verkaufs sei aber auch kein Verkehrswert gegeben. Der Bund sei aufgrund von EU-Richtlinien und internationalen Abkommen zum Naturschutz - der auch im öffentlichen Interesse liege - verpflichtet und könne daher seine Verpflichtungen nicht finanziell auf das Land abwälzen. Im Übrigen stehe neben einer Entschädigung für die verringerte forstliche Nutzung keine zusätzliche Abgeltung für eine Verminderung des Verkehrswerts zu. Im Hinblick auf die Schadensminderungspflicht könne eine Entschädigungszahlung erst begehrt werden, wenn eine Ausnahmegenehmigung beantragt und rechtskräftig verweigert worden sei.

              Der Senat hat dazu wie folgt erwogen:

              1. § 25 Abs 1 stmk NSchG in der Fassung vor der Novelle 2004 lautete:

              „Wer durch Auswirkungen einer Verordnung oder eines Bescheids nach diesem Gesetz a) gehindert wird, sein Grundstück oder seine Anlage auf die Art und in dem Umfang zu nutzen, wie er zur Zeit des Inkrafttretens der Verordnung oder des Eintritts der Rechtskraft des Bescheids berechtigt und in der Lage ist, und dadurch eine erhebliche Minderung des Ertrags oder eine nachhaltige Erschwernis der Wirtschaftsführung erleidet oder b) zu wirtschaftlich nicht zumutbaren Aufwendungen verpflichtet wird, hat gegenüber dem Land Anspruch auf angemessene Entschädigung.“

              Nach der mit 1. 11. 2004 in Kraft getretenen Novelle LGBl Nr. 56/2004 lautet die Bestimmung wie folgt:

              „§ 25 - Entschädigung: (1) Wer durch Auswirkungen einer Verordnung oder eines Bescheids nach den §§ 5, 6, 11 und 13a a) gehindert wird, sein Grundstück oder seine Anlage auf die Art und in dem Umfang zu nutzen, wie er zur Zeit der Einleitung des Verfahrens berechtigt ist und dadurch eine erhebliche Minderung des Ertrags oder eine nachhaltige Erschwernis der Wirtschaftsführung oder einen sonstigen erheblichen Vermögensnachteil erleidet oder b) zu wirtschaftlich nicht zumutbaren Aufwendungen verpflichtet wird, hat gegenüber dem Land Anspruch auf angemessene Entschädigung.“

              § 25 Abs 5 aF bzw Abs 6 nF stmk NSchG lautet wie folgt:

Für das Verfahren nach Abs 3 sowie für die Wahrnehmung der Ansprüche, die dritten Personen auf Grund dinglicher Rechte zustehen, ist das Eisenbahnenteignungsgesetz 1954, BGBl Nr 71, sinngemäß anzuwenden.“

              Die Novelle 2004 enthält keine Übergangsbestimmungen im Sinne einer Regelung für Sachverhalte, die sich vor ihrem Inkrafttreten ereigneten (Unter-Schutz-Stellung vor 2004). Als einzige Übergangsbestimmung wird in § 35a leg cit normiert, dass die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle anhängigen Verfahren von den bis zum Inkrafttreten der Novelle zuständigen Behörden weiterzuführen sind.

              2. Nach § 5 ABGB wirken Gesetze nicht zurück; sie haben daher auf vorhergegangene Handlungen und auf vorher erworbene Rechte, sofern die Übergangsvorschriften nichts Gegenteiliges bestimmen, keinen Einfluss. Einmalige Handlungen und Zustände, aber auch mehrgliedrige und dauernde Sachverhalte, die zur Gänze in die Geltungszeit eines Gesetzes fallen, sind nach diesem Gesetz zu beurteilen. Für Dauersachverhalte gelten die Rechtsfolgen eines neuen Gesetzes ab seinem Inkrafttreten (RIS-Justiz RS0008715). Bei Dauerrechtsverhältnissen ist im Falle einer Gesetzesänderung mangels abweichender Übergangsregelung der in den zeitlichen Geltungsbereich des neuen Gesetzes reichende Teil des Dauertatbestands danach zu beurteilen (6 Ob 263/04a = RIS-Justiz RS0031419 [T24, T25]).

              Im vorliegenden Fall ist jedoch kein Dauerrechtsverhältnis im Sinne der RS0008745 (T19, T20 = 10 ObS 35/09h), RS0008747 oder RS0008715 (T1, T5) gegeben. Die Entschädigung stellt keine wiederkehrende Leistung dar, sie ist für den Zeitpunkt des Eingriffs zu berechnen. Die der Rechtsprechung zur Rückwirkung der neuen Rechtslage bei Dauerrechtsverhältnissen zugrunde liegenden Sachverhalte (zB Ehe, Versicherungsverhältnis oder Kinderbetreuungsgeld) sind mit dem vorliegenden daher nicht vergleichbar. So lehnen auch die Entscheidungen 2 Ob 70/02m und 2 Ob 251/02d eine rückwirkende Anwendung des ZinsRÄG 2002 auf die Geltendmachung vorprozessualer Kosten ab und wenden die zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses geltende Rechtslage an. Die Rechtsprechung stellt allgemein in Fällen der Eingriffshaftung auf den Zeitpunkt der Rechtsgutbeeinträchtigung ab (Vonkilch, Das Intertemporale Privatrecht [1999] 220 mwN; 3 Ob 591/87 zur Modifikation der Regelungen der §§ 364 Abs 2 und 364a ABGB durch §§ 53 ff ForstG bezüglich Immissionshaftung für Forstschäden).

              3. Für die Maßgeblichkeit neuen Rechts im Zusammenhang mit einem Entschädigungsbegehren spricht (lediglich) die Entscheidung 1 Ob 1/94. Ihr lag ein Entschädigungsbegehren von Grundeigentümern gegen eine Gemeinde wegen der ihre Grundstücke betreffenden Festlegung eines Grundwasserschutzgebiets zugrunde. Dort wurde ausgesprochen, dass das Gericht auf eine Rechtsänderung Bedacht zu nehmen habe, sofern anderslautendes Übergangsrecht fehle. Dies stünde mit der herrschenden Auffassung über den maßgeblichen Zeitpunkt der Bemessung nicht in Widerspruch. Für die wertbestimmenden Verwendungsmöglichkeiten könne nur der Eingriffszeitpunkt maßgebend sein. Dies besage aber noch keineswegs, dass der Betroffene nicht auch die erst nach dem Eingriff vom Gesetzgeber durch eine Änderung der Bestimmungen über die Gewährung bzw Bemessung vorgesehene Ausdehnung des Entschädigungsanspruchs für sich geltend machen könne.

Diese Auffassung wird nicht aufrecht erhalten. Die Anwendung des stmk NSchG idF der Novelle 2004 (Ersatz von „sonstigen erheblichen Vermögensnachteilen“) würde nämlich zu einem Wertungswiderspruch führen: Liegenschaftseigentümer, über deren Antrag noch vor dem Inkrafttreten der Novelle 2004 entschieden wurde, erhielten nur die Abgeltung verminderter Erträge oder nachhaltiger Erschwernisse der Wirtschaftsführung, der Bund erhielt jedoch (bloß) wegen der (durch Umstände auf Seiten des Antragstellers bedingten) langen Dauer des Entschädigungsverfahrens auch eine (allenfalls) darüber hinausgehende Verkehrswertminderung ersetzt. Ein Grund für die Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte ist nicht erkennbar. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs darf auch bei der Zuerkennung einer Begünstigung nicht in unsachlicher Weise differenziert werden (vgl Koja, Die Rückwirkung von Gesetzen und die Bundesverfassung, JRP 1999, 40). Die Ungleichbehandlung würde nur dann keine unsachliche Differenzierung darstellen, wenn es in der Disposition der Grundeigentümer gelegen wäre, durch die Wahl des Zeitpunkts der Antragstellung von der für sie günstigeren Rechtslage Gebrauch zu machen (vgl VfGH 1. 10. 2004, Slg 17.311). Dies war aber wegen der Dreimonatsfrist des § 25 Abs 4 stmk NSchG aF nicht der Fall. Die Ungleichbehandlung von „früheren“ Entschädigungswerbern und dem Bund stellte daher eine unsachliche Differenzierung dar.

              Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass der vorliegende Sachverhalt nach dem stmk NSchG idF vor der Novelle 2004 zu beurteilen ist.

              4. Die vom Bund geforderte erweiternde Auslegung des § 25 stmk NSchG aF im Sinne des Ersatzes der Verkehrswertminderung scheitert schon am Wortlaut der Bestimmung des § 25 Abs 1 stmk NSchG aF. Die Erstreckung der Entschädigung für „erhebliche Minderung des Ertrags“ auf eine solche für Verkehrswertminderung würde die Grenze des äußerst möglichen Wortsinns der Wortfolge „erhebliche Minderung des Ertrags“ überschreiten. Auch die vom Bund geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken, wonach sich die Außerachtlassung eines die Summe der Nutzungswerte übersteigenden Verkehrswerts nicht rechtfertigen lasse, teilt der Senat nicht. Die dazu vom Bund zitierte Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs G 170/04 ist nicht einschlägig, weil es dort nicht um eine Enteignung (Eigentumsbeschränkung) im öffentlichen Interesse, sondern um eine Auseinandersetzung zwischen mehreren Berechtigten an einer Liegenschaft ging. Der EGMR räumt den Staaten bezüglich der Höhe der Entschädigung einen großen Ermessensspielraum ein (Öhlinger, Verfassungsrecht8 Rz 880). Dass dieser durch die Zuerkennung von Entschädigungen (bloß) für Ertragsminderungen und Wirtschaftsführungserschwernisse gemäß der Bestimmung des § 25 stmk NSchG aF überschritten worden wäre, hat der Bund nicht überzeugend dargelegt.

              5. Die in § 25 Abs 5 aF bzw Abs 6 nF des stmk NSchG normierte sinngemäße Anwendung des Eisenbahnenteignungs(entschädigungs)gesetzes (EisbEG) „für das Verfahren nach Abs 3 sowie für die Wahrnehmung der Ansprüche, die dritten Personen aufgrund dinglicher Rechte zustehen“, führt zu keiner Erweiterung der Entschädigungsansprüche im Verhältnis zu § 25 stmk NSchG, zumal diese in der (im Verhältnis zu den Regelungen des EisbEG) spezielleren Bestimmung des Abs 1 leg cit abschließend geregelt werden.

              6. Auf die Ausführungen des Rekurswerbers unter Berufung auf (richtig) 1 Ob 141/04y, dass neben einer Entschädigung für die verringerte forstliche Nutzung keine zusätzliche Abgeltung für eine Verminderung des Verkehrswerts zustehe, ist nicht mehr einzugehen, weil der Anspruch bereits dem Grunde nach zu verneinen ist. Ebenso kann eine nähere Auseinandersetzung mit der Thematik der Schadensminderungspflicht, der behaupteten Unveräußerlichkeit der gegenständlichen Grundflächen und der „internationalen Verpflichtungen“ des Bundes unterbleiben.

              Dem Rekurs des Landes war somit Folge zu geben. Der angefochtene Beschluss war im Sinne der Wiederherstellung der antragsabweisenden Entscheidung des Erstgerichts abzuändern.

              Die Kostenentscheidung gründet auf § 44 EisbEG iVm § 25 Abs 5 stmk NSchG aF. Aus § 44 EisbEG lässt sich nicht ableiten, dass den Enteigneten bei ungerechtfertigtem Einschreiten eine Kostenersatzpflicht trifft (RIS-Justiz RS0058151).

Textnummer

E95256

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0040OB00057.10A.1005.000

Im RIS seit

03.11.2010

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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