TE OGH 2010/10/6 8Rs141/10g

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Veröffentlicht am 06.10.2010
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Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen hat durch den Senatspräsidenten Dr.Bott (Vorsitz), die Richterinnen Dr.Kraschowetz-Kandolf und Dr.Rastädter-Puschnig sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Lienbacher (Arbeitgeber) und Allmannsdorfer (Arbeitnehmer) als weitere Senatsmitglieder in der Sozialrechtssache der klagenden Partei P***** F*****, *****, vertreten durch Dr.Robert Steiner Rechtsanwalt GmbH in Spittal an der Drau, gegen die beklagte Partei A***** U*****, vertreten durch ihre Angestellten *****, wegen Versehrtenrente, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 16.Juni 2010, 32 Cgs 1/10v-12, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung, deren Kosten der Berufungswerber selbst zu tragen hat, wird nicht Folge gegeben.

Die Revision ist nicht nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Der Kläger erlitt am 20.4.2008 einen Unfall. Mit Bescheid der Beklagten vom 17.7.2009 anerkannte diese den Vorfall als Arbeitsunfall, sprach aus, dass der Riss des vorderen Kreuzbandes des rechten Kniegelenkes durch den Unfall erlitten worden sei und gewährte dem Kläger ausgehend von einer 20 %-igen Minderung der Erwerbsfähigkeit eine vorläufige Versehrtenrente für die Zeit ab 4.9.2008.

Im Verfahren ***** des Erstgerichts begehrte der Kläger in Bekämpfung dieses Bescheides die Gewährung einer höheren Versehrtenrente. Nach dem Inhalt des eingeholten unfallchirurgischen Gutachtens ***** vom 2.10.2009 (ON 4) ist der Riss des vorderen Kreuzbandes am rechten Kniegelenk nicht auf den Unfall vom 20.4.2008 zurückzuführen, sondern ebenso wie die degenerativen Veränderungen des Innenmeniskus und die Knorpelschäden degenerativer Art, allenfalls auch auf ein anderes Trauma vor dem 20.4.2008 zurückzuführen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit wurde bezogen auf den Arbeitsunfall vom 20.4.2008 mit 0 % bewertet. Daraufhin zog der Kläger die Klage zurück.

Mit dem nun angefochtenen Bescheid entzog die Beklagte einerseits die dem Kläger zuerkannte vorläufige Versehrtenrente ab 1.2.2010 und sprach gleichzeitig aus, dass ein Anspruch auf Dauerrente nicht bestehe. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im entschädigungspflichtigen Ausmaß liege nicht vor.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner auf Gewährung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß gerichteten Klage. Der Riss des vorderen Kreuzbandes des rechten Kniegelenkes sei von der Beklagten bescheidmäßig als Folge des Arbeitsunfalles anerkannt worden, weshalb Mutmaßungen des Sachverständigen im Vorverfahren diesbezüglich unbeachtlich seien. Die Beklagte habe sowohl die Unfallskausalität als auch die 20 %-ige MdE mehrmals dem Grunde nach anerkannt, welches Anerkenntnis durch die Anrufung des Gerichtes nicht hinfällig geworden sei. Der Entzug der Versehrtenrente könne nur bei einer maßgeblichen Zustandsveränderung vorgenommen werden. Eine solche Zustandsänderung liege nicht vor, da der Kläger nach wie vor an den Folgen des Kreuzbandrisses leide.

Die Beklagte beantragt Klagsabweisung. Bei dem Arbeitsunfall vom 20.4.2008 habe sich der Kläger eine Zerrung des rechten Kniegelenkes zugezogen. Weder der Riss des vorderen Kreuzbandes des rechten Kniegelenkes noch die Veränderungen am Innenmeniskus und am Knorpel seien unfallskausal. Im Rahmen einer Einschätzung für die erste Dauerrente habe dies unabhängig und ohne Vergleich mit vorangegangenen Gutachten zu erfolgen. Eine Bindungswirkung an den vorläufigen Rentenbescheid oder an die darin getroffenen Feststellungen bestehe nicht.

Mit dem angefochtenen Urteil weist das Erstgericht das Klagebegehren ab. Es stellt neben dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt noch fest, dass anlässlich der Operation im Juni 2008 sich kein frischer Riss im rechten Kniegelenk gezeigt habe. Dem Kläger sei eine Kreuzbandplastik eingesetzt worden, wobei der Operateur mangels Hinweises auf ein anderes Trauma von der Kausalität des Unfalls vom 20.4.2008 ausgegangen sei. Eine Zerreißung des Kreuzbandes sei aufgrund des Unfallsgeschehens nicht zu erwarten, sondern liege vielmehr eine Nachlasssymptomatik bei bereits bestehenden degenerativen Veränderungen vor. Diese Veränderungen im Knie des Klägers hätten nicht zwischen April und Juni 2008 (Unfall und Operation) entstanden sein können; die degenerativen Veränderungen seien jedenfalls akausal. Der Kläger leide unter einer unfallskausalen Kniegelenksstabilität rechts, wobei eine Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht gegeben sei.

Rechtlich meint das Erstgericht, bei der erstmaligen Feststellung der Dauerrente bestehe keine Bindung an die Umstände zum Zeitpunkt der Gewährung der vorläufigen Rente, weshalb auch die Unfallskausalität von Verletzungen neu geprüft werden könne. Hiebei sei es durchaus möglich, dass das Gericht zu abweichenden Ergebnissen von vorangegangenen Verwaltungsverfahren gelange. Umfang und Ausmaß der Verletzung würden jedenfalls zu den Grundlagen für die Berechnung gehören. Ausgehend von einer fehlenden Minderung der Erwerbsfähigkeit und mangels bestehender Unfallsfolgen seien die Voraussetzungen für die Gewährung einer Versehrtenrente nicht gegeben.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers aus den Anfechtungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Tatsachenfeststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung in Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte, die eine Berufungsbeantwortung erstattet, beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Als mangelhaft rügt der Kläger die unterlassene Einvernahme seiner Person zur Frage, ob er bereits allenfalls in der Vergangenheit einmal einen Riss des Kreuzbandes erlitten habe, und weiters dazu, ob die Beklagte ein rechtlich bedeutsames Anerkenntnis zu diesem Beweisthema abgegeben habe.

Abgesehen davon, dass die Frage des Vorliegens eines rechtswirksamen Anerkenntnisses eine Rechtsfrage darstellt, zu welcher die Einvernahme des Klägers jedenfalls entbehrlich ist, wurde zur erstgenannten Frage weder ein Vorbringen erstattet noch die Einvernahme des Klägers beantragt. Diese ist - wie im Rahmen der Behandlung der Rechtsrüge zu zeigen sein wird - auch nicht erforderlich. Die gerügten Verfahrensmängel liegen demnach nicht vor.

In der Beweisrüge bekämpft der Kläger im Wesentlichen jene Feststellungen, die die Frage der Unfallskausalität des Kreuzbandrisses im rechten Kniegelenk zum Inhalt haben. Er führt diesbezüglich vor allem die Aussage des Operateurs und gleichzeitigen Anstaltsgutachters der Beklagten, des Zeugen *****, ins Treffen. Es entspricht grundsätzlich ständiger Judikatur in Sozialrechtssachen, dass ein gerichtliches Sachverständigengutachten niemals durch Zeugen, auch nicht durch sachverständige Zeugen entkräftet werden kann (SVSlg 54.946 uva). Demgemäß begegnet es seitens des Berufungsgerichtes auch keinen Bedenken, wenn sich das Erstgericht bezüglich der Frage der Unfallskausalität der erlittenen Kreuzbandverletzung den Ausführungen des Gerichtsgutachters angeschlossen hat. Dem Kläger ist zuzugestehen, dass der Zeuge ***** auch im Rahmen seiner gerichtlichen Einvernahme die Unfallskausalität vor allem deswegen bejaht hat, da das Trauma vom 20.4.2008 grundsätzlich die Eignung hatte, einen Riss des vorderen Kreuzbandes herbeizuführen und kein Hinweis gefunden werden konnte, dass der Kläger bereits vorher ein (gleichartiges) Trauma erlitten hätte. Richtig ist auch, dass der Sachverständige ***** in seinem im Vorverfahren ***** des Erstgerichtes erstatteten schriftlichen Gutachten diese Verletzung durch das Unfallsgeschehen vom 20.4.2008 nicht mit der für ein Gutachten nötigen Seriosität und Sicherheit auszuschließen vermochte. Dessen ungeachtet kam er aber insbesondere aufgrund der bestehenden degenerativen Veränderungen des Innenmeniskus und der Knorpelschäden zum Ergebnis, dass der Riss des vorderen Kreuzbandes mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf eine Degeneration, möglicher Weise aber auch auf ein anderes Trauma vor dem 20.4.2008 zurückzuführen sei (vgl Seite 8 der ON 4 /AS 29 im Vorakt).

Er ist bei dieser Auffassung auch nicht nur in seinem schriftlichen Gutachten ON 4, sondern auch im Rahmen der mündlichen Erörterung in der Tagsatzung vom 16.6.2010, im Übrigen nach Vorliegen der Aussage des Zeugen *****, geblieben und hat dies auch plausibel und nachvollziehbar begründet. Im Übrigen ergibt sich aus seinen Ausführungen, dass selbst dann, wenn das Unfallsgeschehen vom 20.4.2008 die Schäden des Kreuzbandes ausgelöst hätte, von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von unter 20 % auszugehen wäre, was dem Begehren des Klägers auf Gewährung einer Dauerrente unverrückbar entgegenstünde. Nach seinen Ausführungen würde nur dann, wenn man auch die degenerativen Veränderungen (Knorpelschaden und Meniskus) dem Unfallsgeschehen zuordnete, was von ihm jedoch zweifelsfrei ausgeschlossen und von der Berufung gar nicht in Zweifel gezogen wird, von einer 20 %-igen MdE ausgegangen werden können.

Zusammenfassend sind demnach die Berufungsausführungen nicht geeignet, Bedenken des Berufungsgerichts an der erstgerichtlichen Beweiswürdigung zu wecken. Ausgehend von dem demnach als richtig und vollständig zu übernehmenden Sachverhalt (§ 498 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG) versagt auch die Rechtsrüge.

In dieser beharrt der Kläger auf seinem Standpunkt, das Erstgericht habe das mehrfache Anerkenntnis der Beklagten in Bezug auf die Unfallskausalität des Risses des vorderen Kreuzbandes des rechten Kniegelenks des Klägers nicht beachtet, weshalb ihm weiterhin die 20 %-ige Versehrtenrente gewährt werden müsse. Mit diesen Argumenten verkennt der Kläger allerdings den Unterschied zwischen vorläufiger Versehrtenrente und erstmaliger Feststellung der Dauerrente.

Dem Kläger ist grundsätzlich zuzustimmen, dass Gerichte an rechtskäftige verwaltungsbehördliche Entscheidungen gebunden sind, wobei sich diese Bindungswirkung allerdings nur auf den Spruch über den Bescheidgegenstand erstreckt (RIS-Justiz RS0036880; insbesonders 8 ObA 252/97k; 6 Ob 84/05d). Eine solche Bindungswirkung besteht jedoch im vorliegenden Fall nicht.

Gemäß § 209 Abs 1 ASVG ist dann, wenn - wie hier - die Versehrtenrente während der ersten zwei Jahre nach dem Eintritt des Versicherungsfalles wegen der noch nicht absehbaren Entwicklung der Folgen des Arbeitsunfalles ihrer Höhe nach noch nicht als Dauerrente festgestellt werden kann, vom Träger der Unfallversicherung die Versehrtenrente als vorläufige Rente zu gewähren. Spätestens mit Ablauf des zweijährigen Zeitraumes ist die Versehrtenrente als Dauerrente festzustellen, wobei diese Feststellung eine Änderung der Verhältnisse im Sinn des § 183 Abs 1 ASVG nicht voraussetzt und an die Grundlagen für die Berechnung der vorläufigen Rente nicht gebunden ist. Schon das Erstgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass diese fehlende Bindung an die Grundlagen für die Berechnung der vorläufigen Rente bedeutet, dass auch die Unfallskausalität von Verletzungen neu geprüft werden kann, weil Umfang und Ausmaß der Verletzungen jedenfalls zu den Grundlagen für die Berechnung gehören. Dabei kann das Gericht gegenüber den vorangegangenen Verwaltungsverfahren durchaus auch zu divergierenden Ergebnissen gelangen. Bei der erstmaligen Feststellung der Dauerrente kann demnach der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit völlig neu bestimmt werden, ohne dass eine Bindung an die Umstände zum Zeitpunkt der Gewährung der vorläufigen Rente bestehen würde (RIS-Justiz RS0084329, 0084336). Durch die Verweisung auf die Bestimmung des § 183 Abs 1 ASVG in § 209 und den ausdrücklichen Hinweis, dass bei der Feststellung der Dauerrente die Voraussetzungen des § 183 Abs 1 für eine Durchbrechung der Rechtskraft nicht eingehalten werden müssen, ist klargestellt, dass die materielle Rechtskraft - jene Sachlage, wie sie zum Zeitpunkt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde - , erst dem Bescheid zukommt, mit welchem über die Dauerrente abgesprochen wird. Erst dann bleibt der Versicherungsträger an die bescheidmäßig erfolgte Zuerkennung einer Rente und an den zugrunde gelegten Sachverhalt auch dann gebunden, wenn sich die dem Bescheid zugrundeliegende ärztliche Beurteilung als unrichtig erweisen sollte (10 ObS 239/89 mwN).

Durch die Klagserhebung ist der hier angefochtene Entziehungsbescheid zur Gänze außer Kraft getreten. Das Gericht hat nach dem Grundsatz der sukzessiven Kompetenz den gesamten entscheidungswesentlichen Sachverhalt von Grund auf neu ohne jede Bindung an das vorangegangene Verwaltungsverfahren zu prüfen. Da Umfang und Ausmaß der Verletzungen jedenfalls zu den Grundlagen für die Berechnung gehören, umfasst diese Prüfung demgemäß auch die Unfallkausalität von Verletzungen. Eine Bindung der Beklagten besteht demnach in Bezug auf den Bescheid vom 17.7.2009, mit welchem die Beklagte dem Kläger eine vorläufige Versehrtenrente gewährte, nur insoweit, als das Vorliegen eines Arbeitsunfalles bejaht wurde. Diese Frage könnte durch einen nachfolgenden Bescheid über eine Dauerrentengewährung ebenso wenig neu aufgeworfen werden, wie jene, ob der Verletzte etwa zu den versicherten Personen gehört oder nicht (Teschner-Widlar, ASVG, 1038).

Im Sinne dieser Ausführungen kann demnach der Kläger ein allfälliges Anerkenntnis der Beklagten in Bezug auf die im Bescheid vom 17.7.2009 enthaltene Unfallfolge ebenso wenig für sich ins Treffen führen wie die Höhe der damals ausgemittelten Minderung der Erwerbsfähigkeit. Im Übrigen hat die Beklagte im gegenständlichen Verfahren den Riss des vorderen Kreuzbandes des rechten Kniegelenkes als Unfallfolge nicht anerkannt, sondern ausgeführt, dass er sich beim Arbeitsunfall vom 20.4.2008 lediglich eine Zerrung des rechten Kniegelenkes zugezogen habe (Seite 2 der ON 2/AS 9). Selbst aber unter Annahme der Richtigkeit der Behauptung des Klägers, dass die genannte Verletzung als Folge des Arbeitsunfalls vom 20.4.2008 anzusehen sei, wäre für ihn - wie bereits ausgeführt - nichts gewonnen, da nach dem Inhalt des Sachverständigengutachtens auch dann das berentungsfähige Ausmaß des § 203 Abs 1 ASVG von 20 % Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht erreicht würde, weshalb ein Anspruch auf Dauerrente auch in diesem Fall nicht bestünde.

Die angefochtene Entscheidung entspricht somit der Sach- und Rechtslage, weshalb der Berufung ein Erfolg zu versagen ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch aus Billigkeit wurden weder behauptet noch ergeben sich solche aus der Aktenlage.

Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502

Abs 1 ZPO besteht für eine Revisionszulassung kein Anlass.

Textnummer

EG00071

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0639:2010:0080RS00141.10G.1006.000

Im RIS seit

30.12.2010

Zuletzt aktualisiert am

30.12.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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