Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. G***** P*****, 2. L***** P*****, beide *****, vertreten durch Dr. Georg Lugert, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Ing. A***** S*****, vertreten durch Dr. Anton Hintermeier, Mag. Michael Pfleger und Mag. Jürgen Brandstätter, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen Beseitigung (Streitwert 8.000 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 12. Mai 2010, GZ 21 R 147/10s-32, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien binnen 14 Tagen die mit 816,50 EUR (darin 136,10 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Kläger sind jeweils Hälfteeigentümer der Liegenschaft EZ 100 KG *****. Der Beklagte ist Alleineigentümer der Liegenschaft EZ 409 KG *****. Die Westseite des Klagsgrundstücks und die Ostseite des Beklagtengrundstücks grenzen aneinander. Am 27. 9. 2006 schlossen die Streitteile eine Vereinbarung, wonach die bestehende Gartenmauer von den Klägern käuflich erworben werde. Der Beklagte verkaufte und übergab daher an die Kläger die Teilfläche der EZ 409 KG *****, auf der sich die bestehende Gartenmauer befindet. Die Mauer hat eine Breite von 17 cm und eine Länge von 32,30 m sowie eine Fläche von 5 m². Aufgrund der hohen Kosten einer Vermessungsurkunde und der Grundbuchseintragung wurde von einer Vermessung Abstand genommen. Außer Streit steht zwischen den Streitteilen, dass die Grundstücksgrenze zwischen den Grundstücken 202/5 KG ***** des Beklagten und 198/7 KG ***** der Kläger die westliche Außenkante der Basis der Gartenmauer ist.
Die Kläger begehren, den Beklagten schuldig zu erkennen, von der durch ihn auf dem Grundstück 202/5 KG ***** grenzüberschreitend auch auf dem Grundstück der Kläger 198/7 KG *****, errichteten Garage jene Teile des Mauerwerks samt Traufe zu entfernen, die sich grenzüberschreitend auf der im Einzelnen näher bezeichneten Fläche des Grundstücks der klagenden Parteien erstreckten. Der Beklagte habe auf seinem Grundstück eine Garage gebaut, wobei das feste Mauerwerk im Südbereich 5 cm grenzüberschreitend auf der den Klägern gehörenden alten Gartenmauer errichtet worden sei. Zusätzlich sei eine Traufe des Garagendachs ausgebildet worden, die weitere 5 cm grenzüberschreitend gestaltet worden sei. Bereits im Zuge der Bauführung hätten die Kläger den Beklagten darauf aufmerksam gemacht, dass er grenzüberschreitend baue.
Der Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte die Klagsabweisung. Er habe die Liegenschaft von seiner Großmutter geerbt; nach Einsicht in die Unterlagen des Vermessungsamts habe er feststellen müssen, dass die Kläger ihre Gartenmauer auf dem Grund der Großmutter des Beklagten errichtet hätten. Aus diesem Grund sei die Vereinbarung im September 2006 getroffen worden. Die Grenze verlaufe daher tatsächlich an der westlichen Außenkante der Basis der Gartenmauer. Bei der Errichtung der neuen Bauwerke habe er auf den Grenzbereich ganz besonders geachtet. Die alte Gartenmauer der Kläger habe sich jedoch immer mehr in Richtung zum Grundstück des Beklagten geneigt, sodass sie weggerissen habe werden müssen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Rechtlich vertrat das Erstgericht die Auffassung, ein Beseitigungsanspruch wegen des von den Klägern behaupteten Grenzüberbaus sei jedenfalls abzulehnen. Der Oberste Gerichtshof habe in der Entscheidung 10 Ob 18/05b im Fall eines Eigengrenzüberbaus im Ausmaß von bis zu 90 cm ausgesprochen, dass es sich um einen im Verhältnis zum Gesamtwert des Objekts geringwertigen Überbau handle. Grundsätzlich müsse das Eigentum an einem Grundstück und an einem Gebäude - vom Fall des Superädifikats abgesehen - zusammenfallen. Der Grundgedanke des § 416 ABGB sei verallgemeinernd auf alle Fälle anzuwenden, in denen eine nur geringfügige Grundfläche durch einen Grenzüberbau in Anspruch genommen werde.
Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Im Fall der Unredlichkeit der Bauführung sei § 416 ABGB nicht analog anwendbar. Im Falle einer unredlichen Bauführung müsse - vom Fall schikanöser Rechtsausübung abgesehen - eine - wenn auch aus wirtschaftlicher Sicht oft nicht sinnvolle - Wiederherstellung des vorigen Zustands verlangt werden dürfen.
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil in der Lehre die Ansicht vertreten werde, dass auch im Fall der Unredlichkeit ein Beseitigungsanspruch bei Zutreffen der Voraussetzungen des § 416 ABGB entfalle und die sinngemäße Anwendung des § 416 ABGB im vorliegenden Fall auch aus zum Eigengrenzüberbau ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen abgeleitet werden könnte.
Rechtliche Beurteilung
Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Der Rekurs ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig:
1. Außerbücherlicher Eigentumserwerb an der Baufläche iSd § 418 dritter Satz ABGB tritt nur ein, wenn der Grundeigentümer vom Bau weiß, ihn vorwerfbar aber dennoch nicht untersagt (sich also verschweigt) und der Bauführer redlich ist (RIS-Justiz RS0011088). Bei geringfügigem Grenzüberbau kann der Schikaneeinwand des Bauführers berechtigt sein, wenn die Verhaltensweise des Grundnachbarn überwiegend auf eine Schädigung des Bauführers abzielt und die Wahrung und Verfolgung der sich aus der Freiheit des Eigentums ergebenden Rechte deutlich in den Hintergrund tritt (RIS-Justiz RS0115858).
2. Bei „Eigengrenzüberbauten“, wenn also der Eigentümer die Grenze zweier eigenen Liegenschaften (Grundstücke) überbaut, erwirbt selbst ein unredlicher Bauführer Eigentum an der überbauten Nachbargrundfläche, wenn diese nur geringwertig ist. Die überbaute Fläche wächst dem „Hauptteil“ zu (RIS-Justiz RS0108464).
3. Nach Jabornegg (Der Grenzüberbau im österreichischen Recht, FS Eichler [1977] 287 ff) ist der Grenzüberbau unter Einbeziehung grundsätzlicher Wertungen des § 418 ABGB im Allgemeinen nach §§ 415, 416 ABGB zu beurteilen. Ist die vom Bauführer in Anspruch genommene fremde Grundfläche wertmäßig im Vergleich zum gesamten Gebäude und der eigenen Grundfläche kaum von Gewicht, erwirbt der Bauführer - auch bei Unredlichkeit - analog zu § 416 ABGB schon mit der Bauführung auch das Eigentum an der Grundfläche. Ist der Grenzüberbau weder nach § 418 dritter Satz noch analog § 416 ABGB zu beurteilen, steht er gemäß § 415 ABGB im (außerbücherlich entstandenen) Miteigentum von Bauführer und Grundnachbar. Für den Fall, dass der redliche Grundnachbar einem unredlichen Bauführer gegenübersteht, hält auch Jabornegg (aaO 313) einen Anspruch auf Naturalrestitution für möglich.
4.1. Der Oberste Gerichtshof hat zuletzt in der Entscheidung 1 Ob 239/08s zum Grenzüberbau Stellung genommen und zu einem dem vorliegenden Fall vergleichbaren Sachverhalt den „außerbücherlichen“ Eigentumserwerb einer Bauführerin an einer von der Baumaßnahme betroffenen Grundfläche im Hinblick auf deren Unredlichkeit und das Untersagen der Bauführung durch den Grundeigentümer verneint. Weiters hat er die Auffassung vertreten, dass die zum Eigengrenzüberbau ergangene Rechtsprechung nicht mit dem zu beurteilenden Sachverhalt vergleichbar sei. Das Recht des Grundstückseigentümers werde nur durch das Verbot der schikanösen Rechtsausübung beschränkt.
4.2. Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts hat der Oberste Gerichtshof daher auch nach den zu „Eigengrenzüberbauten“ ergangenen Entscheidungen 4 Ob 266/97i und 1 Ob 18/05b, in denen er der Meinung Jaborneggs gefolgt ist und die Anwendung des § 416 ABGB bejaht hat, beim Grenzüberbau von Liegenschaften, die verschiedenen Eigentümern gehören, keinen Anlass gesehen, von der ständigen Rechtsprechung abzugehen. Eine unterschiedliche Beurteilung rechtfertigt hier allein schon der Umstand, dass es sich beim Eigengrenzüberbau nicht um einen Fall des Bauens auf fremdem Grund iSd § 418 ABGB handelt (vgl auch 4 Ob 266/97i). Würde man einen Eigentumserwerb des Bauführers am überbauten Grund auch im Fall von dessen Schlechtgläubigkeit annehmen, würde man sich zudem in einen unauflöslichen Wertungswiderspruch zum Schadenersatzrecht setzen, das bereits bei leichter Fahrlässigkeit Schadenersatz, uzw in der Regel in Form von Naturalrestitution (§ 1323 ABGB), vorsieht.
5. Damit wirft der vorliegende Fall aber keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität auf, sodass der Rekurs spruchgemäß zurückzuweisen war.
6. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die klagenden Parteien haben auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen.
Textnummer
E95315European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0060OB00167.10T.1011.000Im RIS seit
09.11.2010Zuletzt aktualisiert am
26.11.2012