TE OGH 2010/10/13 15Os125/10m (15Os126/10h)

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.10.2010
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Oktober 2010 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Mechtler als Schriftführer in der Strafsache gegen Bernd G***** und andere Beschuldigte wegen Vergehen nach § 22a Abs 1 und Abs 4 Z 2 Anti-Doping-BG 2007 und anderer strafbarer Handlungen, AZ 31 HR 423/09m des Landesgerichts Wiener Neustadt, über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 23. Juni 2010 und des Oberlandesgerichts Wien vom 29. Juli 2010 nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschlüsse des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 23. Juni 2010, GZ 31 HR 423/09m-175, und des Oberlandesgerichts Wien vom 29. Juli 2010, AZ 23 Bs 226/10v, verletzen § 115 Abs 2 StPO.

Text

Gründe:

Bei der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ist zum AZ 3 St 426/09i gegen Bernd G***** und andere Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen Vergehen nach § 22a Abs 1 und Abs 4 Z 2 Anti-Doping-BG 2007 und anderer strafbarer Handlungen anhängig, im Zuge dessen aufgrund einer gerichtlich bewilligten Anordnung der Durchsuchung (ON 136) am 15. Juni 2010 eine Hausdurchsuchung bei dem genannten Beschuldigten durchgeführt und - unter anderem - Bargeld im Gesamtbetrag von 14.934,97 Euro sichergestellt wurde (ON 151 S 33 ff = ON 168).

Den Antrag der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt auf Beschlagnahme dieses Bargeldbetrags zur Sicherung der Abschöpfung der Bereicherung gemäß § 115 Abs 1 Z 3 StPO (ON 1 S 95) wies die Einzelrichterin des Landesgerichts Wiener Neustadt mit Beschluss vom 23. Juni 2010 (ON 175) mit der Begründung zurück, die Staatsanwaltschaft sei gemäß § 113 Abs 3 StPO nur im Fall einer Sicherstellung nach § 109 Z 1 lit b StPO zur Antragstellung auf Beschlagnahme berechtigt.

              Dagegen erhob die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt Beschwerde (ON 177) und führte zusammengefasst aus, dass im Fall einer Sicherstellung von Gegenständen oder Vermögenswerten nach § 109 Z 1 lit b StPO eine Verpflichtung der Anklagebehörde zur Antragstellung bestehe (§ 113 Abs 3 StPO), in den Fällen einer Sicherstellung von Gegenständen nach § 109 Z 1 lit a StPO die Staatsanwaltschaft jedoch zu beurteilen habe, ob die Voraussetzungen des § 113 Abs 4 StPO vorliegen. Insbesondere in jenen Fällen, in denen der Sicherungszweck nur durch eine Beschlagnahme erfüllt werden könne, sei sie zur Antragstellung nach § 115 Abs 2 StPO legitimiert.

Im konkreten Fall handle es sich bei dem sichergestellten Geld weder um einen geringwertigen Betrag noch um einen Gegenstand, der in niemandes Verfügungsmacht stehe oder dessen Besitz allgemein verboten sei (§ 110 Abs 3 Z 1 lit a und d, Z 2 StPO). Zur Sicherung der Einbringlichkeit einer nachfolgenden gerichtlichen Entscheidung auf Abschöpfung der Bereicherung (§ 20 StGB) und/oder der Einbringung der Pauschalkosten sei die Fortsetzung der durch Sicherstellung begründeten vorläufigen Verfügungsmacht durch eine gerichtliche Entscheidung nach § 109 Z 2 lit a StPO erforderlich.

Das Oberlandesgericht Wien gab mit Beschluss vom 29. Juli 2010, AZ 23 Bs 226/10v (ON 214), der Beschwerde mit der (zusammengefassten) Begründung nicht Folge, dass ausschließlich § 113 Abs 3 StPO ein Antragsrecht der Staatsanwaltschaft vorsehe, nämlich zur gerichtlichen Beschlagnahme bei einer Sicherstellung nach § 109 Z 1 lit b StPO. Diese durch das Budgetbegleitgesetz BGBl I 2009/52 eingefügte Beschränkung des Antragsrechts der Anklagebehörde verfolge das erklärte Ziel der Vereinfachung von Verfahrensabläufen, der Konzentration auf rasche und grundrechtskonforme Strafverfolgung sowie effizienter Nutzung der Arbeitskapazitäten. Nach den Gesetzesmaterialien solle die Beschlagnahme von Gegenständen iSd § 109 Z 1 lit a StPO - weitergehend als die nunmehrige Differenzierung des § 113 Abs 4 StPO - jedenfalls entfallen, sofern die Kriminalpolizei von sich aus zur Sicherstellung berechtigt sei (§ 110 Abs 3 StPO). Für die von einer Sicherstellung betroffene Person umschreibe die - ausschließlich deren Antragslegitimation betreffende - Bestimmung des § 113 Abs 4 StPO die Fälle, bei denen auch ihr kein Recht auf gerichtliche Entscheidung zustehe. Ein Antragsrecht oder eine Antragspflicht der Staatsanwaltschaft zur Erwirkung einer gerichtlichen Entscheidung bei einer Sicherstellung nach § 109 Z 1 lit a StPO sei daraus nicht ableitbar. Eine andere Interpretation des Gesetzestextes stehe der erklärten Zielsetzung der Gesetzesänderung entgegen.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschlüsse des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 23. Juni 2010, AZ 31 HR 423/09m (ON 175), und des Oberlandesgerichts Wien vom 29. Juli 2010, AZ 23 Bs 226/10v (ON 214), verletzen - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - das Gesetz:

Nach § 109 Z 1 iVm § 110 Abs 1 StPO können Gegenstände durch vorläufige Begründung der Verfügungsmacht (lit a) oder - diesfalls auch in Bezug auf andere Vermögenswerte - durch vorläufiges Verbot der Herausgabe, der Veräußerung oder Verpfändung (lit b) sichergestellt werden, sofern die Sicherstellung aus Beweisgründen, zur Sicherung privatrechtlicher Ansprüche (§ 367 StPO) oder zur Sicherung der Abschöpfung der Bereicherung (§ 20 StGB), des Verfalls (§ 20b StGB), der Einziehung (§ 26 StGB) oder einer anderen gesetzlich vorgesehenen vermögensrechtlichen Anordnung erforderlich scheint. Die Kriminalpolizei hat solche Gegenstände entweder über Anordnung der Staatsanwaltschaft (§ 110 Abs 2 StPO) oder - in den Fällen des § 110 Abs 3 StPO - von sich aus sicherzustellen. Bei den zuletzt genannten Gegenständen handelt es sich ua um solche, die in niemandes Verfügungsmacht stehen (Z 1 lit a), dem Opfer durch die Straftat entzogen wurden (Z 1 lit b), am Tatort aufgefunden wurden und zur Begehung der strafbaren Handlung verwendet oder dazu bestimmt worden sein könnten (Z 1 lit c), geringwertig oder vorübergehend leicht ersetzbar sind (Z 1 lit d) oder deren Besitz allgemein verboten ist (§ 445a Abs 1 StPO [lit 2]).

Eine gerichtliche Beschlagnahme - ua zur Fortsetzung einer Sicherstellung (§ 109 Z 2 lit a StPO) - erfolgt über Antrag der Staatsanwaltschaft oder einer von der Sicherstellung betroffenen Person (§ 115 Abs 2 StPO). Bei einer Sicherstellung nach § 109 Z 1 lit b StPO (vorläufiges Verbot der Herausgabe, der Veräußerung oder Verpfändung) sieht § 113 Abs 3 StPO die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft vor, sogleich bei Gericht die Beschlagnahme zu beantragen oder, wenn deren Voraussetzungen nicht vorliegen oder weggefallen sind, die Aufhebung der Sicherstellung anzuordnen.

Darüber hinaus regelt § 113 Abs 4 StPO, dass im Fall einer Sicherstellung von Gegenständen nach § 109 Z 1 lit a StPO, die in niemandes Verfügungsmacht stehen, die geringwertig oder vorübergehend leicht ersetzbar sind oder deren Besitz allgemein verboten ist (§ 110 Abs 3 Z 1 lit a und lit d, Z 2 StPO) oder wenn der Sicherungszweck durch andere behördliche Maßnahmen erfüllt werden kann, auch auf Antrag keine Beschlagnahme stattfindet. In diesem Fall hat die Staatsanwaltschaft die erforderlichen Verfügungen über die sichergestellten Gegenstände und ihre weitere Verwahrung zu treffen und gegebenenfalls die Sicherstellung aufzuheben.

Eine darüber hinausgehende Einschränkung des Antragsrechts der Staatsanwaltschaft (§ 115 Abs 2 StPO) in Ansehung der von der Ausnahmebestimmung des § 113 Abs 4 StPO nicht umfassten Gegenstände lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Dies würde auch der Aufrechterhaltung der Sicherstellung von Gegenständen, hinsichtlich derer der Sicherungszweck durch andere behördliche Maßnahmen nicht erfüllt werden kann, entgegenstehen (vgl JME JABl 2010/8 Punkt C.I). An dieser eindeutigen Gesetzeslage vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass nach den Materialien des Budgetbegleitgesetzes 2009 die Fälle der Beschlagnahme auf jene Fälle reduziert werden sollten, in denen die von der Sicherstellung betroffene Person ausdrücklich eine gerichtliche Entscheidung über die Aufhebung oder Fortsetzung einer Sicherstellung begehrt (RV BBG 2009 113 BlgNR 24. GP 38).

Die Zurückweisung des Antrags der Anklagebehörde auf Beschlagnahme von gemäß § 109 Z 1 lit a StPO sichergestellter Barmittel durch den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 23. Juni 2010 und die diesen Beschluss bestätigende Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien vom 29. Juli 2010 erfolgten somit gesetzwidrig.

Diese Gesetzesverletzung war festzustellen.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E95541

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0150OS00125.10M.1013.000

Im RIS seit

28.11.2010

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten