TE OGH 2010/10/13 3Ob111/10k

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Veröffentlicht am 13.10.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden und die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin Tschechische Republik, Kulturministerium, Praha 1-Mala Strana, Maltezske namesti 471/1. P.O.Box 74, vertreten durch Hasberger Seitz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider den Antragsgegner L***** W*****, vertreten durch Sattlegger/Dorninger/Steiner & Partner Anwaltssozietät in Linz sowie der beteiligten Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Rückgabe eines Kulturgutes (Erlassung einer einstweiligen Verfügung), über den Revisionsrekurs der Antragstellerin und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 14. April 2010, GZ 1 R 60/10i-25, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Linz vom 19. Februar 2010, GZ 2 Nc 3/09v-21, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Antrag auf Vorlage der Rechtssache an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung wird zurückgewiesen.

Die gefährdete Partei ist schuldig, dem Gegner der gefährdeten Partei die mit 1.961,64 EUR (darin enthalten 326,94 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die antragstellende gefährdete Partei (im Folgenden nur: „Antragstellerin“) begehrt die Erlassung einer einstweiligen Verfügung zur Sicherung ihres Anspruchs auf Rückgabe einer barocken Statue. Sie bringt dazu vor, ihr Rückgabeanspruch gründe sich auf § 9 des Bundesgesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 93/7/EWG über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates der Europäischen Gemeinschaft verbrachten Kulturgütern BGBl I 1998/67 idF BGBl 2003/112 (in der Folge nur: „Richtlinie“ und „KulturgüterrückgabeG“). Im Rahmen des mit Antrag (Fax) vom 10. April 2009 (ON 1) eingeleiteten Rückgabeverfahrens werde die Erlassung einer einstweiligen Verfügung des Inhalts begehrt, die Statue möge bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Rückgabeantrag gerichtlich verwahrt und dem Antragsgegner geboten werden, sich jeglicher Verfügung darüber zu enthalten, insbesondere sie nicht zu veräußern oder zu verpfänden; eventualiter werde begehrt, dem Antragsgegner möge geboten werden, sich jeglicher Verfügung über das Kulturgut zu enthalten, insbesondere dieses nicht zu veräußern oder zu verpfänden. Im Hinblick darauf, dass der Antragsgegner die Statue als Antiquitätenhändler in seinem Geschäft in Österreich zum Verkauf anbiete und in Abrede stelle, dass es sich um unrechtmäßig verbrachtes tschechisches Kulturgut handle, sei die Gefahr der Anspruchsvereitelung durch Weiterveräußerung evident. Die Statue stelle einen Christus Salvator dar; es handle sich um eine polychrom ausgestattete Holzschnitzerei aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, die einen Bestandteil einer Kanzel in einer näher bezeichneten Kirche in Mittelböhmen gebildet habe. Diese Kanzel sei als Kulturdenkmal im Register der Kulturdenkmäler in der Tschechischen Republik eingetragen. Die Statue sei am 11. November 1992 vom Dach der Kanzel gestohlen und im Jahr 1995 ohne Ausfuhrgenehmigung in das Hoheitsgebiet der Republik Österreich verbracht worden. Eine Mitteilung des Polizeipräsidiums in Prag im Jahr 2007 habe beim tschechischen Kulturministerium zu dem Verdacht geführt, dass sich die Statue in Österreich befinde, woraufhin Anfragen an das österreichische Bundesdenkmalamt nach dem Eigentümer bzw Besitzer gestellt worden seien sowie danach, wo und auf welche Weise dieser die Statue erworben und ob er zur Herausgabe bereit sei. Die Antragstellerin habe dann erstmals aufgrund der schriftlichen Stellungnahme des österreichischen Bundesdenkmalamts vom 14. April 2008 Kenntnis davon erlangt, dass sich die Statue in der Gewahrsame des Antragsgegners befinde. Wenn der Antragsgegner behaupte, dass es sich bei der Statue nicht um jenes Kulturgut handle, auf dessen Rückgabe der Antrag gerichtet sei, sei dies unrichtig, weil aus seinen gegenüber dem österreichischen Bundesdenkmalamt getätigten Aussagen das Gegenteil hervorgehe. Er sei beim Erwerb nicht mit der erforderlichen Sorgfalt vorgegangen, weil ihm als Antiquitätenhändler hätte auffallen müssen, dass es sich um gestohlenes Kulturgut handle.

Der Antragsgegner beantragte die Abweisung der einstweiligen Verfügung. Er wendet ein, zum Zeitpunkt der Einbringung des Rückgabeantrags am 10. April 2009 sei die in § 11 Abs 1 des KulturgüterrückgabeG für die Antragstellung vorgesehene Jahresfrist bereits abgelaufen gewesen. Die Antragstellerin habe nicht erst aufgrund des Schreibens des österreichischen Bundesdenkmalamts vom 14. April 2008, sondern schon im Jahr 2007 aufgrund des Schreibens des tschechischen Polizeipräsidiums Kenntnis davon gehabt, dass sich die Statue in der Gewahrsame des Antragsgegners befinde. Sei der Hauptanspruch auf Rückgabe im Hinblick auf den Ablauf der Jahresfrist des § 11 Abs 1 des KulturgüterrückgabeG erloschen, bestehe auch kein Anspruch auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung.

Die Republik Österreich, der gemäß § 10 Abs 4 des KulturgüterrückgabeG im gerichtlichen Verfahren über einen Antrag auf Rückstellung eines Kulturgutes Parteistellung zukommt, äußerte sich zum Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung nicht.

Das Erstgericht wies (im zweiten Rechtsgang) den Sicherungsantrag ab. Es nahm folgenden wesentlichen Sachverhalt als bescheinigt an:

Auf dem Hoheitsgebiet der Antragstellerin wurde am 11. November 1992 die Statue eines Christus Salvator gestohlen, die einen Bestandteil der Kanzel der Kirche St. Gotthard in einer näher bezeichneten Gemeinde in Mittelböhmen bildete. Die Kanzel ist nach der Rechtsordnung der Antragstellerin ein Kulturdenkmal und im Register der Kulturdenkmäler eingetragen. 1995 wurde sie ohne Ausfuhrgenehmigung nach Österreich verbracht. Mit Schreiben vom 31. Jänner 2007 teilte das Polizeipräsidium der tschechischen Republik, (Amt des Dienstes der Kriminalpolizei und der Untersuchung), dem Ministerium der Kultur der Tschechischen Republik, (Abteilung des Schutzes des beweglichen Kulturerbes, der Museen und Galerien) mit, dass der Antragsgegner in seinem Kunst- und Antiquitätengeschäft jene Statue zum Verkauf anbiete, die von der Kanzel der Kirche St. Gotthard in Mittelböhmen gestohlen worden war. In der Folge sendete das tschechische Kulturministerium an das österreichische Bundesdenkmalamt ein mit 2. April 2007 datiertes Schreiben folgenden Inhalts:

„Mit der Mitteilung des Polizeipräsidiums in Prag vom 2. 2. 2007 wurden wir darüber informiert, dass im Geschäft KUNST & ANTIQUITÄTEN, L***** .... folgender Gegenstand zum Verkauf angeboten wurde: Statue des Christus Salvator, polychrom ausgestattete Holzschnitzerei, um Hälfte des 18. Jahrhunderts, die einen Bestandteil der Kanzel in der Kirche Hl. Gotthard in Krupa (Bez.Rakovnik) gebildet hat, woher sie am 11. 11. 1992 entwendet worden ist. Die Statue stellt Christus als Salvator Mundi dar, mit dem Erdball in linker Hand, er segnet mit rechter Hand. Auf der Rückseite ist die Plastik ausgehöhlt.“ In dem Schreiben wurde weiters festgehalten, dass „die Plastik Bestandteil eines beweglichen Kulturdenkmals war, das im Register der Kulturdenkmale unter Nummer 6698 eingetragen ist und das auseinander genommen wurde. In Übereinstimmung mit der Bestimmung § 2, Gesetz Nr. 101/2001 GBl. Über die Rückgabe von unrechtmäßig verbrachten Kulturgut, handelt es sich also um ein Kulturgut“.

Das österreichische Bundesdenkmalamt beantwortete dieses Schreiben erst am 14. April 2008 und erteilte ua Informationen über den Stand der Ermittlungen betreffend die beim Antragsgegner befindliche Statue.

Das Rekursgericht gab dem gegen diese Entscheidung gerichteten Rekurs der Antragstellerin nicht Folge.

Es ging rechtlich mit dem Erstgericht übereinstimmend davon aus, dass der Art 7 Abs 1 der Richtlinie umsetzende § 11 Abs 1 des KulturgüterrückgabeG ein Erlöschen des Rückgabeanspruchs binnen Jahresfrist ab Kenntnis des ersuchenden Mitgliedstaats vom Ort und Inhaber des Kulturgutes vorsehe. Dem ersuchenden Staat obliege der Beweis dafür, dass der Rückgabeanspruch infolge Ablaufs der Frist nicht bereits erloschen sei. Der Antragstellerin sei es im Provisorialverfahren nicht gelungen, dies zu bescheinigen, weil das Kulturministerium als zentrale Stelle Kenntnis iSd § 11 Abs 1 KulturgüterrückgabeG bereits mit dem Zugang des Schreibens des Polizeipräsidiums vom 31. Jänner 2007 gehabt habe. Sowohl in diesem Schreiben, als auch im Schreiben des Tschechischen Kulturministeriums vom 2. April 2007 sei nicht bloß ein Verdacht geäußert, sondern der Name des Antragsgegners konkret angeführt und festgehalten worden, dass sich die Statue in dessen Antiquitätengeschäft in Linz befinde. Die Antragstellerin hätte aufgrund dieser Informationslage spätestens ab dem Zeitpunkt des Zugangs des Schreibens vom 31. Jänner 2007 ein gerichtliches Rückgabebegehren zielführend geltend machen können. Durch das Antwortschreiben des Bundesdenkmalamts sei der Kenntnisstand der Antragstellerin nicht konkreter geworden. Dass eine letzte Gewissheit über die Identität der gestohlenen mit der aufgefundenen Statue nicht bestehe, weil der Antragsgegner in dieser Richtung Zweifel geäußert habe, könne den Beginn des Laufs der Frist des § 11 Abs 1 KulturgüterrückgabeG nicht hinausschieben. Diese Frist beginne demnach schon mit Erhalt des Schreibens vom 31. Jänner 2007 zu laufen, nicht erst mit dem Erhalt des Antwortschreibens des österreichischen Bundesdenkmalamts vom 14. April 2008. Weder nach dem Wortlaut des Art 7 der Richtlinie noch nach jenem des § 11 KulturgüterrückgabeG komme es darauf an, von wem der ersuchende Mitgliedstaat die nötigen Informationen darüber erhalten habe, wo und bei wem sich das Kulturgut befinde. Insbesondere sei beiden Bestimmungen nicht zu entnehmen, dass die Zentralstelle eines Mitgliedstaats diese Kenntnis nur von der Zentralstelle des anderen Mitgliedstaats erlangen könne. Ein derartiges - von der Rekurswerberin gewünschtes Auslegungsergebnis - lasse der Wortlaut der Richtlinie und auch des KulturgüterrückgabeG eindeutig nicht zu. Der Antrag auf Einholung einer Vorabentscheidung zu der Frage, ob für den Beginn der Frist des Art 7 Abs 1 der Richtlinie nur diejenige Kenntnis relevant sei, die einer zentralen Stelle des ersuchenden Mitgliedsstaats durch eine zentrale Stelle des ersuchten Mitgliedsstaats im Lauf der Zusammenarbeit iSd Art 4 Abs 1 vermittelt werde, sei deshalb zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist zulässig, weil eine Rechtsprechung zu Art 11 des KulturgüterrückgabeG nicht besteht; er ist aber nicht berechtigt.

1. Vorauszuschicken ist der unter den Parteien nicht strittige Umstand, dass ein im außerstreitigen Verfahren durchzusetzender Rückgabeanspruch (§ 10 Abs 1 KulturgüterrückgabeG) im Provisorialverfahren (nach den Bestimmungen der EO) gesichert werden kann (dazu 9 Ob 40/08k).

2. Vorerst ist auf die maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinie bzw des KulturgüterrückgabeG einzugehen:

2.1 Mit der Richtlinie wurden Bestimmungen geschaffen, die es den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ermöglichen, Kulturgüter, die aufgrund der jeweiligen nationalen Gesetze widerrechtlich in einen anderen Mitgliedstaat verbracht wurden, und die der geschädigte Staat vor oder nach der Verbringung als „nationales Kulturgut von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert“ eingestuft hat, von jedem Mitgliedstaat, in den die Kulturgüter verbracht wurden, zurückzufordern („ersuchender“ bzw „ersuchter“ Mitgliedstaat). Diese Zielsetzung der Richtlinie soll insbesondere durch eine verstärkte Zusammenarbeit von Mitgliedstaaten auf Verwaltungsebene erreicht werden. Nach Art 3 der Richtlinie hat jeder Mitgliedstaat eine oder mehrere zentrale Stellen zu benennen, die die in der Richtlinie vorgesehenen Aufgaben zwecks Förderung einer Kooperation der Mitgliedstaaten wahrzunehmen haben. Die Aufgaben sind ua Nachforschungen, Unterrichtung der betroffenen Mitgliedstaaten nach Auffinden eines verbrachten Kulturgutes sowie die Wahrnehmung der Rolle eines Vermittlers zwischen dem ersuchenden Mitgliedstaat und dem Eigentümer oder Besitzer. Die Tschechische Republik benannte als zentrale Stelle das Tschechische Kulturministerium, für Österreich werden diese Aufgaben ua vom Bundesdenkmalamt wahrgenommen (§ 4 Abs 1 Z 1 KuturgüterrückgabeG). Das Verwaltungsverfahren soll im Vorfeld der gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen dem ersuchenden Mitgliedstaat und dem jeweiligen Eigentümer bzw Besitzer der Durchsetzung des Rückgabeanspruchs des ersuchenden Mitgliedstaats dienen (9 Ob 40/08k). Führt die Zusammenarbeit auf Verwaltungsebene zu keinem Erfolg, dann kann der ersuchende Staat im ersuchten Staat gegen den jeweiligen Eigentümer bzw Besitzers des Kulturgutes eine Klage auf Rückgabe erheben (Art 5 der Richtlinie; Antrag auf Rückgabe gemäß § 9 Abs 1 KulturgüterrückgabeG). Nach Art 7 Abs 1 der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten in ihren Rechtsvorschriften vorzusehen, dass der Rückgabeanspruch gemäß der Richtlinie ein Jahr nach dem Zeitpunkt erlischt, zu dem der ersuchende Mitgliedstaat von dem Ort der Belegenheit des Kulturgutes und der Identität des Eigentümers oder Besitzers Kenntnis erhält.

2.2 Nach der Umsetzungsbestimmung des Art 11 Abs 1 leg cit erlischt der Anspruch des ersuchenden Mitgliedstaats auf Rückgabe des Kulturgutes ein Jahr nach dem Zeitpunkt, zu dem der ersuchende Mitgliedstaat davon Kenntnis erhalten hat, wo sich das Kulturgut befindet und wer es innehat. Nach § 12 Abs 1 Z 4 leg cit hat das Gericht eine Rückgabe mit Beschluss nur anzuordnen, wenn der Rückgabeanspruch noch nicht erloschen ist. Gemäß § 12 Abs 2 des Gesetzes obliegt der Beweis dafür, dass der Rückgabeanspruch noch nicht erloschen ist, dem ersuchenden Mitgliedstaat. Die Gesetzesmaterialien (RV 690 BlgNR 20. GP 20) zu § 11 erläutern, dass die in der Richtlinie vorgesehene, einjährige subjektive Frist eine Präklusionsfrist ist. „Kenntnis durch einen Mitgliedstaat“ sei erst gegeben, wenn die Kenntnisnahme durch eine zuständige Behörde erfolgt, also zB die Vertretungsbehörde im Ausland, den Zoll, oder eine „zentrale Stelle“. Die einjährige Frist solle erst ab jenem Zeitpunkt zu laufen beginnen, zu dem der ersuchende Mitgliedstaat davon Kenntnis erlangt hat, wo sich das Kulturgut befindet und wer es innehat. Erst ab diesem Zeitpunkt sei es dem ersuchenden Staat möglich, ein Rückgabebegehren zielführend geltend zu machen. Aufgrund der kurzen subjektiven Frist sei davon auszugehen, dass die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs sein Erlöschen verhindere. Nach § 12 Abs 2 KulturgüterrückgabeG hat der ersuchende Mitgliedstaat den Beweis für die Tatsachen, aus denen sich das Nichterlöschen des Rückgabeanspruchs ergibt, zu erbringen. Insoweit gilt hier, wenngleich sich das Verfahren über einen Rückgabeantrag sonst nach den allgemeinen Bestimmungen des Außerstreitgesetzes richtet (§ 10 Abs 1 letzter Satz KulturgüterrückgabeG), der Grundsatz der Amtswegigkeit des außerstreitigen Verfahrens nicht (RV 690 BlgNR 20. GP 21).

3. Eine oberstgerichtliche Rechtsprechung zu § 11 KulturgüterrückgabeG liegt nicht vor. Die bisher zum KulturgüterrückgabeG ergangenen Entscheidungen 9 Ob 40/08k und 10 Ob 20/08a befassen sich mit der hier entscheidungswesentlichen Frage, wann „Kenntnis“ iSd Art 7 Abs 1 der Richtlinie bzw nach der Umsetzungsnorm des § 11 Abs 1 darüber besteht, wo sich das Kulturgut befindet und wer es innehat, nicht.

4. Da sich der Begriff „Kenntnis“ auch nicht unter den in Art 1 der Richtlinie enthaltenen Begriffsbestimmungen bzw Definitionen findet, ist § 11 Abs 1 KulturgüterrückgabeG im Lichte des Wortlauts und des Zwecks des Art 7 Abs 1 der Richtlinie auszulegen. Die Auslegung hat möglichst so zu erfolgen, dass sie der Richtlinie entspricht bzw im Einklang mit dieser erfolgt (RIS-Justiz RS0111214 [T13, T17]). Schon aus dem Sinngehalt des Wortes „Kenntnis“ lässt sich ableiten, dass darunter nur objektives, auf sicheren Grundlagen beruhendes Wissen über die maßgeblichen Tatumstände zu verstehen ist. Der bloße Verdacht bzw Vermutungen darüber, wo sich das Kulturgut befindet und wer es innehat, ist der Kenntnis hingegen nicht gleichzusetzen. Im Hinblick auf das in den Erwägungsgründen festgehaltene Ziel der Richtlinie, die Durchführung der Rückgaberegelung so einfach und wirksam wie möglich zu gestalten sowie den aus Art 7 Abs 1 hervorleuchtenden Zweck, die Dauer des dem gerichtlichen Rückgabeantrag vorgeschalteten Verwaltungsverfahrens mit einem Jahr zu begrenzen, ist davon auszugehen, dass dem ersuchenden Mitgliedstaat die maßgeblichen Tatumstände so weit bekannt sein müssen, dass der gerichtliche Rückgabeantrag mit Aussicht auf Erfolg („zielführend“) erhoben werden kann. Ist das Verwaltungsverfahren nach Art 4 der Richtlinie bereits eingeleitet, ist eine längere Zeit ausstehende Antwort der zentralen Stelle des ersuchten Staats dann nicht abzuwarten, wenn schon zuvor gesicherte Kenntnisse darüber vorliegen, wo sich das Kulturgut befindet und wer es innehat. Es darf nicht bis zur völligen Gewissheit über den positiven Ausgang des Verfahrens über den zu stellenden gerichtlichen Rückgabeantrag zugewartet werden. Bloße Zweifel an der Erweisbarkeit des bereits bekannten, anspruchsbegründenen Sachverhalts sind demnach nicht geeignet, den Fristbeginn hinauszuschieben.

5. Gemäß § 12 Abs 2 KulturgüterrückgabeG hätte die Antragstellerin im vorliegenden Provisorialverfahren zu bescheinigen gehabt, dass sie am 2. April 2007 (dem Zeitpunkt der Verfassung des Schreibens an das österreichische Bundesdenkmalamt) über keine „Kenntnis“ in diesem Sinn verfügte und mangels ausreichend sicherer Informationen noch nicht imstande war, den Rückgabeantrag zielführend, also mit Aussicht auf Erfolg, zu stellen. Auch wenn man davon ausgeht, dass die Einjahresfrist kurz bemessen ist und daher an die Anforderungen hinsichtlich der Kenntnisse des ersuchenden Staats kein allzu strenger Maßstab anzulegen ist, ist ihr diese Bescheinigung im Provisorialverfahren nicht gelungen. Wie schon die Vorinstanzen erkannten, ergibt sich aus dem Inhalt des Schreibens an das Bundesdenkmalamt, dass bei den zuständigen Mitarbeitern des Kulturministeriums der Tschechischen Republik nicht nur die bloße Vermutung oder der Verdacht der Verwirklichung eines Rückgabetatbestands bestand, sondern aufgrund einer Mitteilung des Polizeipräsidiums in Prag und Ermittlungen des Nationalen Denkmalinstituts bereits Kenntnis darüber gegeben war, dass sich die Statue in Linz beim Antragsgegner befindet. Wenn die Antragstellerin dennoch vorbringt, sie habe - subjektiv - mit diesem Schreiben nur ihrem bloßen Verdacht Ausdruck verleihen wollen, die Statue könnte sich in Österreich befinden, ist dies aus dessen Textierung nicht erkennbar. Das Schreiben ist vielmehr dahin zu verstehen, dass es der Antragstellerin vor allem darum ging, das dem gerichtlichen Rückgabeantrag vorgeschaltete Verwaltungsverfahren einzuleiten und das Bundesdenkmalamt zu ersuchen, seine Aufgaben als Vermittler zwischen ihr und dem Besitzer der Statue wahrzunehmen. Sobald sich - infolge Ausbleibens der Antwort des österreichischen Bundesdenkmalamts - abzeichnete, dass das Verwaltungsverfahren innerhalb der in § 11 Abs 1 KulturgüterrückgabeG normierten Jahresfrist nicht mit der Rückgabe der Statue erfolgreich beendet werden wird, hätte die Antragstellerin den gerichtlichen Rückgabeantrag einzubringen gehabt. Nur so hätte das Erlöschen des im KulturgüterrückgabeG vorgesehenen Rückgabeanspruchs infolge Ablaufs der Jahresfrist verhindert werden können.

6. Dass - wie die Antragstellerin vermeint -, die Einjahresfrist deshalb nicht zu laufen begonnen habe, weil „Kenntnis“ des ersuchenden Staats darüber, wo sich das Kulturgut befindet und wer es innehat iSd § 11 Abs 1 KulturgüterrückgabeG ausschließlich dann anzunehmen sei, wenn dies dessen zentraler Stelle im Rahmen des Verwaltungsverfahrens von der zentralen Stelle des ersuchten Staats mitgeteilt wurde, lässt sich weder aus dem Wortlaut des Art 7 der Richtlinie noch jenem des § 11 Abs 1 KulturgüterrückgabeG ableiten. Beide Regelungen enthalten nichts dazu, auf welchem Wege oder in welcher Form der ersuchende Staat diese Informationen erlangt. Auch in ihrem Revisionsrekurs führt die Antragstellerin für diese Ansicht keine stichhaltigen Argumente ins Treffen. Stehen - wie im vorliegenden Fall - die Informationen, wo sich das Kulturgut befindet und wer es innehat, der zentralen Stelle des ersuchenden Staats bereits zur Verfügung, ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen zusätzlich eine „Bestätigung“ der Richtigkeit dieser Informationen durch die zentrale Stelle des ersuchten Staats nötig sein sollte. Um eine solche Bestätigung hatte die Antragstellerin auch gar nicht ersucht. Unter Bezug auf die Mitteilung des Polizeipräsidiums vom 2. Februar 2007 stellte sie vielmehr als feststehenden Sachverhalt fest, dass „sich die Plastik aktuell im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Österreich befindet“, im Geschäft des Antragsgegners „zum Verkauf angeboten wurde“ und ersuchte das Bundesdenkmalamt „um Zusammenarbeit bei der Rückgabe der entwendeten Plastik“. Zu dieser Zusammenarbeit wurden nur die folgenden Fragen gestellt: Wer ist der gegenwärtige Eigentümer der Plastik?; wie hat er die Plastik erworben?; ist der Eigentümer bereit, über die Herausgabe zu verhandeln? Mit ihrem Schreiben bekundete die Antragstellerin also selbst ihre Kenntnis über die einzig maßgeblichen Umstände, wo sich das Kulturgut befindet und wer es innehat.

Keine plausible Begründung ist weiters dafür ersichtlich, dass es für die erfolgversprechende Geltendmachung des Rückgabeantrags einen Unterschied bedeuten könnte, ob sich die Statue im Antiquitätengeschäft des Antragsgegners oder in dessen Privatwohnung befindet. Auch dem Argument, der Beginn des Fristenlaufs werde dadurch hinausgeschoben, dass der Antragsgegner die Identität der gestohlenen und der bei ihm befindlichen Statue bestritten hat, kann nicht gefolgt werden. Selbst wenn dadurch bei den Mitarbeitern der zentralen Stelle des ersuchenden Staats nachträglich Zweifel an der Erweisbarkeit des bereits bekannten Sachverhalts begründet worden sein sollten, verkennt die Revisionsrekurswerberin, dass sie mit der Erhebung des gerichtlichen Rückgabeantrags nicht zuwarten durfte, bis Gewissheit über dessen Erfolg besteht.

Nach dem im Provisorialverfahren als bescheinigt angenommenen Sachverhalt ist der Rückgabeanspruch infolge Ablaufs der in § 11 Abs 1 KulturgüterrückgabeG normierten Jahresfrist als erloschen anzusehen.

7. Der Antrag auf Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu der Frage, ob für den Beginn der Frist des Art 7 Abs 1 der Richtlinie nur diejenige Kenntnis relevant sei, die einer zentralen Stelle des ersuchenden Mitgliedstaats durch eine zentrale Stelle des ersuchten Mitgliedstaats im Lauf der Zusammenarbeit iSd Art 4 Abs 1 vermittelt werde, ist nach ständiger Rechtsprechung mangels Antragslegitimation zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0058452). Die angeregte Fragestellung an den Europäischen Gerichtshof ist aus den schon dargelegten Gründen iSd acte clair-Theorie (6 Ob 310/00g; 1 Ob 216/02z) nicht erforderlich. Wortsinn und Regelungszweck der Bestimmung über den Anspruchsverlust sind nicht zweifelhaft und sprechen klar gegen das von der Revisionsrekurswerberin angestrebte Auslegungsergebnis.

8. Der erkennende Senat gelangt zusammenfassend zu folgendem Ergebnis:

Nach § 11 Abs 1 KulturgüterrückgabeG präkludiert der Rückgabeanspruch nach Ablauf eines Jahres ab Kenntnis des ersuchenden Staats darüber, wo sich das Kulturgut befindet und wer es innehat. Auf welche Weise die Zentralstelle des ersuchenden Staats diese einen erfolgversprechenden Rückgabeantrag ermöglichende Kenntnis erlangt ist nicht relevant, insbesondere bedarf es keiner (bestätigenden) Mitteilung des ersuchten Staats. Auch im Provisorialverfahren hat der ersuchende Staat nachzuweisen (§ 12 Abs 2 leg cit), dass der Rückgabeanspruch nicht erloschen (präkludiert) ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 14 Abs 1 KulturgüterrückgabeG iVm § 393 Abs 1 EO. Dem im Provisorialverfahren obsiegenden Antragsgegner sind die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.

Textnummer

E95427

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0030OB00111.10K.1013.000

Im RIS seit

18.11.2010

Zuletzt aktualisiert am

22.02.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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