Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner als Vorsitzenden und die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr.Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Helmut R*****, vertreten durch Dr. Thaddäus Schäfer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei R***** reg.Gen.m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Josef Kurz, Rechtsanwalt in Silz, und des Nebeintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Univ.-Prof. Dr. H***** S*****, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unzulässigkeit der Exekution (§ 36 EO) und Einwendungen gegen den Anspruch (§ 35 EO), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 23. April 2010, GZ 2 R 109/09g-17, womit das Urteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 7. Jänner 2009, GZ 2 C 126/08i-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die beklagte Bank führt aufgrund eines Vergleichs vom 23. Juni 1995 Exekution durch Zwangsversteigerung. Das Berufungsgericht wies die auf die §§ 35 f EO gestützten und mit der prozessualen und materiellen Unwirksamkeit des Vergleichs begründeten Klagebegehren (die Exekution sei unzulässig; der betriebene Anspruch sei erloschen; hilfweise, die beklagte Partei sei schuldig, in die Löschung der Pfandrechte einzuwilligen) ab.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist mangels erheblicher Rechtsfragen unzulässig:
1. Es entspricht herrschender Rechtsprechung, dass die prozessuale Wirksamkeit des Vergleichs und die Frage, ob der abgeschlossene gerichtliche Vergleich ein Exekutionstitel iSd § 1 Z 5 EO bildet, ausschließlich nach Prozessrecht zu beurteilen ist (RIS-Justiz RS0032464); die prozessuale Unwirksamkeit des Vergleichs kann durch die Parteien mittels eines Fortsetzungsantrags geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0000093; Gitschthaler in Rechberger, ZPO3 §§ 204-206 Rz 11, Klicka in Fasching/Konecny2 §§ 204-206 Rz 37). Die Frage der prozessualen Unwirksamkeit des Vergleichs infolge Missachtung der Protokollierungsvorschriften ist demnach durch Antrag auf Fortsetzung im ursprünglichen Verfahren zu klären (7 Ob 621/85 = SZ 58/151; 6 Ob 49/00z). Dem Kläger steht auch der Einstellungsantrag nach § 39 Abs 1 Z 10 EO offen. Zur Frage, ob zur Geltendmachung formeller Mängel eines gerichtlichen Vergleichs eine selbstständige Feststellungsklage zur Verfügung stehe, geht Fasching in seinem Lehrbuch noch davon aus, die österreichische Rechtsprechung bejahe dies, verweist aber zugleich darauf, dass in der Entscheidung SZ 58/151 ein Antrag auf Fortsetzung des ursprünglichen Verfahrens für zulässig erklärt wurde (Fasching, Zivilproezssrecht2 Rz 1363). Ballon meint unter Bezugnahme auf die Ausführungen Faschings, die Unwirksamkeit aus prozessualen Gründen könnte mit Feststellungsklage oder Fortsetzungsantrag geltend gemacht werden (Ballon, Einführung in das österreichische Zivilprozessrecht - Streitiges Verfahren12 Rz 279). Dem ist die Rechtsprechung im Einklang mit den schon zitierten gegenteiligen Lehrmeinungen nicht gefolgt. In der Entscheidung 6 Ob 49/00z wurde explizit ausgesprochen, die prozessuale Unwirksamkeit des Vergleichs könne ausschließlich mit einem Fortsetzungsantrag geltend gemacht werden.
Ob der Vergleich aufgrund Missachtung der Vorschriften über die Protokollierung formell nicht wirksam zu Stande gekommen ist, unterfällt jedenfalls keinem der Klagstatbestände nach § 36 Abs 1 Z 1 EO, weil keine Streitigkeit über den Ablauf der Leistungsfrist oder den Eintritt einer Bedingung (oder die Rechtsnachfolge) besteht. Für die nach Ansicht des Revisionswerbers doch gegebene Möglichkeit, die prozessuale Unwirksamkeit des Vergleichs mit Impugnationsklage geltend zu machen, führt er ins Treffen, auch die Exekutionskraft eines Notariatsakts (wegen Nichteinhaltung der §§ 52 ff der Notariatsordnung) sei mit Vollstreckungsgegenklage bekämpfbar (Art XVII EGEO; Jakusch in Angst, EO2 Art XVII EGEO, Rz 1). Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass die mangelnde prozessbeendende Wirkung eines gerichtlichen Vergleichs mit Impugnationsklage geltend gemacht werden könnte, ist doch dem Notariatsakt kein Verfahren vorausgegangen, das nach den für den Gerichtsvergleich maßgeblichen §§ 204 ff ZPO beendet wurde und fortgesetzt werden könnte.
Dem Argument, die beklagte Partei habe die Zulässigkeit einer „Vollstreckungsbekämpfungsklage“ nicht bestritten, ist zu erwidern, dass es sich dabei um eine dem Prozessrecht zuzuordnende Frage handelt, die der Parteiendisposition nicht zugänglich ist. Es geht weder um die Anerkennung eines materiell-rechtlichen Anspruchs, noch um das Zugeständnis entscheidungsrelevanter Tatsachen iSd §§ 266, 267 ZPO.
2. Zum Revisionsvorbringen, der Vergleich sei auch materiell unwirksam ist auszführen:
Ein prozessual unwirksamer Vergleich ist grundsätzlich als materiell-rechtliches Geschäft weiter wirksam (Klicka aaO), es sei denn, aus der Parteienvereinbarung oder den eindeutigen Parteiinteressen wäre erkennbar, dass mit dem Wegfall der prozessualen Seite des Vergleichs auch die materiell-rechtliche Übereinkunft hinfällig sein soll. Davon kann aber im Fall der prozessualen Unwirksamkeit des Vergleichs infolge eines Verstoßes gegen die in § 212 Abs 6 ZPO festgelegten Formvorschriften nicht ausgegangen werden. Dem Kläger stand daher die Möglichkeit offen, etwaige materielle Mängel des Vergleichs im Sinn einer anfänglichen Unwirksamkeit mit selbstständiger Klage geltend zu machen. In Frage kommen die Klage auf Unwirksamerklärung des Vergleichs, ein bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch oder die Neueinklagung der ursprünglichen Ansprüche (Klicka in Fasching/Konecny2 §§ 204-206 Rz 44 f). Die Oppositionsklage gemäß § 35 EO ist für die Bekämpfung von Anfang an materiell fehlerhafter Vergleiche hingegen nicht der richtige Behelf (Klicka aaO, Rz 46), weil diese Klage rechtserhebliche Tatsachen voraussetzt, die nach Entstehung des Vergleichs eingetreten sind. Einen derartigen nachträglichen Sachverhalt konnte der Kläger aber nicht nachweisen.
Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Schlagworte
5 Exekutionssachen,Textnummer
E95290European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0030OB00171.10H.1013.000Im RIS seit
05.11.2010Zuletzt aktualisiert am
18.04.2011