TE OGH 2010/10/19 10Ob66/10v

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Veröffentlicht am 19.10.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen M*****, geboren am 31. Juli 1996, *****, vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie - Rechtsvertretung Bezirk 21, Am Spitz 1, 1210 Wien), über den Revisionsrekurs des Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 27. Mai 2010, GZ 43 R 203/10m-52, womit der Rekurs der Minderjährigen gegen das E-Mail des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 18. Februar 2010, GZ 16 PU 162/09h-42, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der Minderjährige lebt als Sohn von E***** und H***** bei der obsorgeberechtigten Mutter.

Mit Beschlüssen vom 10. 4. 2008 (ON U18) und 13. 5. 2008 (ON U19) erhöhte das Erstgericht die monatliche Unterhaltsleistung des Vaters und die in Titelhöhe gewährten Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG auf jeweils 230 EUR ab 1. 12. 2007.

Das Erstgericht setzte mit rechtskräftigem Beschluss vom 20. 3. 2009 (ON U26) den Unterhaltsvorschuss gemäß § 7 Abs 1 UVG auf monatlich 125 EUR ab 1. 3. 2009 herab. Der seit 21. 2. 2009 arbeitslos gemeldete Vater erhalte täglich 25,75 EUR. Der Familienzuschlag von täglich 0,97 EUR werde an den Jugendwohlfahrtsträger „abgezweigt“.

Mit E-Mail vom 26. 8. 2009 (ON 36) ersuchte das Erstgericht um Aufhebung der am 11. 8. 2009 telefonisch angeordneten Innehaltung („auf 29 EUR“ [ON 32]). Grund: Der monatliche Unterhaltsvorschussbetrag liege trotz des Krankengeldbezugs des Unterhaltsschuldners in dessen Leistungsfähigkeit. In der Folge hielt das Erstgericht fest, es bestünden „Keine Bedenken im Sinne des § 7 Abs 1 UVG (UV-Betrag 125 EUR, Bmgrl. 785 EUR) Anspannung“ (AV vom 14. 1. 2010 [ON 39]).

Nach Erhalt des Versicherungsdatenauszugs des Vaters vom 16. 2. 2010 (ON 41), ersuchte das Erstgericht mit folgendem, an „OLGWIEN.UVG@justiz.gv.at“ gerichteten E-Mail vom 18. 2. 2010 „ab März 2010 um Innehaltung der Unterhaltsvorschuss-Auszahlung ab einem Betrag von 30 EUR. Grund: Überprüfung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners; dieser bezieht Pensionsvorschüsse in noch unbekannter Höhe. Danke“ (ON 42).

Das Rekursgericht wies den dagegen erhobenen Rekurs des Minderjährigen zurück. Es vertrat den Standpunkt, das E-Mail stelle nach Form und Inhalt sowie der (mangelnden) Zustellverfügung gerade nicht jenen Beschluss dar, den § 16 Abs 2 UVG idF FamRÄG 2009 nunmehr ausdrücklich fordere. Auch eine Umdeutung des E-Mails in einen Beschluss sei nicht zulässig und würde den gesetzlichen Intentionen nicht entsprechen. Das Erstgericht habe hier erkennbar im formlosen Weg, ohne Beschlussfassung, eine Innehaltung der Vorschüsse anordnen wollen, wie es das Gesetz nunmehr verbiete. Der Präsident des Oberlandesgerichts habe derartige formlose Verständigungen als unbeachtlich zu qualifizieren. Das „angefochtene E-Mail“ könne nicht mehr saniert werden. Es weise keine Beschlussqualität auf und könne diese auch nicht mehr erlangen. Ebenso wie ein Telefonanruf bei der UVG-Abteilung (43 R 256/10f des Rekursgerichts [bzw 10 Ob 61/10h des Obersten Gerichtshofs]) sei auch das vorliegende E-Mail unanfechtbar.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur neuen Problematik des § 16 Abs 2 UVG noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Gegen den Zurückweisungsbeschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass die angefochtene Innehaltung ersatzlos behoben werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Das Rechtsmittel wendet sich gegen die Verneinung der Beschlussqualität der Innehaltungsanordnung und vertritt den Standpunkt, das E-Mail sei deshalb als Beschluss zu werten, weil die Minderjährige andernfalls gegen „solche Vorgehensweisen“ schutzlos wäre.

Hiezu wurde erwogen:

1. Die seit 1. 1. 2010 geltende Neufassung des § 16 Abs 2 UVG (der hier iVm § 19 Abs 4 UVG anzuwenden ist) führt - wie das Rekursgericht zutreffend aufzeigt - zu einer „Neubewertung“ formloser Innehaltungsanordnungen. Diese können nicht mehr - wie nach der bisherigen Rsp (vgl zur alten Rechtslage: RIS-Justiz RS0076687 [T1] = 10 Ob 111/08h mwN) - als Beschlüsse behandelt werden; nach dem geänderten Text des § 16 Abs 2 Satz 1 UVG hat das Gericht nämlich nunmehr: „unverzüglich mit Beschluss anzuordnen, dass ... innegehalten wird“, wobei gerade die zuvor nicht in der Bestimmung enthaltenen Worte „mit Beschluss“ eingefügt wurden.

2. Nach den Materialien zum FamRÄG 2009 (IA 673/A 24. GP, 44) wurde damit „nun ausdrücklich klargestellt, dass die Anordnung der Innehaltung mit Beschluss zu erfolgen hat. Diese Ergänzung soll insbesondere der Praxis entgegenwirken, welche vermehrt eine bloß faktische Innehaltung mit der Auszahlung der Vorschüsse ohne entsprechende Beschlussfassung verfügt“.

3. Diesem Anliegen des Gesetzgebers ist das Rekursgericht gefolgt, indem es das bekämpfte E-Mail nach seiner Form und seinem Inhalt sowie angesichts der fehlenden Zustellverfügung dahin beurteilt hat, dass es „gerade nicht“ den nunmehr von § 16 Abs 2 Satz 1 UVG geforderten Beschluss darstelle und auch die Möglichkeit einer Umdeutung (iSd zur früheren Rechtslage bestehenden, nicht mehr anwendbaren Rsp) zu verneinen sei; wollte doch das Erstgericht ganz offensichtlich im formlosen (nicht mehr zulässigen) Weg, also ohne formelle Beschlussfassung, eine Innehaltung der Unterhaltsvorschüsse anordnen, was nunmehr auch vom Adressaten (dem Präsidenten des OLG Wien als Vertreter des Bundes) als unbeachtlich zu qualifizieren ist.

4. Wie bereits ausgeführt wird durch § 16 Abs 2 Satz 1 UVG idF KindRÄG 2009 klargestellt, dass die Innehaltung generell mit Beschluss anzuordnen ist und nicht durch faktisches Vorgehen, zB durch einen Anruf beim Präsidenten des Oberlandesgerichts (Neumayr, Änderungen des UVG mit dem FamRÄG 2009, ÖJZ 2010, 164 [168]). Die den zitierten Materialien zu § 16 Abs 2 Satz 1 UVG idF KindRÄG 2009 zu entnehmende Intention des Gesetzgebers war ausdrücklich darauf gerichtet, der rein faktischen Innehaltung ohne Beschlussfassung „entgegenzuwirken“.

5. Demgemäß ist die bekämpfte Beurteilung, dass ein formloses Ersuchen um Innehaltung mit der Auszahlung der Unterhaltsvorschüsse (mit E-Mail) keine Rechtswirkungen entfaltet und daher nicht angefochten werden kann (Kodek in Rechberger³ Vor § 514 ZPO Rz 1; Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 Vor § 514 ff ZPO Rz 26), zu billigen. Eines Schutzes der Minderjährigen gegen „solche Vorgehensweisen“ (wie vom Revisionsrekurs angestrebt) bedarf es nicht, weil diese ohnehin bedeutungslos sind.

Der Revisionsrekurs muss daher erfolglos bleiben.

Schlagworte

Zivilverfahrensrecht,Unterhaltsrecht

Textnummer

E95475

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0100OB00066.10V.1019.000

Im RIS seit

22.11.2010

Zuletzt aktualisiert am

22.02.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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