Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Sabine D*****, vertreten durch Dr. Martin Baldauf, Rechtsanwalt in Innsbruck und des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei Univ.-Prof. Dr. Kurt W. S*****, vertreten durch Dr. Hannes Paulweber, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei R***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Sparer, Rechtsanwalt in Innsbruck, sowie die Nebenintervenientinnen auf Seiten der beklagten Partei 1. Ing. Hans B***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Georg Petzer, Dr. Herbert Marschitz, Dr. Peter Petzer und Mag. Hannes Bodner, Rechtsanwälte in Kufstein, und 2. T***** GmbH *****, vertreten durch Dr. Roland Kometer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 170.711,66 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR) infolge außerordentlicher Revision der 2. Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 28. Juni 2010, GZ 3 R 50/10t-66, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Es entspricht der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung, dass bei der Beschädigung von Liegenschaften, insbesondere von Gebäuden, dem Vorrang der Naturalrestitution im besonderen Maße Geltung zu verschaffen ist, wobei der Tunlichkeit der Wiederherstellung keine zu engen Grenzen gesetzt werden. Entscheidet sich der Geschädigte für die Wiederherstellung, kommt somit auch der Zuspruch eines Schadenersatzbetrags in Betracht, der die durch die Beschädigung verursachte reine Wertminderung übersteigt. Bei solchen Sachen ist ähnlich wie bei Sachen ohne Verkehrswert zu fragen, ob ein verständiger Eigentümer in der Lage des Geschädigten, ob also ein wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch, der den Schaden selbst zu tragen hätte, ebenfalls die Aufwendungen machen würde (RIS-Justiz RS0053282). Dass hier eine Wiederherstellung wirtschaftlich unvernünftig wäre, versucht die Revisionswerberin gar nicht zu begründen. Sie berücksichtigt auch in keiner Weise, dass es sich um einen Schaden handelt, der der Eigentümergemeinschaft insgesamt zugefügt wurde.
Aus welchem Grund im vorliegenden Fall von diesen Grundsätzen abgegangen werden sollte, legt der Revisionswerber nicht nachvollziehbar dar. Ob es sich - wie in der Revision behauptet wird - um einen „Investitionsgegenstand für die Klägerin“ handelt, ist schon deshalb ohne Bedeutung, weil der Schaden ja bereits vor ihrem Erwerb der Liegenschaftsanteile eingetreten ist und sie - mit Ausnahme der eigens zu behandelnden entgangenen Mietzinse - Ersatzansprüche geltend macht, die ihr von der Eigentümergemeinschaft abgetreten wurden. Der Hinweis, dass in bestimmten Fällen der Zuspruch fiktiver Reparaturkosten in voller Höhe ausgeschlossen ist, wenn feststeht, dass die Reparatur gar nicht durchgeführt wird, ist unverständlich, begehrt die Klägerin doch einerseits gar nicht die vollständigen Neuerrichtungskosten und besteht andererseits kein Grund, an der Wiederherstellungsabsicht zu zweifeln, zumal die Revisionswerberin dazu nichts ausführt.
2. Wenn die Revisionswerberin die Auffassung vertritt, wegen des schadenersatzrechtlichen Bereicherungsverbots werde der entstandene Schaden schon dadurch ausreichend ausgeglichen, dass der Klägerin die „reine Vorfinanzierung“ der (gesamten) Neuerrichtungskosten ersetzt wird, ist nicht erkennbar, inwieweit dafür für die Beklagte etwas gewonnen sein sollte, wird doch nicht dargelegt, dass diese Kosten geringer wären, als der der Klägerin zuerkannte Gesamtbetrag (ohne Berücksichtigung des Mietzinsentgangs). Der Verweis auf die Lehrmeinung von Ch. Huber (Schadensberechnung2, 179), wonach das Integritätsinteresse des Geschädigten bereits dadurch voll befriedigt werde, dass ihm in Bezug auf den gesamten für die Reinvestition erforderlich werdenden Betrag alleine die Vorfinanzierungskosten zugesprochen werden, übersieht offenbar, dass der genannte Autor den Begriff der „Vorfinanzierungskosten“ mit einem anderen Inhalt belegt, als dies die Klägerin und das Erstgericht (sowie auch der Sachverständige) getan haben; ermittelt wurden nämlich alleine die „Vorfinanzierungskosten“ für die erstmalig vorgezogene Reinvestition (Neuherstellung des Gebäudes nach Ablauf der Bestanddauer), wogegen Huber (aaO FN 222) die Auffassung vertritt, bei der Ermittlung der Vorfinanzierungskosten müsste auch berücksichtigt werden, dass alle künftigen Reinvestitionen zeitlich entsprechend vorgezogen werden müssen.
3. Auch davon, dass die Klägerin durch die von den Vorinstanzen vorgenommene Schadensberechnung bereichert wäre, weil sie durch den Klagszuspruch im Endeffekt über ein neues Gebäude mit einer längeren Nutzungsdauer verfügen werde, kann nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Abgesehen davon, dass bei der Schadensberechnung die Vorfinanzierungskosten für die zukünftigen, jeweils zeitlich vorzuziehenden Reinvestitionen nicht berücksichtigt wurden, negiert die Revisionswerberin auch, dass die Klägerin für die Neuerrichtung ohnehin eigene Finanzmittel in nicht unerheblichem Ausmaß aufwenden wird müssen. Warum sie auch unter diesen Umständen durch die frühere Neuherstellung bereichert sein sollte, wird nicht erörtert.
4. Bei ihren Berechnungen über die Gesamt- bzw anteilige Restnutzungsdauer des zerstörten Gebäudes vor der Beschädigung geht die Revision vom festgestellten Sachverhalt ab, nach dem das Gebäude - ohne die Beschädigung, aber auch ohne weitere Investitionen - eine Nutzungsdauer noch bis 2040 gehabt hätte. Auf dieser Basis wurde auch der Gebäudezeitwert berechnet. Die in der Revision angestellte Berechnung über den vermeintlichen Ablauf von bereits 78 % der Gesamtnutzungsdauer lässt außer Acht, dass sich diese aufgrund bereits vorgenommener Investitionen erheblich verlängert hatte, nämlich eben bis zum Jahr 2040.
5. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Klägerin abgesehen von der real eingetretenen Wertminderung auch noch jenen Betrag als Schadenersatz zuzusprechen, mit dem sie wegen der um rund 30 Jahre vorgezogenen Neuerrichtung des Gebäudes zusätzlich belastet wird („Vorfinanzierungskosten“), entspricht der einschlägigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung (vgl nur SZ 56/126; weitere Nachweise etwa in 4 Ob 98/01t) die im Ansatz auch mit maßgeblicher Judikaturstimme im Einklang steht (vgl nur Koziol JBl 1965, 337 ff ua).
Die Frage, ob die der Klägerin bereits als Teilleistungen auf ihren Schadenersatzanspruch zugekommenen Beträge ihre Vorfinanzierungskosten mindern, weil sie über den Gesamtbetrag von 105.000 EUR bereits verfügen kann, haben die Vorinstanzen im Ergebnis dahin gelöst, dass sie diese Teilzahlungen auf die reine Wertminderung angerechnet haben, womit sich der Finanzierungsbedarf für die darüber hinausgehenden Neuerrichtungskosten nicht verringert. Ein solches Vorgehen erscheint schon deshalb unbedenklich, weil die Beklagte im Verfahren erster Instanz die Notwendigkeit einer Neuherstellung überhaupt bestritten und darüber hinaus ausdrücklich darauf hingewiesen hat, durch die Zahlungen seien die durch die Setzung des Gebäudes entstandenen Schäden jedenfalls ausgeglichen (ON 11). Warum unter diesen Umständen die Anrechnung der Teilzahlungen von 105.000 EUR auf den reinen Sachschaden von zumindest 135.000 EUR (Zeitwert) unrichtig sein sollte, führt die Revisionswerberin nicht aus. Dann kann aber auch keine Rede davon sein, dass sich durch diese Zahlungen der vorzufinanzierende Betrag vermindern würde, haben die Vorinstanzen doch - der Berechnungsweise der Klägerin folgend - die Vorfinanzierungskosten nur für den über den Zeitwert (und die Abbruchkosten) hinausgehenden Betrag von 128.250 EUR berechnet.
6. Dem Anspruch der Klägerin auf Ersatz der entgangenen Mieteinnahmen hält die Revisionswerberin unter anderem entgegen, die Klägerin habe bewusst ein bereits unvermietbares Kaufobjekt erworben, sodass sie nun auch keinen Mietzinsentgang zu beklagen habe. Dabei wird allerdings übersehen, dass der Schaden bereits bei der Voreigentümerin des Objekts eingetreten ist, die dieses vorher um ein Monatsmietzins von 1.000 EUR vermietet hat und es ohne Beschädigung auch weiterhin um einen solchen Mietzins vermieten hätte können. Dieser Nachteil wäre jedenfalls vom Schädiger zu ersetzen gewesen. Warum sich daran durch einen Wechsel in der Person des Wohnungseigentümers etwas ändern sollte, ist nicht nachvollziehbar, ändert sich daran doch weder etwas an der Zurechnung der eingetretenen Nachteile an den Schädiger noch an der dadurch verursachten Unmöglichkeit, aus der Vermietung des Objekts Einnahmen zu erzielen. Die Rechtsauffassung des Revisionswerbers liefe darauf hinaus, dass der Schädiger allein wegen des Verkaufs eines von ihm beschädigten Gebäudes von seiner Verpflichtung zum Ersatz der dem Eigentümer entgehenden Einnahmen befreit wäre. Eine Begründung dafür vermag die Revisionswerberin allerdings nicht zu geben.
7. Unberechtigt ist auch der Vorwurf der Verletzung einer Schadensminderungspflicht durch die Klägerin mit der Begründung, diese hätte bereits während des laufenden Prozesses für eine Wiederherstellung des Objekts - und damit für eine Beendigung des Mietzinsausfalls - sorgen müssen. Dabei wird vor allem übersehen, dass der Geschädigte grundsätzlich nicht verpflichtet ist, zur Geringhaltung seines Schadens erhebliche eigene Mittel aufzuwenden. Vielmehr wäre es an der Beklagten gelegen, eine rasche Wiederherstellung durch Befriedigung der Schadenersatzansprüche der Klägerin zu ermöglichen. Warum sich an der Situation etwas geändert hätte, wenn die Klägerin einen Beweissicherungsantrag gestellt hätte, ist nicht zu erkennen. Ebensogut hätte doch die Beklagte - wenn sie sich über den Umfang ihrer Leistungspflicht im Unklaren ist - einen Beweissicherungsantrag stellen und daraus die entsprechenden Konsequenzen ziehen können. Die Auffassung des Berufungsgerichts, es könne der Klägerin nicht der Vorwurf einer schuldhaften Verletzung ihrer Schadensminderungspflicht gemacht werden, wenn sie unter den gegebenen Umständen - insbesondere der Weigerung der Beklagten, vollen Schadenersatz zu leisten - mit der Wiederherstellung auf (weitgehend) eigene Kosten zugewartet hat und diese erst in Angriff nehmen wird, wenn sie über das vollständige Schadenersatzkapital verfügt, ist keineswegs als korrekturbedürftige Fehlbeurteilung anzusehen.
8. Was letztlich die Bekämpfung der vom Erstgericht zuerkannten vorprozessualen Kosten betrifft, unterliegt die Revisionswerberin offenbar einem grundlegenden Rechtsirrtum. Auch wenn es unter bestimmten Umständen möglich sein kann, den Obersten Gerichtshof anzurufen, wenn die Rechtsnatur eines streitverfangenen Anspruchs als Kostenbegehren strittig ist, ändert dies nichts daran, dass ein Zuspruch einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen ist, wenn dieser in Form einer formellen Prozesskostenentscheidung ergangen ist. In einem solchen Fall kann der Oberste Gerichtshof auch gegen eine Entscheidung über vorprozessuale Kosten nicht angerufen werden (RIS-Justiz RS0044200; vgl auch RS0043873).
Textnummer
E95392European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0010OB00163.10T.1020.000Im RIS seit
16.11.2010Zuletzt aktualisiert am
07.03.2012