TE Vwgh Erkenntnis 2001/1/30 2000/01/0080

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Veröffentlicht am 30.01.2001
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §71 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Mairinger und Dr. Köller als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des EJ in G, geboren am 20. März 1975, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 31. Jänner 2000, Zl. 212.525/0-V/13/99, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in den Spruchteilen 2 und 3 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 20. März 1975 geborene Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Gambia, reiste am 14. September 1998 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag (unbeschadet des an einer Stelle der Begründung des angefochtenen Bescheides unrichtig angeführten Datums: 15. September 1998) einen Asylantrag. Er brachte im Wesentlichen vor, der "UDP" angehört und mit anderen Mitgliedern dieser Vereinigung an einer Demonstration teilgenommen zu haben, im Verlauf derer er mit einem Stein einen Polizisten am Kopf getroffen und verletzt habe. Daraufhin sei er verhaftet worden und über 21 Monate ohne Gerichtsverhandlung inhaftiert gewesen. Er sei anfangs der Haft ernstlich geschlagen worden, habe dann täglich im Freien arbeiten müssen und sei schließlich während einer solchen Arbeitstätigkeit im Freien entflohen.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 2. Juli 1999 ab und stützte sich im Wesentlichen darauf, dass die unglaubwürdigen Schilderungen des Fluchtweges die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers insgesamt erschütterten, weshalb seinem Vorbringen, es läge ein Asylgrund vor, nicht zu folgen wäre. Gleichzeitig stellte das Bundesasylamt fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Gambia zulässig ist. Dieser Bescheid wurde am 30. Juli 1999 durch Hinterlegung zugestellt.

Am 26. August 1999 brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und eine Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes ein. Diesen Wiedereinsetzungsantrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 30. August 1999 ab. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung.

Der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) erließ nach einer mündlichen Verhandlung den nunmehr angefochtenen Bescheid vom 31. Jänner 2000, womit der Berufung des Beschwerdeführers vom 15. September 1999 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 30. August 1999 gemäß § 71 Abs. 1 AVG stattgegeben (Spruchteil 1), die Berufung vom 28. August 1999 (richtig wohl: 26. August 1999) gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 2. Juli 1999 gemäß § 7 Asylgesetz abgewiesen (Spruchteil 2) und gemäß § 8 Asylgesetz festgestellt wurde, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Gambia zulässig ist (Spruchteil 3).

Gegen diesen Bescheid im Umfang der Spruchteile 2 und 3 richtet sich die vorliegende Beschwerde, welche Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Spruchteil 1 des angefochtenen Bescheides ist zwar nicht Gegenstand der Beschwerde, erfordert jedoch nähere Prüfung.

Die Berufung des Beschwerdeführers vom 26. August 1999 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 2. Juli 1999, welcher am 30. Juli 1999 durch Hinterlegung zugestellt worden ist, wäre unstrittig verspätet. Daher brachte der Beschwerdeführer gleichzeitig mit dieser Berufung einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein, welcher vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 30. August 1999 abgewiesen worden ist. Dagegen erhob der Beschwerdeführer eine Berufung, worin er beantragte, den angefochtenen Bescheid (nämlich über die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages) aufzuheben und in der Sache selbst zu entscheiden (gemeint wohl: die Wiedereinsetzung zu bewilligen), in eventu den Bescheid aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidungsfindung an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen. Über diese Berufung sprach die belangte Behörde mit Spruchteil 1 des angefochtenen Bescheides dergestalt ab, dass sie der Berufung gemäß § 71 Abs. 1 AVG stattgab. Ein ausdrücklicher Spruchbestandteil, womit die belangte Behörde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt hätte, fehlt. Lediglich aus dem Zusammenhang, dass die belangte Behörde dem Berufungsbegehren auf Aufhebung des Bescheides und Entscheidung in der Sache und nicht dem Eventualbegehren auf Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz stattgegeben und mit dem Spruchteil 2 des angefochtenen Bescheides über die an sich verspätete Berufung gegen den abweislichen Asylbescheid meritorisch abgesprochen hat, und auf Grund des Zitats, dass der Berufung gemäß § 71 Abs. 1 AVG stattgegeben wird, ist erschließbar, dass die belangte Behörde trotz dieser undeutlichen Formulierung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligen wollte.

Mit dem Spruchteil 2 des angefochtenen Bescheides wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den den Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes ab. Die belangte Behörde erhob zwar das erstinstanzliche Vorbringen, wie es im Bescheid des Bundesasylamtes (der freilich insoweit auf die mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen Niederschriften verweist) "richtig und vollständig wiedergegeben" sei, zum Inhalt des angefochtenen Bescheides, nicht jedoch die erstinstanzlichen Schlussfolgerungen, dass dieses erstinstanzliche Vorbringen nicht glaubwürdig und der Beschwerdeführer gar nicht verhaftet worden wäre. Die belangte Behörde ging durchaus von der Teilnahme des Beschwerdeführers an einer Demonstration gegen das herrschende Regime im Jahr 1996 aus, ebenso wie von einer anschließenden 21- monatigen Haft. Allerdings hielt die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer im Zuge dieser Demonstration ein strafrechtliches Delikt (nämlich die Körperverletzung eines Polizisten durch seinen Steinwurf) begangen habe. Die belangte Behörde räumte zwar ein, dass ein ordentliches Gerichtsverfahren unterblieben wäre, sah den Grund der 21-monatigen Haft des Beschwerdeführers allerdings eben in einem allgemein strafrechtlichen Vorwurf der Körperverletzung und nicht im politischen Umfeld als Reaktion auf die Teilnahme an der Demonstration.

Die belangte Behörde leitete ihren Schluss, dass die Haft des Beschwerdeführers nicht politischer Natur sondern strafrechtlicher Art gewesen sei, daraus ab, dass andere Teilnehmer der Demonstration (die offensichtlich nur aus diesem Grund inhaftiert waren) bereits nach kurzer Zeit vom Beschwerdeführer nicht mehr gesehen und damit wohl freigelassen worden seien, was sich mit den politischen Entwicklungen in Gambia deckte, wonach seit Februar 1997 ohne Gerichtsbeschluss als sogenannte Sicherheitsgefangene inhaftierte Personen freigelassen worden seien, und schließlich daraus, dass der Beschwerdeführer mit anderen Straftätern gemeinsam zu Bauarbeiten und Rodungsarbeiten herangezogen worden sei, was auf politische Gefangene, deren Existenz verheimlicht werden sollte, nicht zutreffe.

Soweit die Beschwerde rügt, dass eine derartige Argumentation, dass politische Häftlinge nicht zu Außenarbeiten herangezogen würden, nicht im Zuge des Berufungsverfahrens vorgehalten worden sei, ist ihr zu entgegnen, dass die belangte Behörde in der mündlichen Verhandlung eine eindeutige Fragestellung an den beigezogenen Dolmetscher für die Sprache Mandingo gerichtet hatte und der Beschwerdeführer dessen Antworten nicht bezweifelt hatte.

Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht selbst zur Würdigung der von der belangten Behörde aufgenommenen Beweise befugt, sondern nur zur Nachprüfung der ausreichenden Erhebung der Beweise und der Schlüssigkeit der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053).

Die von der belangten Behörde angeführten Berichte des Auswärtigen Amtes Bonn und des US Departments of State, der Auszug aus dem Fischer Weltalmanach betreffend 1999 und der ai Bericht Gambia 1998, die alle dem Beschwerdeführer in ihren Kernaussagen in der mündlichen Verhandlung vorgehalten wurden, enthalten eine Reihe unterschiedlicher Aussagen zur Lage in Gambia.

Die belangte Behörde leitet ihre Ansicht, dass die Haft des Beschwerdeführers ausschließlich wegen einer (allgemein) gerichtlich strafbaren Handlung verbüßt worden sei und keinen politischen Grund hätte und dass der Beschwerdeführer keine berechtigte Furcht vor Verfolgung zu besorgen hätte, daraus ab, dass den erwähnten Berichten folgende Feststellungen zu entnehmen seien:

"Die menschenrechtliche Lage in Gambia war im Vergleich zu anderen schwarzafrikanischen Staaten auch in der Zeit der Militärherrschaft relativ akzeptabel und hat sich seit Anfang 1997 weiter entspannt. Mehrere Menschenrechtsorganisationen sind in Banjul ansässig. Am 26.9.1996 fanden die Präsidentenwahlen und am 2.1.1997 die Parlamentswahlen statt. Inzwischen hat das Parlament, in dem die Partei von Präsident Jammeh (APRC) durch das Mehrheitswahlrecht über eine komfortable Mehrheit der Sitze verfügt, die Arbeit aufgenommen und am 16.1.1997 die neue Verfassung in Kraft gesetzt. Ein positives Zeichen setzte der Präsident am 3.2.1997 mit der Freilassung der letzten zwölf politischen Gefangenen. Die Regierung wurde erst im Laufe des März entsprechend den Vorgaben der Verfassung umgebildet. Seit Februar 1997 sind alle ohne Gerichtsbeschluss als sogenannte Sicherheitsgefangene inhaftierten Personen frei, die Gerichtsverfahren wurden eingestellt. Der frühere Polizeichef Pa Sallah Jagne, der über zweieinhalb Jahre in Haft gewesen war, wurde kurz nach seiner Freilassung sogar zum Gouverneur der wichtigen Western Division ernannt. Frei ist auch der vor dem Putsch parteilose Parlamentsabgeordnete Lamin Waa Juwara, der in der Zeit der Militärherrschaft immer wieder inhaftiert worden war und zum Schluss über ein Jahr offiziell als verschwunden galt. Die oppositionelle United Democratic Party klagt jedoch noch immer über Schikanen staatlicher Stellen (Genehmigung für politische Veranstaltungen werden nicht erteilt, Parteimitglieder non NIA überwacht). Fälle von Sippenhaft und Fälle von politischer Verfolgung auf Grund von Auslandsaktivitäten sind dem auswärtigen Amt aus Gambia nicht bekannt. Nach Gambia ausgewiesene oder abgeschobene Staatsangehörige erleiden nach Kenntnis des (deutschen) auswärtigen Amtes keine Nachteile durch staatliche Behörden. Die Oppositionsbewegungen sind aktiv."

Diese Feststellungen lassen aber die Frage offen, weshalb der Beschwerdeführer nach Freilassung der letzten zwölf politischen Gefangenen am 3. Februar 1997 und nachdem seit Februar 1997 alle ohne Gerichtsbeschluss als sogenannte Sicherheitsgefangene inhaftierten Personen frei wären, bis zu seiner Flucht insgesamt 21 Monate ohne Gerichtsbeschluss oder Gerichtsverfahren in Haft gehalten worden ist. Mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren, er sei gemeinsam mit Rebellen gefangen gehalten worden, die bei Kämpfen in einem Rebellenlager gefangen genommen worden wären und von denen die Polizei gesagt hätte, dass die Rebellen und "wir von der UDP" dieselben Ziele hätten, hat sich der angefochtene Bescheid nicht auseinander gesetzt.

Insbesondere lässt der angefochtene Bescheid eine Begründung dafür vermissen, warum zwar die für eine Verbesserung der menschenrechtlichen Lage in Gambia vor allem im Jahr 1997 sprechenden Aussagen der erwähnten Berichte den Feststellungen zu Grunde gelegt wurden, die in denselben Berichten enthaltenen, insbesondere das Jahr 1998 betreffenden Aussagen jedoch unberücksichtigt blieben, wonach 1998 wieder verstärkt Repressionsmaßnahmen gegen oppositionelle Parteien und die Presse festzustellen wären, nach der Freilassung der ohne Gerichtsbeschluss als sogenannte Sicherheitsgefangene festgehaltenen Personen seit Februar 1997 allerdings politisch missliebige Personen weiter häufig unter einem Vorwand festgenommen und dann kurzzeitig festgehalten würden, und 1998 im Vergleich zu 1997 wieder relativ häufig UDP-Parteiführer bzw. Oppositionspolitiker und regierungskritische Journalisten festgenommen und kurzzeitig inhaftiert würden.

Die angeführten Widersprüchlichkeiten und Unklarheiten erweisen sich als wesentlich für den Verfahrensausgang. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei einer auch auf die aufgezeigten weiteren Sachverhaltselemente eingehenden Beweiswürdigung zum Ergebnis käme, der Beschwerdeführer wäre zufolge der wegen seiner zumindest unterstellten politischen Gesinnung (ohne Gerichtsverfahren) verhängten Haft einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen.

Somit war der angefochtene Bescheid im Spruchteil 2 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Aufhebung des Ausspruches betreffend die Asylgewährung (Spruchteil 2) hat zur Folge, dass für die Feststellung gemäß § 8 AsylG die gesetzlich notwendige Voraussetzung des Vorliegens einer den Asylantrag abweisenden Entscheidung nicht (mehr) gegeben ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1999, Zl. 99/20/0208), weshalb sich der auf § 8 AsylG gestützte Ausspruch (Spruchteil 3) als Folge der Aufhebung des Bescheides hinsichtlich der Entscheidung über den Asylantrag als rechtswidrig erweist.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte nach § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 30. Jänner 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2000010080.X00

Im RIS seit

04.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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