TE OGH 2010/11/4 8ObA39/10h

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Veröffentlicht am 04.11.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras und die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und Robert Hauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** P*****, vertreten durch Freimüller/Noll/Obereder/Pilz & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei R***** S*****gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch DLA Piper Weiss-Tessbach Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 529,17 EUR sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. März 2010, GZ 8 Ra 138/09m-24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 21. September 2009, GZ 19 Cga 62/08p-19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 225,02 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 37,51 EUR an 20 % USt) zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 1. Jänner 2004 bis 31. Dezember 2007 bei der Beklagten als diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger angestellt. Er verrichtete seinen Dienst auf einer Pflegestation und war dort aufgrund des engen Kontakts zu kranken Personen einer zwar für den Beruf des Krankenpflegers normalen, im Verhältnis zu anderen Berufsgruppen aber erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt.

Das Dienstverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag für Dienstnehmer/Dienstnehmerinnen der Privatkrankenanstalten Österreichs. Der Kläger war der Verwendungsgruppe nach Anhang III, Krankenpflegepersonal, zuzurechnen und es galt für ihn das Gehaltsschema für Krankenpflegepersonal Anhang IV. Die Zulagenordnung zu Anhang IV enthält unter Punkt 3.: „Gefahren- oder Strahlen- oder Infektions- oder Geriatrie- oder Zytostatikazulage (es gebührt stets nur eine dieser Zulagen, die Geriatriezulage nur in als solchen bezeichneten geriatrischen Abteilungen)“ in Höhe von 94,37 EUR pro Monat (2007).

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Infektionszulage für den Zeitraum vom 1. September bis 31. Dezember 2007 sowie die sich aus der Einrechnung der Infektionszulage ergebende Differenz beim Weihnachtsgeld und der Urlaubsersatzleistung.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, soweit es auf die Infektionszulage gegründet wurde, mit Teilurteil ab und behielt die Entscheidung über ein Mehrbegehren dem Endurteil vor. Da der Kläger nur dem für seinen Beruf normalen Infektionsrisiko ausgesetzt gewesen sei, würden diese mit seiner Tätigkeit einhergehenden Belastungen bereits mit dem Grundgehalt abgegolten. Es sei den Kollektivvertragsparteien nicht zu unterstellen, dass sie eine besondere Zulage für Gefahren schaffen hätten wollen, die nicht über das typische Berufsrisiko des Dienstnehmers hinausgehen.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung mit dem angefochtenen Teilurteil im klagsstattgebenden Sinn ab und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil die Entscheidung von der Auslegung einer Kollektivvertragsbestimmung abhänge und ihr wegen des betroffenen größeren Personenkreises eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Nach dem Wortlaut der Zulagenordnung für Krankenpflegepersonal im Anhang IV des streitgegenständlichen Kollektivvertrags sei der Anspruch auf Infektionszulage (im Unterschied zur Geriatriezulage) nicht an die Tätigkeit in einer bestimmten Abteilung geknüpft, sodass sie nach ihrem Wortsinn für alle Arbeitnehmer gelte, die einer Infektionsgefahr ausgesetzt seien. Diese Auslegung sei auch deswegen naheliegend, weil der selbe Kollektivvertrag an anderer Stelle, nämlich bei der Infektionszulage für ArbeiterInnen, sehr wohl eine Differenzierung nach der konkreten Tätigkeit vorsehe.

Hinzu komme, dass dem Gehaltsschema für das Krankenpflegepersonal in Anhang III zum Kollektivvertrag auch Dienstnehmer angehören, bei denen keine berufsüblich erhöhte Infektionsgefahr anzunehmen sei, etwa diplomierte Sozialarbeiter, Beschäftigungs- und Arbeitstherapiegehilfinnen oder bestellte Oberinnen bzw Oberschwestern. Die Infektionszulage gebühre also ohnehin nicht automatisch allen dem Gehaltsschema für das Pflegepersonal unterliegenden Dienstnehmern. Da der Kläger einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen sei, bestehe sein Anspruch auf die Zulage zu Recht.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene, vom Kläger beantwortete Revision der Beklagten ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Erwägungen zulässig, aber nicht berechtigt.

Die rechtliche Begründung der Entscheidung des Berufungsgerichts wird vom Obersten Gerichtshof sowohl im Ergebnis wie auch in der methodischen Ableitung für zutreffend erachtet, sodass darauf uneingeschränkt verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO).

Wie auch die Revision selbst einräumt, sind Kollektivverträge wie Gesetze nach den Regeln der §§ 6, 7 ABGB auszulegen. Es ist in erster Linie vom objektiven Wortsinn auszugehen. Die Absicht der Kollektivvertragsparteien ist nur insoweit maßgeblich, als sie erkennbar ihren Niederschlag im Vertragstext gefunden hat. Es ist den Kollektivvertragsparteien zu unterstellen, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen, einen berechtigten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten.

Die Revisionswerberin vermag gegen das vom Berufungsgericht unter Berücksichtigung dieser Grundsätze gewonnene Auslegungsergebnis nichts Überzeugendes ins Treffen zu führen. Die von der Revisionswerberin zitierten, in der Literatur vertretenen Definitionen des Zulagenbegriffs als Vergütung für besondere Arbeitsbedingungen stehen mit der Beurteilung des Berufungsgerichts in keinem Widerspruch. Auch dieses geht davon aus, dass die strittige Infektionszulage von den Kollektivvertragsparteien an eine besondere Voraussetzung, nämlich eine über das alltägliche Ausmaß hinaus erhöhte Infektionsgefahr, geknüpft wurde. Die Revision unterliegt jedoch einer Fehlinterpretation, wenn sie ihre Ansicht damit begründen will, dass die strittige Zulagenordnung nicht nur für das diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonal gilt, zu dem auch der Kläger gehörte, sondern für alle Verwendungsgruppen des Anhangs III, etwa Angestellten in Leitungsfunktionen oder - innerhalb der Verwendungsgruppe des Klägers - diplomierte medizinisch-technische Fachkräfte, für die jeweils kein typischerweise erhöhtes Infektionsrisiko besteht.

Es ist sachlich nicht argumentierbar, weshalb das kollektivvertragliche Grundgehalt derselben Verwendungsgruppe für einen Teil (medizinisch-technisches Personal) nur die Arbeitsleistung, für einen anderen Teil (diplomierte Krankenpfleger) aber zusätzlich ein erhöhtes Gesundheitsrisiko abdecken sollte, wenn die Kollektivvertragsparteien gleichzeitig gerade für dieses Risiko eine gesonderte Zulage vorgesehen haben. Von einer „doppelten“ Abgeltung des Infektionsrisikos kann keine Rede sein, weil Krankenpflegern innerhalb ihrer Verwendungsgruppe eben kein höheres Grundgehalt zukommt als den nicht infektionsgefährdeten Dienstnehmern mit gleichwertiger Diplomausbildung.

Der Anspruch des Klägers auf die von ihm begehrte Infektionszulage ist daher zu bejahen (in diesem Sinn auch 9 ObA 94/10d).

Der Revision war daher keine Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO (vgl Bydlinski in Fasching/Konecny² § 52 ZPO [Rz 6]).

Schlagworte

11 Arbeitsrechtssachen,

Textnummer

E95614

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:008OBA00039.10H.1104.000

Im RIS seit

06.12.2010

Zuletzt aktualisiert am

06.12.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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