TE OGH 2010/11/11 12Os135/10k

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.11.2010
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. November 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dominik K***** und andere Angeklagte wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Josef H***** gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 11. Februar 2010, GZ 34 Hv 168/09g-66, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten H***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auch in Rechtskraft erwachsene Schuld- und Freisprüche von Mitangeklagten enthaltenden - Urteil wurde Josef H***** des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs 2 StGB schuldig erkannt (II).

Danach hat er am 6. Jänner 2009 in Innsbruck mit Haris S***** und weiteren bislang unbekannten Mittätern an einem Angriff mehrerer tätlich teilgenommen, wobei der Angriff eine Körperverletzung des Andreas M*****, nämlich eine Schädel-Hirn-Prellung sowie eine Platzwunde an der Stirn, und eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) des Thomas T*****, nämlich eine zweifache Unterkieferfraktur und eine Platzwunde am Hinterkopf, verursacht hat.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 3, 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Dem auf Z 3 gestützten Vorbringen zuwider liegt eine Verletzung des § 252 StPO durch Verlesung der Protokolle über die im Ermittlungsverfahren durchgeführten Vernehmungen der Zeugen Philipp R*****, Sabrina Sc*****, Veronika W*****, Andreas Sp*****, Andreas M*****, Thomas T*****, Andreas L***** „sowie der übrigen Angeklagten“ in der Hauptverhandlung angesichts des - auch nach dem Beschwerdevorbringen einverständlich - durchgeführten Vortrags des „wesentlichen“ Akteninhalts, also auch der dem Abs 1 leg cit unterliegenden Teile, nicht vor. Zweifel an der (konkludenten) Erteilung der Zustimmung (vgl Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 102 und 134; RIS-Justiz RS0099242) ergeben sich schon deshalb nicht, weil der (vertretene) Angeklagte (vgl dagegen zu unvertretenen Angeklagten 15 Os 29/07i) - nach dem ungerügt gebliebenen Protokoll über die Hauptverhandlung -  auf die „wörtliche“ Verlesung des gesamten Akteninhalts ausdrücklich verzichtete und „weitere Verlesungen und Feststellungen nicht gewünscht“ wurden (ON 65 S 49).

Im Übrigen übersieht der Beschwerdeführer, dass die Zeugen Philipp R*****, Andreas Sp*****, Andreas M*****, Thomas T***** und Andreas L***** ebenso wie die Mitangeklagten Dominik K*****, Mato B*****, Drazen Kl*****, Haris S***** und Cengiz D***** in der Hauptverhandlung - ohne Verstoß gegen § 159 Abs 3 StPO - vernommen wurden und sich ausnahmslos auf ihre früheren Aussagen beriefen (vgl ON 65 S 40, 42, 36, 33, 39, 5, 9 f, 14, 18, 28). Damit lag in diesem Zusammenhang kein Unmittelbarkeitssurrogat und demzufolge kein Fall des § 252 Abs 1 StPO vor (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 230; RIS-Justiz RS0110150, RS0107793, RS0107792, RS0108364).

Der nicht zur Hauptverhandlung erschienene Mitangeklagte Imran I***** war hinwieder nach seinen Angaben im Ermittlungsverfahren in keiner Weise über den verfahrensgegenständlichen Raufhandel informiert (ON 8 S 225 ff), während die Zeuginnen Sabrina Sc***** und Veronika W***** weder über konkrete Wahrnehmungen dazu berichten, noch den Angeklagten identifizieren konnten (ON 8 S 145 f und 165 f) und deren Aussagen demgemäß im Urteil zwar wiedergegeben (US 16), von den Tatrichtern aber nicht zur Begründung entscheidender Tatsachen herangezogen wurden (US 14 zweiter Absatz, US 17 zweiter Absatz), womit zudem - aus hier relevanter Sicht des Obersten Gerichtshofs - unzweifelhaft erkennbar ist, dass die im Rechtsmittel behauptete Formverletzung insoweit auf die Entscheidung keinen dem Beschwerdeführer benachteiligenden Einfluss üben konnte (§ 281 Abs 3 StPO; vgl zum Ganzen Ratz, WK-StPO § 281 Rz 172, 734 ff).

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung des mehrfach modifizierten Beweisantrags auf Beauftragung eines Sachverständigen mit der Auswertung der in der Hauptverhandlung vorgeführten Videoaufzeichnung, sodass „eindeutig zuordenbare Merkmale der Person durch Vergrößerung und entsprechende Bildauflösung soweit erkennbar werden, dass sie mit dem Erscheinungsbild des Angeklagten Josef H***** verglichen werden können“, zum Beweis dafür, dass der Beschwerdeführer diejenige Person ist, „die während des Tumults in etwa zehn Metern Entfernung am unteren Bildrand unbeteiligt schlendert und dann rechts aus dem Bild verschwindet“ bzw die der Angeklagte - nach neuerlicher Vorführung der entsprechenden Videosequenzen - als sich selbst identifiziert hat (ON 65 S 47 f), Verteidigungsrechte nicht verletzt.

Dem Antrag war nämlich - selbst unter Zugrundelegung der in der Beschwerde behaupteten Formulierung des Begehrens - nicht zu entnehmen, inwiefern ein Sachverständiger in der Lage sein sollte, durch bloße Vergrößerung oder „Bildauflösung“ mit - nicht näher konkretisierten - „technischen Mitteln“ (vgl ON 65 S 48) die Erkennbarkeit „eindeutig zuordenbarer Merkmale“ der auf den Videoaufzeichnungen abgebildeten Personen zu verbessern und solcherart dem Schöffengericht eine eindeutige Identifizierung zu ermöglichen. Damit ließ er nicht erkennen, warum die begehrte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten lasse, und zielte solcherart auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330, 331).

Das diesbezüglich ergänzende Vorbringen im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde unterliegt dem Neuerungsverbot und war daher unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).

Soweit die Beschwerde - übrigens im Widerspruch zum Vorbringen der aus Z 3 erhobenen Verfahrensrüge - unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) des „Urteils“ einwendet, weil nach der oben zitierten Formulierung im Hauptverhandlungsprotokoll „nicht einmal Verlesung gemäß Abs 2a leg. cit.“ vorliege, entzieht sie sich einer inhaltlichen Antwort, weil sie den Begründungsmangel nicht deutlich und bestimmt bezeichnet, indem sie nicht darlegt, welches angeblich nicht (oder nicht prozessordnungskonform) vorgekommene Beweismittel bei der Beweiswürdigung in Betreff welcher entscheidenden Tatsache in Anschlag gebracht wurde (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO; RIS-Justiz RS011321).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E95659

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0120OS00135.10K.1111.000

Im RIS seit

23.12.2010

Zuletzt aktualisiert am

23.12.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten