TE OGH 2010/11/11 3Ob201/10w

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Veröffentlicht am 11.11.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden und die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Neumayr, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Bernd Schmidhammer als Masseverwalter im Schuldenregulierungsverfahren des Ing. Peter M*****, gegen die beklagte Partei R***** reg. GenmbH, *****, vertreten durch Univ.-Prof. Dr. Hubertus Schumacher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Nichtigerklärung und Löschung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei und den „außerordentlichen Revisionsrekurs“ der klagenden Partei gegen das Teilurteil und den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 31. August 2010, GZ 1 R 86/10x-91, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 11. Februar 2010, GZ 57 Cg 109/03w-84, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Der Rekurs der klagenden Partei gegen den Aufhebungsbeschluss („außerordentlicher Revisionsrekurs“) wird als unzulässig zurückgewiesen. Der Antrag der beklagten Partei auf Ersatz der Kosten der Rekursbeantwortung wird abgewiesen.

II. Die Revision der beklagten Partei wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Über das Vermögen des Ing. Peter M***** (im Folgenden nur „Schuldner“) wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 20. November 2006, AZ 24 S 58/06b, das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet und der Kläger zum Masseverwalter bestellt. Dieser begehrt ua die Feststellung, dass näher bezeichnete, zwischen dem Schuldner und dem beklagten Bankinstitut im Dezember 1994 sowie im März und Dezember 1995 abgeschlossene Kredit- und Pfandbestellungsverträge sowie ein zwischen dem Schuldner und der T***** AG abgeschlossener, auf die beklagte Partei gemäß § 1422 ABGB übergegangener Pfandbestellungsvertrag vom 3./9. August 1995 infolge damals jeweils bestehender Geschäftsunfähigkeit des Schuldners nichtig seien und die Beklagte verpflichtet sei, in die Löschung der aufgrund dieser Verträge bücherlich einverleibten Pfandrechte einzuwilligen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im zweiten Rechtsgang zur Gänze statt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nach Beweiswiederholung teilweise Folge. Es bestätigte das Urteil in Ansehung der Feststellung der Nichtigkeit der zwischen dem Schuldner und der beklagten Bank abgeschlossenen Kredit- und Pfandbestellungsverträge. Im Übrigen (in Ansehung des zwischen dem Schuldner und der T***** AG abgeschlossenen Pfandbestellungsvertrag sowie der Löschungsklage) hob es das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und sprach aus, dass die ordentliche Revision gegen das Teilurteil nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts gerichtete Rekurs des Klägers ist (absolut) unzulässig.

Die außerordentliche Revision der Beklagten ist mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.

Zu I):

Nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ist gegen einen Beschluss der zweiten Instanz, mit dem ein erstinstanzliches Urteil aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen wurde, der Rekurs nur zulässig, wenn das Berufungsgericht das ausgesprochen hat. Dies gilt auch dann, wenn das Berufungsgericht mit seiner Entscheidung einen Teil des erstgerichtlichen Urteils bestätigt, einen anderen Teil dieser Entscheidung aber aufhebt und die Rechtssache im letzteren Umfang an das Erstgericht zurückweist (RIS-Justiz RS0043898 [T7]). Fehlt - wie hier - ein Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts, dann ist auch ein außerordentlicher Rekurs ausgeschlossen (stRsp RIS-Justiz RS0043898; Zechner in Fasching/Konecny2 § 519 ZPO Rz 55).

Zur von der Beklagten erstatteten Rekursbeantwortung:

Der (zugelassene) Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ist grundsätzlich zweiseitig (§ 521a Abs 1 Z 2 ZPO; Kodek in Rechberger³ § 519 ZPO Rz 22). Da das Gesetz nicht ausspricht, dass eine Rekursbeantwortung im Fall absoluter Unzulässigkeit des Rekurses unstatthaft wäre, vermochte sich der erkennende Senat der mehrfach vertretenen Ansicht, in solchen Fällen wäre auch die Rekursbeantwortung unzulässig und daher zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0043897), nicht anzuschließen (3 Ob 5/09w = Zak 2009/253, 159 mit zustimmender Anmerkung von Nunner/Krautgasser; 3 Ob 4/09y).

Ob allerdings die Kosten der Rekursbeantwortung zu ersetzen sind hängt nach der zitierten Entscheidung 3 Ob 5/09w davon ab, ob die Frage der absoluten Unzulässigkeit des Rechtsmittels zweifelsfrei schon nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes zu beantworten ist oder zu den für die Zulässigkeit des Rechtsmittels ins Treffen geführten (nicht unplausiblen) Gründen Stellung genommen wird. Nur in letzterem Fall kann die Rechtsmittelbeantwortung als zweckmäßig angesehen werden. Hier sind Rechtslage (Rechtsmittelausschluss nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO) und Judikatur so eindeutig klar und werden im Rekurs keinerlei Argumente für die Zulässigkeit des Rechtsmittels vorgetragen, dass die Rekursbeantwortung nicht zu honorieren ist.

Zu II):

1. Das Erstgericht stellte fest, dass beim damals noch nicht besachwalterten Schuldner auch im Dezember 1994 sowie im März und im Dezember 1995 (näher genannte) psychische Störungen bestanden, durch deren Zusammenwirken ein Zustand gegeben war, der einer Geisteskrankheit entsprach. Zufolge der Auswirkungen dieser Geisteskrankheit wären zu den fraglichen Zeitpunkten die für die freie Urteils- und Willensbildung entscheidende Funktionen mit hoher Wahrscheinlichkeit so schwer betroffen gewesen, dass er geschäftsunfähig gewesen sei.

Das Berufungsgericht hatte zunächst Bedenken gegen die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts zur Frage der Geschäftsunfähigkeit und führte gemäß § 488 ZPO eine Beweiswiederholung bzw -ergänzung durch. Aufgrund deren Ergebnisse erachtete es dann die zur Geschäftsunfähigkeit des Schuldners getroffenen Feststellungen des Erstgerichts als Grundlage für seine eigene Entscheidung doch als unbedenklich (RIS-Justiz RS0042081).

Hat das Berufungsgericht im Zuge der Beweiswiederholung bzw -ergänzung in der mündlichen Berufungsverhandlung nach Bekanntgabe iSd § 488 Abs 4 ZPO mit ausdrücklicher Zustimmung der Beklagten ua den Pflegschaftsakt verlesen, dessen Bestandteil der medizinische Befundbericht eines behandelnden Arztes vom 31. März 1999 war, begründet es weder einen dem Berufungsgericht unterlaufenen Verfahrensmangel noch den Nichtigkeitsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs, wenn es dem Sachverständigen folgte, der im Rahmen der in der mündlichen Berufungsverhandlung stattfindenden Gutachtenserörterung auf diesen Befund ausdrücklich Bezug genommen hatte. Schließlich stand der Beklagten in der mündlichen Berufungsverhandlung die Möglichkeit offen, dazu Fragen an den Sachverständigen zu richten.

2. Grundsätzlich ist von der Geschäftsfähigkeit einer Person auszugehen, sodass jener Partei, die sich auf ihre Geschäftsunfähigkeit beruft, der Beweis für deren Vorliegen obliegt (RIS-Justiz RS0014620; RS0014645). Im vorliegenden Fall liegen Tatsachenfeststellungen zum gesundheitlichen Zustand des Schuldners in den Monaten der Vertragsabschlüsse vor, aus denen die Vorinstanzen ableiteten, er sei in den fraglichen Zeitpunkten geschäftsunfähig gewesen. Nur für den Fall, dass generelle (durchgehende) Handlungsunfähigkeit vorliegt, hat die Gegenseite zu beweisen, dass die Geschäftsunfähigkeit durch einen „lichten Moment“ durchbrochen war (RIS-Justiz RS0014645). Von dieser Rechtsprechung weicht die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht ab: Es traf nach Beweiswiederholung bzw -ergänzung (wenngleich im Rahmen seiner Beweiswürdigung) die ergänzende Feststellung, das Zusammenspiel diverser psychischer und physischer Erkrankungen des Schuldners habe schon ab 1993 zu einer solchen durchgehenden psychischen Verfassung geführt, dass dessen Urteils- und Willensbildungsfähigkeit nicht mehr frei gewesen sei. Rechtlich zog es infolge dieser ergänzenden Feststellung die Schlussfolgerung, dass der Schuldner nicht nur im Dezember 1994 sowie im März und im Dezember 1995, sondern seit 1993 durchgehend geschäftsunfähig gewesen sei; der Gegenbeweis, (gerade) zu den Zeitpunkten der Vertragsabschlüsse wären doch lichte Momente vorgelegen, sei nicht erbracht worden.

3. Die Beurteilung, ob eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt die Tragweite bestimmter Willenserklärungen verstandesmäßig erfassen und sich dieser Einsicht gemäß verhalten konnte oder ob ihr diese Fähigkeit infolge einer die Geschäftsfähigkeit ausschließende geistige Störung fehlt, ist eine typische Beurteilung des Einzelfalls, sodass sich insoweit eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO regelmäßig nicht stellt (RIS-Justiz RS0117658). Haben die Vorinstanzen ohne Verstoß gegen die Denkgesetze aus der Gesamtheit aller Beweisergebnisse die Überzeugung gewonnen, dem Schuldner haben die geistigen Fähigkeiten gefehlt, um die Tragweite des konkreten Geschäftsfalls zu erfassen und/oder sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten, dann liegt auch in der daraus gezogenen Folgerung der Geschäftsunfähigkeit kein Rechtsirrtum (RIS-Justiz RS0014611). Die Revisionsausführungen, im Gesamtkontext der übrigen Feststellungen sei weder eine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für die Annahme der Geschäftsunfähigkeit in den Zeitpunkten der Vertragsabschlüsse noch für die Annahme durchgehender Geschäftsunfähigkeit gegeben, laufen auf eine im Revisionsverfahren unzulässige Anfechtung der Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen hinaus (RIS-Justiz RS0043371).

4. Das von einer geschäftsunfähigen Person getätigte Geschäft ist ohne Rücksicht darauf, ob der Vertragspartner die Geschäftsunfähigkeit erkennen konnte oder nicht, absolut nichtig (Apathy/Riedler in Schwimann, ABGB3 § 865 Rz 4 mwN). Wird die Nichtigkeit eines Vertrags wegen Handlungsunfähigkeit geltend gemacht, gilt mangels einer Sonderverjährungsvorschrift die allgemeine Verjährungsfrist von dreißig Jahren (RIS-Justiz RS0034380 = 8 Ob 255/68) - diese ist im vorliegenden Fall jedenfalls noch nicht abgelaufen. Die taxative und einschränkend auszulegende Regelung des § 1487 ABGB ordnet nur für bestimmte Fälle der Vertragsanfechtung die dreijährige Verjährungsfrist an (RIS-Justiz RS0033210). Dazu zählt die Geltendmachung der Nichtigkeit eines Vertrags wegen Handlungsunfähigkeit einer der Vertragsparteien nicht. Die angestrebte analoge Anwendung (des Falls der Anfechtung wegen Testierunfähigkeit) setzte eine planwidrige Gesetzeslücke voraus. Eine solche kann mit dem allein vorgetragenen Argument des Bedürfnisses an Rechtssicherheit nicht begründet werden. Die zitierte Judikatur (8 Ob 255/68) ist fortzuschreiben.

Die außerordentliche Revision ist daher mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Textnummer

E95756

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0030OB00201.10W.1111.000

Im RIS seit

22.12.2010

Zuletzt aktualisiert am

06.03.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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