Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16. November 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Fries als Schriftführer, in der Strafsache gegen Udoka I***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, § 12 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 11. Mai 2010, GZ 062 Hv 80/09a-49, sowie die Beschwerde des Angeklagten gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss (§ 494 Abs 1 Z 4 StPO) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Udoka I***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, § 12 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.
Danach hat er „am 26. und 27. Februar 2009 in Wien den Joao F***** durch die Aufforderung, Suchtgift von Amsterdam nach Wien für ein Entgelt von 1.100 EUR zu bringen, dazu vorschriftswidrig bestimmt, Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) um das 25-fache übersteigenden Menge, nämlich 1.930,47 Gramm Heroin, beinhaltend 120,55 Gramm Heroinhydrochlorid, entspricht zumindest 102,46 Gramm Heroin (freie Base), und 590,22 Gramm netto Kokain, beinhaltend 299,83 Gramm Kokainhydrochlorid, entspricht zumindest 254,8 Gramm Kokainbase, von den Niederlanden auszuführen und nach Deutschland einzuführen und zu versuchen, von Deutschland auszuführen und nach Österreich einzuführen, wobei Joao F***** in Deutschland festgenommen wurde und seine Fahrt nach Österreich aufgrund dessen nicht fortsetzen konnte“.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf Z 3, 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zeigt zutreffend auf, dass die im Urteil getroffenen Feststellungen zum Reinsubstanzgehalt an Suchtgiften (US 7 f) offenbar unzureichend begründet sind.
Die Tatrichter bezogen sich insoweit auf eine Untersuchung sichergestellter Ware durch das Hessische Landeskriminalamt, bei der, wie in den Entscheidungsgründen ausgeführt wird, „lediglich die im Suchtgift enthaltenen Chloride, also die Salze, ausgeworfen wurden“. Es sei „aber gerichtsbekannt, dass die erforderliche Umrechnung auf das regelmäßig niedrige Reinsubstanzgewicht der Base zugunsten des Angeklagten mit ca. 10 bis 15 % niedriger anzusetzen“ sei (US 9, idS auch US 17).
Nach § 2 SGV beziehen sich die Grenzmengen (§§ 28b, 28a Abs 1, Abs 2 Z 3, Abs 4 Z 3 SMG), sofern hinsichtlich des betreffenden Suchtgifts das Bestehen von Salzen möglich ist, auf die Base des jeweiligen Suchtgifts.
Der Angeklagte hat ein aus dem fair-trial-Gebot des Art 6 MRK erfließendes Recht darauf, nicht von einer ihm unbekannten Gerichtsnotorietät im Tatsachenbereich überrascht zu werden. Auch das, was gerichtskundig ist, muss in der Hauptverhandlung vorkommen, um zur Grundlage von Feststellungen werden zu können. Im Sinn eines den Garantien des Art 6 MRK entsprechenden Verfahrens ist daher das erkennende Gericht verpflichtet, den Angeklagten in der Hauptverhandlung über das, was es als gerichtsnotorisch und im jeweils gegebenen Fall erheblich ansieht, in Kenntnis zu setzen und ihm Gelegenheit zu geben, seine Verteidigung danach einrichten zu können (RIS-Justiz RS0119094; Kirchbacher, WK-StPO § 246 Rz 34; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 463).
Im vorliegenden Fall begründeten die Tatrichter die Feststellungen zu den Reinsubstanzmengen an Heroin- und Kokainbase mit einer Gerichtsnotorietät betreffend das Verhältnis des Gewichts von Hydrochloriden zu den Basen von Heroin und Kokain. Der dazu im Urteil genannte Umrechnungsfaktor war aber in der Hauptverhandlung nicht vorgekommen.
Demnach sind, worauf der Angeklagte in seiner Nichtigkeitsbeschwerde zu Recht hinweist, die getroffenen Konstatierungen zum jeweiligen Wirkstoffgehalt der tatverfangenen Suchtgiftmengen offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall).
Dieser Begründungsmangel erfordert - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - die Kassation des Schuldspruchs und die Anordnung der Verfahrenserneuerung. Daher bedarf das übrige Beschwerdevorbringen des Angeklagten keiner weiteren Erörterung.
Der Nichtigkeitsbeschwerde war demnach wie aus dem Spruch ersichtlich Folge zu geben (§ 285e StPO).
Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E95731European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0110OS00116.10H.1116.000Im RIS seit
02.01.2011Zuletzt aktualisiert am
09.03.2012