Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 18. November 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Lässig, Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Saadati als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen Stanisa D***** und andere Angeklagte wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhehlerei nach §§ 37 Abs 1 lit a, 38 Abs 1 lit a FinStrG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Stanisa D*****, Nesa D***** und Olivera D***** sowie der Staatsanwaltschaft und die Berufung der Finanzstrafbehörde gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 8. April 2010, GZ 7 Hv 4/10s-16, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Freispruch der Nela R***** unberührt bleibt, in seinen Schuld- und Strafaussprüchen (einschließlich des Verfallserkenntnisses) sowie im Kostenausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Ried im Innkreis verwiesen.
Die Angeklagten Stanisa D*****, Nesa D***** und Olivera D*****, die Staatsanwaltschaft sowie die Finanzstrafbehörde werden mit ihren Rechtsmitteln auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Freispruch der Nela R***** enthält, wurden Stanisa D***** und Nesa D***** (ersichtlich gemeint:) jeweils mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhehlerei nach §§ 37 Abs 1 lit a, 38 Abs 1 lit a FinStrG (I) sowie des vorsätzlichen Eingriffs in die Rechte des Tabakmonopols nach § 44 Abs 1 lit a FinStrG (II) und Olivera D***** (ersichtlich gemeint:) jeweils mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhehlerei nach § 37 Abs 1 lit a FinStrG (I) sowie des vorsätzlichen Eingriffs in die Rechte des Tabakmonopols nach § 44 Abs 1 lit a FinStrG (II) schuldig erkannt.
Danach haben sie vom Jänner 2008 bis zum 27. August 2009 in Mattighofen und an anderen Orten im einverständlichen Zusammenwirken mit einer abgesondert Verfolgten vorsätzlich
(I) 1.105 Stangen Filterzigaretten der Sorte Memphis, hinsichtlich welcher ein Schmuggel begangen worden war, zum Weiterverkauf in einer Wohnung eingelagert und 175 Stangen davon an andere verkauft,
wobei es Stanisa D***** und Nesa D***** darauf ankam, sich durch die wiederkehrende Begehung solcher strafbarer Handlungen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, sowie
(II) durch die zu I beschriebenen Taten zu ihrem oder eines anderen Vorteil die in den Vorschriften über das Tabakmonopol enthaltenen Gebote und Verbote hinsichtlich des Handels mit Monopolgegenständen verletzt.
Das Erstgericht verhängte hiefür über Stanisa D***** nach § 38 Abs 1 FinStrG eine Geldstrafe von 20.000 Euro, für den Fall deren Uneinbringlichkeit vier Monate Ersatzfreiheitsstrafe, und „gemäß § 19 FinStrG“ eine Wertersatzstrafe von 3.000 Euro, für den Fall deren Uneinbringlichkeit einen Monat Ersatzfreiheitsstrafe, über Nesa D***** nach § 38 Abs 1 FinStrG eine Geldstrafe von 15.000 Euro, für den Fall deren Uneinbringlichkeit drei Monate Ersatzfreiheitsstrafe, und „gemäß § 19 FinStrG“ eine Wertersatzstrafe von 3.000 Euro, für den Fall deren Uneinbringlichkeit einen Monat Ersatzfreiheitsstrafe, über Olivera D***** „nach § 37 Abs 1 lit a FinStrG“ eine Geldstrafe von 5.000 Euro, für den Fall deren Uneinbringlichkeit einen Monat Ersatzfreiheitsstrafe, und „gemäß § 19 FinStrG“ eine Wertersatzstrafe von 300 Euro, für den Fall deren Uneinbringlichkeit drei Tage Ersatzfreiheitsstrafe. Darüber hinaus wurde „gemäß §§ 37 Abs 2 und 17 FinStrG“ der Verfall von 1.105 Stangen Zigaretten ausgesprochen.
Rechtliche Beurteilung
Ihre dagegen gerichteten Nichtigkeitsbeschwerden stützen Stanisa D***** auf Z 5, Nesa D***** und Olivera D***** auf Z 5 und 5a, die Staatsanwaltschaft auf Z 11 erster Fall des § 281 Abs 1 StPO.
Aus Anlass der Beschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass der angefochtenen Entscheidung zum Nachteil der Angeklagten gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO von Amts wegen aufzugreifende Nichtigkeit anhaftet:
Das den Angeklagten - zum Teil iSd § 38 Abs 1 lit a FinStrG qualifiziert - angelastete Finanzvergehen der Abgabenhehlerei nach § 37 Abs 1 lit a FinStrG (I) verantwortet, wer vorsätzlich eine Sache oder Erzeugnisse aus einer Sache, hinsichtlich welcher (zumindest) eines der dort genannten Finanzvergehen begangen wurde, kauft, zum Pfand nimmt oder sonst an sich bringt, verheimlicht oder verhandelt. Der Tatbestand setzt somit eine Vortat voraus, die als solcherart tatbestandsessentiell im Fall eines Schuldspruchs nach § 37 Abs 1 lit a FinStrG als vollendet festgestellt sein muss (RIS-Justiz RS0086500, zuletzt 13 Os 105/09d), welchem Erfordernis die angefochtene Entscheidung nicht gerecht wird. Die Konstatierung, hinsichtlich der gegenständlichen Zigaretten sei ein Schmuggel begangen worden (US 6, 7), weist nämlich keinen Sachverhaltsbezug auf und bildet solcherart keine tragfähige Subsumtionsbasis (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 8; RIS-Justiz RS0119090; jüngst 13 Os 47/10a).
Hinzu kommt, dass das Erstgericht die Verbringung „in das Zollgebiet der Republik Österreich“ feststellt (US 8, vgl auch US 10; unklar US 7). Seit dem Beitritt zur Europäischen Union (1. Jänner 1995) ist Österreich aber Teil des Zollgebiets der Gemeinschaft (Art 3 Abs 1 ZK), womit allein die konstatierte Einfuhr der Rauchwaren nach Österreich die vorgenommene Subsumtion nicht trägt. Unter dem Aspekt des § 37 Abs 1 lit a FinStrG ist insoweit vielmehr als Vortat deren Verbringung (aus einem Drittland) in das Zollgebiet der Union erforderlich.
Für die Annahme von Abgabenhinterziehung (§ 33 Abs 1 FinStrG) in Bezug auf die Tabaksteuer als Vortat enthält die angefochtene Entscheidung auch keine hinreichenden Konstatierungen (hiezu eingehend 13 Os 105/09d).
Ebenso mangelhaft sind die Feststellungen zum Schuldspruch wegen Finanzvergehen des vorsätzlichen Eingriffs in die Rechte des Tabakmonopols nach § 44 Abs 1 lit a FinStrG (II). Die Tatrichter nahmen insoweit ersichtlich einen Verstoß gegen die Bestimmungen des § 5 TabMG an. Konkrete Konstatierungen in diese Richtung finden sich aber nur hinsichtlich der relativ geringen - per se keinesfalls die gerichtliche Zuständigkeit (insoweit § 53 Abs 1 lit b FinStrG) begründenden - Menge von 175 Stangen Zigaretten (US 7). Hinsichtlich des Großteils von 930 Stangen wurde lediglich die Einlagerung in einer Wohnung konstatiert (US 6 iVm US 8), womit es für die Annahme strafbaren Versuchs (§ 13 FinStrG) entsprechender Konstatierungen zur Ausführungsnähe (Hager/Massauer in WK² §§ 15, 16 Rz 26 bis 69) bedurft hätte. Denkbar wäre freilich auch Monopolhehlerei (§ 46 Abs 1 lit a FinStrG) durch den Ankauf der Zigaretten, wozu das Ersturteil aber auch keine konkreten Feststellungen trifft.
Da somit die Konstatierungen der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) die im Erkenntnis vorgenommene Subsumtion (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) nicht tragen, war die angefochtene Entscheidung - mit Ausnahme des rechtskräftigen Freispruchs - aufzuheben und anzumerken, dass das Urteil auch in Betreff der „Eingangsabgaben“ nicht die erforderliche Differenzierung enthält (eingehend 13 Os 9/08k, EvBl 2009/64, 420; Z 11 erster Fall).
Im Hinblick darauf erübrigt sich das Eingehen auf die dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden.
Um im zweiten Rechtsgang weitere Fehler zu vermeiden, sei überdies festgehalten:
Wie die Staatsanwaltschaft zutreffend aufzeigt, steht der Nesa und Olivera D***** betreffende Strafausspruch mit § 23 Abs 4 FinStrG nicht im Einklang. Dieser begrenzt nämlich bei Finanzvergehen, deren Strafdrohung sich - wie hier (§§ 37 Abs 2, 38 Abs 1, 44 Abs 2 FinStrG) - nach einem Wertbetrag richtet, den Strafrahmen (hiezu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 25, 666 f) mit einem Zehntel des Höchstmaßes der angedrohten Geldstrafe, indem er das Unterschreiten dieser Grenze nur bei Vorliegen „besonderer Gründe“ für zulässig erklärt. Demnach ist die angefochtene Entscheidung, die hinsichtlich der Genannten ohne Anwendung des (maW ohne erkennbaren Rekurs der Entscheidungsgründe auf) § 23 Abs 4 FinStrG unter der Grenze von einem Zehntel des (auf der Grundlage von Eingangsabgaben von 42.000 Euro und einem Kleinverkaufspreis von 39.500 Euro; US 8) angenommenen Höchstmaßes liegende Geldstrafen ausspricht, nichtig aus § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO (13 Os 183/08y). Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass dann, wenn in Anwendung des § 23 Abs 4 FinStrG eine unter ein Zehntel des Höchstmaßes der angedrohten Geldstrafe reichende Strafbefugnis in Anschlag gebracht wird, die rechtsrichtige Anwendung des § 23 Abs 4 FinStrG (gleichgültig, ob die Strafe unterhalb dieses Zehntels ausgemessen wurde oder nicht) kein Gegenstand von Z 11 erster Fall ist (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 668c; da der durch § 23 Abs 4 FinStrG nach unten erweiterte Strafrahmen - anders als § 41 Abs 1 und 2 StGB - keine Untergrenze mehr kennt, kommt Z 11 mithin insoweit gar nicht zur Anwendung).
Beim Finanzvergehen der Abgabenhehlerei hat der Strafausspruch nach § 37 Abs 2 FinStrG zu erfolgen, Rechtsgrundlagen für ein allfälliges Verfallserkenntnis sind hier §§ 37 Abs 2 (iVm § 38 Abs 1) und 44 Abs 3 FinStrG iVm § 17 FinStrG, für den Wertersatz § 19 Abs 1 lit a FinStrG (vgl demgegenüber US 4).
Der Ausspruch, 1.105 Stangen Zigaretten für verfallen zu erklären (US 4), steht im Widerspruch zu den Urteilsfeststellungen, wonach nur 930 Stangen sichergestellt worden sind (US 8).
Das Gesetz verbietet den Ausspruch des Verfalls (mit bestimmten Ausnahmen - § 17 Abs 6 FinStrG) oder des Wertersatzes (§ 19 Abs 5 FinStrG), soweit er zur Bedeutung der Tat oder zu dem den Täter treffenden Vorwurf außer Verhältnis stünde. Das gänzliche Unterlassen der solcherart angeordneten Verhältnismäßigkeitsprüfung bedeutet einen unvertretbaren Verstoß gegen Bestimmungen über die Sanktionsfindung und führt demgemäß zur Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 dritter Fall StPO (RIS-Justiz RS0088035; zuletzt 13 Os 81/09z). Wenngleich aktuell in Bezug auf das Verfallserkenntnis die Ausnahmebestimmung des § 17 Abs 6 FinStrG, wonach bei Monopolgegenständen, bei welchen aufgrund ihrer Beschaffenheit zu besorgen ist, dass mit ihnen gegen Monopolvorschriften verstoßen wird, die Verhältnismäßigkeit nicht zu prüfen ist, greift, ist das Unterlassen der Prüfung in Bezug auf den Wertersatz auch hier nichtigkeitsbegründend.
Gewerbsmäßige Begehung (§ 38 Abs 1 FinStrG) setzt (ua) die Intention voraus, sich eine zumindest für einen längeren Zeitraum wirksame Einkommensquelle zu erschließen (hiezu eingehend Jerabek in WK² § 70 Rz 7). Die angefochtene Entscheidung trifft zum (essentiellen) Ausmaß dieser zeitlichen Komponente keine Feststellungen (US 7).
Abschließend sei der Vollständigkeit halber festgehalten, dass die Nummerierung der Urteilsfakten im Referat der Entscheidungsgründe (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) nicht mit jener im Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) übereinstimmt (US 2, 3).
Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten Stanisa D*****, Nesa D***** und Olivera D***** sowie die Staatsanwaltschaft und die Finanzstrafbehörde auf die Kassation (auch) der Strafaussprüche zu verweisen.
Schlagworte
StrafrechtTextnummer
E95890European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0130OS00102.10I.1118.000Im RIS seit
13.01.2011Zuletzt aktualisiert am
18.04.2011