Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden und die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Monika T*****, vertreten durch Dr. Gottfried Kassin, Rechtsanwalt in St. Veit an der Glan, gegen die beklagte Partei MR Dr. Walter D*****, vertreten durch Rechtsanwälte Konrad & Schröttner OG in Graz, wegen 11.510,58 EUR sA und Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 26. Mai 2010, GZ 4 R 67/10w-27, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 9. März 2010, GZ 23 Cg 49/09a-23, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Klägerin begehrte im Verfahren 22 Cg 225/01g des Landesgerichts Klagenfurt (im Folgenden: „Vorverfahren“) von dem sie behandelnden Zahnarzt Schadenersatz wegen eines ärztlichen Kunstfehlers und Verletzung der Aufklärungspflicht. Sie brachte dort vor, im Zuge des Einzementierens einer Zahnbrücke sei es im März 1999 zu einem Bruch des rechten Oberkiefers und der Wurzel des dritten Zahnes gekommen.
Im vorliegenden Verfahren begehrt sie mit ihrer am 7. Mai 2007 eingebrachten Klage vom Beklagten 11.510,58 EUR sA und die Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige Folgen mit dem Vorbringen, dieser habe im Vorverfahren als Gerichtssachverständiger ein Gutachten erstattet, in welchem er das Vorliegen eines Behandlungsfehlers und eines Kieferbruchs verneint habe. Dieses unrichtige Gutachtensergebnis wäre nicht erzielt worden, wenn der nunmehrige Beklagte es nicht abgelehnt hätte, eine MRT-Aufnahme des linken Oberkiefers und der Schädelbasis anfertigen zu lassen.
Der Beklagte beantragte Klageabweisung und wendete ein, seinem nach klinischer und röntgenologischer Untersuchung erstatteten Gutachten hafte kein Mangel an. Ein Kieferbruch sei nicht vorhanden gewesen. Der Klageanspruch sei verjährt.
Das Erstgericht traf folgende Feststellungen:
Der Beklagte erstattete als Gerichtsgutachter im Vorverfahren ein Gutachten, nach dessen Ergebnis dem Zahnarzt kein Behandlungsfehler unterlaufen sei und kein Kieferbruch aufgetreten wäre. Nach Vorliegen dieses Gutachtens vereinbarten die Parteien des Vorverfahrens am 24. April 2002 „Ruhen des Verfahrens“. Die Klägerin ersetzte der Gegenseite die Prozesskosten; dennoch war sie von der Unrichtigkeit des Gutachtens überzeugt. Da sie weiterhin der Meinung war, bei der zahnärztlichen Behandlung doch einen Kieferbruch erlitten zu haben, suchte sie in der Folge „unzählige“ Ärzte in ganz Österreich auf, die jeweils die Existenz eines Kieferbruchs verneinten. Im Jänner 2007 unterzog sie sich in München in einem Zentrum für funktionelle Kernspintomographie einer Untersuchung. Die dort am 29. Jänner 2007 erstellte Expertise wertete sie als Beweis für das Vorliegen eines Kieferbruchs und beantragte im Vorprozess die Fortsetzung des Verfahrens. Mit Urteil vom 16. November 2007 wurde die Klage wegen nicht gehöriger Fortsetzung des Verfahrens rechtskräftig abgewiesen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren wegen Verjährung ab. Die Klägerin sei infolge ihrer Überzeugung von der Unrichtigkeit des Gutachtens bereits am 24. April 2002 in Kenntnis von Schaden und Schädiger gewesen. Die dreijährige Verjährungsfrist habe bereits an diesem Tag zu laufen begonnen, weshalb sie zum Zeitpunkt der Klageeinbringung bereits verstrichen gewesen sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und hob das Urteil des Erstgerichts auf. Dass die Klägerin bereits am 24. April 2002 von der Unrichtigkeit des Gutachtens überzeugt war, sei als bloße Mutmaßung über das Vorliegen eines Kunstfehlers zu verstehen und habe nicht die Kenntnis von Schaden, Schädiger und Kausalzusammenhang bewirkt. Es sei evident, dass das Motiv für die Ruhensvereinbarung im negativen Gutachten des Beklagten gelegen sei und nicht im Entschluss der Klägerin, ihre behaupteten Schadenersatzansprüche gegen den Zahnarzt verjähren zu lassen. Andernfalls wäre ihr Verhalten nicht einsichtig, wegen des behaupteten Kiefer- und Zahnwurzelbruchs zahlreiche Ärzte aufzusuchen und den Vorprozess nach Vorliegen des ihren Standpunkt stützenden MRT-Befundes unverzüglich fortzusetzen. Als Laiin wäre sie im damaligen Verfahrensstadium gar nicht in der Lage gewesen, den Beklagten fundiert mit der behaupteten unrichtigen Interpretation der Dental-Scans und der Unterlassung der gebotenen Anfertigung eines hoch auflösenden MRT zu konfrontieren. Dass die Klägerin im Vorprozess ein Rechtsmittel gegen das klageabweisliche Urteil erheben hätte müssen, habe der Beklagte in erster Instanz nicht vorgebracht.
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei im Hinblick auf den besonders langen Zeitraum zwischen dem behaupteten schädigenden Verhalten des Beklagten und der Klageeinbringung zulässig sowie im Hinblick darauf, dass die Klägerin im Vorprozess von der weiteren Verfolgung des „Primärschädigers“ Abstand genommen habe.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Beklagten, der entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig ist (RIS-Justiz RS0042392). Dass eine Rechtsprechung zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt, bedeutet keineswegs, dass die Entscheidung von der Lösung einer iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt (RIS-Justiz RS0102181). Zudem ist der Rekurs nur dann zulässig, wenn darin Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung auch konkret releviert werden (RIS-Justiz RS0048272 [T10]). Dies gilt auch dann, wenn das Gericht zweiter Instanz die Zulässigkeit des Rechtsmittels zu Recht aussprach (RIS-Justiz RS0048272 [T1]).
1. Der Rekurs wendet sich gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB habe nicht schon mit dem Zeitpunkt der Ruhensvereinbarung im Vorprozess (am 24. April 2002) begonnen.
Die von der Rechtsprechung vertretenen Grundsätze zum Beginn der Verjährungsfrist lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB beginnt zu laufen, wenn dem Geschädigten der Schade und die Person des Schädigers bekannt geworden sind. Lehre und Rechtsprechung legen diese Bestimmung dahin aus, dass dies der Fall ist, wenn der Sachverhalt dem Geschädigten so weit bekannt ist, dass er mit Aussicht auf Erfolg klagen kann, also in der Lage ist, das zur Begründung seines Ersatzanspruchs erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten (RIS-Justiz RS0034524; M. Bydlinski in Rummel3 § 1489 Rz 3; Mader/Janisch in Schwimann, ABGB3 VI, § 1489 Rz 9). Das bedingt die Kenntnis des Kausalzusammenhangs und - bei verschuldensabhängiger Haftung - auch die Kenntnis der Umstände, die das Verschulden begründen (RIS-Justiz RS0034524 [T27; T29]; RS0034603; RS0034951; RS0034524 [T14; T27; T29]). Setzt diese Kenntnis Fachwissen voraus, so beginnt die Verjährungsfrist regelmäßig erst zu laufen, wenn der Geschädigte durch ein Sachverständigengutachten Einblick in diese Zusammenhänge erlangt hat (10 Ob 1/03z). Bloße Mutmaßungen über die angeführten Umstände genügen nicht. Erst objektives Bekanntsein der maßgeblichen Tatumstände bedeutet Kenntnis des Schadens (RIS-Justiz RS0034547; Dehn in KBB3 § 1489 Rz 3). Kommt jemand durch einen ärztlichen Kunstfehler zu Schaden, so beginnt die Verjährungsfrist nicht, solange die Unkenntnis, dass es sich um einen Kunstfehler handelt, andauert, mögen auch der Schade und die Person des (möglichen) Ersatzpflichtigen an sich bekannt sein (RIS-Justiz RS0034603 [T4]). Immer hängt aber die Frage, wann eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann, von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0034524 [T23]).
2. Die vom Berufungsgericht zum Beginn der Verjährungsfrist vertretene Ansicht weicht von dieser Rechtsprechung nicht ab.
Im Hinblick darauf, dass nur das (objektive) Bekanntsein bzw die positive Kenntnis von Schaden und Schädiger maßgeblich ist, ist die Ansicht des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, die Klägerin habe am 24. April 2002 nicht mehr als bloße Mutmaßungen über das Vorliegen eines Kunstfehlers gehabt. Wenngleich sie subjektiv vom Vorliegen eines Kunstfehlers überzeugt war, standen ihr zum damaligen Zeitpunkt keine medizinischen Unterlagen zur Verfügung, die eine Objektivierung ihrer Ansicht ermöglicht hätten. Sie wäre zum damaligen Zeitpunkt nicht in der Lage gewesen, das zur Begründung ihres Ersatzanspruchs erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten, weshalb sie keine erfolgversprechende Aussicht hatte, ihren Anspruch durchzusetzen. Von dieser Sachlage sind jene Konstellationen zu unterscheiden, die der Rechtsprechung zu Grunde liegen, ein Geschädigter dürfe nicht so lange mit der Klageführung zuwarten, bis er sämtliche Beweismittel gesammelt habe, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Prozesserfolg erwarten lassen (RIS-Justiz RS0034524 [T6; T7; T20]). Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Verjährungsfrist habe solange nicht begonnen, solange die objektive Unkenntnis der Klägerin davon andauerte, dass dem Zahnarzt ein Kunstfehler unterlaufen (und das Gutachten des Beklagten demnach unrichtig) sei, mögen ihr auch der Schaden und die Person des möglichen Ersatzpflichtigen an sich bekannt gewesen sein, entspricht somit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.
3. Dem Einwand des Beklagten, die Klägerin sei infolge rechtsanwaltlicher Vertretung nicht als „Laiin“ anzusehen, ist zu entgegnen, dass medizinisches - und nicht juristisches - Fachwissen nötig gewesen wäre, um die Richtigkeit des Gutachtensergebnisses beurteilen zu können, ua ob der Beklagte im Hinblick auf die Gegebenheiten neben der Einholung eines röntgenologischen Befundes noch weitere bildgebende Befundaufnahmen zu veranlassen gehabt hätte.
4. Das Rekursvorbringen, die Einbringung der Klage nach sieben Jahren sei im Sinne der zur Verjährung von Schadenersatzansprüchen ergangenen Rechtsprechung als Untätigkeit zu werten, findet im festgestellten Sachverhalt keine Stütze. Indem die Klägerin während dieser Zeitspanne „unzählige Ärzte in ganz Österreich“ aufsuchte, um die Existenz eines Kieferbruchs unter Beweis stellen zu können, ist sie ihrer Erkundigungsobliegenheit nach den für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen nachgekommen. Dass - und zu welchem früheren Zeitpunkt - sie bei angemessener Erkundigung positive Kenntnis über den Kieferbruch hätte erlangen können, hat der Beklagte nicht behauptet.
Zu der vom Berufungsgericht aufgeworfenen Frage, ob der Beginn der Verjährungsfrist schon durch den Umstand ausgelöst wurde, dass die Klägerin im Vorprozess nach Vorliegen des Gerichtsgutachtens von der weiteren Prozessführung gegen den Zahnarzt (vorerst) Abstand nahm, eine Ruhensvereinbarung abschloss und die Kosten der Gegenseite beglich, enthält der Rekurs keine Ausführungen. Dasselbe gilt für die vom Berufungsgericht als eine erhebliche Rechtsfrage begründend erachtete lange Zeitspanne zwischen schädigendem Ereignis und Klage. Auf diese Zeit kommt es im Übrigen nach dem Gesetz in den Grenzen des § 1489 zweiter Satz ABGB (dreißig Jahre) nicht an.
Da somit Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu lösen sind, ist der Rekurs als unzulässig zurückzuweisen.
Textnummer
E95763European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0010OB00162.10W.1123.000Im RIS seit
23.12.2010Zuletzt aktualisiert am
01.06.2012