Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Georg Eberl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C***** F*****, Angestellte, *****, vertreten durch Dr. Franz Müller-Strobl und Dr. Robert Kugler, Rechtsanwälte in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei N***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Hans Jalovetz und Dr. Paul Wachschütz, Rechtsanwälte in Villach, wegen 3.994,20 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. September 2010, GZ 8 Ra 72/10k-26, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Die Beklagte bestreitet nicht, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen für einen berechtigten vorzeitigen Austritt der Abfertigungsanspruch der Klägerin trotz ihrer - unter Hinweis auf gesundheitliche Gründe erfolgten - Eigenkündigung gewahrt geblieben ist (RIS-Justiz RS0031717; Friedrich in Marhold/Burgstaller/Preyer § 26 AngG Rz 19 und § 25 Rz 53).
2.1 Der Austrittsgrund der (dauerhaften) Gesundheitsgefährdung gemäß § 26 Z 1 zweiter Fall AngG ist nach der Rechtsprechung verwirklicht, wenn durch die Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit für den Dienstnehmer eine aktuelle Gefahr für seine Gesundheit besteht und ihm aus diesem Grund die Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (RIS-Justiz RS0028723; RS0060144; Friedrich aaO § 26 Rz 5 und 10). Zwischen der Dienstleistung und der Gesundheitsgefährdung muss ein kausaler Zusammenhang bestehen. Im Allgemeinen wird eine Grenze dort gezogen, wo die Gründe für die Gesundheitsgefährdung vorwiegend im privaten Umfeld des Dienstnehmers zu finden sind und der Bezug zur Dienstleistung gar nicht oder nur in sehr geringem Umfang gegeben ist. Nach der Rechtsprechung können aber auch die Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz (zB Mobbing: 8 ObA 2285/96d) oder das Arbeitsklima (zB degradierende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen: 9 ObA 47/88) eine zum Austritt berechtigende Gesundheitsbeeinträchtigung bewirken (Friedrich aaO § 26 Rz 12). In diesem Sinn ist es ebenso denkbar, dass eine konkrete psychische Belastungssituation am Arbeitsplatz, der nicht durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch Gestaltung der Arbeitssituation, begegnet werden kann, einen vorzeitigen Austritt rechtfertigt.
Diese Grundsätze hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 9 ObA 130/09x (RIS-Justiz RS0125862) bekräftigt. Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen damit im Einklang. Entgegen der Ansicht der Beklagten kann bei Vorliegen einer relevanten psychischen Belastungssituation auch ein negatives Arbeitsklima einen vorzeitigen Austritt rechtfertigen.
2.2 Die Frage, ob den betrieblichen Vorfällen und ihren gesundheitlichen Auswirkungen ein solches Gewicht zukommt, dass sie zum Austritt berechtigen, lässt sich nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen (vgl RIS-Justiz RS0106298).
Die von den Vorinstanzen vorgenommene Qualifikation der Beschwerdesymptomatik der Klägerin als psychische Belastungsreaktion mit Krankheitswert samt Bejahung einer relevanten Gesundheitsgefährdung, die ihr die Fortsetzung der Tätigkeit bei der Beklagten unzumutbar macht, ist keinesfalls unvertretbar. Das Gleiche gilt für die Bejahung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Gesundheitsgefährdung der Klägerin und dem Arbeitsklima. Auch wenn die Klägerin eine sensitive Persönlichkeit aufweist, lässt sich die Ausprägung der Beschwerdesymptomatik auf die Verschlechterung des Arbeitsklimas ab Ende 2007 zurückführen.
2.3 Die in der außerordentlichen Revision angesprochene Frage nach der Heilungsfähigkeit betrifft die zeitliche Komponente der Gesundheitsgefährdung. Ausgehend von den Feststellungen ist die Verneinung der Therapie- und Heilungsmöglichkeit im Fall der Aufrechterhaltung der Arbeitstätigkeit bei der Beklagten jedenfalls vertretbar, zumal die psychische Belastungssituation für die Klägerin gerade im Arbeitsklima bei der Beklagten begründet war. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Klägerin nach ihrer Kündigung die Angestelltentätigkeit bei einem anderen Dienstgeber wieder aufnehmen konnte. Nach den Feststellungen stand die Erkrankung der Klägerin gerade mit dem „Ort des Geschehens“ im Zusammenhang.
3. Auf ein Verschulden des Dienstgebers oder seiner Mitarbeiter an der Herbeiführung des Austrittsgrundes kommt es im vorliegenden Fall nicht an. Die Klägerin macht einen Abfertigungsanspruch und nicht etwa einen Schadenersatzanspruch geltend. Der Abfertigungsanspruch besteht im gegebenen Zusammenhang nach § 23 Abs 7 AngG nur dann nicht, wenn der wichtige Grund für einen vorzeitigen Austritt nicht besteht.
Die Verneinung eines (Mit-)Verschuldens der Klägerin durch das Berufungsgericht (vgl dazu 8 ObA 116/98m; Mosler, Austritt wegen Gesundheitsgefährdung, RdA 1990, 195; s auch Holzer in Marhold/Burgstaller/Preyer § 23 AngG Rz 78) ist mit Rücksicht auf das Krankheitsbild bei der Klägerin und dessen Ursachen nicht korrekturbedürftig.
Mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision zurückweisen.
Schlagworte
11 Arbeitsrechtssachen,Textnummer
E95760European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:008OBA00078.10V.1123.000Im RIS seit
23.12.2010Zuletzt aktualisiert am
14.10.2011