TE OGH 2010/11/23 8ObA35/10w

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Veröffentlicht am 23.11.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Georg Eberl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. D***** L*****, vertreten durch Riedler Nadler Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Universität *****, vertreten durch Engelbrecht und Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen 6.699,50 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. Februar 2010, GZ 10 Ra 104/09a35, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 12. Jänner 2009, GZ 19 Cg 25/07w-30, aufgehoben wurde in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 814,27 EUR (darin 135,71 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 559,15 EUR (darin 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin bewarb sich im Oktober 2006 aufgrund einer Ausschreibung um die befristete Stelle einer Universitätsassistentin an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Beklagten. Von allen Bewerbern und Bewerberinnen stellten sich im Auswahlverfahren zwei, nämlich die Klägerin und ein jüngerer Mann, als für die Stelle geeignet heraus. In Bezug auf die in der Ausschreibung genannten Anstellungserfordernisse konnte dabei keine höhere Qualifikation eines der beiden Kandidaten festgestellt werden. Der Grund, warum sich die Beklagte letztlich für den Mitbewerber der Klägerin entschied, war nicht deren Alter oder Geschlecht, sondern ausschließlich die ablehnenden Äußerungen der befragten Mitglieder des Instituts. Die Klägerin war nämlich bereits in früheren Jahren im selben Institut beschäftigt gewesen und hatte sich dort aufgrund einiger festgestellter Vorfälle den Ruf „sozialer Unverträglichkeit“ erworben.

Das Erstgericht wies das auf Schadenersatz gemäß § 17 Abs 2 Z 1 B-GlBG in Höhe von fünf Monatsbezügen gerichtete Klagebegehren ab. Der Beklagten sei der Beweis gelungen, dass sie den Konkurrenten der Klägerin bei der Besetzung nicht aus einem der behaupteten verpönten Motive vorgezogen habe.

Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Eine Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts oder Alters könne nicht erkannt werden, weil diese Merkmale nach den - vom Berufungsgericht übernommenen - Tatsachenfeststellungen nicht einmal im sogenannten „Bündel der Motive“ der Beklagten für die Nichtaufnahme eine Rolle gespielt haben.

Das Erstgericht habe jedoch den Klagsanspruch rechtsirrig nach dem GlBG anstatt nach dem B-GlBG beurteilt und deshalb nicht geprüft, ob zum Zeitpunkt der Stellenbesetzung die Quotenvoraussetzungen für das in § 11b B-GlBG spezifizierte Gebot der vorrangigen Aufnahme von Bewerberinnen in den Bundesdienst vorlagen. Die Klägerin habe nach den Feststellungen die Ausschreibungskriterien jedenfalls nicht schlechter erfüllt als ihr Konkurrent. Ihre persönliche Ablehnung durch die übrigen Institutsmitglieder sei aber ein im Ausschreibungstext nicht enthaltenes Kriterium, das nach § 28 Abs 1 des gemäß § 11a B-GlBG erlassenen Frauenförderungsplans der Beklagten bei der Besetzungsentscheidung nicht berücksichtigt werden dürfe.

Es seien daher noch Feststellungen darüber zu treffen, ob im Zeitpunkt der Stellenbesetzung Frauen innerhalb der Organisationseinheit iSd § 11b B-GlBG iVm § 5 des Frauenförderungsplans der Beklagten unterrepräsentiert waren. Sollte dies der Fall gewesen sein, wäre ein Schadenersatzanspruch der Klägerin nach § 17 Abs 1 B-GlBG zu bejahen, da der weite Begriff des Diskriminierungsverbots bei der Begründung des Dienst- oder Ausbildungsverhältnisses in § 4 Abs 1 B-GlBG auch einen allfälligen Verstoß gegen das Gebot der vorrangigen Aufnahme in den Bundesdienst nach § 11b B-GlBG umfasse. Es wäre mit dem Zweck des Gesetzes nicht vereinbar, wenn die gesetzliche Sanktion bei Verstößen gegen die vom Gesetz gebotenen Maßnahmen zum Abbau einer Unterrepräsentation von Frauen nicht greifen würden.

Mangels höchstgerichtlicher Judikatur zu dieser Rechtsfrage ließ das Berufungsgericht den Rekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluss zu.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Klägerin beantwortete Rekurs der beklagten Partei ist aus den vom Berufungsgericht ausgeführten Gründen zulässig, er ist auch berechtigt.

1. Nach § 4 B-GlBG (jeweils zitiert in der im Oktober 2006 geltenden Fassung) darf niemand aufgrund des Geschlechts - insbesondere unter Bedachtnahme auf den Ehe- oder Familienstand - im Zusammenhang mit einem Dienst- oder Ausbildungsverhältnis unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden. Ein gleichlautendes Verbot normiert § 13 Abs 1 B-GlBG für eine Diskriminierung aufgrund (ua) des Alters.

Eine unmittelbare Diskriminierung liegt nach § 4a Abs 1 (§ 13a Abs 1) B-GlBG vor, wenn eine Person aufgrund ihres Geschlechts (ihres Alters oder sonstigen Merkmals iSd § 13 Abs 1 B-GlBG) in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine mittelbare Diskriminierung liegt nach § 4a Abs 2 (§ 13a Abs 2) B-GlBG vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen eines Geschlechts (sonstigen Merkmals) in besonderer Weise gegenüber anderen Personen benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

Der von der Klägerin geltend gemachte pauschalierte Schadenersatz nach § 17 Abs 1 B-GlBG gebührt, wenn ein Dienst- oder Ausbildungsverhältnis wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgebots nach den § 4 Z 1 oder § 13 Abs 1 Z 1 B-GlBG nicht begründet worden ist.

Dies ist dahin zu interpretieren, dass für jede vom Bund zu vertretende rechtswirksame Diskriminierung im Bewerbungsverfahren Schadenersatz zu leisten ist. Dass durch die Diskriminierung der berufliche Aufstieg der diskriminierten Person verhindert wurde, ist nicht erforderlich (8 ObA 27/09t).

2. Das in § 11b B-GlBG normierte Gebot an den Dienstgeber, Frauen unter bestimmten Voraussetzungen vorrangig aufzunehmen, ist als rechtspolitische Frauenförderungsmaßnahme vom Diskriminierungsverbot nach § 4 B-GlBG zu unterscheiden. Positive Förderungsbestimmungen („affirmative actions“, gelegentlich als „umgekehrte Diskriminierung“ bezeichnet) haben zum Ziel, in der sozialen Wirklichkeit bestehende faktische Ungleichheiten zu beseitigen oder zu verringern (vgl EuGH Rs C-312/86 - Kommission/Frankreich, Slg 1988, 6315 Rn 15 ua), im konkreten Fall die Beseitigung einer realen Unterrepräsentation von Frauen im Berufsleben. Bis zur Erreichung einer adäquaten Teilnahme wird durch die Förderungsbestimmung im Einzelfall und unter bestimmten, eng definierten Voraussetzungen die Benachteiligung männlicher Bewerber aufgrund eines ansonsten verpönten Entscheidungskriteriums in Kauf genommen. Während das Diskriminierungsverbot das Individuum gegen Benachteiligung in Schutz nimmt, verfolgen die Förderungsbestimmungen ein kollektives Ziel, für dessen Erreichen in begrenztem Ausmaß auch individuelle Opfer in Kauf zu nehmen sind.

3. Die Nichtgewährung einer gesetzlich angeordneten einseitigen Förderungsmaßnahme ist, wenn sie ohne wichtigen Grund erfolgt, rechtswidrig. Die nicht bevorzugte Frau erfährt aber allein dadurch aufgrund ihres Geschlechts keine „weniger günstige Behandlung als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde“ iSd § 4a B-GlBG, weil ein Mann ebenfalls nicht bevorzugt behandelt würde.

Eine Verletzung des Frauenförderungsgebots nach § 11b B-GlBG ist vielmehr nur dann (auch) eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts iSd § 4a B-GlBG, wenn die Entscheidung für einen männlichen Kandidaten aus solchen Gründen erfolgt, die für die gleich qualifizierten Mitbewerber(-innen) diskriminierende Wirkung entfalten (§ 11b Abs 2 B-GlBG).

5. Die Beachtung der Öffnungsklausel des § 11b B-GlBG ist zwingender Bestandteil eines mangelfreien Besetzungsverfahrens. Sie muss in jedem Einzelfall garantieren, dass die Bewerbungen Gegenstand einer objektiven Beurteilung sind, bei der alle die Person der Bewerber betreffenden Kriterien berücksichtigt werden (RIS-Justiz RS0114713; EuGH Rs 450/93 Kalanke; Rs 409/95 Marschall).

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann sich die Prüfung der wichtigen Gründe, die für die Anstellung des männlichen Bewerbers ausschlaggebend sein können, nicht auf die ausdrücklich in der Ausschreibung genannten Kriterien beschränken. Die Situation der Auswahl bei gleicher Eignung könnte sich gar nicht erst stellen, wenn ohnedies eine Person die Ausschreibungskriterien in höherem Maß erfüllt als die anderen Kandidaten.

Eine solche Beschränkung lässt sich auch keineswegs, wie das Berufungsgericht ohne nähere Begründung meint, aus § 28 Abs 1 des Frauenförderungsplans der Beklagten vom 15. 12. 2005 ableiten. Vielmehr wird darin gerade für den Fall, dass anhand des Ausschreibungstexts allein keine Entscheidungsfindung möglich ist, ausdrücklich die Heranziehung von Hilfskriterien angeordnet, die für die künftige Aufgabenerfüllung aussagekräftig sein müssen und sich nicht an einem diskriminierenden, stereotypen Rollenverständnis der Geschlechter orientieren dürfen. Eine unauffällige soziale Integrationsfähigkeit eines Kandidaten, der auf Seiten der Konkurrentin festgestellte schlechte Erfahrungen und mangelnde Akzeptanz durch die Institutsmitglieder gegenüberstehen, ist jedenfalls ein Grund, der für die vorgesehene Zusammenarbeit im Institut und damit die Erfüllung der ausgeschriebenen Aufgaben von Bedeutung ist; gleichzeitig ist er geschlechtsneutral und daher weder unmittelbar noch mittelbar diskriminierend iSd § 4a B-GlBG.

6. Der Schadenersatzanspruch nach § 17 Abs 1 B-GlBG ist dem klaren Gesetzeswortlaut entsprechend auf Fälle einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung iSd §§ 4a, 13a B-GlBG aufgrund der dort genannten Merkmale beschränkt. Eine - hier wegen zumindest vertretbarer Anwendung der Öffnungsklausel überhaupt zu verneinende - Verletzung des Frauenförderungsgebots nach § 11b B-GlBG begründet daher nur dann einen Schadenersatzanspruch nach § 17 Abs 1 B-GlBG, wenn die gebotene bevorzugte Aufnahme einer Bewerberin aus Gründen versagt wurde, die iSd § 4a iVm § 11b Abs 2 B-GlBG diskriminierend wirken.

7. Der Oberste Gerichtshof kann gemäß § 519 Abs 2 ZPO über einen Rekurs gegen einen Beschluss des Berufungsgerichts nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO durch Urteil in der Sache selbst erkennen, wenn die Sache zur Entscheidung reif ist. Da es der vom Berufungsgericht angeordneten ergänzenden Feststellungen über die Quotenvoraussetzungen nach § 11b Abs 1 B-GlBG nicht bedarf, war dem Rekurs der Beklagten Folge zu geben, der angefochtene Beschluss aufzuheben und in der Sache selbst das abweisende Urteil des Erstgerichts im Ergebnis wieder herzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 2 ASGG, §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

Schlagworte

Arbeitsrecht

Textnummer

E95818

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:008OBA00035.10W.1123.000

Im RIS seit

29.12.2010

Zuletzt aktualisiert am

19.02.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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