TE OGH 2010/11/23 1Ob182/10m

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Veröffentlicht am 23.11.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hansjörg G*****, vertreten durch Simma Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, gegen die beklagte Partei Beate F*****, vertreten durch Dr. Arnulf Summer, Dr. Nikolaus Schertler, Mag. Nicolas Stieger, Dr. Thomas Kaufmann und Mag. Andreas Droop, Rechtsanwälte in Bregenz, und die Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Herwig Mayrhofer, Dr. Karl-Heinz Plankel, Mag. Stefan Ganahl und Dr. Andreas Stranzinger, Rechtsanwälte in Dornbirn, wegen 6.176,96 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 6.000 EUR), über die Revisionen der beklagten Partei und der Nebenintervenientin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 25. Juni 2010, GZ 5 R 64/09i-38, mit dem das Teil-Zwischenurteil des Landesgerichts Feldkirch vom 16. Juli 2007, GZ 38 Cg 75/08i-31, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Beide Revisionen werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 919,90 EUR (darin enthalten 153,31 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger ist Eigentümer der Liegenschaft EZ 1615 sowie Miteigentümer der Liegenschaft EZ 1223, die unmittelbar an die im Alleineigentum der Beklagten stehende Liegenschaft EZ 1344 angrenzt. Auf der Liegenschaft EZ 1223 befand sich eine Quelle, die etwa zehn nicht an das öffentliche Trinkwassernetz angeschlossene Haushalte (darunter jenen des Klägers) mit Trink- und Brauchwasser versorgte.

Die Beklagte beauftragte einen Generalunternehmer mit der Errichtung eines Wohnhauses auf ihrer Liegenschaft. Vorgesehen war die Herstellung einer Erdwärmepumpe. Die Nebenintervenientin wurde mit der dafür erforderlichen Erdsondenbohrung beauftragt.

Am 4. 12. 2006 beantragte die Beklagte die wasserrechtliche Bewilligung zur Entnahme von Erdwärme mittels Erdsonden. Die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde führte am 13. 3. 2007 eine Augenscheinsverhandlung an Ort und Stelle durch, an der unter anderem der Kläger als Beteiligter teilnahm. Erörtert wurde, dass sich die Erdsondenanlage im Einzugsbereich der Quelle befinde. Daraufhin wurde eine Änderung des Projekts durch Verschiebung der Erdsonde um ca 20 m beantragt. Der beigezogene geologische Sachverständige schätzte bei dieser Verhandlung die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung der Quelle bei der ursprünglich vorgeschlagenen Position der Sonde mit etwa 80 % ein, was sich durch die geänderte Position deutlich reduzieren ließe. Er schloss aber die Möglichkeit von Trübungen bzw temporären Wasserverlusten im Bereich der Quelle im Zuge der Bohrung nicht aus und ging davon aus, dass bei einer ordnungsgemäßen, den Stand der Technik entsprechenden Verpressung der Sonde der bestehende Zustand im Bereich der Quelle wiederhergestellt werden könnte. Der Kläger erhob in dieser Verhandlung keine Einwendungen gegen eine Bewilligung des Projekts. Mit Bescheid vom 17. 4. 2007 wurde die wasserrechtliche Bewilligung für die Errichtung und den Betrieb der Erdwärmepumpenanlage bis Ende 2032 erteilt.

Die Nebenintervenientin führte vom 8. 5. 2007 bis 12. 5. 2007 die Bohrung für die Erdwärmeanlage durch. Bei einer Tiefe der Bohrung von 115 m trat sehr viel Wasser aus starkklüftigem Sandstein aus. Aufgrund dieses starken Wasseraustritts wurde wesentlich mehr Volumen an Verpressgut (Injektionsgut) eingebracht, als es der Bohrlochverfüllung entsprach. Dies führte zur Versiegelung der mit den Quellaustritten verbundenen wasserführenden Zonen und letztlich zum endgültigen Versiegen der Quelle im August 2007. Danach wurden die betroffenen Wohnobjekte an das öffentliche Wassernetz der Gemeinde angeschlossen.

Die Vorinstanzen bejahten einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch des Klägers analog § 364a ABGB sowie die Zulässigkeit eines Zwischenurteils über das Zahlungsbegehren.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil zu der Frage, ob die im Zuge der Errichtung einer wasserrechtlich bewilligten Erdwärmepumpenanlage verursachte Quellversiegelung auf dem Nachbargrundstück eine haftungsbegründende Immissionshandlung darstelle, höchstgerichtliche Judikatur fehle und eine jüngere einheitliche Judikaturlinie zur Frage der Bejahung eines unabhängigen Schadenersatzanspruchs in analoger Anwendung des § 364a ABGB nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen der Beklagten und der Nebenintervenientin sind entgegen diesem nicht bindenden Ausspruch nicht zulässig.

1.) Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 364a ABGB (unmittelbar oder analog) setzt zunächst voraus, dass es sich um indirekte Immissionen handelt (§ 364 Abs 2 Satz 1 ABGB), die für den Betrieb der Anlage typisch sind (Eccher in KBB3 § 364a ABGB Rz 4 mwN). Die höchstgerichtliche Judikatur qualifiziert Veränderungen des Grundwasserspiegels als Immissionen nach § 364 Abs 2 Satz 1 ABGB und zwar sowohl bei einer - durch Aufschüttung ausgelösten - Anhebung (1 Ob 196/06i) als auch bei einem Absenken im Zuge von Baumaßnahmen (1 Ob 2170/96s = SZ 69/220 = RdU 1997, 40 [Holzner]; RIS-Justiz RS0106322 [T1]). Nichts anderes hat für die hier aufgetretene Versiegelung von wasserführenden Schichten zu gelten, die letztlich zum Versiegen der auf dem Nachbargrundstück gelegenen Quelle führten. Der Ausgleichsanspruch des § 364a ABGB umfasst auch solche Schäden, die typischerweise auf Baumaßnahmen im Zuge der Errichtung einer Anlage zurückzuführen sind (RIS-Justiz RS0106324 [T3]). Die für das Versiegen der Quelle ursächliche Verpressung des Injektionsguts stand im Zusammenhang mit der - behördlich genehmigten - Errichtung der Erdwärmepumpenanlage, was die beklagte Partei in ihrer Differenzierung zwischen dauerndem Betrieb einer genehmigten Anlage zu vorübergehender Maßnahme in Form der Verpressung als Grundlage für den Ausgleichsanspruch gänzlich vernachlässigt. Die nach den Umständen des konkreten Einzelfalls zu beurteilende Frage des adäquaten Kausalzusammenhangs (1 Ob 196/06i) zwischen den Maßnahmen zur Herstellung der Wärmeanlage (Verfüllung des Bohrlochs) und dem Versiegen der Quelle hat das Berufungsgericht in einer Weise beantwortet, die nicht korrekturbedürftig ist. Die ständige Judikatur schließt nämlich eine adäquate Schadensverursachung nur dann aus, wenn das schädigende Ereignis für den eingetretenen Schaden nach allgemeiner Lebenserfahrung gleichgültig ist und nur eine außergewöhnliche Verkettung von Umständen vorliegt (RIS-Justiz RS0098939; RS0022914 [T4]). Warum bei einer Bohrung im Nahebereich von Quellen keinesfalls damit zu rechnen sei, ab einer gewissen Tiefe auf stark wasserführende Erdschichten zu stoßen und wegen der deshalb erforderlichen umfangreicheren Verpressung den unterirdischen quellenspeisenden Wasserlauf zu ändern, können die Revisionswerber nicht erklären.

2.) Die ständige Rechtsprechung billigt einen verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch auch dann zu, wenn sich aus der Interessenlage ausreichende Anhaltspunkte für eine Analogie zu § 364a ABGB ergeben (1 Ob 1/88 = SZ 61/61 mwN; RIS-Justiz RS0010668 [T13 und 17]). Das wird insbesondere in Fällen angenommen, in denen durch eine behördliche Bewilligung der Anschein der Gefahrlosigkeit und damit der Rechtmäßigkeit der bewilligten Baumaßnahme hervorgerufen und auch die Abwehr zwar nicht rechtlich ausgeschlossen, aber faktisch derart erschwert wird, dass der Nachbar die Maßnahme praktisch hinnehmen muss (RIS-Justiz RS0010668 [T1]; ebenso Eccher aaO Rz 6). Dem Geschädigten muss daher ein Abwehrrecht genommen sein, dass ihm sonst nach dem Inhalt seines Eigentums zugestanden wäre.

3.) Die Auffassung der Vorinstanzen zur analogen Anwendung des § 364a ABGB hält sich im Rahmen dieser von der höchstgerichtlichen Judikatur entwickelten Kriterien. Nach dem Ergebnis des wasserrechtlichen Bewilligungsverfahrens war trotz Verlegung des Standorts der Bohrung zwar mit vorübergehenden Trübungen und Wasserverlusten zu rechnen, keinesfalls aber mit dem endgültigen Versiegen der Quelle. Die Meinung des von der Behörde beigezogenen Sachverständigen, die Verlegung des Standorts sei eine ausreichende Maßnahme zur Vermeidung von dauernden Beeinträchtigungen der Quelle, rechtfertigt es, den faktischen Ausschluss einer vorbeugenden Unterlassungsklage anzunehmen. Dabei kommt es entgegen der Meinung der Nebenintervenientin nicht darauf an, ob der Kläger im wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren nicht Partei, sondern nur Beteiligter gewesen wäre, dem keine Einwendungen oder Rechtsmittel zustanden: Maßgeblich ist vielmehr der durch die Bewilligung erweckte Anschein der Gefahrlosigkeit und Gesetzmäßigkeit des geplanten Projekts (1 Ob 21/82 = SZ 55/105; RIS-Justiz RS0010668).

4.) Die Argumente der Nebenintervenientin zu ihrer Auffassung nach fehlender Schlüssigkeit des Klagebegehrens, die jeweils im konkreten Einzelfall zu prüfen ist (RIS-Justiz RS0037780), begründen keine erhebliche Rechtsfrage, ist doch die Angabe der anspruchsbegründenden Norm grundsätzlich nicht Voraussetzung einer schlüssigen Klage (RIS-Justiz RS0037447; RS0037551; Rechberger/Klicka in Rechberger3 § 226 ZPO Rz 8). Die Konsequenz der Differenzierung zwischen § 364a ABGB und § 26 Abs 2 WRG für das Ergebnis der Haftung der Beklagten ist außerdem nicht zu erkennen. Die Revisionswerberin gesteht ja selbst zu, dass die Anspruchsgrundlagen, wie die Notwendigkeit betriebstypischer Immissionen oder die Unmöglichkeit der Unterlassungsklage identisch sind.

5.) Die Fällung eines Zwischenurteils iSd § 393 Abs 1 letzter Halbsatz ZPO idF WGN 1989 setzt jedenfalls voraus, dass der Kausalzusammenhang mit einer der behaupteten Schadensfolgen, deren Eintritt ebenfalls an sich feststehen muss, geklärt und bejaht ist (3 Ob 131/03s = SZ 2003/112; RIS-Justiz RS0102003 [T10]). Die Revisionswerber bestreiten nach wie vor die Kausalität des schädigenden Ereignisses für die Aufwendungen, die dem Kläger aufgrund des Anschlusses an die öffentliche Wasserversorgung entstanden sind und die er seinem Leistungsbegehren zugrundelegt (Anschlussgebühr, Kosten der Rodung für die Verlegung der Wasserleitung, Kanal- und Wassergebühren vom 6. 10. 2007 bis zum 10. 7. 2008 etc). Sie behaupten, aufgrund der fehlenden Trinkwasserqualität des Quellwassers wäre der Anschluss an das öffentliche Wassernetz auch ohne das schädigende Ereignis notwendig gewesen („Sowiesokosten“). Steht fest, dass der gleiche Schaden auch ohne das dem Anspruch zugrundegelegte Schadensereignis zu einem mit einiger Sicherheit bestimmbarem Zeitpunkt ohnehin eingetreten wäre, würde der Schädiger nur für jenen (hier nicht geltend gemachten) Schaden haften, der sich aus der zeitlichen Vorverlegung ergibt (Wittwer in Schwimann, ABGB-TaKomm § 1295 ABGB Rz 18 mwN). Dieser, vom Schädiger zu erbringende, Nachweis unterliegt aber strengen Anforderungen: Dass der Schaden irgendwann oder möglicherweise ohnehin eingetreten wäre, reicht nicht aus (RIS-Justiz RS0022647 [T1 und T2]). Die Revisionswerber übersehen in ihren Argumenten, dass die angeblich bereits zum Schädigungszeitpunkt fehlende Trinkwasserqualität für sich alleine nicht zwingend denselben Schaden herbeigeführt haben müsste. Vor dem Versiegen der Quelle bezog der Kläger sowohl Trink- als auch Brauchwasser ausschließlich aus der Quelle. Erst durch das schädigende Ereignis wurde die Wasserversorgung, also auch jene mit Brauchwasser zur Gänze eingestellt, was den Anschluss an das öffentliche Versorgungssystem unabdingbar machte. Dass der Kläger auch ohne das Schadensereignis in jedem Fall eine (angeblich) fehlende Trinkwasserqualität zum Anlass genommen hätte, sich ab demselben Zeitpunkt mit demselben Aufwand durch das öffentliche System mit Wasser versorgen zu lassen, haben die Schädiger im konkreten Fall nicht hinreichend deutlich vorgebracht. Selbst wenn eine Versorgung mit Quellwasser nicht dieselbe Trinkwasserqualität wie ein öffentliches Leitungssystem garantieren würde, bliebe es immer noch der Entscheidung des Wasserbeziehers vorbehalten, die fehlende Qualität durch andere Maßnahmen zu kompensieren.

6.) Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

7.) Die Kostenentscheidung gründet sich jeweils auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Wird eine Revision gegen ein Zwischenurteil oder ein Urteil des Berufungsgerichts, das ein Zwischenurteil des Erstgerichts bestätigt, mangels Zulässigkeit zurückgewiesen, so findet kein Kostenvorbehalt nach § 52 Abs 2 ZPO iVm § 393 Abs 4 ZPO statt, wenn der Gegner - sowie hier - auf die Unzulässigkeit hinweist (RIS-Justiz RS0123222 [T8]). Der Kostenersatz umfasst auch den Streitgenossenzuschlag, weil die unterlegene Beklagte auch die Kosten der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung gegenüber der Nebenintervenientin entstandenen Kosten zu ersetzen hat (RIS-Justiz RS0036057 [T1, T5]).

Schlagworte

Zivilverfahrensrecht

Textnummer

E95777

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0010OB00182.10M.1123.000

Im RIS seit

27.12.2010

Zuletzt aktualisiert am

07.03.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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