Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Irene Kienzl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Gabriele Jarosch (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G***** H*****, vertreten durch Mag. Florian Mitterbacher, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz, als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. Oktober 2010, GZ 8 Rs 146/10t-18, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der am 20. 8. 1958 geborene, zum Stichtag (1. 8. 2009) 50-jährige Kläger arbeitet seit 1983 bei der Stadtgemeinde W***** als Vertragsbediensteter in der Friedhofsverwaltung. Er war zunächst damit beschäftigt, Gräber auszuheben und zu schließen, fungierte als Sargträger und wurde zur Friedhofspflege herangezogen. Im Jahr 1987 wurde er Vorarbeiter der Bestattung mit einem erweiterten, vom Erstgericht im Einzelnen festgestellten Aufgabenbereich, der jedoch weiterhin überwiegend manuelle Tätigkeiten rund um das Abholen, die Aufbahrung und das Einsargen von „Sterbefällen“ umfasste. Im Rahmen dieser Tätigkeit, die dem Kläger aufgrund der festgestellten Leiden nicht mehr möglich ist, hatte er - wie ausdrücklich feststeht - keine kaufmännischen Tätigkeiten zu verrichten, weil diese von der Gemeindeverwaltung durchgeführt werden.
Die Vorinstanzen haben das Klagebegehren auf Gewährung einer Invaliditätspension mit der Begründung abgewiesen, das Aufgabengebiet des (nur in Deutschland bestehenden) Lehrberufs einer „Bestattungsfachkraft“, der eine dreijährige Ausbildung erfordere, übersteige die vom Kläger durchgeführten - manuellen - Arbeiten bei weitem; insbesondere habe er keine kaufmännischen Dienste zu leisten gehabt, weil diese von den zuständigen Abteilungen seiner Arbeitgeberin durchgeführt worden seien. Demgegenüber sei in der Ausbildung zum Lehrberuf der Bestattungsfachkraft neben der manuellen Tätigkeit auch eine umfassende kaufmännische Ausbildung vorgesehen; die Tätigkeit des Bestatters habe sich nämlich mittlerweile zu einem kundenorientierten Dienstleistungsberuf entwickelt. Die (vom Kläger behauptete) dreijährige Einschulungszeit sei daher mit den in der dreijährigen Lehre in Deutschland erworbenen Kenntnissen jedenfalls nicht zu vergleichen.
Die außerordentliche Revision beruft sich darauf, auch das Berufungsgericht habe die Frage, ob die Tätigkeit des Kläger an Qualität und Umfang einem Lehrberuf gleichzuhalten sei, falsch beurteilt.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Feststellung der Kenntnisse und Fähigkeiten, über die der Versicherte verfügt, ebenso wie die Frage, welche Voraussetzungen für die Ausübung eines bestimmten Berufs erforderlich sind und mit welchen Anforderungen dieser Beruf verbunden ist, nach ständiger Rechtsprechung eine irrevisible Tatfrage darstellt (10 ObS 42/07k mwN). Es handelt sich insoweit also in Wahrheit um Feststellungen bzw Negativfeststellungen, die (nach einer erfolglosen Beweisrüge des Klägers) vom Berufungsgericht als unbedenklich übernommen wurden und im Revisionsverfahren nicht mehr angreifbar sind.
Demnach steht aber - wie die außerordentliche Revision selbst aufzeigt - „gerade nicht“ fest, dass der Aufgabenbereich des Klägers auch kaufmännische Tätigkeiten und auf Wunsch auch die Erledigung von behördlichen und kirchlichen Formalitäten umfasst hätte. Die außerordentliche Revision bekämpft hier - wie bereits die Berufung - die Feststellungen, wonach der Kläger keine kaufmännischen Tätigkeiten zu verrichten hatte, und überwiegend manuelle Tätigkeiten ausgeübt hat. Diese (Tat-)Fragen sind jedoch - wie bereits ausgeführt - im Revisionsverfahren nicht mehr überprüfbar:
Mit der diesbezüglichen Beweisrüge hat sich nämlich bereits das Berufungsgericht auseinandergesetzt und die bekämpfte Feststellung übernommen, wobei die insoweit geltend gemachte Aktenwidrigkeit schon deshalb nicht vorliegt, weil der Kläger selbst zuletzt ausdrücklich angegeben hat, er habe mit kaufmännischen Dingen „nichts zu tun“ gehabt (AS 92).
Rechtliche Beurteilung
Die Vorinstanzen haben somit im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats einen Berufsschutz des Klägers verneint:
Ein angelernter Beruf liegt gemäß § 255 Abs 2 ASVG vor, wenn für seine Ausübung qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich waren, welche jenen in einem erlernten österreichischen Lehrberuf gleichzuhalten sind. Was die in der außerordentlichen Revision angesprochene Ausbildungsdauer betrifft, entspricht es bei vergleichbaren Berufen, die ebenfalls keine Angestelltentätigkeit begründen (wie etwa jene von Stationsgehilfen oder Pflegehelfern), ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass solche, selbst bei einer theoretischen und praktischen Ausbildung im Gesamtausmaß von 1850 Stunden, weder einen erlernten noch einen angelernten Beruf iSd § 255 Abs 1 (und 2) ASVG darstellen, weil ein einem Lehrberuf vergleichbares Ausbildungsniveau nicht erreicht werde (10 Ob 116/05i mwN; 10 ObS 39/09x; 10 ObS 187/09m; 10 ObS 74/09v [Darstellung der bisherigen Rsp]).
Davon ausgehend hat der Senat den Berufsschutz eines Prosekturgehilfen in der Entscheidung 10 Ob 116/05i bereits ausdrücklich verneint, weil sich der Kläger für diese Tätigkeit nach eigenem Vorbringen lediglich durch die Absolvierung eines nur sechs Monate dauernden Prosekturgehilfenkurses und praktische Arbeit qualifiziert habe, was die auch in dieser Entscheidung ausführlich dargestellten Voraussetzungen nicht erfülle (10 ObS 116/05i = RIS-Justiz RS0084778 [T8] = RS0084962 [T15]).
Nichts anderes kann für die Kläger gelten, der sich lediglich auf die im Zuge seiner dreijährigen „Einschulung in der Praxis“ erworbenen Kenntnisse beruft.
Seinen Ausführungen ist im Übrigen auch zu erwidern, dass es für das Vorliegen eines Berufsschutzes als angelernter Arbeiter nach § 255 Abs 2 ASVG nach ständiger Rechtsprechung nicht genügt, dass der Versicherte über die Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die für die Annahme eines angelernten Berufs erforderlich sind; es müssen vielmehr diese Kenntnisse und Fähigkeiten für die von ihm ausgeübte Berufstätigkeit erforderlich, also Voraussetzung hiefür gewesen sein. Daher kann nach der Rechtsprechung ein Versicherter, der nur eine Teiltätigkeit eines Lehrberufs ausübt, die nicht als angelernte Tätigkeit anzusehen ist, auch beispielsweise durch einen nachträglichen Lehrabschluss ohne jede praktische Anwendung der dort erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten keinen Berufsschutz erlangen (vgl jüngst: 10 ObS 121/10g mwN [Berufskraftfahrer]).
Dementsprechend ist im vorliegenden Fall der festgestellte Aufgabenbereich des Klägers maßgebend, wobei insoweit nicht zweifelhaft sein kann, dass - angesichts der vom Arbeitgeber des Klägers selbst übernommenen Verwaltungsaufgaben - für die Ausübung der festgestellten Tätigkeit des Klägers Kenntnisse und Fähigkeiten, die denen einer gelernten „Bestattungsfachkraft“ gleichzuhalten sind, gar nicht erforderlich waren. Sein Verweisungsfeld ist daher nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen. Dass er die Voraussetzungen für die Zuerkennung der begehrten Pensionsleistung nach dieser Gesetzesstelle nicht erfüllt, wird auch in der Revision nicht in Zweifel gezogen. Die außerordentliche Revision ist daher mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
Schlagworte
SozialrechtTextnummer
E95916European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:010OBS00168.10V.1130.000Im RIS seit
12.01.2011Zuletzt aktualisiert am
24.02.2012