TE OGH 2010/12/2 2Ob203/10g

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Veröffentlicht am 02.12.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sozialhilfeverband G*****, vertreten durch Dr. Klaus Rainer, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Gemeinde H*****, wegen 69.825 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 5. Oktober 2010, GZ 2 R 129/10y-6, womit der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 16. September 2010, GZ 27 Cg 184/10k-2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die klagende Partei, ein Sozialhilfeverband iSd § 21 Abs 1 stmk Sozialhilfegesetz, LGBl 1998/29 in der geltenden Fassung (in der Folge als „SHG“ bezeichnet), begehrt gemäß § 21 Abs 15 SHG von der beklagten Gemeinde die dort geregelte sogenannte Sozialhilfeumlage vorläufig für den Monat März 2010 in Höhe des Klagsbetrags. Die Beklagte sei ihrer Zahlungsverpflichtung nach der zitierten Bestimmung nicht nachgekommen. Sie habe den Finanzierungsbedarf anerkannt, jedoch gleichzeitig mitgeteilt, dass es ihr aufgrund ihrer finanziellen Lage unmöglich sei, den Sozialhilferückstand zu begleichen.

Das Erstgericht wies die Klage a limine wegen Unzulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs zurück. Der geltend gemachte Anspruch beruhe auf einer öffentlich-rechtlichen Norm und demnach auf einer hoheitlichen Befugnis. Eine bürgerliche Rechtssache iSv § 1 JN liege nicht vor. Das von der Klägerin behauptete Anerkenntnis der beklagten Gemeinde entkleide den Anspruch nicht seines öffentlich-rechtlichen Charakters, könne doch das Anerkenntnis auch nur nach dem öffentlichen Recht erfolgt sein. Da das SHG nicht vorsehe, dass eine Verwaltungsbehörde über die Vorschreibung und Einhebung der Sozialhilfeumlage entscheide, sei der Anspruch des klagenden Sozialhilfeverbands gegen die Gemeinde gemäß Art 137 B-VG beim Verfassungsgerichtshof durchzusetzen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des klagenden Sozialhilfeverbands nicht Folge. Es vertrat im Wesentlichen die Rechtsauffassung des Erstgerichts und führte zu dem von der klagenden Partei relevierten Anerkenntnis der Beklagten noch aus, aus dem Klagsvorbringen könne lediglich ein unechtes oder deklaratives Anerkenntnis abgeleitet werden. Ein konstitutives Anerkenntnis werde nämlich nur dann angenommen, wenn ein Gläubiger ernstlich eine Forderung behaupte und der Schuldner die Zweifel an deren Bestand bzw die entstandene Unsicherheit durch die Willenserklärung beseitige, die Verpflichtung auch für den Fall zu begründen, dass sie bisher nicht bestanden haben sollte. Diese Voraussetzungen lägen nach dem Klagsvorbringen nicht vor.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs nicht zu, weil bei dieser eindeutigen Rechtslage eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der klagenden Partei ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

Der Rechtsmittelwerber bringt im Wesentlichen vor, er habe in der Klage hinreichendes Vorbringen iSd § 226 ZPO zum Anerkenntnis der beklagten Gemeinde als rechtserzeugender Tatsache vorgebracht, sodass in der Klage ein neuer, auf privatrechtlicher Grundlage beruhender Rechtsgrund behauptet worden und somit der Rechtsweg zulässig sei. Überdies sei die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts, der geltend gemachte Anspruch sei im Übrigen (abgesehen vom Anerkenntnis) öffentlich-rechtlicher Natur, verfehlt.

Dazu wurde erwogen:

1. Gesetzliche Bestimmungen

1.1. Aus dem steiermärkischen Sozialhilfegesetz-SHG, LGBl 1998/29 in der geltenden Fassung:

§ 21 Organisation der Sozialhilfeverbände

(1) Die Gemeinden des politischen Bezirkes bilden den Sozialhilfeverband.

(3) Die Bildung der Gemeindeverbände, die Zusammensetzung der Organe sowie die Aufgaben der Organe und die Aufsicht richtet sich nach den Bestimmungen des GVOG 1997.

(15) Die Sozialhilfeverbände sind berechtigt, ihren durch die eigenen Einnahmen nicht gedeckten Finanzbedarf aufgrund des § 3 Abs. 2 F-VG auf die verbandsangehörigen Gemeinden nach Maßgabe ihrer Finanzkraft (…) umzulegen (Sozialhilfeumlage). Die Höhe der Sozialhilfeumlage ist in einem Hundertsatz dieser Berechnungsgrundlage festzusetzen. Der Hundertsatz bedarf der Genehmigung der Landesregierung. Die Sozialhilfeumlage ist von den Gemeinden in monatlichen Teilbeträgen bis zum 15. des darauf folgenden Monats zu entrichten.

1.2. Aus dem Finanz-Verfassungsgesetz 1948:

§ 3

(2) Die Länder sind berechtigt, durch Landesgesetze ihren durch sonstige Einnahmen nicht gedeckten Bedarf auf die Städte mit eigenen Statuten, die Gemeinden oder gegebenenfalls die Gemeindeverbände umzulegen. ...

1.3. Aus dem steiermärkischen Gemeindeverbandsorganisationsgesetz (GVOG 1997), LGBl 1997/66 in der geltenden Fassung:

§ 1 Geltungsbereich:

Dieses Gesetz findet Anwendung auf alle Gemeindeverbände, die freiwillig durch Vereinbarungen oder zwangsweise aufgrund von Landes- oder Bundesgesetzen gebildet werden.

§ 2 Rechtliche Stellung:

(1) Gemeindeverbände besitzen Rechtspersönlichkeit.

(2) Den Gemeindeverbänden kommt hinsichtlich der ihnen zugewiesenen Aufgaben dieselbe Stellung zu, wie sie den Gemeinden hinsichtlich dieser Aufgaben zukommt, wenn sie keinen Gemeindeverband bilden. Im Übrigen wird die rechtliche Stellung der einzelnen verbandsangehörigen Gemeinden nicht berührt.

§ 5 Satzung, Name und Sitz des Gemeindeverbandes

(1) Die Satzung hat zu enthalten:

6. Regelung der vermögensrechtlichen Ansprüche der verbandsangehörigen Gemeinden gegenüber dem Gemeindeverband und der Haftung für Verbindlichkeiten;

§ 8 Kostenersätze und Beiträge

(1) Zur Deckung des Aufwands des Gemeindeverbandes sind zunächst dessen eigene Einnahmen heranzuziehen. Der durch diese Einnahmen nicht zu deckende Aufwand kann auf die verbandsangehörigen Gemeinden umgelegt werden. Näheres hat die Satzung zu regeln und festzulegen, nach welchen Grundsätzen die Kostenumlegung zu erfolgen hat. …

(2) Die Satzung kann vorsehen, dass die Mitgliedsgemeinden monatliche Vorauszahlungen der Kosten gegen nachträgliche jährliche Verrechnung leisten. In der Vorauszahlung mehr als drei Monate säumige Gemeinden oder Gemeinden, die mit einer Entrichtung der Kosten überhaupt mit mehr als drei Monaten im Verzug sind, kann von der Aufsichtsbehörde mit Bescheid die Kostentragung über Antrag des Verbandsvorstandes vorgeschrieben werden.

§ 11 Bildung von Gemeindeverbänden durch Gesetz.

(1) In Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches des Landes können, wenn die gemeinsame Besorgung zweckmäßiger, einfacher und kostengünstiger ist, für Angelegenheiten der Vollziehung oder der privatrechtlichen Tätigkeit durch Gesetz oder, wenn das Gesetz es vorsieht, durch Verordnung der Landesregierung Gemeindeverbände gebildet werden. …

§ 14 Kostenersätze und Beiträge

Soweit in den Materiengesetzen keine Regelung über Kostenersätze und Beiträge getroffen werden, gelten die Bestimmungen des § 8 sinngemäß.

§ 22 Aufsicht

(1) Aufsichtsbehörde über die Gemeindeverbände ist die Landesregierung. …

§ 23 Entscheidung in Streitfällen

Über Streitigkeiten aus dem Verbandsverhältnis zwischen dem Gemeindeverband und den verbandsangehörigen Gemeinden sowie zwischen diesen entscheidet die Landesregierung mit Bescheid.

2. Aus den zitierten gesetzlichen Bestimmungen ergibt sich, dass der klagende Sozialhilfeverband ein durch Gesetz geschaffener öffentlich-rechtlicher Rechtsträger ist und die ausstehenden Sozialhilfeumlagen durch Bescheid der Landesregierung vorzuschreiben sind. Da der Bescheid die Entscheidungsform der Verwaltungsbehörden darstellt, ist somit hinreichend dokumentiert, dass der geltend gemachte Anspruch keine vor die ordentlichen Gerichten gehörige „bürgerliche Rechtssache“ iSv § 1 JN ist. Angesichts der Kompetenz der Landesregierung für die Bescheiderlassung ist die vom Erstgericht angenommene suppletorische Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs gemäß Art 137 B-VG zu bezweifeln. Darüber ist hier aber nicht abzusprechen.

3. Zum Anerkenntnis als Anspruchsgrundlage:

Nach der Rechtsprechung können Ansprüche öffentlich-rechtlicher Natur dann im Klageweg durchgesetzt werden, wenn sie auf einem privatrechtlichen Rechtsgrund, wie etwa Anerkenntnis, Vergleich oder vertragliche Vereinbarung, gestützt werden (RIS-Justiz RS0119686; RS0032374; RS0032976; RS0035837).

Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs ist in erster Linie der Wortlaut des Klagebegehrens und darüber hinaus der Klagssachverhalt (die Klagsbehauptungen) maßgebend. Maßgebend ist die Natur, das Wesen des geltend gemachten Anspruchs, wofür wiederum der geltend gemachte Rechtsgrund von ausschlaggebender Bedeutung ist. Ohne Einfluss ist es hingegen, was der Beklagte einwendet und ob der behauptete Anspruch begründet ist; es kommt nur darauf an, ob nach dem Inhalt der Klage ein privatrechtlicher Anspruch erhoben wird, über den die ordentlichen Gerichte zu entscheiden haben (RIS-Justiz RS0045584; vgl auch RS0005896; RS0045718; RS0045644).

Entgegen der Auffassung des Revisionsrekurswerbers reicht jedoch sein Klagsvorbringen nicht aus, um im vorliegenden Fall die Erfordernisse dafür, der an sich öffentlich-rechtliche Anspruch werde auch auf einen privatrechtlichen Rechtsgrund gestützt, als gegeben zu sehen: Das Gesetz verlangt zwar nicht, dass der Kläger den gesamten Tatbestand vortrage. Er muss jedoch die rechtserzeugenden Tatsachen vollständig und knapp vorbringen (RIS-Justiz RS0036973).

Wie schon das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat, ergeben sich aus dem Klagsvorbringen zum Anerkenntnis keinerlei Hinweise darauf, dass ein konstitutives Anerkenntnis vorliegen könne. Ein solches liegt nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn der Gläubiger aufgrund eines bestimmten Sachverhalts ernstlich den Bestand einer Forderung behauptet und der Schuldner die Zweifel am Bestand der Forderung durch sein Anerkenntnis wie bei einem Vergleich beseitigt (RIS-Justiz RS0032319; RS0032516 [T2: verstärkter Senat]; RS0032792; RS0032818).

Nach dem Klagsvorbringen lagen irgendwelche Zweifel über die Verpflichtung der beklagten Gemeinde, die Sozialhilfeumlage zu bezahlen, überhaupt nicht vor, vielmehr bezahlte die beklagte Gemeinde wegen finanzieller Engpässe nicht. Entgegen der Auffassung des Revisionsrekurswerbers wäre die in der Klage nicht aufgestellte Behauptung, es wäre durch das Anerkenntnis Klarheit über ein von der Beklagten bezweifeltes Recht des Klägers geschaffen worden, Voraussetzung eines konstitutiven Anerkenntnisses. Auf anspruchsvernichtende Einwendungen, die nach Streitanhängigkeit von der beklagten Gemeinde zu erstatten wären, kommt es somit nicht mehr an.

4. Zusammengefasst ergibt sich somit, dass der geltend gemachte Anspruch öffentlich-rechtlicher Natur und somit nicht von den ordentlichen Gerichten zu entscheiden ist und von der klagenden Partei auch kein privatrechtlicher Verpflichtungsgrund vorgebracht wurde. Die Zurückweisung der Klage durch die Vorinstanzen ist somit zu Recht erfolgt.

Textnummer

E95839

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0020OB00203.10G.1202.000

Im RIS seit

04.01.2011

Zuletzt aktualisiert am

24.06.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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