TE OGH 2010/12/3 12Ns93/10p

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Veröffentlicht am 03.12.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Dezember 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll und Dr. Schwab als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Prammer als Schriftführerin in der Strafsache gegen H***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen, AZ 122 Hv 31/07h des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Anzeige der Ausgeschlossenheit des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Senatspräsident des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp ist von der Entscheidung über die gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4. Juli 2008, GZ 122 Hv 31/07h-1933, erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen ausgeschlossen.

An seine Stelle tritt Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig.

Text

Gründe:

Der Oberste Gerichtshof hat zu AZ 14 Os 143/09z über mehrere Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4. Juli 2008, GZ 122 Hv 31/07h-1933, zu entscheiden. Senatspräsident des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp ist Vorsitzender des für die Erledigung dieser Rechtsmittel zuständigen 14. Senats.

Nach Mitteilung der Präsidentin des Obersten Gerichtshofs ist Senatspräsident des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp einer der Bewerber, die sich um die Planstelle eines Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs beworben haben. Die Entscheidung über die Bestellung des Vizepräsidenten bzw der Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs trifft der Bundespräsident unter federführender Mitwirkung der Bundesministerin für Justiz (Art 65 Abs 2 lit a iVm Art 67 Abs 1 B-VG). An die Bundesministerin für Justiz weiterzuleitende Besetzungsvorschläge eines richterlichen Personalsenats sind in diesem Fall nicht vorgesehen (§§ 31 Abs 3, 32 Abs 4 RStDG).

Die solcherart in die Ernennung eines Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs maßgeblich eingebundene nunmehrige Bundesministerin für Justiz Dr. Bandion-Ortner war seinerzeit als Richterin die Vorsitzende jenes Schöffensenats, dessen Urteil im Rechtsmittelverfahren des Obersten Gerichtshofs zu AZ 14 Os 143/09z überprüft wird.

Die Planstelle eines Vizepräsidenten bzw einer Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs wurde am 9. Juli 2010 zu BMJ-A 134.000/0001-III 5/2010 ausgeschrieben. Die Bewerbungsfrist endete am 6. August 2010. Am 25. August 2010 wurden sämtliche Bewerbungsgesuche (samt Standesbogen und Eignungsbeurteilung durch die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs) dem Bundesministerium für Justiz übermittelt.

Eine Entscheidung der Bundesministerin für Justiz, wer dem Bundespräsidenten zur Ernennung als Vizepräsident des Obersten Gerichtshofs vorgeschlagen wird, ist bislang nicht bekannt.

Ein Mitglied des zur Entscheidung berufenen Rechtsmittelsenats erklärte zum Schreiben der Präsidentin des Obersten Gerichtshofs seiner in § 44 Abs 2 StPO normierten Verpflichtung nachzukommen und eine Anzeige zwecks Prüfung einer allfälligen Ausgeschlossenheit betreffend den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp zu erstatten.

              Senatspräsident des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp selbst sieht sich in seiner Stellungnahme als in keiner Weise voreingenommen oder von außen beeinflusst.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 43 Abs 1 Z 3 StPO ist ein Richter vom Verfahren ausgeschlossen, wenn Gründe vorliegen, die geeignet sind, seine volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen.

Diese Bestimmung stellt im Sinn eines unparteiischen Gerichts nach Art 6 Abs 1 EMRK zunächst auf eine subjektive Unparteilichkeit des einschreitenden Richters ab, der bei seiner Entscheidungsfindung durch persönliche Vorurteile oder Voreingenommenheit nicht beeinträchtigt sein darf (vgl Grabenwarter EGMR4 § 24 Rz 42 ff; Lässig, WK-StPO § 43 Rz 13). Umstände, welche die subjektive Unparteilichkeit des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp in Frage zu stellen vermögen, liegen nicht vor.

Daneben ist die objektive Unparteilichkeit des Gerichts zu prüfen, um sicherzustellen, dass der richterliche Entscheidungsträger „ausreichende Garantien“ bietet, um jeden berechtigten Zweifel in diesem Zusammenhang auszuschließen (vgl Lässig, WK-StPO § 43 Rz 13; EGMR, Pullar gg Vereinigtes Königreich, ÖJZ-MRK 1996/34, 874; EGMR, Fey gg Österreich, ÖJZ-MRK 1993/26, 394). Dabei ist auch auf den äußeren Anschein abzustellen (vgl Lässig, WK-StPO Vorbem zu §§ 43- 47 Rz 5 und § 43 Rz 10; Frowein/Peukert EMRK-Kommentar2 Art 6 Rz 129- 135; EGMR, Elezi gg Deutschland, EUGRZ 2009, 12). Die objektive Unparteilichkeit als wesentliches Element bei der Wahrung des Vertrauens, welches Gerichte in einer demokratischen Gesellschaft erwecken müssen (vgl EGMR, Pullar gg Vereinigtes Königreich, ÖJZ-MRK 1996/34, 874), ist in diesem Zusammenhang schon dann in Frage gestellt, wenn Umstände vorliegen, welche auch bloß die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen (vgl Grabenwarter EGMR4 § 24 Rz 45 mwN).

Da die nunmehrige Bundesministerin für Justiz im Verfahren AZ 122 Hv 31/07h des Landesgerichts für Strafsachen Wien damals als Richterin den Vorsitz des Schöffensenats geführt hatte und dieses von ihr ausgefertigte Urteil Gegenstand des beim Obersten Gerichtshof zu AZ 14 Os 143/09z anhängigen Rechtsmittelverfahrens ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass für einen außenstehenden Betrachter der Anschein entsteht, der sich um eine Planstelle eines Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs bewerbende Vorsitzende des Rechtsmittelsenats sei in seiner richterlichen Entscheidung nicht völlig unabhängig, sondern könnte - mit Blick auf die federführende Position der Bundesministerin für Justiz beim Vorschlagsrecht für diese Planstelle gegenüber dem Bundespräsidenten - nicht gänzlich unbefangen agieren. Dabei fällt besonders ins Gewicht, dass nach außen hin kein Grund für eine mehrmonatige Verzögerung der Ernennung eines Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs erkennbar ist. Im Hinblick auf den für 22. und 23. Dezember 2010 angesetzten Gerichtstag zur Entscheidung über im Verfahren AZ 122 Hv 31/07h des Landesgerichts für Strafsachen Wien ergriffene Rechtsmittel der Angeklagten kann mit fortschreitender Zeit selbst für einen streng objektiven Beobachter ein Konnex zwischen der von diesem Richter angestrebten, allerdings (immer noch) ausstehenden Ernennung und der anstehenden richterlichen Entscheidung im anhängigen Rechtsmittelverfahren zumindest nicht ausgeschlossen werden. Schon diese missliche, ohne irgend ein Verschulden des involvierten richterlichen Organs entstandene Optik einer im Zeitverlauf immer drückender werdende Spannungslage für den Entscheidungsträger stellt nach dem in der Judikatur zur EMRK herausgearbeiteten Grundsatz „Justice must not only be done, it must also be seen to be done“ eine konventionskonforme objektive Unparteilichkeit in Frage.

Senatspräsident des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp ist daher von der Entscheidung über die gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4. Juli 2008, GZ 122 Hv 31/07h-1933, erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen ausgeschlossen.

An seine Stelle tritt aufgrund der laufenden Vertretungsregelung der Geschäftsverteilung des Obersten Gerichtshofs Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig (§ 45 Abs 2 StPO).

Textnummer

E95736

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0120NS00093.10P.1203.000

Im RIS seit

04.01.2011

Zuletzt aktualisiert am

04.01.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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