Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Insolvenzsache der Gemeinschuldnerin A***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. jur. F***** B*****, aus Anlass der Anträge 1. der Gemeinschuldnerin und 2. der B***** AG, *****, vertreten durch Dr. jur. F***** B*****, wegen Feststellung der Ausgeschlossenheit von Richtern, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.
Text
Begründung:
Die Gemeinschuldnerin sowie die Zweitantragstellerin als ihre Alleingesellschafterin und Konkursgläubigerin beantragten gemäß § 119 Abs 5 IO (richtig: § 119 Abs 5 KO, vgl § 273 Abs 1 IO) die Ausscheidung von Amtshaftungsansprüchen gegen die Republik Österreich aus der Insolvenzmasse sowie deren Überlassung an die Gemeinschuldnerin zur Durchsetzung. Die behaupteten Ansprüche hätten ihre Ursache in einer rechts- und pflichtwidrigen Verzögerung des vom Obersten Gerichtshof dem Landesgericht Linz zugewiesenen Verfahrens über einen früheren Antrag der Antragsteller, der ebenfalls auf Ausscheidung von Amtshaftungsansprüchen gemäß § 119 Abs 5 KO gerichtet war. Dieses Verfahren sei einschließlich eines Rechtsmittelverfahrens 176 Tage beim Landesgericht Linz anhängig gewesen; diese Verfahrensdauer sei überlang und haftungsbegründend. Der Präsident des Oberlandesgerichts Linz habe im Rahmen seiner Dienstaufsicht gegenüber dem Erstgericht nichts unternommen, um der objektiv gegebenen Verzögerung entgegenzuwirken. Der Oberste Gerichtshof sei zuständig, einen anderen Gerichtshof I. Instanz zur Entscheidung zu bestimmen, weil die Ausgeschlossenheit sämtlicher Richterinnen und Richter der Landesgerichte Krems an der Donau und Linz sowie der Oberlandesgerichte Linz und Wien gemäß § 9 Abs 4 AHG gegeben sei.
Das Landesgericht Krems an der Donau legte die Eingabe ON 267 dem Obersten Gerichtshof unter Hinweis auf die Entscheidungen 8 Nc 11/10z und 8 Nc 25/10h mit dem Ersuchen vor, das zuständige Gericht betreffend die Entscheidung über den Antrag auf Ausscheidung von Amtshaftungsansprüchen zu bestimmen.
Rechtliche Beurteilung
Eine Zuständigkeit des - in der Sache von den Antragstellern nicht angerufenen - Obersten Gerichtshofs zur Entscheidung über eine amtswegige Delegierung ist jedoch nicht gegeben.
1. Die Antragsteller stützen ihre Anträge ausschließlich auf § 9 Abs 4 AHG. Diese Bestimmung normiert einen Fall der notwendigen und damit der Parteiendisposition entzogenen Delegierung (1 Nc 42/07b), die von Amts wegen zu erfolgen hat, wenn durch die Ausgeschlossenheit von Richtern das angerufene Gericht an der Ausübung der Gerichtsbarkeit gehindert ist; den Parteien steht kein Antragsrecht zu (Ballon in Fasching/Konecny² I § 30 JN Rz 1 und 6). Nach der Zweckbestimmung des § 9 Abs 4 AHG sollen die Richter eines Gerichtshofs nicht über Ansprüche erkennen, die ein Verhalten eines Mitglieds desselben Gerichtshofs zum Gegenstand haben (8 Nc 11/10z mwH); alle von einem Amtshaftungsanspruch betroffenen Gerichte sind von jeder Entscheidung über diesen Anspruch auszuschließen (8 Nc 25/10h; RIS-Justiz RS0056449). Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach die sinngemäße Anwendung des § 9 Abs 4 AHG in Verfahren, die dem Amtshaftungsverfahren vorausgehen und die Voraussetzungen für die Einbringung einer Amtshaftungsklage bilden, als notwendig erachtet (zum Verfahren gemäß § 119 Abs 5 KO vgl 8 Nc 11/10x mwN).
2. Die Antragsteller behaupten hier ausschließlich eine durch das Landesgericht Linz verursachte Verfahrensverzögerung und eine Untätigkeit des Präsidenten des Oberlandesgerichts Linz als Dienstaufsichtsorgan. Keines dieser Gerichte ist jedoch zur Entscheidung über den hier zu beurteilenden Antrag auf Ausscheidung von Amtshaftungsansprüchen als Erst- oder Rekursgericht zuständig. Die Frage einer allfälligen Ausgeschlossenheit von Richterinnen und Richtern des Landesgerichts Linz oder des Oberlandesgerichts Linz stellt sich daher nicht.
Über den Antrag auf Ausscheidung der hier zu beurteilenden Amtshaftungsansprüche haben vielmehr das Erstgericht als Konkursgericht und gegebenenfalls das Oberlandesgericht Wien als Rechtsmittelgericht zu entscheiden. Ein Fehlverhalten von Richterinnen oder Richtern dieser Gerichte behaupten die Antragsteller im konkreten Zusammenhang aber gar nicht, sodass deren Ausgeschlossenheit nach den dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung hier nicht vorliegt. Dass die Antragsteller in anderen Zusammenhängen Fehlverhalten von Richterinnen oder Richtern des Erstgerichts und des Oberlandesgerichts Wien behaupten und daraus Amtshaftungsansprüche ableiten, die mit den hier behaupteten Ansprüchen nichts zu tun haben, bewirkt nicht, dass die genannten Gerichte im Verfahren über den Antrag auf Ausscheidung der hier behaupteten Amftshaftungsansprüche ausgeschlossen sind.
3. Die Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 9 Abs 4 AHG liegen daher nicht vor. Der Akt war daher dem Erstgericht zurückzustellen.
Textnummer
E95900European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0080NC00034.10G.1206.000Im RIS seit
14.01.2011Zuletzt aktualisiert am
07.11.2011