TE OGH 2010/12/14 3Ob211/10s

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Veröffentlicht am 14.12.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, Pensionist, *****, vertreten durch Mag. Heimo Allitsch, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Univ.-Prof. Dr. M*****, Arzt, *****, vertreten durch Dr. Edwin Mächler, Rechtsanwalt in Graz, und den Nebenintervenienten auf der Seite der beklagten Partei Dr. P*****, Arzt, *****, vertreten durch Scherbaum Seebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 221.872,47 EUR sA, Rente (102.096 EUR) und Feststellung (5.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 23. September 2010, GZ 2 R 123/10s-20, womit infolge Rekurses des Nebenintervenienten der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 14. Juli 2010, GZ 34 Cg 18/10z-16, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Nebenintervenient ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.751,66 EUR (darin 458,61 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Mit der am 12. Februar 2010 eingebrachten Klage begehrt der Kläger vom Beklagten Schadenersatz wegen behaupteter ärztlicher Fehlbehandlung und Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht. Nach seinen am 13. Februar 2007 erlittenen Verletzungen sei er erstmals am 16. Februar 2007 vom Beklagten operiert worden. Infolge eines dem Beklagten unterlaufenen Behandlungsfehlers seien sieben Nachoperationen erforderlich geworden, von denen der Beklagte vier vorgenommen habe; die erste und die zweite Nachoperation (am 4. April 2007 und am 4. Mai 2007) seien vom nunmehrigen Nebenintervenienten durchgeführt worden.

Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klagebegehren. Er habe weder Behandlungs- noch Aufklärungsfehler begangen. Der Krankheitszustand des Klägers sei Resultat eines schicksalhaften Verlaufs.

Mit dem am 5. Mai 2010 eingebrachten Schriftsatz erklärte der Nebenintervenient, dem Verfahren auf der Seite des Beklagten beizutreten. Er habe ein rechtliches Interesse am Obsiegen des Beklagten. Mit Klage vom 1. April 2010 habe der Kläger auch ihn für exakt dieselben Ansprüche in Anspruch genommen. Die beim Kläger aufgetretenen Entzündungen im Operationsbereich seien schicksalhaft gewesen.

Der Kläger beantragte, die Nebenintervention nicht zuzulassen.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Zulassung der Nebenintervention zurück, weil er kein rechtliches, sondern nur ein wirtschaftliches Interesse am Obsiegen des Beklagten habe. Das dem Beklagten und dem Nebenintervenienten vorgeworfene Tun oder Unterlassen sei gesondert und unabhängig voneinander zu beurteilen, sodass ein Obsiegen des Beklagten keineswegs zwingend die Haftung des Nebenintervenienten ausschließe oder umgekehrt.

Das Rekursgericht änderte infolge Rekurses des Nebenintervenienten den Beschluss des Erstgerichts dahin ab, dass es den Antrag des Klägers auf Zurückweisung der Nebenintervention abwies. Bei der Beurteilung, ob die Nebenintervention zulässig sei, sei kein strenger Maßstab anzulegen; es genüge, dass der Rechtsstreit die Rechtssphäre des Nebenintervenienten berühre. Mit seinen beiden Klagen mache der Kläger im Wesentlichen eine Solidarhaftung des Beklagten und des Nebenintervenienten geltend: Beide Ärzte hätten ihm durch ihr rechtswidriges Verhalten den (weitgehend) gleichen Schaden zugefügt. Es liege auf der Hand, dass ein für den Kläger negativer Ausgang des Schadenersatzprozesses gegen den Beklagten die Rechtslage des Nebenintervenienten in dem gegen ihn selbst geführten Prozess insofern verbessere, als damit jedenfalls der dem Kläger obliegende Nachweis der Kausalität des Verhaltens des Nebenintervenienten für einen eingetretenen Schaden zumindest erheblich erschwere. Dazu komme vor allem aber auch, dass der Nebenintervenient, falls der Beklagte den Prozess verlieren sollte, wahrscheinlich mit einer Regressnahme rechnen müsse, im Fall des Obsiegens des Beklagten aber keineswegs. Insgesamt sei daher das rechtliche Interesse des Nebenintervenienten zu bejahen.

Der Revisionsrekurs ist unzulässig, weil keine erhebliche Rechtsfragen von einer über den Einzelfall hinausgehenden, grundsätzlichen Bedeutung zu beantworten seien.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers aus dem Revisionsrekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses.

Der Nebenintervenient beantragt in der ihm freigestellten Revisionsrekursbeantwortung (§ 521a ZPO; 6 Ob 201/09s), den Revisionsrekurs des Klägers als unzulässig zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht im Einzelfall von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen ist; er ist auch berechtigt.

1. Voranzustellen ist, dass die Bestimmung des § 18 Abs 4 ZPO, nach der die Zulassung der Nebenintervention nicht durch ein abgesondertes Rechtsmittel angefochten werden konnte, mit der Zivilverfahrens-Novelle 2009, BGBl I 2009/30, mit Wirkung vom 1. April 2009 aufgehoben wurde.

2. Das Revisionsrekursvorbringen des Klägers lässt sich dahin zusammenfassen, dass es an einem rechtlichen Interesse des Nebenintervenienten am Beitritt fehle. Der Beklagte und der Nebenintervenient hätten die Behandlung bzw Operationen nicht gemeinsam vorgenommen und den Schaden in diesem Sinn nicht gemeinsam zugefügt. Die beiden würden vom Kläger zwar wegen der gleichen Ansprüche, aber auf der Grundlage jeweils gesonderter Behandlungsfehler mit eigener Klage in Anspruch genommen, weshalb die Behandlung durch den Beklagten einerseits und den Nebenintervenienten andererseits gesondert und unabhängig voneinander zu beurteilen sei. Konsequenterweise könne ein rechtliches Interesse des Nebenintervenienten höchstens am Obsiegen des Klägers bestehen. Der vom Nebenintervenienten angestrebte negative Ausgang des vom Kläger gegen den Beklagten geführten Prozesses, in dem die Behandlung durch den Nebenintervenienten und die Kausalität des Verhaltens des Nebenintervenienten für den Schadenseintritt nicht Prozessgegenstand sei, könne zu keiner Verbesserung der Rechtslage des Nebenintervenienten im anderen Prozess gegen ihn führen. Die vom Rekursgericht zitierte Entscheidung 5 Ob 67/10d sei insofern nicht einschlägig, als im dortigen Verfahren eine Streitverkündung erfolgt sei und kein gesonderter eigener Prozess gegen den Nebenintervenienten anhängig gewesen sei. Insgesamt würde eine Nebenintervention auf Seiten des Beklagten zu keinem prozessökonomischen Vorteil gereichen und allein den Vertretungsaufwand auf Seite des Nebenintervenienten bzw das Kostenrisiko auf Seite des Klägers erhöhen.

3. Die Rechtsprechung ist in Bezug auf die Zulassung der Nebenintervention großzügig, indem betont wird, dass bei der Beurteilung, ob die Nebenintervention zulässig ist, kein strenger Maßstab anzulegen ist. Es genügt, dass der Rechtsstreit die Rechtssphäre des Nebenintervenienten berührt (RIS-Justiz RS0035638). Die Nebenintervention ist aber dann zurückzuweisen, wenn schon aus den vorgebrachten Tatsachen kein rechtliches Interesse zu erkennen ist (RIS-Justiz RS0035638 [T6]). In diesem Sinn hat der Beitretende sein rechtliches Interesse iSd § 18 Abs 1 ZPO zu spezifizieren, insbesondere auch dahingehend, dass es am Obsiegen derjenigen Prozesspartei besteht, auf deren Seite der Nebenintervenient beitritt (hier also auf Seite des Beklagten).

4. Nach dem Inhalt des Beitrittsschriftsatzes stützt der Nebenintervenient sein rechtliches Interesse am Obsiegen der beklagten Partei auf Auswirkungen auf der Sachverhaltsebene. Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrmals dargelegt hat, reicht das Interesse am Erzielen bestimmter Beweisergebnisse zur Begründung eines rechtlichen Interesses nicht aus (7 Ob 725/80 = SZ 53/168 [für einen „Musterprozess“]; 2 Ob 12/09t unter Berufung auf 2 Ob 132/60 = JBl 1961, 91; zuletzt 3 Ob 73/10x; RIS-Justiz RS0035724 [T4]; ebenso Schubert in Fasching/Konecny, ZPO² § 17 Rz 1 mwN).

Selbst die Feststellung eines möglichen Eigenverschuldens des Klägers im Verfahren gegen den Beklagten würde keine Bindungswirkung für den Prozess gegen den Nebenintervenienten entfalten.

5. Mangels entsprechender Darlegung eines rechtlichen Interesses am Obsiegen des Beklagten hat das Erstgericht den Beitritt zu Recht zurückgewiesen; diese Entscheidung ist wiederherzustellen.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 iVm § 41 ZPO. Im Zwischenstreit über die Zulassung des Nebenintervenienten wird auch dieser kostenersatzpflichtig (RIS-Justiz RS0035436). Kosten für die Rekursbeantwortung wurden vom Kläger nicht verzeichnet.

Textnummer

E95956

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0030OB00211.10S.1214.000

Im RIS seit

14.01.2011

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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