Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gemeinde L*****, vertreten durch Fischer, Walla & Matt Rechtsanwälte OG in Dornbirn, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch Dr. Karl Schelling, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen Einwendungen gegen den Anspruch (197.647,66 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 7. September 2010, GZ 2 R 281/10d-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom 22. Juli 2010, GZ 8 C 496/10w-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.395,08 EUR (darin enthalten 399,18 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte ist Hälfteeigentümerin der Liegenschaft EZ ***** GB *****, bestehend aus den Grundstücken 735 (1834 m²) und 748/1 (6505 m²). Diese Grundstücke waren im Flächenwidmungsplan der nunmehr klagenden Gemeinde vom 17. 5. 1978 als Baumischgebiet ausgewiesen. Im Jahr 1988 erfolgte eine Umwidmung der Grundstücke, teils in Bauwohngebiet, teils in Baumischgebiet und teils in Baumischgebiet ÖZ (= öffentlicher Zweck) Parkplatz.
Die Beklagte und ihr am 11. 5. 2006 verstorbener Bruder haben die Liegenschaft mit Übergabe- und Dienstbarkeitsvertrag vom 19. 12. 2002 je zur Hälfte erworben; dem Vater und dessen Schwester wurde ein Fruchtgenuss eingeräumt. Mit Pachtvertrag vom 28. 6. 2002 haben die beiden Fruchtgenussberechtigten der klagenden Gemeinde eine Teilfläche des Grundstücks 748/1 im Ausmaß von 1625 m² zum Betrieb eines Parkplatzes gegen einen monatlichen Pachtzins von 1.672,99 EUR ab 1. 5. 2002 auf unbestimmte Zeit verpachtet, wobei die Verpächter auf die Kündigung des Pachtvertrags bis 30. 4. 2012 verzichteten.
Am 5. 11. 2002 und 1. 4. 2003 beschloss die Gemeindevertretung der klagenden Gemeinde einen neuen Flächenwidmungsplan, den die Vorarlberger Landesregierung am 29. 4. 2003 genehmigte. In diesem wurde eine Teilfläche der Grundstücke der Beklagten im Ausmaß von 6129 m² in Freifläche/Sondergebiet/Parkanlage umgewidmet.
Für diese Rückwidmung begehrten die Beklagte und ihr Bruder im Verfahren 18 Msch 30/04g des Bezirksgerichts ***** eine Entschädigung nach § 27 Abs 6 Vorarlberger Raumplanungsgesetz (Vlbg RPG). Mit Beschluss des Landesgerichts ***** vom 13. 11. 2007 wurde die nun klagende Gemeinde schuldig erkannt, der Beklagten (ebenso der Verlassenschaft nach ihrem Bruder) binnen 14 Tagen 904.027,50 EUR samt 4 % Zinsen seit 1. 11. 2003 zu bezahlen. Mit Beschluss vom 9. 9. 2008, AZ 5 Ob 30/08k (= Zak 2009/99, 76 [Berka 63] = AnwBl 2009, 370 [Sallinger]), wies der Oberste Gerichtshof den Revisionsrekurs der Beklagten (und der Verlassenschaft nach ihrem Bruder) zurück und gab dem Revisionsrekurs der klagenden Partei nicht Folge.
Mit Wirksamkeit per 19. 4. 2009 beschloss die klagende Gemeinde die Umwidmung der streitgegenständlichen Grundflächen in Baufläche Mischgebiet.
Mit Beschluss vom 30. 3. 2010, AZ 11 E 2244/09f des Bezirksgerichts ***** wurde der Beklagten als betreibender Partei gegen die nun klagende Gemeinde zur Hereinbringung ihrer Forderung von 4 % Zinsen aus 904.027,50 EUR vom 1. 11. 2003 bis 17. 4. 2009, das sind 197.647,66 EUR, die Fahrnisexekution bewilligt.
Mit ihrer am 9. 6. 2010 eingebrachten Oppositionsklage begehrt die Klägerin den der Exekution zugrunde liegenden Anspruch für erloschen zu erklären. Die Parteien seien überein gekommen, dass die zugesprochene Entschädigung nicht zur Auszahlung gelange, da ohnedies die Rückwidmung der Liegenschaftsfläche durchgeführt werde. Die Entschädigung und die Zinsen bildeten eine Einheit, sodass die Rückzahlungsverpflichtung auch die Zinsen umfasse. Die Exekutionsführung sei daher schikanös und rechtsmissbräuchlich.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach den Feststellungen war die Beklagte im Hinblick auf die beabsichtigte Rückwidmung damit einverstanden, dass die ihr zugesprochene Entschädigung nicht ausgezahlt wird; bis auf Widerruf gab sie dieses Einverständnis auch in Bezug auf ihre Verzugszinsenforderung. Das Erstgericht konnte nicht feststellen, dass die klagende Gemeinde eine Rückwidmung nicht durchgeführt hätte, hätte sie gewusst, dass die Beklagte nicht auch auf die Zahlung der Zinsen verzichten würde. Die von der klagenden Gemeinde gezahlten Pachtzinse für die von ihr gepachtete Parkplatzfläche wurden von einem der beiden Fruchtgenussberechtigten einbehalten. Bei dem nicht verpachteten Teil handelt es sich um eine Wiese, die seit über 20 Jahren von einem Landwirt bewirtschaftet wird.
Seiner rechtlichen Beurteilung legte das Erstgericht zugrunde, dass sich aus der festgestellten Korrespondenz nicht ergeben habe, dass die Beklagte auf die Zahlung des zugesprochenen Zinsenbetrags gegenüber der klagenden Gemeinde verzichtet habe. Weder dem § 27 Abs 5 lit b, Abs 7 Vlbg RPG noch dem § 50 Vlbg StraßenG oder dem § 37 Abs 2 EisbEG könne eine aus der neuerlichen Umwidmung resultierende Rückzahlungspflicht der Liegenschaftseigentümerin auch in Bezug auf die dem Entschädigungsbetrag entstammenden Verzugszinsen entnommen werden. Eine schikanöse oder rechtsmissbräuchliche Exekutionsführung liege daher nicht vor.
Das Berufungsgericht teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts und gab der Berufung keine Folge. Der Oberste Gerichtshof habe im Titelverfahren (5 Ob 30/08k) den Verzugszinsenzuspruch mit der Regelung des § 46 Abs 6 Satz 2 Vlbg Straßengesetz iVm § 27 Abs 6 Vlbg RPG gerechtfertigt und abgeleitet, dass die begehrten Verzugszinsen jedenfalls ab dem Inkrafttreten des Flächenwidmungsplans zustünden. Daraus folge, dass die Gemeinde an sich verpflichtet gewesen wäre, den Entschädigungsbetrag bereits zu diesem Zeitpunkt an die Beklagte und ihren Miteigentümer zu leisten. Dass solche Erträgnisse bei einer Rückzahlung der Entschädigung iSd § 27 Abs 7 Vlbg RPG der Gemeinde zukommen sollten, lasse sich dem Gesetz nicht entnehmen. Vielmehr spreche § 50 Abs 1 vorletzter Satz Vlbg StraßenG im Gegensatz dazu davon, dass auf die in der Zwischenzeit bezogenen Nutzungen keine Rücksicht zu nehmen sei. Mangels gesetzlicher Grundlage für eine Rückzahlung von zu leistenden Verzugszinsen werde die Beklagte durch die exekutiv betriebenen Zinsen nicht bereichert. Zwar hätte aus § 27 Abs 5 lit b Vlbg RPG allenfalls abgeleitet werden können, dass der Gemeinde eine Wertsicherung zustehe, welche allenfalls gegen den Zinsenanspruch aufzurechnen sei; mangels diesbezüglichen erstinstanzlichen Vorbringens der Gemeinde sei auf diesen Aspekt jedoch nicht näher einzugehen.
Die Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle, ob und unter welchen Voraussetzungen ein titulierter Anspruch auf Zinsen aus einem Entschädigungsbetrag nach § 27 Vlbg RPG erlösche, wenn eine Umwidmung iSd § 27 Abs 7 Vlbg RPG in Baufläche erfolge und deshalb eine geleistete Entschädigung vom Eigentümer an die Gemeinde zurückzuzahlen sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, (erkennbar) die Revision in erster Linie als unzulässig zurückzuweisen, in eventu, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.
1. Das auf Rechtsmissbräuchlichkeit der Exekutionsführung abstellende Revisionsvorbringen lässt sich dahin zusammenfassen, dass die Titelentscheidung 5 Ob 30/08k unrichtig sei, was sich an der daran in der Lehre geübten Kritik zeige. Eine historische Wort- und systematische Interpretation des § 27 Abs 7 Vlbg RPG ergebe, dass die Rückzahlungsverpflichtung nach dieser Bestimmung auch die Verzugszinsen umfasse. Überdies sei die Rechtsmissbräuchlichkeit der Exekutionsführung auch daraus abzuleiten, dass nach § 35 EisbEG für die Festsetzung der Entschädigungssumme auch auf die wirtschaftliche Verwendungsmöglichkeit des Grundstückeigentümers abzustellen sei. Diese Grundsätze seien auch auf die Rückgängigmachung der Rückwidmung anzuwenden. Im konkreten Fall sei eine Veräußerung der Liegenschaft niemals beabsichtigt gewesen und deshalb eine Beeinträchtigung der Grundstücksverwendung nicht eingetreten. Schließlich müsse sich die Beklagte im Wege des Vorteilsausgleichs die indexbezogene Wertsteigerung nach § 27 Abs 5 lit b VlbG RPG anrechnen lassen.
2.1. Das Argument, der Exekutionstitel sei zu Unrecht ergangen, bildet keinen zulässigen Oppositionsgrund (vgl RIS-Justiz RS0001109). Die Oppositionsklage ist nämlich kein prozessuales Mittel zur Durchbrechung der Rechtskraft des Exekutionstitels, sondern dient der Geltendmachung von Änderungen der Sachlage nach Abschluss des Titelverfahrens (RIS-Justiz RS0001109 [T4]).
2.2. Eine rechtsmissbräuchliche (schikanöse) Exekutionsführung berechtigt den Verpflichteten grundsätzlich zu einer Oppositionsklage, wenn sie auf einen dem Exekutionstitel nachfolgenden Sachverhalt gestützt wird (RIS-Justiz RS0114113; 3 Ob 40/06p = RIS-Justiz RS0001233 [T5]). Hiefür kommt eine Verpflichtung der Beklagten zur Rückzahlung der Umwidmungsentschädigung nach § 27 Abs 7 Vlbg RPG in Betracht, wenn mit der Exekutionsführung der Schädigungszweck im Verhältnis zu anderen Zielen der Rechtsausübung deutlich in den Vordergrund tritt. Dies würde wiederum voraussetzen, dass die Beklagte aufgrund geänderter Umstände (erneute Umwidmung in Baufläche durch die Gemeinde) verpflichtet wäre, mit einer an sie geleisteten Umwidmungsentschädigung nach § 27 Abs 7 Vlbg RPG im Sinne einer „Einheitsbetrachtung“ auch die daraus zuerkannten (und gezahlten) Verzugszinsen an die Gemeinde zurückzuzahlen. Da die Gemeinde im konkreten Fall noch keine Zahlung geleistet hat, ist diese Frage fiktiv zu beantworten.
3. Im Vlbg RPG ist die Frage, ob mit einer Umwidmungsentschädigung auch Nebenforderungen wie Verzugszinsen zurückzuzahlen sind, nicht explizit geregelt, sodass sie aufgrund der aus dem Gesetz erkennbaren Wertungen zu beantworten ist. Auszugehen ist davon, dass die klagende Gemeinde titelmäßig verpflichtet wurde, Verzugsverzinsen zu leisten; diese Verpflichtung müsste im Fall eines „Rückgängigmachens“ der seinerzeitigen Umwidmung (hier im weitesten Sinn verstanden) ex lege wegfallen.
3.1. § 27 Abs 7 Vlbg RPG geht davon aus, dass die Entschädigung ausgezahlt wurde; sie ist vom Liegenschaftseigentümer an die Gemeinde zurückzuzahlen, wenn innerhalb von 15 Jahren nach der Auszahlung durch eine Änderung des Flächenwidmungsplans das betreffende Grundstück (wieder) als Baufläche gewidmet wird. Mit anderen Worten kann nach dem vom Gesetz vorgesehenen Regelfall der Liegenschaftseigentümer in der Zeit nach der Auszahlung der Umwidmungsentschädigung über diese verfügen. Führt man die Argumentation der klagenden Gemeinde fort, würde der titulierte Verzugsverzinsungsanspruch dann fortfallen, wenn die Gemeinde - entgegen ihrer Verpflichtung - die Entschädigung nicht leistet, solange sie nur innerhalb von 15 Jahren - offenbar gemeint ab der Verpflichtung zur Leistung der Entschädigung - das betreffende Grundstück wieder als Baufläche widmet.
Damit würde aber die Funktion der Verzugsverzinsung konterkariert, den Schaden, den ein Gläubiger durch die Zahlungsverzögerung des Schuldners erlitten hat, pauschal abzudecken (1 Ob 315/97y = RIS-Justiz RS0080057 spricht von einem „Mindestpauschale“).
3.2. Der Standpunkt der klagenden Gemeinde in Bezug auf den nachträglichen Wegfall der Verpflichtung zur Leistung von Verzugszinsen würde voraussetzen, dass die erneute Umwidmung (in Baufläche) ex tunc wirkt. So wie mehr oder minder generell die Raumordnungsgesetze der Bundesländer (siehe etwa Lienbacher in Bachmann/Baumgartner/Feik/Giese/Jahnel/Lienbacher (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht8 [2010] 453) sieht allerdings auch das Vlbg RPG (in § 23) nur die Möglichkeit der „Änderung“ des Flächenwidmungsplans vor (dazu Auer, Die Änderung des Flächenwidmungsplans [1998] 70 ff), nicht aber eine „Rückgängigmachung“ einer bestimmten Widmung. Auch § 27 Abs 7 Vlbg RPG spricht die „Änderung des Flächenwidmungsplans“ an.
Solange ein Flächenwidmungsplan wirksam ist, dürfen im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde keine ihm widersprechenden Bescheide erlassen werden (§ 22 Abs 1 und 3 Vlbg RPG), sodass indirekt auch die Liegenschaftseigentümer während der Geltungsdauer des Flächenwidmungsplans an diesen gebunden und nicht zu einer widmungswidrigen Verwendung oder Verwertung befugt sind (vgl Lienbacher 453). All dies spricht für eine ex-nunc-Wirkung der neuerlichen Umwidmung.
Ist aber mit einer erneuten Umwidmung keine ex-tunc-Wirkung verbunden, stand und steht dem Liegenschaftseigentümer die Verzugsverzinsung aus der Umwidmungsentschädigung zu; eine untrennbare Einheit zwischen Umwidmungsentschädigung und Verzugsverzinsung ist nicht zu erkennen.
3.3. Somit steht dem Liegenschaftseigentümer bis zur Leistung der Entschädigung oder bis zur erneuten Umwidmung die (gemäß § 1000 Abs 1 in Verbindung mit § 1333 ABGB mit 4 % pro Jahr pauschalierte) Verzugsverzinsung zu.
4. Wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat, fehlt es zur Frage des Anspruchs der klagenden Partei auf eine Wertsicherung nach § 27 Abs 7 iVm Abs 5 lit b Vlbg RPG an einem konkreten (etwa den Betrag beziffernden) Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren, weshalb schon aus diesem Grund auf eine (allenfalls) mögliche Aufrechenbarkeit nicht einzugehen ist.
5. Der Revision der klagenden Gemeinde ist aus den dargelegten Gründen nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Schlagworte
5 Exekutionssachen,Textnummer
E95939European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0030OB00234.10Y.1214.000Im RIS seit
13.01.2011Zuletzt aktualisiert am
19.04.2012