Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** V*****, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Perg, gegen die beklagte Partei M***** AG, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei C***** AG, *****, vertreten durch Mag. Eva Hieblinger-Schütz, Rechtsanwältin in Wien, wegen 18.211,18 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Mai 2010, GZ 5 R 50/10z-19, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. November 2009, GZ 23 Cg 171/08k-14, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.119,24 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 186,54 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Vorinstanzen gaben dem auf Vertragsaufhebung wegen Irrtums und Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückstellung der erworbenen Wertpapiere erhobenen Klagebegehren infolge von der Beklagten veranlassten Geschäftsirrtums über wesentliche Eigenschaften des gekauften Wertpapiers statt. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil den Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Irrtumsanfechtung wegen der auch hier beanstandeten Werbeaussagen aufgrund der Vielzahl der anhängigen Gerichtsverfahren erhebliche Bedeutung zukomme.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt, ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
Der Oberste Gerichtshof befasste sich bereits zu 4 Ob 65/10b und 8 Ob 25/10z ausführlich mit im Wesentlichen gleichartigen Sachverhalten, welche dadurch gekennzeichnet waren, dass Privatanleger ohne besondere Erfahrung mit dem Erwerb von Einzelaktien aufgrund der von der Beklagten (mit-) zu verantwortenden Werbebroschüre Wertpapiere (hier MEL-Zertifikate) erwarben, wobei die Beklagte die Aufträge der Kläger zum Ankauf der Zertifikate als Kommissionär durch Selbsteintritt ausführte.
In den genannten Entscheidungen setzte sich der Oberste Gerichtshof bereits mit der Argumentation der auch hier Beklagten auseinander, wonach kein zur Vertragsanfechtung berechtigender Geschäftsirrtum desjenigen vorliege, der aufgrund der Verkaufsbroschüre die von der Beklagten beworbenen Zertifikate gekauft habe; ein Irrtum über die Risikoträchtigkeit der Wertpapiere bloß einen unbeachtlichen Motivirrtum bilde, die Beklagte einen allfälligen Irrtum des Käufers nicht veranlasst habe bzw ihr dieser Irrtum nicht zuzurechnen sei, und dem Anleger eigene Sorglosigkeit zur Last falle.
Zur Anfechtung des Kaufvertrags berechtigt nur ein Geschäftsirrtum, der den Inhalt des Parteiwillens betrifft. Als beachtlicher Geschäftsirrtum wird allgemein der Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften der Sache angesehen. Ein Irrtum über den Wert der Sache ist ein Irrtum im Beweggrund; ein Irrtum über eine wertbildende Eigenschaft gehört hingegen zum Inhalt des Geschäfts (4 Ob 65/10b mwN). Die Beurteilung des auch in diesem Fall von den Vorinstanzen festgestellten Irrtums des Klägers nicht etwa über die konkrete Kursentwicklung oder über das Ausmaß der jährlichen Wertsteigerung, sondern über das Risiko der gezeichneten Anlage als Geschäftsirrtum, weil der Kläger aufgrund der Verkaufsbroschüre zur Ansicht gelangte, dass das von ihm erworbene Wertpapier anders als andere Aktien ein grundlegend geringeres Risiko des Kursverlustes oder langfristigen Ausfalls hätte, weil in Gewerbeimmobilien mit langfristiger Vermietung an gute Kunden investiert würde, entspricht den vom Obersten Gerichtshof in den genannten Entscheidungen ausgesprochenen Grundsätzen zu einem gleichartigen Sachverhalt. In diesen Entscheidungen hielt der Oberste Gerichtshof auch an der ständigen Rechtsprechung fest, wonach adäquate Verursachung ausreicht, um die Anfechtungsvoraussetzung nach § 871 Abs 1 erster Fall ABGB zu erfüllen. Darüber hinaus wurde festgehalten, dass keine Rede davon sein könne, dass die den festgestellten Irrtum des Klägers über die Risikogeneigtheit der von ihm erworbenen Beteiligungspapiere hervorrufenden Angaben offensichtlich unrichtig gewesen wären und für den Kläger eine Überprüfung leicht möglich gewesen, aber von ihm nicht vorgenommen worden wäre. Weder die allgemein bekannte Tatsache, dass Aktien risikobehaftete Wertpapiere seien, die sich auch der Kläger entgegenhalten lassen müsse, noch der Verweis auf den Kapitalmarktprospekt und die allgemein gehaltenen Hinweise auf das (Total-)Verlustrisiko, etwa im Kontoeröffnungs- bzw Wertpapierkaufantrag änderten etwas daran, dass die von der Beklagten aufgelegte, dem Kläger im Sinn der von der Beklagten/ihrer 100%igen Vertriebstochter initiierten Verkaufsstrategie übergebene und vom Kläger zur Grundlage seiner Kaufentscheidung gemachte Verkaufsbroschüre das mit den angepriesenen Wertpapieren verbundene Risiko - im Gegensatz zu sonstigen Aktien - als im Hinblick auf die Investitionen in Immobilien und deren langfristige lukrative Verwertung als deutlich geringer hinstelle (4 Ob 65/10b).
Ob die Beklagte eine Aufklärungspflicht (etwa neben der Nebenintervenientin als zwischengeschaltetes Wertpapierdienstleistungsunternehmen) traf und ob das Verhalten der Nebenintervenientin als Erfüllungsgehilfin beim Wertpapierkauf zuzurechnen ist, ist ebenso wenig entscheidungsrelevant, wie die lauterkeitsrechtliche Beurteilung der Verkaufsbroschüre, die Gegenstand der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 4 Ob 188/08p war. Nicht entscheidend ist auch, wer im Zusammenhang mit kapitalmarktbezogener Absatzförderung als „Durchschnittsverbraucher“ iSv Art 5 Abs 2 lit b der RL-UGP anzusehen ist. Der Senat sieht sich daher nicht veranlasst, der Anregung der Revision auf Einholung einer Vorabentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof zu folgen. Der dem Kläger konkret unterlaufene Irrtum ist hier zu beurteilen, nicht die Irreführungseignung der Verkaufsbroschüre im Allgemeinen. Das Berufungsgericht nahm auf die lauterkeitsrechtliche Beurteilung der Verkaufsbroschüre insoweit Bezug, als es die dort ausgesprochene Irreführungseignung beim Kläger konkret verwirklicht sah (vgl 4 Ob 65/10b; 8 Ob 25/10z).
Eine Aktenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen werden, das heißt, wenn der Inhalt einer Urkunde, eines Protokolls oder eines sonstigen Aktenstücks unrichtig wiedergegeben und infolge dessen ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen wurde (RIS-Justiz RS0043347). Eine Aktenwidrigkeit liegt nur dann vor, wenn für die bekämpften Tatsachenfeststellungen überhaupt keine beweismäßige Grundlage besteht (7 Ob 113/01w; RIS-Justiz RS0043277 [T6]). Eine vom Berufungsgericht vorgenommene Wertung kann nie eine Aktenwidrigkeit bilden (RIS-Justiz RS0043277). Im Hinblick auf die insbesondere in der Aussage des Klägers selbst liegende aktenmäßige Grundlage für die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen scheidet eine Aktenwidrigkeit von vornherein aus; die diesbezüglichen Revisionsausführungen versuchen vielmehr die in dritter Instanz unbekämpfbare Beweiswürdigung der Vorinstanzen anzugreifen.
Mangels Vorliegens erheblicher Rechtsfragen nach § 502 Abs 1 ZPO war die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO; der Kläger wies auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision hin.
Textnummer
E95921European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0040OB00190.10K.1215.000Im RIS seit
13.01.2011Zuletzt aktualisiert am
30.09.2011