Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei 1. R***** S***** und 2. A***** S*****, beide *****, beide vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Perg, gegen die beklagte Partei M***** AG, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 17.473,39 EUR (sA), über die Revisionsrekurse aller Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 20. Juli 2010, GZ 30 R 22/10s-9, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 30. März 2010, GZ 33 Cg 57/10x-4, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Den Revisionsrekursen wird nicht Folge gegeben.
Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 1.230,95 EUR (darin 205,16 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 410,47 EUR (darin 68,11 EUR USt und 1,80 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Kläger erwarben von der Beklagten per 17. 1. 2007 757 Stück Zertifikate der M***** Ltd (im Folgenden: M*****) um 15.513,20 EUR.
In dem zu 11 Cg 9/09z beim Handelsgericht Wien anhängigen Verfahren (Erstprozess) begehren die Kläger die Rückzahlung dieses Betrags samt 4 % Zinsen ab 17. 1. 2007 Zug-um-Zug gegen Rückstellung der Zertifikate. Die Kläger seien beim Erwerb listig in die Irre geführt worden, wobei die Beklagte den Irrtum veranlasst und Aufklärungspflichten verletzt habe. Sie hätte - nach den Wohlverhaltensregeln gemäß § 11 WAG - die Interessen der Kläger wahren müssen, habe jedoch irreführend für die Zertifikate geworben und diese unrichtig als „Aktien“ bezeichnet.
Das vorliegende Verfahren hat den Erwerb der selben Zertifikate zum Gegenstand. Die Kläger begehren ebenfalls 15.513,20 EUR Zug-um-Zug gegen die Rückstellung der Wertpapiere. Hilfsweise wird die Feststellung angestrebt, dass die Beklagte für jeden aus dem Erwerb der genannten Wertpapiere resultierenden Schaden hafte. Hier wird der - neben dem eingangs genannten Kapitalbetrag eingeklagte - „entgangene Zinsgewinn einer alternativen Veranlagung“ jedoch als „positiver Schaden, der vorläufig nur mit 4 % gesetzliche Zinsen für das eingesetzte Kapital veranschlagt wird“, bezeichnet und wie folgt geltend gemacht: Die Kläger errechnen einen „hypothetischen Zinsgewinn“ im „Verzinsungszeitraum“ 17. 1. 2007 bis 15. 3. 2010 von 1.960,19 EUR und begehren daher die „gesamte Rückforderungssumme“ von 17.473,39 EUR (= 15.513,20 EUR plus 1.960,19 EUR) samt 4 % Zinsen p. a. seit 16. 3. 2010. Die hier zu beurteilende Klagsforderung setzt sich also aus dem Kaufpreis von 15.513,20 EUR und dem Betrag von 1.960,19 EUR zusammen, der kapitalisierten Zinsen von 4 % aus dem Kaufpreis für den Zeitraum vom 17. 1. 2007 bis 15. 3. 2010 entspricht.
Die Kläger erklärten, ihr Begehren auf Schadenersatz sowie auf jeden weiteren erdenklichen Rechtsgrund wegen arglistiger beziehungsweise schuldhafter Verletzung der gebotenen Aufklärung und zusätzlich auf Lieferung eines Aliuds und rechtliche Unmöglichkeit zu stützen. Begehrt werde „in erster Linie“ die Rückabwicklung im Sinn der Naturalrestitution (Rückzahlung des seinerzeitigen „Ankaufspreises“ von 15.513,20 EUR Zug-um-Zug gegen Übernahme der erworbenen und noch gehaltenen Zertifikate). Dazu komme der entgangene Zinsgewinn einer alternativen Veranlagung in Höhe von 1.960,19 EUR. Auf das umfangreiche Klagsvorbringen wird im Folgenden noch eingegangen werden.
Die Beklagte erhob unter Hinweis auf den Erstprozess die Einrede der Streitanhängigkeit. Die Klage sei deshalb zurück- oder als unberechtigt abzuweisen.
Das Erstgericht wies die (gesamte) Klage wegen Streitanhängigkeit zurück. Die Kläger hätten den selben Anspruch bereits am 21. 1. 2009 mit fast wörtlich identer Klage zu 11 Cg 9/09z dieses Gerichts geltend gemacht.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Kläger dahin Folge, dass es den Beschluss des Erstgerichts im Umfang von 1.960,19 EUR sA aufhob und insoweit dem Erstgericht die Fortführung des Verfahrens auftrug. Die Zurückweisung der Klage im Umfang von 15.513,20 EUR samt 4 % Zinsen ab 17. 1. 2007 wurde bestätigt. Das Rekursgericht sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, weil zahlreiche Parallelverfahren anhängig seien.
Die Kläger hätten ihren Anspruch im Verfahren 11 Cg 9/09z des Erstgerichts (nur) „vordergründig“ auf Anfechtung wegen listiger Irreführung, wegen veranlassten Irrtums und wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage gestützt. Dies schließe nicht aus, dass der Anspruch auch auf die Schadenersatzpflicht desjenigen gegründet werde, der den Kläger überlistet oder in Irrtum geführt habe. Da § 233 Abs 1 ZPO den Sinn habe, miteinander in Widerspruch stehende oder nicht sinnvoll nebeneinander bestehen könnende rechtskräftige Entscheidungen zu verhindern, sei bei der Frage nach der Nämlichkeit des Anspruchs zu prüfen, ob a) die Stattgebung des einen und die Abweisung des anderen Begehrens widerspruchsfrei nebeneinander denkbar seien; und ob b) die Stattgebung beider Begehren nebeneinander auf der Basis des materiellen Rechts in Frage komme. Die Beantwortung dieser Fragen zwinge von selbst zur Prüfung, ob die Ansprüche insofern ident oder einander überdeckend seien, als sie aus demselben rechtserzeugenden Sachverhalt abgeleitet würden. Wegen der Betonung des Tatsachenvorbringens in § 226 Abs 1 ZPO und der nach dem Grundsatz „iura novit curia“ fehlenden Verpflichtung der Kläger, den Anspruch rechtlich zu argumentieren, sei grundsätzlich vom Begriff des zweigliedrigen Streitgegenstands auszugehen, wonach sich dieser aus dem Begehren (Urteilsantrag) und dem Tatsachenvorbringen definiere. Außerdem seien Änderungen und Ergänzungen des Parteienvorbringens nur ausnahmsweise nicht zuzulassen.
Da das Leistungsbegehren (mit Ausnahme der verschiedenen Streitwerte) ident sei und die Kläger ihren Anspruch jeweils auf denselben rechtserzeugenden Sachverhalt stützten, nämlich auf den Erwerb der Zertifikate unter den von ihnen in beiden Klagen genannten näheren Umständen, könnte ihnen nur dann das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit entgegengehalten werden, wenn es ihnen rechtlich nicht möglich wäre, im Verfahren über die früher eingebrachte Klage jene Tatsachen vorzubringen, die sie zum Inhalt ihrer später eingebrachten Klage gemacht haben. Dies sei den Klägern jedoch nicht verwehrt: In beiden Verfahren leiteten sie ihre Ansprüche aus der vertraglichen Beziehung zwischen ihnen und der Beklagten und der Tatsache ab, dass die Beklagte vertragliche und vorvertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten verletzt habe.
Soweit aber die Streitwerte in beiden Verfahren verschieden seien, leide der angefochtene Beschluss an einem Mangel. Es sei nur ein Teil der beiden Begehren ident, nämlich das Leistungsbegehren im Umfang von 15.513,20 EUR samt 4 % Zinsen aus diesem Betrag ab 17. 1. 2007; auf ein Eventualbegehren sei bei der Prüfung der Streitanhängigkeit nicht einzugehen. Den darüber hinausgehenden Betrag (1.960,19 EUR) hätten die Kläger zu 11 Cg 9/09z nicht eingeklagt, weshalb in diesem Umfang keine Streitanhängigkeit vorliege.
Das Argument der Kläger, wonach ihnen wegen der Unterbrechung des Verfahrens 11 Cg 9/09z die Verjährung drohe, treffe (hingegen) nicht zu. Der bereits eingeklagte Betrag von 15.153,20 EUR könnte - gehörige Fortsetzung nach Wegfall des Unterbrechungsgrundes vorausgesetzt - nur verjährt sein, wenn die Klage zu 11 Cg 9/09z selbst verjährt wäre. Daher sei die Klage in teilweiser Stattgebung des Rekurses nur zum Teil zurückzuweisen. Es stehe den Klägern frei, wegen des behaupteten Zinsverlustes von 1.960,19 EUR einen abgesonderten Prozess zu führen. Es könne ihnen nicht verwehrt werden, zusätzliche Forderungen mit einer gesonderten Klage zu erheben. Die Frage der danach geltenden sachlichen Zuständigkeit stelle sich im Rekursverfahren nicht.
Gegen den bestätigenden Teil dieses Beschlusses richtet sich der Revisionsrekurs der Kläger, die unrichtige rechtliche Beurteilung geltend machen und beantragen, die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die Einleitung des ordentlichen Verfahrens unter „vollständiger“ Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.
Den aufhebenden (inhaltlich: abändernden) Teil bekämpft der Revisionsrekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluss des Erstgerichts zu bestätigen (wiederherzustellen), die Klage also wieder zur Gänze wegen Streitanhängigkeit zurückzuweisen.
In der Revisionsrekursbeantwortung stellen die Parteien jeweils den Antrag, dem Rechtsmittel der Prozessgegner nicht Folge zu geben.
Die Revisionsrekurse sind zulässig, aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Zum Revisionsrekurs der Kläger:
Die Rechtsmittelwerber halten daran fest, dass Streitanhängigkeit nicht gegeben sei, weil das im Erstprozess erstattete Vorbringen nicht für die erfolgreiche Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen ausreiche. Der Klagegrund, also die Tatsachen, auf die sich die Ansprüche der Kläger gründeten, unterscheide sich erheblich vom Erstprozess. Eine entsprechende Klagsänderung würde im Erstprozess „wahrscheinlich“ nicht zugelassen werden, weil auch um deliktische Ansprüche ausgedehnt werden müsste und die strafrechtlichen Aspekte der Tätigkeiten der Organe der Beklagten dort - anders als hier - nicht geprüft werden müssten. Im Übrigen sei das Gericht in seiner rechtlichen Beurteilung auf die Rechtsgründe der listigen Irreführung im Sinn des § 870 ABGB und des veranlassten Irrtums gemäß § 871 ABGB beschränkt, weil die Kläger im Erstprozess eine rechtliche Qualifikation vorgenommen und andere Rechtsgründe „explizit ausgelassen“ hätten. Nunmehr werde die Klage ausschließlich auf Schadenersatz gestützt und zusätzlich der Gewinnentgang aus einer Alternativveranlagung als positiver Schaden gefordert. Es sei von einer dreigliedrigen materiell-rechtlich bedingten Streitgegenstandsauffassung auszugehen, die neben dem Sachantrag und den Tatsachenbehauptungen auch die Behauptung der darauf anzuwendenden Rechtsnorm miteinbeziehe. Außerdem seien im Erstprozess ein Aufhebungs- und ein Leistungsbegehren und im gegenständlichen Verfahren ein Leistungs- und ein Feststellungsbegehren geltend gemacht worden.
Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:
Wie bereits die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, setzt die Zurückweisung einer Klage wegen Streitanhängigkeit zwei nacheinander streitanhängig gewordene Prozesse sowie Identität der Parteien und der Ansprüche in diesen beiden Prozessen voraus (RIS-Justiz RS0039473). Ob idente Ansprüche vorliegen, ist nach den Streitgegenständen der beiden Verfahren zu beurteilen. Diese werden nach herrschender Meinung durch den Entscheidungsantrag (Sachantrag) und die zu seiner Begründung erforderlichen, vom Kläger vorgebrachten Tatsachen (rechtserzeugender Sachverhalt, Klagegrund) bestimmt (sog. zweigliedriger Streitgegenstand; RIS-Justiz RS0037419; RS0037522; RS0039255), nicht hingegen durch die rechtliche Beurteilung dieses Vorbringens (RIS-Justiz RS0037551). Streitanhängigkeit liegt demnach dann vor, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte Anspruch sowohl im Begehren als auch im rechtserzeugenden Sachverhalt mit jenem des Vorprozesses übereinstimmt (RIS-Justiz RS0039347; RS0041229). Ob dies zutrifft oder nicht, hängt regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0044453).
Die Ansicht der Kläger, hier lägen verschiedene Streitgegenstände vor, weil im Erstprozess eine Irrtumsanfechtung vorgenommen werde, während mit der vorliegenden Klage Schadenersatzansprüche verfolgt würden, geht von einem dreigliedrigen Streitgegenstandsbegriff (vgl etwa Fasching in Fasching/Konecny2 III Vor §§ 226 ff ZPO Rz 31 ff) aus, der aber einer gesetzlichen Grundlage entbehrt (Rechberger/Klicka in Rechberger3 Vor § 226 Rz 16) und von der herrschenden Meinung daher abgelehnt wird. Eine der im Revisionsrekurs zitierten Rechtsprechung, die eine rechtliche Qualifikation des Klagegrundes ausnahmsweise dann als bindend betrachtet, wenn sie der Kläger ausdrücklich und ausschließlich vorgenommen hat (10 Ob 11/08b, RIS-Justiz RS0037610 [T43] uva), entsprechende Situation ist hier nicht gegeben. Haben doch die Kläger im Erstprozess vorgebracht, sich „vordergründig“ (also nicht ausschließlich) auf listige Irreführung oder einen „veranlassten Irrtum“ stützen zu wollen; ausdrücklich haben sie zudem auch „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ als Anspruchsgrund geltend gemacht.
Den Klägern ist einzuräumen, dass Streitanhängigkeit dann nicht gegeben ist, wenn die rechtserzeugenden Tatsachen nur teilweise übereinstimmen, wenn also beim später geltend gemachten Anspruch weitere rechtserzeugende Tatsachen hinzutreten (RIS-Justiz RS0039366; RS0039221). Dies bedeutet allerdings nicht, dass Streitanhängigkeit völlige Identität der Tatsachenbehauptungen in beiden Rechtsstreitigkeiten voraussetzte (7 Ob 23/78, RIS-Justiz RS0039423). Entscheidend ist vielmehr, ob der vorgetragene Sachverhalt im Wesentlichen, also im „Kern“, jenem entspricht, der schon in der ersten Klage vorgebracht wurde.
Das Rekursgericht hat dies im vorliegenden Fall bejaht. Die Revisionsrekurswerber widersprechen dieser Ansicht; sie machen dazu geltend, in der zweiten Klage neue Sachverhaltselemente vorgebracht zu haben, die „zum Tatsachenkern des Lebenssachverhalts“ gehörten, nämlich dass die Zertifikatsrückkäufe über die S***** bereits im Jahr 2005 erfolgt, die Anlegergelder zur Tilgung einer Anleihe 2002/2003 widmungswidrig verwendet worden und die Zertifikatsrückkäufe im Jahr 2007 im Ausmaß von 1,8 Milliarden EUR entgegen dem Kapitalmarktprospekt und ohne öffentliche Bekanntmachung erfolgt seien; ferner, dass die Zertifikatsrückkäufe im Jahr 2007 über dem NAV erfolgt und seitens der M***** neben dem Managementvertrag noch weitere Gebühren für „Managementleistungen“ gesondert vergütet worden seien; weiters, dass die Ablöse an die Beklagte in Höhe von 280 Mio EUR nicht den im Kapitalmarktprospekt 2007 veröffentlichten Vertragsbedingungen entsprochen habe, die propagierten Mietrenditen nicht die Gebühren an die Beklagte berücksichtigt hätten, die Mieteinnahmen der M***** beinahe 1 : 1 der Beklagten zugutegekommen seien und dass schließlich massive und vor dem Hintergrund der späteren Abwertungen höchst fragwürdige Immobilienaufwertungen im Ausmaß von 669 Mio EUR erfolgt seien.
Die Kläger machen damit Umstände geltend, die jeweils ein rechtswidriges Verhalten der Beklagten darlegen sollen. Eine ganze Reihe solcher Umstände wurde allerdings auch schon in der Klagserzählung im Erstprozess vorgetragen. Dort wurde in erster Linie eine Verletzung der Aufklärungspflichten durch die Beklagte behauptet, die ein typisches Risikogeschäft als sichere Anlageform hingestellt und ihre Beratungspflichten gröblich vernachlässigt habe. Weiters haben die Kläger der Beklagten im Zusammenhang mit „irreführender Werbung und Darstellung in der Öffentlichkeit“ vorgeworfen, verschwiegen zu haben, dass der überwiegende Teil der Mieteinnahmen von M***** direkt ihr, der Beklagten, zufließen habe sollen. Alle nunmehr von den Klägern aufgelisteten „neuen“ Vorwürfe weisen lediglich auf weitere von der Beklagten angeblich zu vertretende Umstände und Verhaltensweisen hin, die ein rechtswidriges Gesamtverhalten der Beklagten bei der Veranlagung von Kundengeldern allgemein und jener der Kläger im Besonderen noch deutlicher machen sollen. Mit der zweiten Klage werden also nur weitere Details und Facetten eines bereits im Erstprozess geltend gemachten Fehlverhaltens der Beklagten aufgezeigt. Zum Teil sind die Vorwürfe auch gar nicht neu:
Dass Zertifikate von M***** von der Beklagten entgegen deren vertraglicher Pflicht weder am Markt platziert, noch in den eigenen Bestand genommen, sondern an die S***** weiter verkauft worden seien, haben die Kläger bereits in der ersten Klage vorgetragen. Ebenso haben sie ausgeführt, dass Rückkäufe eigener Zertifikate erfolgt seien. Auch ein Vorbringen, wonach von der Beklagten über den Managementvertrag hinaus noch weitere Gebühren aus einem Lizenzvertrag verrechnet worden seien, ist bereits der Klage im Erstprozess zu entnehmen. Von einer Änderung des Klagegrundes im Sinn des § 235 Abs 4 ZPO durch verändertes Tatsachenvorbringen (vgl Fasching, Zivilprozessrecht2 Rz 1226) kann daher keine Rede sein.
Insgesamt bestätigt sich also die Auffassung des Rekursgerichts, dass schon in der umfassenden Klagserzählung im Erstprozess Ausführungen gemacht wurden, die im Kern jene Vorwürfe enthielten, auf die sich nun die nämliche Klagsforderung auf Rückzahlung des Kaufpreises der Wertpapiere von 15.513,20 EUR (sei es aus dem Titel des Schadenersatzes oder aus einem anderen Rechtsgrund - vgl RIS-Justiz RS0107229) gründet. Zutreffend hat das Rekursgericht in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass eine listige Irreführung im Sinn des § 870 ABGB ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten im Sinn der §§ 1294 ff ABGB notwendigerweise impliziert. Ausgehend von den dargestellten, von der Rechtsprechung entwickelten Leitlinien hat das Rekursgericht daher betreffend diese Forderung die Identität des Streitgegenstands mit jenem des Erstprozesses zutreffend bejaht.
Der Umstand, dass die Kläger in der zweiten Klage auch ein auf demselben Klagegrund fußendes Eventualbegehren auf Feststellung erhoben haben, kann - wie von den Vorinstanzen richtig erkannt - daran nichts ändern.
Gemäß § 233 Abs 1 ZPO hat die Streitanhängigkeit die Wirkung, dass während ihrer Dauer über den geltend gemachten Anspruch weder bei demselben noch bei einem anderen Gericht ein Rechtsstreit durchgeführt werden darf. Eine während Streitanhängigkeit wegen des nämlichen Anspruchs angebrachte Klage ist auf Antrag oder von Amts wegen zurückzuweisen. Dasselbe gilt auch für das „lediglich für den Fall als festgestellt werden sollte, dass Naturalrestitution nicht möglich ist“ erhobene Eventualbegehren. Es obliegt dem Kläger, im Einzelfall in der Klage die Bedingung oder diejenigen Bedingungen zu nennen, mit deren - kumulativem oder alternativem - Eintritt er erst die Behandlung seines Eventualbegehrens verknüpft wissen will; das kann jedenfalls auch (oder nur) die Zurückweisung des Hauptbegehrens sein (6 Ob 543/91). Mit der von den Klägern gewählten Formulierung wird das Evenutalbegehren eindeutig allein unter der Bedingung (Rechberger/Klicka in Rechberger, ZPO3 § 226 Rz 6 mwN) gestellt, dass das Begehren auf Rückzahlung (nicht aber das auf reine Zahlung des hypothetischen Anlageerfolgs gerichtete) nicht „möglich“ sei. Darunter kann im Hinblick auf § 1323 erster Satz ABGB nur die Bedingung der Abweisung des Hauptbegehrens wegen Unmöglichkeit (oder Untunlichkeit) der Naturalrestitution verstanden werden, allenfalls noch die Bedingung der Abweisung dieses Begehrens mangels Fälligkeit des Leistungsanspruchs (RIS-Justiz RS0038872). In beiden Varianten kann diese Bedingung aber nicht mehr eintreten, wenn über diese Frage wegen Zurückweisung des Hauptbegehrens inhaltlich gar nicht zu entscheiden ist. Die Zurückweisung der Klage auf Zahlung von 15.513,20 EUR und des sich nach der Klagserzählung ausschließlich auf die bereits im Erstprozess in dieser Höhe geltend gemachte Forderung beziehenden Eventualbegehrens entspricht daher der Rechtslage.
Zum Revisionsrekurs der Beklagten:
Vorweg ist klarzustellen, dass es sich bei dem von der Beklagten bekämpften Beschlussteil nicht um einen „echten“ Aufhebungsbeschluss handelt. Vielmehr entschied das Rekursgericht - wenn auch implizit - abweisend über die Einrede der Streitanhängigkeit und änderte damit die Entscheidung des Erstgerichts ab (RIS-Justiz RS0044033). Die Anfechtbarkeit richtet sich daher nach § 528 ZPO.
Die Revisionsrekurswerberin macht geltend, dass die Kläger in beiden Klagen die Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises samt einer Verzinsung von 4 % „seit der Durchführung des Kaufes bis dato“ verlangten. In der vorliegenden Klage erfolge die Verzinsung mit 4 % ab dem 17. 1. 2007 bis zum 15. 3. 2010 kapitalisiert (Einmalbetrag von 1.960,19 EUR) sowie zusätzlich seit Klagseinbringung mit dem gesetzlichen Zinssatz von 4 % aus dem Gesamtbetrag (Kaufpreis und kapitalisierte Zinsen). Auch in der ersten Klage (11 Cg 9/09z des Handelsgerichts Wien) hätten die Kläger die Rückzahlung des Kaufpreises samt 4 % Zinsen begehrt. Da in beiden Klagen - wirtschaftlich und rechtlich - das Gleiche, nämlich (Schaden-)Ersatz in Höhe von 4 % für den behaupteten Zinsenentgang geltend gemacht werde, liege auch hinsichtlich der (wenn auch leicht abweichend formulierten) Zinsenbegehren Streitanhängigkeit vor. Nach herrschendem Verständnis seien die gesetzlichen Verzugszinsen pauschalierter Schadenersatz. Der Anspruch habe schadenersatzrechtliche Wurzeln. Zur Geltendmachung der gesetzlichen Verzugszinsen bedürfe es aber keines Schadensnachweises. Der Oberste Gerichtshof spreche bei den gesetzlichen Zinsen von einem schadenersatzrechtlichen Mindestersatz, den der Gläubiger - unabhängig vom Nachweis eines konkreten Schadens in dieser Höhe - jedenfalls verlangen könne. Erst ein allfälliger höherer Schaden sei ein (verschuldensabhängiger) positiver Schaden. Aufgrund der Klagsbehauptung, die Kläger hätten die unstrittige Veranlagung in den Zertifikaten bei ausreichender und richtiger Aufklärung nicht vorgenommen, sondern eine sichere Veranlagung getätigt, bei der sie 4 % vom investierten Kapital hätten lukrieren können, könnten die Kläger entweder die gesetzlichen Zinsen für das von ihnen investierte Kapital begehren oder den (höheren) Schaden eines „Alternativinvestments“, bei dem sie (angeblich) Zinsen in Höhe von 4 % lukriert hätten. Eine nähere Unterscheidung und Prüfung erübrige sich, weil die Kläger den von ihnen behaupteten „entgangenen Gewinn“ ebenfalls mit 4 %, also den gesetzlichen Zinsen, ansetzten. In beiden Fällen werde (Schaden-)Ersatz für das von ihnen investierte Kapital im Ausmaß von 4 % des Kaufpreises geltend gemacht. Diesen Schaden könnten die Kläger nur einmal erleiden und auch nur einmal begehren. Die Zinsenbegehren beider Klagen bildeten somit in ihrem Sachverhaltskern den gleichen Anspruch und stünden daher zueinander im Verhältnis der Streitanhängigkeit im Sinn des § 233 ZPO.
Das Rekursgericht habe auch übersehen, dass die in beiden Verfahren gestellten Zinsenbegehren bloße Nebenforderungen gemäß § 54 JN seien, die bei der Streitwertberechnung selbst dann unberücksichtigt zu bleiben hätten, wenn sie vom Kläger kapitalisiert und als Anhang zur Hauptsache eingeklagt würden; dies gelte selbst dann, wenn die Zinsen ausdrücklich aus dem Titel des Schadenersatzes gefordert würden. Da die Kläger den von ihnen behaupteten Gewinnentgang aus einer Alternativveranlagung in Form von Zinsen als unselbständige Nebenforderung geltend machten, bilde diese Forderungen keinen Teil des Hauptbegehrens und sei daher bei der Prüfung, ob zwischen den zwei den Gegenstand der Rekursentscheidung bildenden Klagen Streitanhängigkeit vorliege, nicht zu berücksichtigen.
Dazu wurde erwogen:
Entgegen den Rechtsmittelausführungen der Beklagten handelt es sich beim restlichen Klagsbetrag von 1.960,19 EUR um keine aus der Hauptforderung abgeleitete, kapitalisierte Zinsenforderung. Der Anspruch gründet sich nach dem Vorbringen der Kläger vielmehr darauf, dass sie bei ordnungsgemäßer Anlageberatung durch die Beklagte eine alternative Veranlagung gewählt und daraus Gewinn erzielt hätten, wobei dieser Gewinn exakt in Höhe einer gesetzlichen Verzinsung veranschlagt wird. Ein solcher Gewinnanspruch stellt, wie der Oberste Gerichtshof erst jüngst in mehreren übereinstimmenden Entscheidungen klargestellt hat (7 Ob 176/10y mwN; RIS-Justiz RS0042813 [T1] und RS0046495 [T1]), einen von der Hauptforderung unabhängigen positiven Schaden dar. Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt demnach nicht nur keine - nach § 54 Abs 2 JN für die Streitwertfestsetzung nicht zu berücksichtigende - Nebenforderung vor (RIS-Justiz RS0042813), sondern gründet sich dieser Anspruch auch auf einen im Erstprozess gar nicht vorgetragenen rechtserzeugenden Sachverhalt.
Da die Kläger hinsichtlich des restlichen Klagsbetrags von 1.960,19 EUR also einen neuen Klagegrund geltend gemacht haben, ist insofern keine Streitanhängigkeit gegeben. In teilweiser Stattgebung des Rekurses der Kläger hat das Rekursgericht den Zurückweisungsbeschluss des Erstgerichts daher zu Recht aufgehoben und dem Erstgericht die Fortführung des gesetzlichen Verfahrens über das verbleibende Klagebegehren aufgetragen. Ob eine gesonderte Einklagung des behaupteten Gewinnentgangs prozessökonomisch vertretbar ist, ist hier nicht zu beurteilen.
Der Revisionsrekurs der Beklagten musste daher ebenfalls erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
Schlagworte
ZivilverfahrensrechtTextnummer
E96119European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0070OB00194.10W.1215.000Im RIS seit
04.02.2011Zuletzt aktualisiert am
17.06.2011