Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AuslBG §15 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Flendrovsky, über die Beschwerde der Ü K in W, vertreten durch Dr. Werner Zach, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Spiegelgasse 19, gegen den Bescheid des im Devolutionsweg zuständig gewordenen Bundesministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales (nunmehr: Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) vom 21. Mai 1999, Zl. 130.430/2-7/99, betreffend Ausstellung eines Befreiungsscheines, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die beschwerdeführende Partei hat dem Arbeitsmarktservice Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, stellte beim Arbeitsmarktservice Persönliche Dienste-Gastgewerbe Wien am 5. März 1998 mit dem amtlich aufgelegten Formular den Antrag auf "Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes".
Mit Bescheid vom 16. März 1998 lehnte das Arbeitsmarkservice Persönliche Dienste-Gastgewerbe Wien "den von Ihnen als Ausländer eingebrachten Antrag vom 5.3.1998 auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG), BGBl. Nr. 776/1996, i. d. g. F." ab.
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der im Devolutionsweg gemäß § 73 Abs. 2 AVG infolge Säumigkeit der Berufungsbehörde zuständig gewordenen belangten Behörde vom 21. Mai 1999 wurde der Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG und Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz des Beschlusses Nr. 1/1980 des Assoziationsrates vom 19. 9. 1980 über die Entwicklung der Assoziation keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid des Arbeitsmarktservice Persönliche-Dienste Wien vom 5. März 1998 bestätigt.
Diese Entscheidung wurde von der belangten Behörde im Wesentlichen damit begründet:
"Gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG ist einem türkischen Staatsangehörigen ein Befreiungsschein auszustellen, wenn er die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz oder nach Art. 7 Abs. 1 zweiter Unterabsatz des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 EWG-Türkei (ARB) erfüllt.
Demgemäß muss der türkische Staatsangehörige für die Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c AuslBG Abs. 2 vier Jahre ordnungemäßer Beschäftigung in Österreich (Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz ARB) oder einen fünfjährigen ordnungsgemäßen Wohnsitz in Österreich als Familienangehöriger (Ehegatte oder Kind) eines dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Staatsbürgers (Art. 7 Abs. 1 zweiter Unterabsatz ARB) nachweisen.
...
Vor dem 1.1.1995 (Beitritt Österreichs zur Europäischen Union) unterbrochene Beschäftigungszeiten, auch wenn diese an sich zulässigerweise unterbrochen wurden (Art. 6 Abs. 2 ARB), sind mangels Geltung des ARB verloren gegangen. Bei Wiederaufnahme einer Beschäftigung beginnen die in Art. 6 Abs. 1 ARB genannten Fristen neu zu laufen. Liegen hingegen bis zum 1.1.1995 keine Unterbrechungen vor, sind die bis dahin erworbenen (durchgehenden) Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen.
Im gegenständlichen Verfahren wurde festgestellt, daß Sie keine der beiden anspruchsbegründenden Voraussetzungen erfüllen, weil .. Ihr letztes Dienstverhältnis mit dem 13.10.1992 beendet wurde..."
Die Beschwerdeführerin erfülle daher hinsichtlich der Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz des ARB Nr. 1/80 weder das Erfordernis der vierjährigen Beschäftigungsdauer, noch gehöre sie dem regulären Arbeitsmarkt an. Demnach erfülle die Beschwerdeführerin auch die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG nicht.
Auch die Voraussetzungen nach Art. 7 Abs. 1 zweiter Unterabsatz ARB lägen nicht vor, da ihr Ehegatte T K seit 1992 nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt angehöre, welche Umstände ihr im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht, von ihr aber nicht zum Gegenstand einer Stellungnahme gemacht worden seien.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht auf Erteilung eines Befreiungsscheines nach den Bestimmungen des AuslBG verletzt, "wenn die positiven Voraussetzungen für die Stattgebung des Antrag auf Erteilung eines Befreiungsschein vorliegen". Sie beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes bzw. Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 4c des Ausländerbeschäftigungsgesetzes - AuslBG, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 78/1997, lautet:
"Türkische Staatsangehörige
§ 4c. (1) Für türkische Staatsangehörige ist eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 erster und zweiter Unterabsatz oder nach Art. 7 erster Unterabsatz oder nach Art. 7 letzter Satz oder nach Artikel 9 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei - ARB-Nr. 1/1980 erfüllen.
(2) Türkischen Staatsangehörigen ist von Amts wegen ein Befreiungsschein auszustellen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz oder nach Art. 7 zweiter Unterabsatz des ARB Nr. 1/1980 erfüllen.
(3) Die Rechte türkischer Staatsangehöriger auf Grund der sonstigen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes bleiben unberührt. Für die Verfahrenszuständigkeit und die Durchführung der Verfahren gemäß Abs. 1 und 2 gelten, soweit dem nicht Bestimmungen des ARB Nr. 1/1980 entgegenstehen, die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes.''
Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB Nr. 1/80) hat folgenden Wortlaut:
"(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Art. 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat
-
nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
-
nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedienungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
-
nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.
Art. 7 Satz 1 (Abs. 1) ARB Nr. 1/80 lautet:
"Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,
-
haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
-
haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben."
Dass die Voraussetzungen des Art. 7 ARB nicht vorliegen, wird in der Beschwerde nicht mehr bekämpft.
Hinsichtlich der Voraussetzungen des § 4c AuslBG iVm Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz ARB 1/80 ist - nach den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen und dem Vorbringen in der Beschwerde - im Beschwerdefall unbestritten, dass die Beschäftigungsverhältnisse der Beschwerdeführerin bereits im Oktober 1992 beendet wurden und sie seither nicht mehr in einer unselbständigen Erwerbstätigkeit beschäftigt war.
Diesem Umstand kommt aber - wie die belangte Behörde bereits zutreffend dargelegt hat - entscheidende Bedeutung für die Anrechenbarkeit der von der Beschwerdeführerin insgesamt zurückgelegten Beschäftigungszeiten zu. Sie konnte sich nämlich vor dem Wirksamwerden des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 mit dem (am 1. Jänner 1995 erfolgten) Beitritt Österreichs zur Europäischen Union noch nicht auf ein aus Art. 6 Abs. 2 ARB Nr. 1/80 abgeleitetes Recht auf ihre weitere Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates Österreich - etwa im Sinne des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 23. Jänner 1997 in der Rechtssache C-171/95, Recep Tetik - berufen (vgl. dazu auch die hg. Erkenntnisse vom 16. Dezember 1997, Zlen. 97/09/0099 und 0100, vom 18. Dezember 1997, Zl. 97/09/0152, und vom 11. Juni 1997, Zl. 96/21/0100) und hätte demnach frühestens ab 1. Jänner 1995 anrechenbare Beschäftigungszeiten (im Sinne des Assoziierungsabkommens EWG-Türkei) erwerben können. Dass daher die belangte Behörde auf diese Rechtslage verwiesen hat, erweist sich als nicht rechtswidrig.
Insoweit die Beschwerdeführerin rügt, die belangte Behörde habe zu Unrecht das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 15 Abs. 1 Z. 1 AuslBG ungeprüft gelassen, ist ihr zu entgegnen, dass Gegenstand des Antrages und damit der erstinstanzlichen Entscheidung ein Antrag nach § 4c AuslBG gewesen ist und auch in der Berufung eine Änderung des Entscheidungsgegenstandes in diesem Sinne nicht enthalten war. Was "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG und damit Gegenstand der Berufungsentscheidung ist, ist auf Grund der jeweiligen Verwaltungsvorschrift zu eruieren (vgl. die in Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage 1998 unter E 113 zu § 66 AVG abgedruckte hg. Judikatur). Im Beschwerdefall wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 5. März 1998 auf § 4c AuslBG gestützt. Der Behörde war es verwehrt, von amtswegen über den die "Sache" des Verwaltungsverfahrens bildenden Antrag hinausgehende rechtliche Überlegungen anzustellen. Gegenstand der Berufungsentscheidung der belangten Behörde und damit Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist lediglich der auf § 4c AuslBG gestützte Antrag der Beschwerdeführerin vom 5. März 1998.
Es bleibt der Beschwerdeführerin unbenommen, einen neuen Antrag nach § 15 Abs. 1 AuslBG unter Behauptung der Erfüllung der hierfür erforderlichen Voraussetzungen zu stellen.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 31. Jänner 2001
Schlagworte
Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens AllgemeinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1999090131.X00Im RIS seit
20.03.2001