Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Michael Metzler, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei H. ***** KG, *****, vertreten durch Dr. Hartmut Gräf, Rechtsanwalt in Kirchdorf an der Krems, wegen 27.461,71 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 28. Juli 2010, GZ 2 R 96/10w-32, mit welchem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 18. Mai 2010, GZ 23 Cg 67/09y-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.540,44 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 256,74 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Parteien erzeugen Fleisch- und Wurstwaren. Im Februar 2006 vereinbarten sie, dass die Beklagte für die Klägerin die Reifung von Salami durchführen sollte. Die Reifungsparameter wurden gemeinsam festgelegt und von einem Mitarbeiter der Beklagten in deren Anlage einprogrammiert. Ein Prokurist der Klägerin übermittelte der Beklagten ein Überwachungsprotokoll, in dem unter anderem laufend die Temperatur, die Luftfeuchtigkeit und die Luftumwälzung einzutragen waren.
Bis Mitte Mai 2006 reifte die Beklagte neun Salami-Lieferungen der Klägerin, sieben davon ohne Beanstandung. Teile zweier Lieferungen wiesen jedoch eine während der Reifung entstandene, nicht mehr rückgängig zu machende Grünfärbung auf. Das Aussehen der Würste war dadurch so beeinträchtigt, dass die Klägerin sie nicht oder nur zu reduzierten Preisen (an einen „Havariehändler“) verkaufen konnte. Die unverkäufliche Wurst wurde von der Klägerin vernichtet.
Die Beklagte hatte den Zustand der betroffenen Würste bei Anlieferung nicht festgehalten. Sie hatte auch Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftumwälzung nicht laufend dokumentiert, sondern nur die entsprechenden Spalten abgehakt. Beides wäre nach den International Food Standards (IFS), nach denen die Beklagte zertifiziert war, erforderlich gewesen.
Die Ursache der Verfärbung ist nicht feststellbar. Sie könnte bei der Klägerin oder beim ihr zuzurechnenden Transportunternehmen gelegen sein (zB schlecht ausgestreifte Därme, feuchte Hände beim Einfüllen, mangelhafte Durchkühlung vor der Verarbeitung, zu viel Zucker oder zu wenig Salz, mangelhafte Kühlung beim Transport), aber auch bei der Beklagten (zu geringe Luftbewegung, unzureichende Frischluftzufuhr, zu dichter Behang). Auch ein unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsgrad der möglichen Ursachen kann nicht festgestellt werden. Hätte die Beklagte ordnungsgemäß dokumentiert, so ließe sich die Ursache für die Grünfärbung „weiter einengen“; gleiches würde gelten, wenn die Klägerin eine Untersuchung der verfärbten Wurst veranlasst oder eine Probe aufbewahrt hätte.
In einem Vorprozess hatte die hier Beklagte den Werklohn für mehrere Wurstlieferungen begehrt, die (dort beklagte) Klägerin hatte den auch hier geltend gemachten Schadenersatzanspruch aufrechnungsweise eingewendet. Das Bestehen dieser Gegenforderung wurde bis zur Höhe der zu Recht bestehenden Klageforderung von 13.385,61 EUR verneint, weil der (dort beklagten) Klägerin der Beweis eines den Schaden verursachenden objektiven Sorgfaltsverstoßes nicht gelungen sei.
Im vorliegenden Verfahren begehrt die Klägerin 27.461,71 EUR als im Vorverfahren noch nicht erledigten Ersatz für den entgangenen Verkaufserlös und die Entsorgungskosten. Die Beklagte habe den Vertrag über die Reifung der Salami schlecht erfüllt. Die mangelhafte Dokumentation führe in den Fragen der objektiven Pflichtverletzung und der Kausalität zu einer Umkehr der Beweislast.
Die Beklagte bestreitet eine (kausale) Schlechterfüllung des Vertrags. Die Verantwortung für die Schäden liege in der Sphäre der Klägerin. Entweder habe sie das Rohmaterial nicht ordnungsgemäß verarbeitet, oder die von ihr veranlasste Anlieferung der Ware sei nicht korrekt gewesen. Gründe für eine Beweislastumkehr gebe es nicht.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Wie schon im Vorverfahren sei der Klägerin der Beweis der anspruchsbegründenden Tatsachen nicht gelungen. Die fehlende bzw mangelhafte Dokumentation allein begründe die Haftung nicht.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision zu.
Zwar habe die Beklagte Dokumentationspflichten verletzt, die sich aus den zumindest konkludent vereinbarten International Food Standards ergeben hätten. Dies führe aber nicht zur Umkehr der Beweislast. Die Klägerin habe keinen Anscheinsbeweis erbracht, da die Ursachen der Verfärbung nach den Feststellungen ebenso in ihrer eigenen Sphäre liegen könnten. Eine Umkehr der Beweislast sei nur aus besonderen Sachgründen zulässig. Beweisnähe sei kein solcher Sachgrund, ebensowenig ein aufgrund der konkreten Umstände bestehender Beweisnotstand. Eine Verschiebung der Beweislast komme zwar dann in Betracht, wenn ein allgemein, also für jedermann in gleicher Weise bestehender Beweisnotstand vorliege und objektiv typische, also auf allgemein gültigen Erfahrungssätzen beruhende Geschehensabläufe für den Anspruchswerber sprächen. Dies treffe hier aber nicht zu. Denn die Verletzung der Dokumentationspflicht durch die Beklagte habe sich auf die Beweislage in gleicher Weise negativ ausgewirkt wie die der Berufungswerberin zuzurechnende Vernichtung der beeinträchtigten Würste (also des unmittelbaren Beweismittels). Der Beweisnotstand falle daher auch in die Sphäre der Klägerin. Auch bei korrekter Dokumentation hätte die Schadensursache nicht mit hoher oder auch nur überwiegender Wahrscheinlichkeit ermittelt werden können, es wäre nur eine „Einengung“ der in Betracht kommenden Ursachen möglich gewesen. Zudem spreche die Verletzung der Dokumentationspflicht keineswegs typisch dafür, dass die Beklagte rechtswidrig gehandelt und dadurch den Schaden verursacht habe. Auch die Lückenhaftigkeit einer ärztlichen Dokumentation habe nur beweisrechtliche Folgen. Sie begründe die Vermutung, dass eine nicht dokumentierte Maßnahme nicht getroffen worden sei, nicht aber die Vermutung (anderer) objektiver Sorgfaltsverstöße.
Die Revision sei zuzulassen, weil sich der Fall zur Fortbildung der Rechtsprechung zu beweisrechtlichen Fragen eigne (beweisrechtliche Folgen der Verletzung von Dokumentationspflichten, Beweisvereitelung durch Vernichtung eines Beweisgegenstands).
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass weder Beweisschwierigkeiten noch die „Nähe“ zum Beweis eine Verschiebung der objektiven Beweislast rechtfertigen (RIS-Justiz RS0040182 [T12, T13]). Anderes gilt zwar allenfalls bei „tief in die Sphäre einer Partei reichenden Umständen“ (RIS-Justiz RS0013491, RS0121528). Dies setzt aber voraus, dass die nach allgemeinen Grundsätzen beweispflichtige Partei ihrer eigenen Beweispflicht im zumutbaren Maß nachkommt (4 Ob 1638/95 mwN; RIS-Justiz RS0037797 [T17]; zuletzt etwa 10 Ob 21/08y = JBl 2009, 708 und 4 Ob 217/09d). Diese Voraussetzung hat die Klägerin hier nicht erfüllt, weil sie weder eine Untersuchung der verfärbten Würste vornehmen ließ noch eine Probe für eine Begutachtung aufbewahrte.
2. Die Klägerin verweist an sich zutreffend auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den beweisrechtlichen Folgen der Verletzung einer ärztlichen Dokumentationspflicht. Diese Pflicht dient auch der Beweissicherung (1 Ob 532/94 = SZ 67/9 mwN; 3 Ob 2121/96z = EvBl 1998/24; RIS-Justiz RS0108525). Wird sie verletzt, so kommt dem Patienten zum Ausgleich der dadurch entstandenen Schwierigkeit, einen Behandlungsfehler nachzuweisen, eine der Schwere der Pflichtverletzung entsprechende Beweiserleichterung zugute (1 Ob 532/94 = SZ 67/9 mwN; 4 Ob 554/95 = SZ 68/207; RIS-Justiz RS0026236 [T2]). Im Allgemeinen ist zu vermuten, dass eine nicht dokumentierte Maßnahme auch tatsächlich nicht getroffen wurde (1 Ob 532/94 = SZ 67/9; 7 Ob 337/98d = RdM 1999/12; 9 Ob 6/02a, RIS-Justiz RS0026236 [T3, T6]). Die Vermutung eines objektiven Sorgfaltsverstoßes wird damit aber nicht begründet (2 Ob 235/97s; 7 Ob 337/98d; RIS-Justiz RS0026236 [T3]).
Das Anknüpfen am Zweck der Dokumentationspflicht zeigt, dass diese Rechtsprechung auf einer ergänzenden Auslegung des Behandlungsvertrags beruht. Hätten redliche Parteien (RIS-Justiz RS0017758) an die Möglichkeit von Beweisschwierigkeiten wegen Verletzung von vertraglichen Dokumentationspflichten gedacht, hätten sie Konsequenzen auf beweisrechtlicher Ebene vereinbart. Der Grund der Beweiserleichterung liegt daher in Wertungen des materiellen Rechts, nicht - wie zum vergleichbaren Problem in Deutschland vertreten (Hausch, Vom Therapierenden zum dokumentierenden Arzt, VersR 2006, 612 [620] mwN) - in einer Analogie zu einzelnen Bestimmungen des Prozessrechts, die in erster Linie an einem Verhalten im Prozess anknüpfen (zB §§ 307 Abs 2, 369 und 381 ZPO).
3. Die dargestellte Rechtsprechung zur Arzthaftung kann grundsätzlich auf die Verletzung anderer vertraglicher Dokumentationspflichten übertragen werden, wenn deren Zweck ebenfalls in der Ermöglichung eines sonst für den Geschädigten nur schwer zu führenden Beweises liegt. Denn auch hier ist anzunehmen, dass redliche Parteien für den Fall der unterbliebenen Dokumentation eine der Schwere der Pflichtverletzung entsprechende Beweiserleichterung vereinbart hätten. Dies gilt insbesondere dann, wenn Maßnahmen zu dokumentieren sind, die der Geschädigte typischerweise nicht unmittelbar wahrnehmen kann, weil sie ausschließlich in der Sphäre des Dokumentationspflichtigen zu treffen waren.
4. Ob eine solche Beweiserleichterung eingreift und wie weit sie gegebenenfalls reicht, hängt allerdings von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei ist auch das Verhalten der Gegenseite zu berücksichtigen: Redlichen Vertragspartnern kann nicht unterstellt werden, dass sie zwar eine Beweiserleichterung wegen Verletzung der Dokumentationspflicht angenommen, die Vernichtung eines ebenfalls zur Aufklärung des Sachverhalts geeigneten Beweismittels durch den Auftraggeber aber als unerheblich angesehen hätten. Anders gewendet: Das Abweichen von der gesetzlichen Beweislastverteilung wäre ihnen nur dann sachgerecht erschienen, wenn der dadurch Begünstigte dem nun Beweisbelasteten nicht die Möglichkeit nimmt, den jetzt auf seiner Seite erforderlichen Beweis zu führen.
Ein solcher Fall lag hier vor. Denn die Klägerin verfügte mit den verfärbten Würsten über ein Beweismittel, das ebenfalls zur Klärung der Schadensursache dienen konnte. Dieses Beweismittel hat sie vernichtet und so der Beklagten die Möglichkeit genommen, eine - wie auch immer ausgestaltete - Beweiserleichterung zugunsten der Klägerin zu entkräften. Damit liegen aber keine ausreichenden Sachgründe vor, die ein Abgehen von der gesetzlichen Beweislastverteilung rechtfertigen könnten.
5. Aus diesem Grund kann im konkreten Fall offen bleiben, wie weit eine mit einer Dokumentationspflichtverletzung begründete Beweiserleichterung tatsächlich gereicht hätte. Nach der Rechtsprechung zur Arzthaftung wäre lediglich anzunehmen, dass die zu dokumentierende Maßnahme nicht gesetzt wurde. Im Anlassfall wäre daher mangels erbrachten Gegenbeweises davon auszugehen gewesen, dass die Beklagte die Würste bei der Anlieferung nicht überprüft und auch die Umgebungsparameter (Temperatur, Feuchtigkeit, Luftumwälzung) nicht laufend kontrolliert habe. Der Kausalzusammenhang zwischen diesen Pflichtverletzungen und dem tatsächlich eingetretenen Schaden wäre damit aber noch nicht erwiesen gewesen. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass insofern in einem zweiten Schritt ein Anscheinsbeweis eingegriffen hätte.
6. Auf die zuletzt angestellten Erwägungen kommt es aber nicht an, weil wegen der Vernichtung der Würste durch die Klägerin von vornherein keine Beweiserleichterung in Bezug auf die objektive Pflichtverletzung in der Sphäre der Beklagten anzunehmen ist. Damit fällt die ungeklärte Frage, ob ein den Schaden verursachender Sorgfaltsverstoß der Beklagten vorlag, der Klägerin zur Last.
Die Grundsätze des Anscheinsbeweises helfen der Klägerin unter diesen Umständen nicht weiter. Denn seine Anwendung setzte einen typischen Kausalverlauf voraus (RIS-Justiz RS0040266, RS0040287), nicht bloß eine rein zeitliche Abfolge von behaupteter Ursache und Schaden. Ein typischer Kausalverlauf ist hier aber nicht zu erkennen, weil die Ursache der Verfärbung nach den Feststellungen ebenso in der Sphäre des Auftraggebers liegen kann. Die Revision der Klägerin muss daher scheitern.
7. Die diese Entscheidung tragenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden: Zwar kann eine Verletzung von Dokumentationspflichten auch außerhalb des Arzthaftungsrechts aufgrund ergänzender Vertragsauslegung zu einer Beweiserleichterung für den anderen Vertragspartner führen. Das gilt aber nicht, wenn dieser Vertragspartner den dann dem Dokumentationspflichtigen obliegenden Gegenbeweis durch Vernichtung eines Beweismittels vereitelt.
Zur Klarstellung ist festzuhalten, dass diese Erwägungen nur für Fälle der Beweiserleichterung wegen Dokumentationspflichtverletzungen gelten. Eine allgemeine Beweislastverschiebung (im konkreten Fall: Rückverschiebung) wegen Beweisvereitelung - wie sie im deutschen Recht angenommen wird (BGH VIII ZR 43/05 = NJW 2006, 434; VII ZR 64/07 = MDR 2009, 80; zusammenfassend zuletzt Laumen, Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Beweisvereitelung, MDR 2009, 177) - ist damit nicht verbunden (vgl dazu Rechberger in Fasching/Konecny2, Vor § 266 ZPO Rz 35; Fasching in Fasching/Konecny2 Einl II/1 Rz 18; Jabornegg, Glosse zu 1 Ob 254/99f, JBl 2000, 662 [663] mwN).
8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO.
Schlagworte
ZivilverfahrensrechtTextnummer
E95908European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2010:0040OB00199.10H.1215.000Im RIS seit
12.01.2011Zuletzt aktualisiert am
22.02.2013