TE OGH 2010/12/15 15Os159/10m

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.12.2010
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Dezember 2010 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Fries als Schriftführer im Verfahren zur Unterbringung des Florian R***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 16. September 2010, GZ 112 Hv 117/10m-58, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Florian R***** in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB eingewiesen, weil er in Wien unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grade beruhte, nämlich einer anhaltenden wahnhaften Störung in Verbindung mit einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen, narzisstischen und antisozialen Anteilen sowie einer Anpassungsstörung,

I./ am 7. Februar 2010 Mag. Alexander E***** durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben unter Verwendung einer Waffe einen PKW Audi Q7 samt Sportartikel und ein Mobiltelefon im Gesamtwert von rund 100.000 Euro mit dem Vorsatz abgenötigt hat, sich oder einen Dritten durch die Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er ihn unter Vorhalt einer Gaspistole zur Herausgabe des PKW-Schlüssels aufforderte,

II./ am 28. Februar 2010 den Justizwachebeamten Thomas B*****, der im Begriff stand, ihn wegen eines Verstoßes gegen § 26 Abs 3 StVG gemäß § 102 Abs 1 erster Satz StVG anzuhalten und ergriff, durch Gewalt an einer Amtshaftung zu hindern versucht hat, indem er sich aus dessen Haltegriff loszureißen versuchte,

und hiedurch Taten begangen hat, die mit einer einer Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind und die ihm, wäre er zu den Tatzeiten zurechnungsfähig gewesen, als das Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Satz zweiter Fall StGB (I./) und als das Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (II./) zuzurechnen wären, und weil nach seiner Person, seinem Zustand sowie nach der Art der Taten zu befürchten stand, er werde unter dem Einfluss seiner geistigen und seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 11 (der Sache nur Z 11) StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen; sie schlägt fehl.

Der Mängelrüge (Z 5, der Sache nach Z 11 erster Fall iVm Z 5 vierter Fall) zuwider blieb die Feststellung, dass der Betroffene auch die Tat zu II./ unter dem Einfluss eines auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhenden, die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands begangen hat, nicht unbegründet, sondern wurde mängelfrei auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. R***** gestützt (US 11 f).

Undeutlichkeit iSd Z 5 erster Fall (hier zur oben genannten Feststellung: Z 11 erster Fall iVm Z 5 erster Fall) läge nur dann vor, wenn nicht unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache in den Entscheidungsgründen festgestellt wurde oder aus welchen konkreten Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 419). Beides wird mit der eigenständig beweiswürdigenden Behauptung, der Zustand des Betroffenen liege aus bestimmten Gründen „keineswegs außerhalb der Variationsbreite des Normalen“, nicht dargetan.

Soweit die Beschwerde mit Kritik am vorliegenden Sachverständigengutachten eine offenbar unzureichende Begründung der Feststellungen zur Gefährlichkeitsprognose behauptet, macht sie nur einen Berufungsgrund geltend. Denn ebenso wie die Feststellung einer bei der Strafbemessung in Anschlag gebrachten entscheidenden Tatsache nicht aus Z 11 zweiter Fall iVm Z 5 bekämpft werden kann (12 Os 114/10x), ist der prognostizierte Sachverhalt in den Fällen der §§ 21 bis 23 StGB nur insoweit mit Nichtigkeitsbeschwerde anfechtbar, als er im Fall der Gefährlichkeitsprognose nicht auf Sachverhaltsfeststellungen zu sämtlichen der gesetzlichen Prognosekriterien gründet (Rechtsfehler mangels Feststellungen aus Z 11 zweiter Fall; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 717).

Der für die Prognose maßgebende Zustand des Betroffenen im Urteilszeitpunkt wurde festgestellt (US 17), während die Beschwerde es verabsäumt, aus dem Gesetz abgeleitet darzulegen, warum zusätzliche Konstatierungen darüber, ob dieser Zustand auch in Zukunft vorliegen wird, erforderlich seien. Mit der Kritik an der Begründung der Feststellungen zum Zustand des Betroffenen wird erneut kein Nichtigkeitsgrund geltend gemacht.

Indem die Beschwerde behauptet, zur Tat zu II./ „existiert keine korrespondierende seelische Abartigkeit höheren Grades“, ignoriert sie prozessordnungswidrig die gegenteiligen Urteilsfeststellungen (US 8). Feststellungen zur Prognosetat fehlen - der Beschwerde zuwider - nicht (s US 18). Dass die Prognosetat eine gleichartige wie die Anlasstat zu II./ sein müsse, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.

Entgegen dem weiteren Vorbringen haben die Tatrichter hinreichende Feststellungen zu sämtlichen gesetzlichen Prognosekriterien getroffen (US 3 ff), angesichts derer sich die Bejahung der Befürchtung der Prognosetaten nicht als willkürlich erweist. Der gegenüber den Tatrichtern substratlos erhobene Vorwurf des Rechtsmittelverfassers, deren Befürchtung von „extremistisch ausgerichteten Handlungsweisen auch unter dem Einsatz des eigenen Lebens“ (US 9) stelle „lediglich eine Projektion islamophober Vorteile (offenbar gemeint: Vorurteile) insbesondere gegen Konvertiten“ dar (ON 61, S 6), entzieht sich jeglicher sachbezogenen Erwiderung.

Indem die Beschwerde die Zulässigkeit einer Einweisung nach § 21 Abs 1 StGB mit Zitaten einzelner aus dem Zusammenhang gerissener Sätze aus der Entscheidung des EGMR vom 17. Dezember 2009, M. gegen Deutschland, Nr. 19359/04, und der - inhaltlich verfehlten - Berufung auf den Bericht des Rechnungshofs zum Maßnahmenvollzug für geistig abnorme Rechtsbrecher (Rechnungshofbericht Reihe Bund 2010/11) grundsätzlich in Frage stellen will und Spekulationen darüber anstellt, welche Strafe der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurechnungsfähigkeit zu erwarten gehabt hätte und wie lange seine Anhaltung nunmehr vermutlich dauern werde, wird schließlich kein in unvertretbarer Weise erfolgter Verstoß gegen Bestimmungen über die Strafbemessung (Z 11 dritter Fall) dargetan.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung über die Berufung folgt.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E96107

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0150OS00159.10M.1215.000

Im RIS seit

10.02.2011

Zuletzt aktualisiert am

10.02.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten