TE OGH 2010/12/17 6Ob166/10w

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Veröffentlicht am 17.12.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichts Salzburg zu FN ***** eingetragenen G***** Privatstiftung mit dem Sitz in U***** über den Revisionsrekurs des Stiftungsvorstands 1. Dr. A***** E*****, Rechtsanwalt, *****, 2. Dr. G***** B*****, 3. J***** N*****, die beiden Letzteren vertreten durch den Erstgenannten, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 28. Juli 2010, GZ 6 R 149/10i-7, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 25. Juni 2010, GZ 24 Fr 3890/10i-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Abweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung:

Die G***** Privatstiftung ist zu FN ***** des Landesgerichts Salzburg im Firmenbuch eingetragen; ihr Sitz war in U*****. Der Privatstiftung liegt die Stiftungsurkunde vom 10. 11. 1995 zugrunde, als Stifter traten 10 Personen auf.

Am 11. 5. 2010 fassten die Stifter die Stiftungsurkunde in Form eines Notariatsakts neu und beschlossen die Verlegung des Sitzes der Privatstiftung nach L*****.

Die Vorinstanzen wiesen übereinstimmend den Antrag des Stiftungsvorstands auf Eintragung der (neugefassten) Stiftungsurkunde, der Verlegung des Sitzes der Privatstiftung und die Änderung deren Geschäftsanschrift ab. Das Rekursgericht sprach darüber hinaus aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob § 39 Abs 3 PSG auch im Fall einer vollständigen Neufassung der Stiftungserklärung anzuwenden ist. In der Sache selbst bejahte das Rekursgericht diese Frage unter Hinweis auf österreichische und deutsche Literatur sowohl zu § 39 Abs 3 PSG als auch zum inhaltsgleichen § 51 Abs 1 letzter Satz GmbHG beziehungsweise § 54 Abs 1 Satz 2 dGmbHG. Auch im Fall der völligen Neufassung der Stiftungsurkunde beziehungsweise der Satzung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung müsse im Interesse des Rechtsverkehrs zu dessen Erleichterung der geltende Text aus einem separaten, notariell beurkundeten Schriftstück zu ersehen sein. Ein solches fehle im vorliegenden Fall.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist auch berechtigt.

1. § 39 PSG regelt die Formerfordernisse für die Änderung von Stiftungserklärungen. Diese sind nach Abs 1 durch Notariatsakt zu beurkunden; nach Abs 3 ist der Anmeldung einer Änderung zur Eintragung in das Firmenbuch der vollständige Wortlaut der geänderten Stiftungsurkunde beizufügen, wobei dieser mit der Beurkundung eines Notars versehen sein muss, dass die geänderten Bestimmungen der Stiftungsurkunde mit dem Beschluss über ihre Änderung und die unveränderten Bestimmungen mit dem zuletzt zum Firmenbuch eingereichten vollständigen Wortlaut der Stiftungsurkunde übereinstimmen. § 39 Abs 3 PSG entspricht dabei § 148 Abs 1 Satz 2 AktG und § 51 Abs 1 letzter Satz GmbHG (hingegen fehlt eine derartige Bestimmung im Genossenschaftsgesetz).

2. Zweck all dieser Bestimmungen ist die Möglichkeit für den Rechtsverkehr, jederzeit beim Firmenbuch ohne fehleranfällige Kompilierungsmaßnahmen den aktuellen Inhalt der Stiftungsurkunde beziehungsweise der Satzung feststellen zu können (N. Arnold, PSG² [2007] § 39 Rz 12); die Bestimmungen meinen dabei mit dem „vollständigen Wortlaut“ jenen Wortlaut, der sich bei Berücksichtigung bisheriger Satzungsänderungen und der neu angemeldeten Satzungsänderung ergibt (Koppensteiner/Rüffler, GmbHG³ [2007] § 51 Rz 4 mwN; vgl auch Milchrahm/Rauter in Straube, Wiener Kommentar zum GmbHG [2010] § 51 Rz 19). Die Richtigkeit der Zusammenfassung des aktuellen Standes ist durch notarielle Beurkundung zu bestätigen (N. Arnold aaO).

Auch das Oberlandesgericht Wien (NZ 2004/27) hat zutreffend darauf hingewiesen, dass Ziel dieser Vorschriften die Ersichtlichmachung des neuesten Standes des Gesellschaftsvertrags für jedermann aus einer einzigen, beim Firmenbuchakt befindlichen Urkunde ist, was ansonsten nicht möglich wäre und insbesondere nach mehrfacher Änderung des Gesellschaftsvertrags eine rasche Orientierung vereiteln würde.

3. Offensichtlich ausgehend von einer (anderen) Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien (NZ 1994, 259, ebenso NZ 2004/27) zu § 51 Abs 1 GmbHG vertritt die herrschende österreichische gesellschaftsrechtliche Literatur die Auffassung, der vollständige Wortlaut der Satzung müsse auch bei vollständiger Änderung und Neufassung der Satzung vorgelegt werden (vgl etwa Nagele/Lux in Jabornegg/Strasser, AktG5 [2010] § 148 Rz 4 zur Aktiengesellschaft; Koppensteiner/Rüffler aaO; Milchrahm/Rauter aaO jeweils zur Gesellschaft mit beschränkter Haftung). Eine gegenteilige Sicht wäre mit dem Zweck der Bestimmungen - Erleichterung des Rechtsverkehrs - nicht vereinbar (Koppensteiner/Rüffler aaO).

Dieser Ansicht hat sich für den Bereich der Privatstiftung etwa Huber (in Doralt/Nowotny/Kalss, Privatstiftungsgesetz [1995] § 39 Rz 4) angeschlossen und ausgeführt, der Sinn der Einreichung einer vollständigen Stiftungsurkunde zum Firmenbuch liege in einer Erleichterung des Rechtsverkehrs; jeder an der Stiftung Interessierte solle die Möglichkeit haben, im Firmenbuch die aktuelle Fassung der Stiftungsurkunde einzusehen, ohne dass es erforderlich sei, aus der möglichen Vielzahl an Änderungsurkunden mühsam die aktuelle Fassung zu erstellen. Hingegen hält N. Arnold (PSG² [2007] § 39 Rz 12) die Forderung nach einer separaten Urkunde für überflüssigen Formalismus, der auch durch den in der Erleichterung des Rechtsverkehrs gelegenen Zweck des § 39 Abs 3 PSG nicht gerechtfertigt werden könne.

4.1. Soweit die Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien NZ 1994, 259 zur Begründung der Anwendbarkeit des § 51 Abs 1 Satz 2 GmbHG auch auf vollständig neu gefasste Satzungen herangezogen wird, erscheint dies angesichts des Umstands verfehlt, dass dort eine „aktualisierte“ Fassung des Gesellschaftsvertrags trotz einzelner Änderungen gerade nicht vorgelegt wurde. Bei der in NZ 2004/27 veröffentlichten Entscheidung desselben Gerichts wiederum verstießen einzelne Bestimmungen der neugefassten Satzung gegen zwingendes Recht und waren daher nicht eintragungsfähig. Diese Entscheidungen sind daher nicht einschlägig.

4.2. Im Fall einer völligen Neufassung einer Stiftungsurkunde oder einer Satzung mittels Notariatsakts bringt es keinerlei „Erleichterung“ des Rechtsverkehrs, wenn noch einmal eine notariell beurkundete „separate“ Urkunde, die denselben Text enthält, bei der Eintragung vorgelegt wird. Aufgrund der Neufassung der Stiftungsurkunde beziehungsweise der Satzung bedarf es - sofern wie im vorliegenden Fall die Neufassung dem Zweck des § 39 Abs 3 PSG entspricht - keinerlei Kompilierungsmaßnahmen; vielmehr ist der neueste Stand des Gesellschaftsvertrags für jedermann aus einer einzigen, beim Firmenbuchakt befindlichen Urkunde ersichtlich.

5. Die Vorlage einer separaten Urkunde gemäß § 39 Abs 3 PSG, § 51 Abs 1 GmbHG, § 148 Abs 1 AktG ist nicht erforderlich, wenn ohnehin mittels Notariatsakts die einzutragende Stiftungsurkunde beziehungsweise Satzung der Gesellschaft völlig neu gefasst wurde.

Es waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Abweisungsgrund aufzutragen.

Schlagworte

Gruppe: Handelsrecht,Gesellschaftsrecht,Wertpapierrecht

Textnummer

E95946

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0060OB00166.10W.1217.000

Im RIS seit

13.01.2011

Zuletzt aktualisiert am

26.02.2016
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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