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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 99/20/0139Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, 1.) über die Beschwerde des MA in Wien, geboren am 18. August 1973, vertreten durch Dr. Robert Krasa, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Museumstraße 4, gegen Spruchpunkt I des Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates vom 24. November 1998, Zl. 203.448/0-VIII/24/98 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), betreffend § 7 AsylG (Zl. 99/20/0139), sowie 2.) über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen Spruchpunkt II des genannten Bescheides (mitbeteiligte Partei: MA in Wien, geboren am 18. August 1973), betreffend § 8 AsylG (Zl. 99/20/0045), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem (zu Zl. 99/20/0139 einschreitenden) Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Erstbeschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, reiste am 13. Jänner 1998 in das Bundesgebiet ein und stellte am 15. Jänner 1998 einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Anlässlich seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 16. Jänner 1998 gab er zusammengefasst zu seinen Fluchtgründen an, er sei aus dem Irak geflüchtet, weil er Angst vor einer Verhaftung durch die Sicherheitskräfte und vor Folter gehabt habe. Ein Studienkollege sei im Jahre 1996 festgenommen worden, weil man ihn der Mitgliedschaft bei der verbotenen "Al-Da'wa"-Partei verdächtigt habe. Im selben Zuge seien sämtliche Klassenkollegen, darunter auch er, von den Sicherheitsbehörden festgenommen worden, weil man ihn ebenfalls der Mitgliedschaft dieser verbotenen Partei verdächtigt habe. Er sei vom 1. Juni 1996 bis 2. Jänner 1997 in Bagdad in Haft gewesen und mehrmals einvernommen worden, wobei mittels Folter versucht worden sei, ein Geständnis über seine Mitgliedschaft bei dieser Partei zu erwirken. Während der Haft sei er - näher dargestellter - grausamer Folter ausgesetzt gewesen. Nachdem die Sicherheitsbehörden kein Geständnis erzwingen und ihm auch sonst nichts hätten nachweisen können, sei er am 2. Jänner 1997 aus der Haft entlassen worden. In weiterer Folge sei er einmal wöchentlich zur Sicherheitsdirektion in Bagdad vorgeladen worden. Diese Befragungen über sein Lebensumfeld hätten jeweils rund 3 bis 4 Stunden gedauert. Hiebei sei er nicht misshandelt worden und habe anschließend nach Hause gehen können. Als im März 1997 ein Attentat auf die Bezirksorganisation der "Ba'th"-Partei verübt worden sei, sei er sofort als ein allenfalls Verdächtiger festgenommen worden. Es sei im Irak üblich, dass jeder, der der Mitgliedschaft bei einer verbotenen Partei verdächtigt werde und schon einmal mit den Behörden in Konflikt geraten sei, bei derartigen Vorfällen sofort routinemäßig festgenommen werde. Er sei eine Woche bei der Generaldirektion der Sicherheitsdirektion in Bagdad festgehalten und eingehend verhört worden. Während dieser Inhaftierung sei er keinerlei Misshandlung oder Folter ausgesetzt gewesen. Es habe ihm nichts nachgewiesen werden können und er sei anschließend wieder aus der Haft entlassen worden. Er habe mit diesem Attentat nichts zu tun gehabt. Nachdem er in Erfahrung gebracht habe, dass sein schon im Juli 1996 verhafteter Studienkollege hingerichtet worden sei, habe er aus Angst davor, dass ihm das gleiche Schicksal drohe, beschlossen, aus dem Irak zu flüchten. Er sei im Irak nicht offiziell gesucht worden; er habe seiner Frau und seinem Kind aber die Strapazen der Reise nicht zumuten wollen. Diese lebten jetzt bei seinen Eltern und seinem Bruder; überdies sorge auch sein Onkel dafür, dass seiner Frau und seinem Kind trotz der im Irak herrschenden Sippenhaftung nichts passiere und sie keine Schwierigkeiten bekämen. Er sei deshalb auch nicht im Nordirak verblieben, wo er zwei Monate auf seiner Flucht aufhältig gewesen sei, weil die Lage in der Kurdenregion sehr angespannt sei und Bürgerkrieg herrsche. Er habe keine Möglichkeit gesehen, dort mit seiner Familie künftighin leben zu können. Die Lage im Nordirak sei nicht sicher; es gebe weder genug zu essen, noch genügend Strom, Öl und Gas. Es bestünde auch jederzeit die Gefahr, dass Saddam Hussein den Nordirak wieder einnehme.
Anlässlich einer weiteren Einvernahme am 26. März 1998 gab der Erstbeschwerdeführer an, anlässlich der Ersteinvernahme einen falschen Namen angegeben zu haben, weil er Angst um seine Familie im Irak gehabt habe. Er habe erst nachträglich von anderen Irakern erfahren, dass es in Österreich keinerlei Probleme gebe und er den österreichischen Behörden vertrauen könne. Anlässlich dieser ergänzenden Einvernahme gab der weiters an, bei der nach dem Attentat erfolgten Verhaftung sei er eine Woche angehalten worden, wobei man ihm Faustschläge versetzt und Fußtritte verabreicht habe. Nachher sei er wieder frei gelassen worden, weil man ihm nichts habe nachweisen können und die Überprüfung seines Alibis belegt habe, dass er zum Zeitpunkt des Attentats nicht dort anwesend gewesen sei. Bei seiner Ersteinvernahme sei er nicht so direkt nach Misshandlungen und Folter gefragt worden, weshalb er diesbezüglich andere Angaben getätigt habe. Die Situation im Irak sei keinesfalls vergleichbar mit jener in Österreich. Es gebe keine ordentlichen und fairen Gerichtsverfahren, oft genüge es, dass eine Privatperson jemanden beschuldige und man laufe Gefahr, vom Geheimdienst oder den Sicherheitsorganen deswegen festgenommen zu werden. Über ihn existiere ein Akt bei den Sicherheitsbehörden und diese könnten jederzeit bei ungeklärten Attentaten auf ihn zurück greifen und ihn festnehmen, foltern und befragen. Im Irak laufe jede Person, insbesondere jene, über die bereits Akte angelegt worden seien, Gefahr, ohne entsprechende Rechtfertigung hingerichtet zu werden.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 18. Mai 1998 unter Spruchpunkt I den Asylantrag gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG) ab, und stellte unter Spruchpunkt II die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Erstbeschwerdeführers in den Nordirak gemäß § 8 AsylG fest. Dies wurde damit begründet, dass - aus näher dargestellten Gründen - dem gesamten Vorbringen des Erstbeschwerdeführers die Glaubwürdigkeit abgesprochen werden müsse und ihm daher kein Asyl in Österreich gewährt werden könne. In Spruchpunkt II vertrat das Bundesasylamt die Auffassung, im Fall des Erstbeschwerdeführers gebe es gegenwärtig kein Abschiebungshindernis in die autonome Kurdenzone des Nordirak, zumal dort eine allgemeine, extreme Gefährdungslage, in der jeder einzelne Erstbeschwerdeführer im Falle seiner Abschiebung dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde, nicht gegeben sei.
Der Erstbeschwerdeführer erhob Berufung, in der er unter näherer Auseinandersetzung mit der Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz u.a. seine persönliche Einvernahme als Beweis für die Glaubwürdigkeit seiner Darstellung beantragte. Schließlich führte der Erstbeschwerdeführer aus, die ihm drohende Gefahr werde durch die Tatsache seiner illegalen Ausreise aus dem Irak und den sich daran anschließenden unerlaubten Auslandsaufenthalt, was jeweils nach dem irakischen Gesetz unter Strafe stünde, verstärkt. Die diesbezügliche Strafdrohung sei als unverhältnismäßig hoch zu bewerten. Darüber hinaus werde im Irak Asylantragstellung im Ausland als grober Akt der Illoyalität gegenüber dem irakischen Staat angesehen und die Betroffenen müssten bei Rückkehr in den Irak mit Verfolgungsmaßnahmen durch staatliche Stellen rechnen. Die Wahrscheinlichkeit der Kenntniserlangung durch die irakischen Behörden sei nach internationalen Berichten sehr groß, weil die Behörden bei verschiedensten Anlässen Überprüfungen über den Aufenthalt von Angehörigen irakischer Staatsbürger im Ausland vornähmen. In diesen Fällen könne es auch zu Verfolgungsmaßnahmen gegen die im Irak lebenden Angehörigen kommen.
Die Berufungsbehörde brachte dem Erstbeschwerdeführer und dem Bundesasylamt mit Schriftsatz vom 19. Oktober 1998 ein umfangreiches Urkundenkonvolut zur Situation im Nordirak sowie zu den Folgen der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung im Ausland zur Kenntnis. Sowohl der Erstbeschwerdeführer als auch das Bundesasylamt erstatteten dazu ergänzende Stellungnahmen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde unter Spruchpunkt I die Berufung des Erstbeschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab, gab aber unter Spruchpunkt II der Berufung des Erstbeschwerdeführers gegen Spruchpunkt II des Bescheides des Bundesasylamtes Folge und stellte gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 des Fremdengesetzes, BGBl. I Nr. 75/1997, fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Erstbeschwerdeführers in den Irak nicht zulässig sei. Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides wurde damit begründet, dass sich die Berufungsbehörde hinsichtlich der Qualifikation des Vorbringens des Erstbeschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen als unglaubwürdig der Begründung der Erstbehörde im Ergebnis - nach einigen Ergänzungen der Beweiswürdigung durch die Berufungsbehörde - anschließe. Selbst wenn die Berufungsbehörde jedoch dem Vorbringen des Erstbeschwerdeführers zu seinen angeblichen Fluchtgründen die Glaubwürdigkeit nicht versagt hätte, würde dies am Ergebnis nichts ändern. Den Angaben des Erstbeschwerdeführers lasse sich nämlich nicht entnehmen, dass ihm auf Grund des Anschlages auf die Bezirksorganisation der Ba'th-Partei landesweite Verfolgung gedroht hätte; er sei vielmehr nach seinen Aussagen aus Mangel an Beweisen entlassen worden und danach bis zu seiner Ausreise ein halbes Jahr später unbehelligt im gewohnten Lebensumfeld verblieben. Seine Angst, das gleiche Schicksal zu erleiden wie sein Studienkollege, stelle sich daher mangels irgendwelcher Hinweise, die diese Angst zu begründen vermögen, als bloße Vermutung und subjektives Furchtempfinden dar. Wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention liege aber erst vor, wenn objektiverweise eine Person in der individuellen Situation des Erstbeschwerdeführers Grund habe, Verfolgung zu fürchten; lediglich subjektiv empfundene Furcht reiche für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht aus. Zu den Befürchtungen, wegen der illegalen Ausreise aus dem Irak und der Asylantragstellung in Österreich im Irak einer Verfolgung ausgesetzt zu werden, sei auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach derartige Befürchtungen für sich genommen noch keinen Fluchtgrund im Sinne der Flüchtlingskonvention darstellten. Da somit insgesamt keine Hinweise auf einen Sachverhalt vorlägen, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention in Frage komme, erübrige es sich darauf einzugehen, ob dem Erstbeschwerdeführer im Nordirak eine innerstaatliche Fluchtalternative offen gestanden wäre.
Zu Spruchpunkt II führte die belangte Behörde aus, der Spruch des erstinstanzlichen Bescheides widerspreche insofern der Bestimmung des § 8 AsylG, als die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Erstbeschwerdeführers in den Nordirak (anstatt in den Irak) für zulässig erklärt worden sei. § 8 leg. cit. stelle aber auf den Herkunftsstaat ab und der Nordirak sei kein vom Herkunftsstaat Irak losgelöstes Völkerrechtssubjekt, weshalb Spruchpunkt II schon aus diesem Grund keine Deckung in der genannten Bestimmung finde. Die Berufungsbehörde sei jedoch der Ansicht, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Erstbeschwerdeführers in den Irak - sei es auch über den Nordirak - nicht zulässig sei. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 FrG sei bereits unter Spruchteil I des vorliegenden Bescheides geprüft und verneint worden. Auf Grund des diesbezüglich glaubwürdigen Vorbringens des Erstbeschwerdeführers sowie auf Grund des dem Bundesasylamt und dem Berufungswerber zugesandten Konvoluts an - näher angegebenen - einschlägigen internationalen Berichten werde zusätzlich zu dem bereits zu Spruchpunkt I festgestellten Sachverhalt für die Refoulement-Entscheidung darüber hinaus folgender erheblicher Sachverhalt festgestellt: Der Erstbeschwerdeführer fürchte, im Falle einer Rückkehr in den Irak wegen illegaler Ausreise und Asylantragstellung im Ausland unmenschlicher Behandlung in Form von Haft und Folter ausgesetzt zu sein. Er habe keinerlei Anknüpfungspunkte im Nordirak, die ihm grundsätzlich dort eine Integration ermöglichen würden. Zur derzeitigen Situation im Irak sei festzuhalten, dass die illegale Ausreise und der sich anschließende Auslandsaufenthalt mit Gefängnisstrafen bis zu 15 Jahren und mit der Beschlagnahme des gesamten beweglichen und unbeweglichen Vermögens bedroht sei. Diese Strafbestimmung werde in der Praxis rigoros angewendet. Die Asylantragstellung im Ausland werde von den irakischen Behörden als Illoyalität gegenüber dem irakischen Regime gewertet und könne ebenfalls strafrechtliche Konsequenzen in Form von Gefängnisstrafen haben. Von den irakischen Behörden würden bei verschiedensten Anlässen Überprüfungen vorgenommen, ob sich Angehörige von irakischen Staatsbürgern im Ausland aufhielten. Für die Abschiebung des Erstbeschwerdeführers in den Irak müsste - weil er illegal eingereist sei - bei der irakischen Botschaft in Österreich ein Heimreisezertifikat beantragt werden. Im Irak würden rechtsstaatliche Prinzipien laufend verletzt, Misshandlungen bei Verhören und in der Haft bildeten normale Vorkommnisse. Willkürliche Verhaftungen ohne gerichtliches Verfahren oder willkürliche Exekutionen stünden an der Tagesordnung. Die irakische Regierung verfüge nach wie vor im Irak über eines der engmaschigsten und effizientesten Spitzel- und Geheimdienstsysteme. Zwischen den rivalisierenden Gruppen im Nordirak herrschten nicht nur Spannungen, sondern es komme auch immer wieder zu schweren Menschenrechtsverstößen wie Festnahmen, Folterungen und extralegalen Tötungen. Lediglich für Asylwerber, die familiäre, gesellschaftliche oder politische Bindungen im Norden hätten, die ihnen grundsätzlich eine Integration ermöglichten, könne von gegebenem Schutz in jenen Gegenden des von den Kurden beherrschten Nordiraks ausgegangen werden, in denen es zu keinen militärischen Auseinandersetzungen komme.
Auf Grund des festgestellten Sachverhaltes gelange die Behörde zur Ansicht, dass für den Erstbeschwerdeführer sowohl im Falle seiner freiwilligen Rückkehr über den Nordirak als auch im Falle der Abschiebung derzeit ein erhebliches Risiko bestehe, Opfer einer unmenschlichen Behandlung bzw. Folter im Sinne von Art. 3 MRK zu werden. Angesichts der Tatsache, dass der Erstbeschwerdeführer, der sein ganzes Leben in Bagdad verbracht habe, keine politischen oder sozialen Anknüpfungspunkte im Nordirak besitze, könne nicht davon ausgegangen werden, dass er dort vor unmenschlicher Behandlung durch die rivalisierenden Gruppen sicher wäre und den nötigen Schutz vor einer Gefährdung durch den irakischen Geheimdienst finden könnte. Ebenso wenig könne derzeit mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Erstbeschwerdeführer mangels Informationen der irakischen Behörden über seine Ausreise nicht gefährdet sei. Denn es sei anzunehmen, dass die irakischen Behörden - etwa bei Überprüfungen seiner Wohnadresse oder Arbeitsstätte bzw. durch Verhöre der dort anwesenden Personen - mittlerweile bereits Kenntnis von der Ausreise des Erstbeschwerdeführers erlangt hätten. Durch eine Abschiebung in den Irak würde der Erstbeschwerdeführer zwangsläufig in den Kontakt mit irakischen Behörden gebracht und zwar auch bei einer Abschiebung über den Nordirak, da er dazu jedenfalls ein bei der irakischen Botschaft in Österreich zu beantragendes Reisedokument benötigen würde. Dies hätte aber mit größter Wahrscheinlichkeit eine eingehende Befragung des Erstbeschwerdeführers unter Anwendung der im Irak üblichen Verhörmethoden zur Folge. Spätestens bei dieser Gelegenheit würden die Umstände seiner relativ langen Abwesenheit bekannt, was zweifellos zu einer unter unmenschlichen Bedingungen erfolgenden Bestrafung des Erstbeschwerdeführers wegen illegaler Ausreise bzw. Asylantragstellung führen würde. Da somit im Sinne der hier zu treffenden Prognose derzeit stichhaltige Gründe für die Annahme vorlägen, dass der Erstbeschwerdeführer Gefahr laufe, im Herkunftsstaat einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Gegen diesen Bescheid richten sich die vorliegenden Beschwerden, wobei sich die Beschwerdeausführungen des Erstbeschwerdeführers nur gegen Spruchteil I des angefochtenen Bescheides richten (Zl. 99/20/0139); der Bundesminister für Inneres hat Beschwerde nur gegen Spruchteil II des angefochtenen Bescheides erhoben (Zl. 99/20/0045).
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres sachlichen, rechtlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Zur Rechtzeitigkeit der Amtsbeschwerde wird auf den hg. Beschluss vom 23. Juli 1999, Zl. 99/20/0237, verwiesen.
Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (in weiterer Folge: FlKonv) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F FlKonv genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv (in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974) ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Vorauszuschicken ist im gegenständlichen Fall, dass der belangten Behörde ein - vom beschwerdeführenden Bundesminister auch geltend gemachter - Verfahrensmangel unterlaufen ist. Im hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0339, hat der Verwaltungsgerichtshof unter Verweis auf die Begründung im hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308, die rechtlichen Voraussetzungen für das Absehen von einer Verhandlung durch die belangte Behörde dargestellt und ausgeführt, die auch im vorliegenden Fall gewählte Begründung für ein solches Vorgehen treffe zu, wenn der Sachverhalt "nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt" und in der Berufung "kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet" werde. Der Verwaltungsgerichtshof fügte in dem bezogenen Vorerkenntnis hinzu, dies ergebe sich nicht zuletzt aus der Wichtigkeit des persönlichen Eindruckes für die Bewertung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers.
Im vorliegenden Fall hat der Erstbeschwerdeführer in seiner Berufung über sein erstinstanzliches Vorbringen hinausgehend zulässigerweise einen neuen und konkreten Sachverhalt behauptet, insbesondere das Bestehen einer Verfolgungsgefahr in Anbetracht seiner unerlaubten Ausreise, seines Auslandsaufenthaltes und seiner Asylantragstellung. Er hat in seiner Berufung auch die Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz bekämpft und u.a. zum Beleg seiner Glaubwürdigkeit seine persönliche Einvernahme beantragt. Schließlich hat auch die belangte Behörde selbst durch Einholung zahlreicher Informationen neue Ermittlungsergebnisse gewonnen, die sie ihrem Bescheid zu Grunde gelegt hat. Aus all diesen Gründen wäre im vorliegenden Fall daher die Durchführung einer mündlichen Verhandlung notwendig gewesen.
Die belangte Behörde hat allerdings eine Alternativbegründung zu Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides getroffen, die ausgehend von der unterstellten Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Erstbeschwerdeführers ebenfalls zum Ergebnis der Abweisung des Asylantrages kommt. Diese Alternativbegründung zu Spruchpunkt I hält aber einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
Die belangte Behörde legte dem angefochtenen Bescheid an einer späteren Stelle (zu Spruchpunkt II) nämlich u.a. die Feststellungen zu Grunde, dass
"die illegale Ausreise aus dem Irak und der anschließende Auslandsaufenthalt mit Gefängnisstrafen bis zu 15 Jahren und mit der Beschlagnahme des gesamten beweglichen und unbeweglichen Vermögens bedroht ist; diese Strafbestimmung wird rigoros angewendet. Die Asylantragstellung im Ausland wird von den irakischen Behörden als Illoyalität gegenüber dem irakischen Regime gewertet und kann ebenfalls strafrechtliche Konsequenzen in Form von Gefängnisstrafen haben. ... Im Irak werden rechtsstaatliche Prinzipien laufend verletzt. Misshandlungen bei Verhören und in der Haft bilden im Irak normale Vorkommnisse. Willkürliche Verhaftungen ohne gerichtliches Verfahren stehen an der Tagesordnung."
Folgt man den Angaben des Erstbeschwerdeführers, so ist er den Behörden als angeblicher Sympathisant einer regimekritischen Partei bekannt und war verpflichtet, sich wöchentlich bei den Sicherheitsbehörden zu einem mehrstündigen Verhör zu melden; anlässlich eines Attentates auf ein Parteilokal der "Ba'th"-Partei wurde er als potenziell Verdächtiger verhaftet und eine Woche lang unter Misshandlungen festgehalten. Auf Grundlage der Feststellungen der belangten Behörde und unter Berücksichtigung des Vorbringens des Erstbeschwerdeführers musste dieser dann aber nicht nur mit Misshandlungen bei seinen wöchentlichen Einvernahmeterminen rechnen, sondern auch befürchten, insbesondere wegen der ihm unterstellten regimekritischen politischen Gesinnung jederzeit "willkürlich ohne gerichtliches Verfahren verhaftet" und in der Haft in der von ihm geschilderten Art (Folter) misshandelt (nach seinen Angaben sogar: hingerichtet) zu werden.
Die Argumentation der belangten Behörde, für eine weitere längerfristige Anhaltung des Erstbeschwerdeführers bzw. dafür, ein ähnliches Schicksal wie sein Klassenkollege zu erleiden, fehlten jegliche Hinweise, geht aber an den eigenen Feststellungen der Behörde vorbei, wonach "willkürliche Verhaftungen an der Tagesordnung" stehen und der Erstbeschwerdeführer als behördenbekannter (angeblicher) Regierungsgegner sogar mit erhöhter Wahrscheinlichkeit mit einer solchen weiteren Inhaftierung rechnen müsste. Bei unterstellter Glaubwürdigkeit der Angaben des Erstbeschwerdeführers und auf Grundlage der eigenen Feststellungen der belangten Behörde liegt dann aber eine über "bloße Vermutungen" und "subjektives Furchtempfinden" hinausgehende Gefahr vor Verfolgung aus politischen Gründen vor, wobei die Intensität der Verfolgungsmaßnahmen angesichts der Angaben des Erstbeschwerdeführers über die in der Haft erlittenen Misshandlungen jedenfalls Asylrelevanz erreicht.
Darüber hinaus hat der Erstbeschwerdeführer auch Verfolgung wegen seiner illegalen Ausreise, seines Auslandsaufenthaltes und seiner Asylantragstellung geltend gemacht, weil dafür nach seinen -
von der Behörde bestätigten - Angaben eine unverhältnismäßig hohe Strafdrohung bestünde. Nach den eigenen Feststellungen der belangten Behörde werden "diese Strafen rigoros angewendet." Auch diesem Vorbringen kann Asylrelevanz nicht von vornherein abgesprochen werden, weil diese Fluchtgründe nach dem hier anzuwendenden § 7 AsylG in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv grundsätzlich beachtlich sind. Dem Umstand, ob die Verfolgungsgefahr vor oder nach der Ausreise des Asylwerbers entstanden ist, kommt in der Regel keine Bedeutung zu (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 16. Dezember 1999, Zl. 98/20/0415, sowie vom 21. September 2000, Zl. 98/20/0440).
Die Alternativbegründung der Abweisung des Asylantrages (Spruchpunkt I), erweist er sich daher als inhaltlich rechtswidrig. Dieser Teil des angefochtenen Bescheides war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, die der aufgezeigten Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht, aufzuheben.
Die Rechtswidrigkeit des Spruchpunktes I führt aber im Ergebnis auch zur Aufhebung des Spruchpunktes II des angefochtenen Bescheides, gegen welchen sich die Beschwerde des Bundesministers für Inneres richtet. Mit seinen Beschwerdeausführungen macht der beschwerdeführende Bundesminister allerdings weder die Relevanz des der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmangels geltend noch zeigt er eine inhaltliche Rechtswidrigkeit dieses Spruchpunktes auf.
Der Bundesminister für Inneres bestreitet die Feststellungen der belangten Behörde hinsichtlich der Lage im Nordirak und der Bedingungen, unter welchen man im Falle einer Niederlassung in diesem Staatsteil sicher vor Verfolgung sein kann, ebenso wenig wie den Umstand, dass im Falle der Rückbringung des Erstbeschwerdeführers zwangsläufig Kontakt mit den irakischen Behörden aufgenommen werden müsste. Der Erstbeschwerdeführer hat bereits während des Verfahrens auf die Situation im Nordirak (Bürgerkrieg, Spitzelwesen, schlechte Versorgungslage) hingewiesen und dargelegt, aus welchen Gründen es ihm nicht möglich (gewesen) wäre, dort länger zu verbleiben bzw. dorthin zurückzukehren. Eine Rechtswidrigkeit der Folgerung der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer in keinen Landesteil seines Herkunftsstaates gefahrlos zurückkehren konnte, wurde mit der Amtsbeschwerde nicht aufgezeigt. Darauf, wie im Falle eines Fehlens von Abschiebungshindernissen nur in Bezug auf den Nordirak vorzugehen wäre, braucht unter diesen Umständen nicht eingegangen zu werden.
Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides ist im Hinblick darauf, dass dieser Spruchpunkt mit der zur Zl. 99/20/0045 erhobenen Beschwerde bekämpft wird und durch die Aufhebung von Spruchpunkt 1 des angefochtenen Bescheides die gesetzlichen Voraussetzungen für eine von der belangten Behörde gemäß § 8 AsylG zu treffende Entscheidung rückwirkend weggefallen sind, aber gleichfalls aufzuheben.
Der angefochtene Bescheid war daher zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 15. Februar 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1999200045.X00Im RIS seit
20.04.2001