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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des am 5. Mai 1965 geborenen JE, vertreten durch Mag. Johannes Fraißler, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Marburgerkai 47/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 31. März 1998, Zl. 200.917/0-V/13/98, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 22. April 1997 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet ein und beantragte am gleichen Tag die Gewährung von Asyl. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, er sei das für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Mitglied der NADECO gewesen. Am 15. März 1997 sei ein NADECO-Treffen abgehalten worden. Soldaten seien zur Versammlung gekommen und er sei festgenommen und ins Gefängnis gebracht worden. Das Treffen habe stattgefunden, weil einigen Mitgliedern die Pässe abgenommen worden seien und man auch gewollt habe, dass diese Mitglieder wieder entlassen würden. Er habe dann durch Bestechung eines Gefängniswärters einen Weg aus dem Gefängnis finden können. Sein Reisepass sei ihm von der SSS bereits am 15. März 1997 abgenommen worden.
Mit Bescheid vom 16. Mai 1997 wies das Bundesasylamt den Antrag gemäß § 3 Asylgesetz 1991 ab. Aus der Begründung geht hervor, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers - aus näher dargestellten Gründen - die Glaubwürdigkeit zur Gänze versagt und weiters festgestellt werde, dass sich der Beschwerdeführer im Zuge seiner Flucht entweder in Italien oder Slowenien aufgehalten haben müsse. Es wäre dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar gewesen, bereits dort einen Asylantrag zu stellen und er wäre in einem der genannten Staaten bereits vor Verfolgung sicher gewesen.
Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung, in der er seine vor der erkennenden Behörde gemachten Angaben vollinhaltlich aufrecht erhielt und sich näher mit der von der Behörde erster Instanz (auch) in Slowenien angenommenen Drittstaatssicherheit befasste.
Während des Berufungsverfahrens wurde die belangte Behörde davon in Kenntnis gesetzt, dass sich der Beschwerdeführer am 22. Jänner 1998 anlässlich einer Ausreisekontrolle mit einem nigerianischen Reisepass, ausgestellt am 16. Juni 1997, ausgewiesen habe. Mit Schreiben vom 6. März 1998, zugestellt durch Hinterlegung am 10. März 1998, brachte die belangte Behörde diesen Umstand dem Beschwerdeführer mit der Aufforderung zur Kenntnis, anzugeben, wie er in den Besitz dieses Reisedokumentes gekommen sei. Dem Verwaltungsakt liegt keine Stellungnahme des Beschwerdeführers bei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 31. März 1998 wurde die Berufung gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 abgewiesen. Die belangte Behörde stellte im Wesentlichen fest, der Antragsteller sei am 22. Jänner 1998 im Rahmen einer Ausreisekontrolle aus dem Bundesgebiet im Besitz eines auf seinen Namen lautenden nigerianischen Reisepasses, ausgestellt am 16. Juni 1997, betreten worden. Rechtlich folge aus dem festgestellten Sachverhalt, dass dem Antragsteller der Flüchtlingsstatus im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt C Z 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) nicht zukomme, weshalb die Gewährung von Asyl nicht statthaft sei. Hervorgehoben werde, dass bereits die Behörde erster Instanz zum vormaligen Entscheidungszeitpunkt das vom nunmehrigen Berufungswerber ins Treffen geführte Vorbringen bzw. die sich hieraus angeblich ergebende Furcht vor asylrechtlich relevanter Verfolgung als nicht glaubwürdig qualifiziert habe. Diese Bewertung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Antragstellers würde nunmehr durch die im Sachverhalt festgestellten Fakten bekräftigt. Die Ausfolgung eines nationalen Reisepasses stelle jedenfalls eine jener Formen dar, in denen ein souveräner Staat seinen (im Ausland weilenden) Bürgern seinen Schutz angedeihen lasse, werde doch durch die Innehabung eines solchen Passes dokumentiert, dass es sich bei der betreffenden Person nicht um einen Staatenlosen handle, sondern um eine solche Person, hinter der ein Völkerrechtssubjekt (Staat) stehe, welches ihr gegebenenfalls konsularischen und diplomatischen Schutz angedeihen lassen könne und werde. Durch die Ausstellung eines Reisepasses manifestiere sich staatlicher bzw. behördlicher Schutz. Durch die Passantragstellung des Beschwerdeführers habe er nunmehr jedenfalls den Schutz seines Heimatlandes begehrt und diesen durch die Ausfolgung des nationalen Reisepasses auch tatsächlich erhalten.
Dies sei dem Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 6. März 1998 mit der Gelegenheit, hiezu binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen, zur Kenntnis gebracht worden. Von diesem Recht habe der Beschwerdeführer nicht Gebrauch gemacht. Der Antragsteller habe sohin keine etwa vorliegende Mentalreservation, dass er sich etwa nicht unter den Schutz seines Heimatlandes habe begeben wollen, ins Treffen geführt. Die erkennende Behörde gehe daher davon aus, dass der Antragsteller diesbezüglich in seiner Willensbildung frei von physischen oder psychischen Zwängen und für das von ihm gewollte Tun (Antragstellung auf Ausstellung eines Reisepasses) verantwortlich gewesen sei, welches dann auch gegen ihn Wirkungen entfalten könne.
Die erfolgreiche Beantragung eines Passes sei eine typische Form der Unterschutzstellung im Sinne des Art. 1 Abschnitt C Z 1 FlKonv und grundsätzlich ausreichend, um ihren Tatbestand zu erfüllen. Wenn ein Antragsteller einen Pass seines Heimatlandes oder auch lediglich die Erneuerung des Passes beantrage und erhalte, so lasse sich erschließen, dass er die Absicht habe, erneut den Schutz des Landes seiner Staatsangehörigkeit in Anspruch zu nehmen, es sei denn, er könne Beweise zur Widerlegung dieser Annahme vorbringen. Solche Beweise habe der Antragsteller trotz gebotener Gelegenheit nicht ins Treffen geführt. Es bedürfe keiner Absicht des Betroffenen, den Schutz seines Heimatlandes auch noch auf andere Art - etwa durch eine Rückkehr in dieses Land - in Anspruch zu nehmen. Das Fehlen einer solchen Absicht sei ebenso unmaßgeblich, wie ein Fortbestand der Fluchtgründe als solcher, wenn die darauf gegründete Furcht den Betroffenen nicht mehr davon abhalte, den Schutz seines Heimatlandes in der erwähnten Weise in Anspruch zu nehmen. Da sich der Antragsteller sohin jedenfalls freiwillig unter den Schutzbereich seines Heimatstaates gestellt habe, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen. Weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit dem Berufungsvorbringen geklärt gewesen sei, habe gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden können.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:
Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Gemäß Art. 1 Abschnitt C Z 1 FlKonv wird dieses Abkommen auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt (und demnach als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist), nicht mehr angewendet werden, wenn sie sich freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt hat.
Soweit sich die Ausführungen der vorliegenden Beschwerde auf die Frage der Drittstaatssicherheit des Beschwerdeführers in Slowenien sowie die Asylrelevanz seiner Fluchtgründe beziehen, gehen sie am angefochtenen Bescheid insofern vorbei, als dieser zwar die Unglaubwürdigkeit der vom Beschwerdeführer genannten Fluchtgründe "auf Grund der sich ergebenden, im Sachverhalt festgestellten Fakten" bestätigt, daraus aber - nunmehr im Gegensatz zur Behörde erster Instanz - keine rechtlichen Schlüsse zieht, sondern die Begründung des angefochtenen Bescheides ausschließlich darauf stützt, dass der Beschwerdeführer den Tatbestand des Art. 1 Abschnitt C Z 1 FlKonv verwirklicht habe und Asyl aus diesem Grund nicht zu gewähren sei.
Der Beschwerdeführer rügt auch die Unterlassung einer mündlichen Berufungsverhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat. Außerdem habe er im Rahmen der von der belangten Behörde in ihrem Schreiben vom 6. März 1998 eingeräumten Frist eine Stellungnahme per Fax am 19. März 1998 über den Verein "Zebra" in Graz an die belangte Behörde abgegeben; eine Kopie sowohl der Stellungnahme als auch des Sendungsberichtes lägen der Beschwerde bei. Die Absicht einer Unterschutzstellung könne - wie aus der Stellungnahme ersichtlich sei - auf Grund der Umstände der Erlangung des Reisepasses nicht angenommen werden. Hätte der Beschwerdeführer Gelegenheit gehabt, dies auch in einer mündlichen Verhandlung dazulegen, hätte die belangte Behörde zu Ermittlungsergebnissen gelangen können, die eine Asylgewährung nicht ausgeschlossen hätte.
In der der Beschwerde in Kopie beigelegten, angeblich per Fax übermittelten Stellungnahme machte der Beschwerdeführer geltend, ihm sei vor seiner Flucht in Nigeria sein Pass abgenommen worden und er habe daraufhin bei der zuständigen Behörde um die Wiederausfolgung seines Passes ersucht. Es sei ihm jedoch von dieser mitgeteilt worden, dass vor einer Wiederausfolgung oder Neuausstellung erst Erkundigungen über das Motiv der Passabnahme eingeholt werden müssten. Nach seiner Flucht habe er einen Freund in Nigeria kontaktiert, der zur zuständigen Behörde gegangen sei, einen neuen Pass des Beschwerdeführers erhalten und ihm diesen übermittelt habe.
Auf dem Sendungsbericht des Faxes ist ein Adressat der Sendung nicht ersichtlich. In ihrer Gegenschrift vom 27. Juli 1998 bestreitet die belangte Behörde das Einlangen eines derartigen Schreibens.
Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG kann eine mündliche Verhandlung dann unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Dies ist dann der Fall, wenn der Sachverhalt nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung durch die Behörden erster Instanz festgestellt wurde. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber schon wiederholt ausgesprochen, dass - wenn die Berufungsbehörde darüber hinausgehende selbstständige Ermittlungen durchführt und den darauf gestützten Sachverhalt ihrer Entscheidung zugrundelegt - die Voraussetzungen für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung nach der zitierten Bestimmung nicht (mehr) gegeben sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1999, Zl. 99/20/0156). Daran kann auch nichts ändern, wenn die belangte Behörde den Parteien des Verfahrens vor dem unabhängigen Bundesasylsenat im Sinn des § 45 Abs. 3 AVG durch (schriftliche) Mitteilung der Ergebnisse der von ihr durchgeführten Ermittlungen Parteiengehör mit der Gelegenheit zur Stellungnahme gewährte, weil § 67d AVG in Verbindung mit Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG als Voraussetzung für das Absehen von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung die Geklärtheit des Sachverhaltes auf Grund der Ergebnisse des Verfahrens erster Instanz im Auge hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0162). Die belangte Behörde, die ihrem Bescheid auf Grund der von ihr getroffenen neuen Feststellungen einen von der Sachverhaltsannahme der Behörde erster Instanz verschiedenen Sachverhalt (Unterschutzstellung) zu Grunde legte, hätte daher nicht - auch nicht nach reaktionslosem Vorhalt ihrer Ermittlungsergebnisse an den Beschwerdeführer - davon ausgehen dürfen, der Sachverhalt sei aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung im Sinne der erwähnten Gesetzesbestimmung als geklärt anzusehen und eine mündliche Verhandlung könne unterbleiben.
Allerdings führt nicht jeder Verfahrensfehler zur Aufhebung eines Bescheides, sondern nur dann, wenn die belangte Behörde bei dessen Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können. Ist dies nicht offensichtlich, so hat der Beschwerdeführer dies darzutun. Folgt man dem Vorbringen in der vorliegenden Beschwerde und dem Inhalt des mit Fax (angeblich) übermittelten Schriftsatzes, so ist - unabhängig davon, ob das Fax tatsächlich bei der belangten Behörde einlangte - aber nicht ausgeschlossen, dass die belangte Behörde bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, weil der Beschwerdeführer das im Schriftsatz vom 19. März 1998 und in der Beschwerde erstattete Vorbringen jedenfalls im Rahmen der mündlichen Verhandlung darlegen und die belangte Behörde diesem Vorbringen allenfalls Glaubwürdigkeit hätte zuerkennen können.
Dem Vorbringen des Beschwerdeführers zum allein herangezogenen Abweisungsgrund der "Unterschutzstellung" ist nämlich zu entnehmen, dass er nicht eine Neuausstellung eines Reisepasses, sondern vielmehr die Wiederausfolgung seines alten, ihm zuvor abgenommenen Reisepasses beantragt hatte, und zwar zu einem Zeitpunkt, der vor seiner Flucht lag. Bei Zutreffen dieses Vorbringens könnte aber nicht von vornherein davon gesprochen werden, dass der Beschwerdeführer mit dieser Antragstellung um Wiederausfolgung seines Reisepasses jedenfalls die Absicht verbunden hatte, sich freiwillig wieder unter den Schutz seines Heimatstaates zu stellen; die Heranziehung des Abweisungsgrundes des Art. 1 Abschnitt C Z 1 FlKonv könnte sich sohin als rechtswidrig erweisen. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Vermeidung des ihr unterlaufenen Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.
Es kann somit im vorliegenden Fall auch dahinstehen, ob die zum AsylG 1991 für Asylwerber (und nicht nur für Personen, die nach erfolgter Asylgewährung einen Pass ihres Herkunftsstaates beantragen) entwickelte Rechtsprechung zur Unterschutzstellung durch die bloße Beantragung und Ausstellung eines Reisepasses des Heimatlandes für diese Personengruppe auch auf die Rechtslage des AsylG 1997 zu übertragen sein wird.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vermeidung des aufgezeigten Verfahrensfehlers zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 15. Februar 2001
Schlagworte
AllgemeinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998200277.X00Im RIS seit
14.05.2001