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82 GesundheitsrechtNorm
B-VG Art139 Abs1 / PrüfungsgegenstandLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Apotheker wegen Verstosses gegen die "Berufssitten der Apotheker" durch Abgabe nicht zum ärztlichen Notapparat gehöriger Arzneimittel an einen Arzt; Ermöglichung der unerlaubten Arzneimitteldispension durch einen Arzt ohne ärztliche HausapothekeSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Disziplinarberufungssenat der Österreichischen Apothekerkammer beim (damaligen) Bundesministerium für Gesundheit und Konsumentenschutz erkannte mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 26. Juni 1996 den Beschwerdeführer des Disziplinarvergehens nach §18 Abs1 Z2 Apothekerkammergesetz, BGBl. 152/1947,(AKG) schuldig und verhängte über ihn gemäß §23 Abs1 lita AKG die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises, "weil er in den Jahren 1984 bis 1991 als Konzessionär und verantwortlicher Leiter der Apotheke '...' (in Villach) wiederholt auf Grund der vom in St. Jakob niedergelassenen praktischen Arzt Dr. M.H. gesammelten und in seiner Apotheke eingereichten Rezepte nicht zum ärztlichen Notapparat gehörige Arzneimittel abgab, dadurch dem genannten Arzt eine unerlaubte Arzneimitteldispension ermöglichte, dadurch gegen die Vorschriften des Abschnittes III der Feststellungen der Berufssitte des Apothekerstandes und somit gröblich gegen Berufspflichten verstieß, deren Einhaltung nach den Vorschriften über den Arzneimittelverkehr geboten ist." Außerdem wurde der Beschwerdeführer zum Kostenersatz verpflichtet.
2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie begehrt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II. 1.a) Die §§18 bis 24a AKG regeln das Disziplinarverfahren gegen Mitglieder der Apothekerkammer.
Nach §18 Abs1 Z2 leg. cit. begeht ein solches Mitglied ein Disziplinarvergehen, wenn es "Berufspflichten gröblich verletzt, deren Einhaltung nach den Vorschriften über den Apothekenbetrieb oder den Arzneimittelverkehr geboten ist."
Die mildeste der vorgesehenen Disziplinarstrafen ist nach §23 Abs1 lita AKG der Verweis.
b) Dem Apothekengesetz, RGBl. 5/1907, in der zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung geltenden Fassung (für die hier maßgebenden Bestimmungen ist dies jene der Novelle BGBl. 362/1990) zufolge ist zum selbständigen Betrieb einer öffentlichen Apotheke eine behördliche Bewilligung (Konzession) erforderlich, die an mehrere persönliche und sachliche Voraussetzungen (s. insbesondere die §§3 und 10 ApG) gebunden ist.
Auch Ärzte dürfen grundsätzlich keine Apotheken betreiben.
Ausnahmen sehen lediglich die §§28 ff. vor:
"§28. Ärzten ist das Dispensieren von Heilmitteln nur nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen gestattet.
§29.(1) Die Bewilligung zur Haltung einer ärztlichen Hausapotheke ist einem praktischen Arzt auf Antrag zu erteilen, wenn sich in der Ortschaft, in welcher der Arzt seinen Berufssitz hat, keine öffentliche Apotheke befindet und der Berufssitz des Arztes von der Betriebsstätte der öffentlichen Apotheke mehr als sechs Straßenkilometer entfernt ist.
.....
§31.(1) .....
(3) Der Arzt darf die zur Einrichtung und Ergänzung seiner Hausapotheke erforderlichen Drogen, chemischen und pharmazeutischen Präparate sowie sonstige arzneiliche Zubereitungen nur aus einer öffentlichen Apotheke im Europäischen Wirtschaftsraum beziehen.
(4) ....."
c) §30 des Ärztegesetzes 1984 verpflichtet die Ärzte, in bestimmtem Ausmaß Arzneimittel vorrätig zu halten (sogenannter "ärztlicher Notapparat"):
"§30.(1) Auch Ärzte, die nicht die Bewilligung zur Haltung einer Hausapotheke (§29 des Apothekengesetzes, RGBl. Nr. 5/1907) besitzen, sind verpflichtet, die nach der Art ihrer Praxis und nach den örtlichen Verhältnissen für die erste Hilfeleistung in dringenden Fällen notwendigen Arzneimittel vorrätig zu halten.
(2) Durch Verordnung können nähere Vorschriften erlassen werden.
(3) §31 Abs3 des Apothekengesetzes ist anzuwenden."
d) Mit Beschlüssen des Vorstandes der Österreichischen Apothekerkammer vom 5. Dezember 1953, vom 22. Mai 1959 und vom 26. November 1975 wurden "Feststellungen der Berufssitte" der Apotheker getroffen und mit Rundschreiben der Apothekerkammer Nr. 27/1954, 7/1959 und 15/1975 den Apothekern zur Kenntnis gebracht.
Abschnitt III lautet auszugsweise:
"Vorschubleistung rechtswidriger Arzneimittelabgabe
Jede Handlung eines Apothekers, die eine unerlaubte Arzneimitteldispensation ermöglicht, ist unzulässig. Dazu gehört insbesondere die Abgabe von Arzneimitteln in Apotheken auf Grund der von Ärzten gesammelten und von diesen oder ihren Beauftragten in Apotheken eingereichten Rezepte, um dem Arzt die rechtswidrige direkte Arzneimittelabgabe an Patienten zu ermöglichen. ..."
Diese Beschlüsse wurden im Mai 1977 (gemeinsam mit den "Grundsätzen der Internationalen Standesordnung für Apotheker") den Apothekern nochmals bekanntgegeben.
2. Nach den Feststellungen der Verwaltungsbehörden erster und zweiter Instanz wurde im Jahre 1982 in St. Jakob eine öffentliche Apotheke eröffnet und infolgedessen den dort niedergelassenen Ärzten, darunter dem Vater von Dr. M.H., die Bewilligung zum Führen einer ärztlichen Hausapotheke entzogen. Dr. M.H., der keine Bewilligung zum Halten einer Hausapotheke besitzt, gestaltete den Kontakt mit seinen Patienten aber so, daß er ab dem Jahr 1984 bis ins Jahr 1991 hinein aus Anlaß der Abgabe von Medikamenten an seine Patienten die für diese ausgestellten Rezepte bei sich behielt, sammelte und zumindest einmal pro Woche in der Apotheke des Beschwerdeführers in Villach einlöste.
3. Der angefochtene Bescheid wird im wesentlichen damit begründet, daß der Arzt Dr. M.H. zahlreiche von ihm ausgestellte Rezepte in der Apotheke des Beschwerdeführers eingelöst habe (so etwa im Oktober 1988 267 Rezepte mit insgesamt 459 Präparaten) und daß - wie die Behörde aufgrund eines Sachverständigengutachtens feststellt - diese Verschreibungen nur zum geringen Teil der Auffüllung des "ärztlichen Notapparates" gedient hätten. Deshalb habe der beschwerdeführende Apotheker dem die Rezepte einlösenden Arzt Dr. M.H. eine unerlaubte Arzneimitteldispension im Rahmen seiner Arztpraxis ermöglicht.
4. Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde der Sache nach vor, Willkür geübt zu haben: Dem Apotheker stehe die Beurteilung nicht zu, welche Arzneimittel der Arzt für seinen "ärztlichen Notapparat" benötige. Dabei komme es auf die Struktur der jeweiligen Arztpraxis an. Der von der Behörde herangezogene Sachverständige habe ein unzutreffendes Gutachten darüber erstattet, was Dr. M.H. als "ärztlichen Notapparat" benötige.
Die Behörde habe Abschn. III der "Berufssitten der Apotheker" angewendet. Diese - als Verordnung zu qualifizierende - Vorschrift sei gesetzwidrig.
III. Der Verfassungsgerichtshof
hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.a) Die Beschwerde erhebt den Vorwurf, die Behörde habe eine gesetzwidrige Verordnung (nämlich den Abschnitt III der "Feststellungen der Berufssitten der Apotheker" - Text s.o. II.1.d) angewendet.
b) Dieser Vorwurf ist unberechtigt:
Diese "Feststellungen" sind derart publiziert worden, daß sie Teil der Rechtsordnung wurden, und ihrer imperativen Formulierung wegen als Rechtsverordnungen zu qualifizieren (vgl. z.B. VfSlg. 12483/1990).
Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen sie unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles keine verfassungsrechtlichen Bedenken:
Ihre Kundmachung im Bundesgesetzblatt wird durch das Bundesgesetz über das Bundesgesetzblatt nicht geboten.
Sie sind inhaltlich unter dem Blickwinkel des Art18 B-VG unbedenklich (vgl. die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu den Standesregeln freier Berufe, z.B. VfSlg. 11776/1988, 11937/1988 und 13590/1993).
§10 ApG zielt - verfassungskonform - auf die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der bestehenden Apotheken in Art eines Gebietsschutzes (s. VfGH 2.3.1998 G37/97 u.a. Zlen.). Um zu verhindern, daß dieses vom ApG gewollte System unterlaufen wird, liegt eine Regelung, wie sie Abschnitt III der "Feststellungen der Berufssitten der Apotheker" enthält, im Rahmen des Gesetzes. Die Formulierung dieser Verordnungsbestimmung erlaubt, sie verfassungs- und gesetzeskonform zu vollziehen, und zwar derart, daß der Sinn der Regelung im Auge behalten und nicht auch etwa die gelegentliche, gefälligkeitshalber erfolgende Mitnahme von Medikamenten durch einen Arzt erfaßt wird.
c) Da auch gegen die sonstigen, bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, wurde der Beschwerdeführer nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.
2.a) Der Beschwerdeführer macht geltend, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden zu sein (s.o. II.4).
b) Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der den bekämpften Bescheid tragenden Rechtsvorschriften könnte eine derartige Rechtsverletzung nur vorliegen, wenn die Behörde willkürlich vorgegangen wäre. Ein solches Verhalten kann ihr unter anderem dann zur Last gelegt werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10337/1985, 11436/1987).
Ein solcher Vorwurf ist der Behörde hier aber nicht zu machen:
Die Behörde hat ein geradezu als akribisch zu bezeichnendes Ermittlungsverfahren durchgeführt. Ob die auf dieser Grundlage (insbesondere aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens) getroffenen Sachverhaltsfeststellungen in jeder Hinsicht richtig sind, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen. In die Verfassungssphäre reichende Fehler haben sich hiebei jedenfalls nicht ergeben.
Gleiches gilt für die rechtliche Beurteilung dieses Sachverhaltes:
Ein Arzt, der (wie Dr. M.H.) nicht die Bewilligung zur Haltung einer Hausapotheke besitzt, ist lediglich berechtigt (und verpflichtet), die nach der Art seiner Praxis und nach den örtlichen Verhältnissen für die erste Hilfeleistung in dringenden Fällen notwendigen Arzneimittel vorrätig zu halten (§30 Abs1 ÄrzteG). Ansonsten ist Ärzten das Dispensieren (d.i. das Bereiten und Abgeben) von Arzneimitteln verboten (§28 ApG).
Die Annahme der Behörde, daß der beschwerdeführende Apotheker gegen Abschnitt III der "Berufssitten der Apotheker" verstoßen habe, ist unter den geschilderten Umständen zumindest nicht unvertretbar. Der von der Behörde gezogene Schluß, daß bei der Menge und der Art der vom Beschwerdeführer an den Arzt abgegebenen Arzneimittel sowie im Hinblick auf die lange Dauer des Bezuges der Medikamente der Apotheker bei Anwendung entsprechender Sorgfalt erkennen hätte müssen, diese würden zum Großteil nicht zur Auffüllung des "ärztlichen Notapparates" benötigt, ist keineswegs unvertretbar.
Die Behörde konnte daher zumindest denkmöglich davon ausgehen, daß Dr. M.H. nicht bloß gelegentlich aus bloßer Gefälligkeit einigen Patienten Medikamente aus der Apotheke (die im übrigen keineswegs die nächstgelegene Apotheke ist) mitgenommen, sondern daß er die Arzneimittel professionell weitergegeben habe, daß er sich also im Effekt so verhalten habe, als wäre er berechtigt, eine ärztliche Hausapotheke zu führen.
c) Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz hat nicht stattgefunden.
Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.
3. Die Beschwerde war daher abzuweisen und gemäß Art144 Abs3 B-VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (s. §21 Abs6 AKG).
4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Ärzte, Berufsrecht, Apotheken, Disziplinarrecht, Hausapotheke, VerordnungsbegriffEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1998:B2914.1996Dokumentnummer
JFT_10019388_96B02914_00