TE Vwgh Erkenntnis 2001/2/15 99/20/0031

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Veröffentlicht am 15.02.2001
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des am 1. November 1980 geborenen LB in Linz, vertreten durch Dr. Hans Kaser, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Freistädterstraße 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. September 1998, Zl. 204.490/0-XI/35/98, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Liberia, reiste nach seinen Angaben am 2. Juni 1998 in das Bundesgebiet ein und stellte am 3. Juni 1998 einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Anlässlich seiner niederschriftlichen Vernehmung vor dem Bundesasylamt gab er im Wesentlichen als Fluchtgrund an, sein Vater sei Mitglied der Gruppe von Prince Johnson gewesen und Charles Taylor versuche seit seiner Machtübernahme, diese Leute zu finden, weil er Angst vor neuen Kampfhandlungen habe. Auch gehe er gegen junge Männer vor, um zu verhindern, dass sich diese der Rebellengruppe anschlössen. Sein Vater habe dieser Gruppe vom Beginn des Krieges bis zum Ende angehört, als die ECOMOG-Soldaten die Rebellen entwaffnet hätten, und sei im November 1996 zurück gekommen. Eines Tages sei eine Gruppe von fünf Soldaten mit Motorbooten zum Dorf des Beschwerdeführers gekommen und habe alle Dorfbewohner aufgefordert, aus den Häusern zu kommen. Als einige Männer davon gelaufen seien, hätten die Soldaten das Feuer eröffnet. Die Soldaten seien in die Häuser gegangen und hätten Leute heraus geholt; einige seien geschlagen worden. Der Vater des Beschwerdeführers habe auch davon laufen wollen, sei aber von einem Soldaten erschossen worden. Die jungen Männer des Dorfes seien mitgenommen und mit Motorbooten in eine Art Camp gebracht worden. Sie hätten sich gewehrt und mit den Soldaten gekämpft. Dabei seien zwei Soldaten ins Wasser gefallen, ein Soldat sei ertrunken. Der Beschwerdeführer sei daraufhin in diesem Camp geschlagen worden. Die Soldaten hätten versucht (auch) den Beschwerdeführer mit kleinen Messern zu blenden, dies sei ihnen aber nicht gelungen. Schließlich sei der Beschwerdeführer in einer drei- oder vierstündigen Autofahrt an einen unbekannten Platz verbracht worden, der mit einem Zaun umgeben gewesen sei. Dort sei er in einem Raum mit mehreren jungen Männern untergebracht gewesen. Am Sonntag seien die Festgehaltenen immer hinaus gebracht worden, um religiösen Unterricht zu erhalten. Den Grund für diesen Unterricht wisse er nicht. Im April 1998 habe der Beschwerdeführer festgestellt, dass die beiden mit ihm festgenommenen Burschen nicht mehr zum Unterricht gekommen seien. Da er Angst bekommen habe, habe er sich an den Priester gewandt. Dieser habe ihm erzählt, dass die anderen Burschen auf dem Weg zum Gericht "auf der Flucht erschossen" worden seien. Er wisse nicht, aus welchem Grund die beiden anderen zum Gericht gebracht worden seien. Der Priester sei am 10. Mai 1998 nach dem Gottesdienst zu ihm gekommen und habe ihm gesagt, er solle sich im Kofferraum seines Fahrzeuges verstecken und der Beschwerdeführer habe so aus dem Lager flüchten können. Der Priester habe ihn zu einem Schiff gebracht und dort mit einem weißen Mann gesprochen. Nach der Schiffsreise und einer längeren Fahrt mit einem LKW sei der Beschwerdeführer schließlich nach Österreich gekommen.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 7. Juli 1998 den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Asyl unter Spruchpunkt I gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG), ab. Unter Spruchpunkt II wurde ausgesprochen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Liberia gemäß § 8 leg. cit. zulässig sei. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen wegen zahlreicher Widersprüche und Ungereimtheiten in seinen Angaben nicht glaubwürdig seien und daher weder vom Vorliegen asylrelevanter Fluchtgründe noch von einer Gefahr im Sinne des § 57 Fremdengesetz 1997 (FrG) auszugehen sei.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er seine Fluchtgründe wiederholte und präzisierte, zur Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz ausführlich Stellung nahm und darlegte, aus welchen Gründen die aufgezeigten Widersprüche und Ungenauigkeiten nicht bestünden.

Mit Schreiben vom 31. August 1998 brachte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die politische Entwicklung rund um die Bewegung von Prince Johnson zur Kenntnis und kündigte an, von diesen (näher dargestellten) Feststellungen im weiteren Verfahren ausgehen zu wollen. In diesem Schriftsatz findet sich auch eine Darstellung der Häufigkeit von Tötungsdelikten "durch politische und außergerichtliche Gewalttaten" in den Jahren 1996 und 1997, wobei u.a. festgestellt wurde, dass Angehörige der Sicherheitskräfte aus politischen, kriminellen und rassischen Motiven im Jahr 1997 eine Reihe "extralegaler" Tötungen vorgenommen hatten. Weiters stellte die belangte Behörde die Entwicklung der politischen Lage in Liberia dar und verband damit einige Fragen an den Beschwerdeführer über Details seiner Fluchtgründe.

Mit Schriftsatz vom 14. September 1998 nahm der Beschwerdeführer dazu Stellung und wiederholte seine Fluchtgeschichte; er gab dabei an, dass sein Vater Soldat der Regierungstruppen des Prince Johnson gewesen sei und dass es sich bei den ihn verschleppenden Truppen um Rebellen, und zwar um "Soldaten des Justello", gehandelt habe. Aus einem Aktenvermerk vom 17. September 1998 über ein Telefonat mit der gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführers geht hervor, dass der Beschwerdeführer trotz ausdrücklicher Nachfrage wiederholt angegeben habe, er sei nicht von den Regierungssoldaten sondern von Rebellen des "Castello" verschleppt worden. Sein Vater hätte den staatlichen Truppen angehört.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen und gemäß § 8 AsylG ausgesprochen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Liberia zulässig sei. Ebenso wie die Behörde erster Instanz erachtete die belangte Behörde die Angaben des Beschwerdeführers als unglaubwürdig. Im Übrigen werde durch die von der belangten Behörde durchgeführten Erhebungen bestätigt, dass zwar ehemalige Soldaten der Bürgerkriegsparteien vereinzelt mit Übergriffen seitens der Bevölkerung rechnen müssten, derartige Übergriffe auf Angehörige ehemaliger Bürgerkriegsteilnehmer jedoch nicht bekannt seien. Glaube man den Ausführungen des Beschwerdeführers hinsichtlich einer Festnahme durch Rebellen, so läge im konkreten Fall ausschließlich ein Übergriff seitens Privater (Rebellen) vor, dem keine Asylrelevanz zukomme. Anhaltspunkte dafür, dass der liberianische Staat - unterstützt durch die ECOMOG-Truppen - nicht gewillt oder nicht in der Lage wäre, derartige Aktivitäten zu unterbinden, sodass eine indirekte staatliche Verfolgung anzunehmen wäre, ließen sich den Verwaltungsakten nicht entnehmen und seien vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet worden.

Zu Spruchpunkt II führte die belangte Behörde aus, auf Grund der fehlenden Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers sei nicht vom Vorliegen einer Gefahr im Sinne des § 57 FrG auszugehen. Insbesondere sei vom Beschwerdeführer nicht einmal behauptet worden, dass der liberianische Staat (unterstützt durch ECOMOG-Truppen) nicht in der Lage wäre, ihm Schutz vor Rebellen zu gewähren. Letztlich setze die Glaubhaftmachung einer konkreten Gefährdungssituation das Feststehen der Identität des Fremden voraus und sei der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen, seine Nämlichkeit auf Grund vorgewiesener unbedenklicher Personaldokumente oder sonstiger Unterlagen zu belegen, weshalb sich im vorliegenden Fall die belangte Behörde auf die bloße - jedoch unglaubwürdige - Aussage des Beschwerdeführers zu stützen hatte und seine Identität jedenfalls nicht feststehe.

Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG hätte von einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden können, weil der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung, in der keine neuen Tatsachenbehauptungen aufgestellt worden seien, zur Beurteilung ausreichend geklärt erschienen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:

Auf das Verfahren nach dem AsylG 1997 findet das AVG Anwendung. Als besondere Bestimmung für das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten sieht § 67d AVG grundsätzlich die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor, zu welcher die Parteien und die anderen zu hörenden Personen zu laden sind. Nach dem Art. II Abs. 2 lit. D Z 43a EGVG ist auch auf das behördliche Verfahren des unabhängigen Bundesasylsenates das AVG anzuwenden, § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Dies ist dann der Fall, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und nach schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird.

Wird im Berufungsverfahren ein konkreter, neuer Sachverhalt behauptet, so ist es dem unabhängigen Bundesasylsenat verwehrt, durch Würdigung der Berufungsangaben als unglaubwürdig den Sachverhalt ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und insbesondere ohne den Asylwerber selbst persönlich einzuvernehmen als geklärt anzusehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. April 1999, Zl. 98/20/0411). Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der Wichtigkeit des persönlichen Eindruckes des entscheidenden Organes der Behörde für die Bewertung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers.

Die belangte Behörde hätte daher sowohl wegen des seine Glaubwürdigkeit betreffenden Vorbringens des Beschwerdeführers in der Berufung, als auch deshalb, weil sie gestützt auf die Ergebnisse des von ihr durchgeführten Ermittlungsverfahrens zusätzliche, neue Sachverhaltsfeststellungen traf, eine mündliche Verhandlung durchführen müssen.

Allerdings führt nicht jede Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Aufhebung eines Bescheides, sondern nur dann, wenn die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können. Hätte die belangte Behörde mit dem Beschwerdeführer eine mündliche Verhandlung durchgeführt und einen persönlichen Eindruck von diesem gewonnen, so ist aber nicht auszuschließen, dass sie das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Gänze als glaubwürdig erachtet hätte.

Es ist daher nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Vermeidung des ihr unterlaufenen Verfahrensmangels zu einem anderen Verfahrensergebnis gelangt wäre, weshalb der angefochtene Bescheid zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 15. Februar 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1999200031.X00

Im RIS seit

23.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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