Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des am 12. Februar 1970 geborenen LK in Wien, vertreten durch Mag. Nora Huemer, Rechtsanwalt in 1220 Wien, Schüttaustraße 69/46, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. November 1998, Zl. 205.332/0-XI/35/98, betreffend die §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo, reiste am 3. Juli 1998 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 8. Juli 1998 die Gewährung von Asyl. Anlässlich seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab der Beschwerdeführer (zusammengefasst) an, er sei von 1995 bis 1997 im Dienst der SNIP (Service National d'Intelligence et de Protection) gestanden, wobei es seine Aufgabe gewesen sei, Informationen aus der Bevölkerung zu sammeln, um oppositionelle Tätigkeiten bzw. Gesinnungen zu erkennen. Diese Informationen habe er an seinen Vorgesetzten weiter geleitet, welcher dann Ordnungskräfte zu den betreffenden Personen geschickt habe, um diese zu verhaften. Am 9. April 1997 sei Kabila in Lubumbashi einmarschiert, am 17. Mai 1997 habe er Kinshasa erobert. Der Beschwerdeführer sei am 19. Mai 1997 wieder zur Arbeit gegangen und verhaftet worden. Tags darauf sei er mit anderen Leuten der SNIP nach Kinshasa verlegt und dort bis Jänner 1998 festgehalten worden. In der Haft sei er einvernommen worden, es hätte sich jedoch heraus gestellt, dass er nicht über die gewünschten Informationen (über seine Vorgesetzten) verfügte und er habe zugestimmt, in neu geschaffene Strukturen integriert zu werden, weshalb er freigelassen worden sei. In der Folge habe der Beschwerdeführer für die ANR, einer ähnlichen Organisation wie die SNIP, gearbeitet.
Im Rahmen der ANR habe er die Aufgabe gehabt, am 14. Februar 1998 den am 12. Februar 1998 verhafteten Tshisekedi in seinen Geburtsort Mupompa zu begleiten. Dies in Begleitung von weiteren vier Beamten, davon zwei Soldaten. Die Militärs, die mitgeflogen seien, seien keine Staatsangehörigen der Demokratischen Republik Kongo, sondern aus Ruanda gewesen. Während des Fluges sei es zu Auseinandersetzungen mit den Militärs hinsichtlich des Ziels des Fluges gekommen, die Gruppe sei aber schließlich am geplanten Zielort gelandet. Von dort sei Tshisekedi in sein Geburtshaus gebracht und von den Militärs bewacht worden. Die Angehörigen der ANR hätten zufällig einen weiteren Mitarbeiter dieser Organisation getroffen, welcher den Beschwerdeführer und seine Begleiter gefragt habe, warum diese den Auftrag nicht erledigt hätten. Seinen Informationen entsprechend hätte die Gruppe nämlich den Auftrag gehabt, Tshisekedi während des Fluges zu ermorden. Dass u.a. der Beschwerdeführer diesen Auftrag nicht erfüllt habe, sei ihm zum Vorwurf gemacht worden. Dieser andere Mitarbeiter des ANR habe den Beschwerdeführer gewarnt, dass er sein Leben verlieren würde, wenn er bliebe; ein Militärfahrzeug sei bereits zur Verhaftung der ANR-Leute in das Dorf geschickt worden. Der Beschwerdeführer gab weiters an, er habe keine Ahnung davon gehabt, dass Tshisekedi hätte getötet werden sollen, die Auseinandersetzung mit den Soldaten hätte nur den Zielflughafen betroffen. Nach dem Gespräch mit dem ANR-Mitarbeiter seien die drei Angehörigen des ANR nach Lubumbashi weiter gereist.
Die Bevölkerung in der Hauptstadt stünde hinter Tshisekedi und sein Tod hätte Unruhe in der Hauptstadt ausgelöst. Dort hätte man nicht verheimlichen können, wenn er getötet worden wäre. Wenn er allerdings woanders hingebracht und dort getötet worden wäre, hätte man sagen können, er wäre am Leben, aber in Haft. Tshisekedi hätte deshalb getötet werden sollen, weil er ein "starker Oppositioneller" und Anführer der UDPS gewesen sei. Wenn der Beschwerdeführer auf Grund dieser Ereignisse nicht geflüchtet wäre, wäre er getötet worden. Grund für seine mögliche Tötung wäre, dass er sich den Militärs widersetzt hätte, die während des Fluges einen anderen Zielflughafen angesteuert hätten. Daran hätte auch die Tatsache nichts geändert, dass ausschließlich die beiden Militärs bewaffnet gewesen seien, zumal die Angehörigen der ANR schriftliche Aufträge gehabt hätten und sich den Soldaten verbal entgegen gestellt hätten. Auch glaube der Beschwerdeführer nicht, dass Tshisekedi im Flugzeug hätte erschossen werden sollen; möglicherweise sei die - von den ANR-Leuten verhinderte - Landung in Kananga vorgesehen gewesen, um Tshisekedi auf der Fahrt von diesem Ort in sein Heimatdorf zu ermorden. Ob der Tötungsauftrag vom ANR ausgegangen sei, wisse der Beschwerdeführer nicht. Schließlich erklärte der Beschwerdeführer, er hätte auf der Flucht seine Frau mitgenommen und diese sei mit seinen beiden Kollegen in Simbabwe von Personen, die auch den Beschwerdeführer verfolgt hätten, verhaftet worden. Sie seien nach Lubumbashi zurück gebracht und dort getötet worden. Dies habe er telefonisch vom älteren Bruder seiner Frau in Lubumbashi erfahren. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass seine Frau, seine zwei Kollegen und weitere 16 Personen getötet worden seien.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 3. September 1998 den Asylantrag des Beschwerdeführers unter Spruchpunkt I gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG), ab und stellte unter Spruchpunkt II die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Demokratische Republik Kongo fest. Die Begründung des Bescheides stützt sich im Wesentlichen darauf, es habe aus näher dargestellten Gründen dem gesamten Vorbringen des Beschwerdeführers kein Glauben geschenkt und nicht festgestellt werden können, dass er Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. Aus dem gleichen Grund könne auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr im Sinne des § 57 FrG ausgegangen werden.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er die Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz bekämpfte und versuchte, Teile der beweiswürdigenden Ausführungen des erstinstanzlichen Bescheides zu entkräften; u.a. nannte er als Beweis für die Glaubwürdigkeit seiner Fluchtgründe seine persönliche Einvernahme.
Die belangte Behörde hielt dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 14. Oktober 1998 bestimmte Tatsachen (über die Verhaftung Tshisekedis und geografische Einzelheiten im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers) vor und forderte ihn zur Beantwortung einiger Fragen hinsichtlich seiner Fluchtgründe auf.
Mit Schriftsatz vom 29. Oktober 1998 kam der Beschwerdeführer dieser Aufforderung nach.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 leg. cit. in Verbindung mit § 57 des Fremdengesetzes, BGBl. I Nr. 75/1997 (FrG), festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Demokratische Republik Kongo zulässig sei. Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der bezughabenden Gesetzesstellen führte die belangte Behörde aus, die Darstellung der Geschehnisse durch den Berufungswerber sei in mehrfacher - näher dargestellter - Hinsicht in sich widersprüchlich und stünde mit den Erfahrungen des täglichen Lebens nicht in Einklang. Es sei ihm daher nicht gelungen, seine Fluchtgründe glaubhaft zu machen, weshalb der Berufung kein Erfolg beschieden sei. Sei es ihm aber nicht gelungen, die Ursachen seiner Flucht glaubhaft zu machen, so gelte dies gleichermaßen auch für aus diesen Ursachen resultierende angebliche Folgen. Da sich auch keine sonstigen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Gefahr im Sinne des § 57 FrG ergeben hätten und solche auch aus der allgemeinen Situation des Herkunftsstaates des Beschwerdeführers nicht abgeleitet werden könnten, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen. Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG in Verbindung mit § 67d AVG habe von einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden können, weil der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung zur Beurteilung ausreichend geklärt erschienen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Auf das Verfahren nach dem AsylG 1997 findet das AVG Anwendung. Als besondere Bestimmung für das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten sieht § 67d AVG grundsätzlich die Durchführung einer öffentlich-mündlichen Verhandlung vor, zu welcher die Parteien und die anderen zu hörenden Personen zu laden sind. Nach Art. II Abs. 2 lit. D Z 43a EGVG ist auch auf das behördliche Verfahren des unabhängigen Bundesasylsenates das AVG anzuwenden, § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Dies ist dann der Fall, wenn der Sachverhalt nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und nach schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird.
Im vorliegenden Fall lagen diese Voraussetzungen für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung aber schon deshalb nicht vor, weil die belangte Behörde selbst ein Ermittlungsverfahren durchführte und gestützt auf dessen Ergebnisse zusätzliche, neue Sachverhaltsfeststellungen traf. Darüber hinaus hätte die Verpflichtung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch deshalb bestanden, weil der Beschwerdeführer in der Berufung ausdrücklich die von der Behörde erster Instanz im Rahmen ihrer Beweiswürdigung getroffenen Erwägungen bekämpfte und darüberhinaus beantragte, seine persönliche Glaubwürdigkeit im Rahmen einer weiteren Einvernahme unter Beweis zu stellen.
Hätte die belangte Behörde mit dem Beschwerdeführer eine mündliche Verhandlung durchgeführt und einen persönlichen Eindruck von diesem gewonnen, so ist nicht auszuschließen, dass die angeblich vorliegenden Widersprüche und Ungenauigkeiten hätten geklärt werden können und die belangte Behörde dem Vorbringen des Beschwerdeführers zur Gänze die Glaubwürdigkeit zuerkannt hätte.
Bei Vermeidung des der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmangels ist somit nicht ausgeschlossen, dass sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 15. Februar 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1999200109.X00Im RIS seit
24.04.2001