Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Gheneff Rami Sommer Rechtsanwälte KG in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 35.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 27. August 2010, GZ 1 R 174/10f-12, womit infolge Rekurses der klagenden und der beklagten Partei der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 28. Mai 2010, GZ 22 Cg 29/10y-5, abgeändert wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.961,64 EUR (darin 326,94 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin ist Medieninhaberin der Tageszeitung „Österreich“, die Beklagte Medieninhaberin der Tageszeitung „Heute“. Die Parteien haben am 27. 3. 2009 im Verfahren zu 10 Cg 132/08d vor dem Erstgericht einen Vergleich abgeschlossen, dessen Punkt 1. lautet:
„Die A***** GmbH verpflichtet sich, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, die Leserzahlen und/oder die Reichweiten der periodischen Druckwerke ‘Heute’ und/oder von anderen Druckwerken mit den Leserzahlen und/oder Reichweiten von
‘Österreich’ zu vergleichen, so nicht zugleich in gleich auffälliger Form darauf hingewiesen wird, wer die entsprechenden Leserzahlen in welchem Zeitraum mit welcher Stichprobengröße und Schwankungsbreite erhoben hat.“
In der Zeitung der Beklagten vom 25. 2. 2010 erschien die im Anhang dieser Entscheidung abgebildete Grafik. Die Österreichische Auflagenkontrolle (ÖAK) weist für „Heute“ für das zweite Halbjahr 2009 eine Druckauflage von 506.486 Stück, für das gesamte Jahr 2009 von 494.629 Stück aus. Die Reichenweitenzahl von 680.000 Lesern ergibt sich aus dem Jahresbericht der Media-Analyse 08/09 für die Monate Juni 2008 bis Juli 2009. Dieser Zahl liegen für die Bundesländer Wien, Niederösterreich und Oberösterreich unterschiedliche Fallzahlen und Schwankungsbreiten zugrunde.
Die Klägerin begehrte zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsbegehrens, der Beklagten bis zur rechtskräftigen Erledigung der Unterlassungsklage aufzutragen, es im geschäftlichen Verkehr bei der Bewerbung von Druckschriften, insbesondere der Druckschrift „Heute“, zu unterlassen,
a) zu behaupten und/oder Äußerungen zu verbreiten, bei denen von der ÖAK erhobene Auflagenzahlen mit Reichweitenzahlen der Media-Analyse in Bezug gesetzt werden, wenn und insoweit die Erhebungszeiträume dieser Zahlen nicht identisch sind und darauf in nicht zumindest gleich auffälliger Form hingewiesen wird und/oder für Reichweitenzahlen der Media-Analyse Schwankungsbreite oder Fallzahl fehlen und/oder die Äußerung in sinngleicher Weise unvollständig oder irreführend ist;
b) Reichweitenzahlen unter Berufung auf die Media-Analyse zu behaupten und/oder zu verbreiten, wenn und insoweit für den Zeitraum, auf den sich die Veröffentlichung nach ihrem Gesamteindruck bezieht, solche Zahlen der Media-Analyse noch gar nicht vorliegen.
Die beanstandete Grafik setze in irreführender Weise Zahlen für den Zeitraum Juli 2008 bis Juni 2009 (Reichweite) mit solchen für den Zeitraum Juli 2009 bis Dezember 2009 (Druckauflage) in Bezug und verschweige Fallzahl und Schwankungsbreite der Reichweitenzahl; auch auf die unterschiedlichen Erhebungszeiträume, die einander nicht überschnitten, werde nicht hingewiesen. Für das zweite Halbjahr 2009 lägen noch keine Daten der Media-Analyse vor. Durch das Nebeneinanderstellen von Druckauflage- und Reichweitenzahlen ohne Angabe von Fallzahl und Schwankungsbreite der Reichweitenzahl entstehe der unzutreffende Eindruck, die Reichweite sei (ebenso wie die Druckauflage) eine feststehende Größe. Der durchschnittliche Leser gewinne den unrichtigen Eindruck, die Reichweitenzahl gelte auch für das zweite Halbjahr 2009.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Sicherungsantrags. Die beanstandete Grafik gebe die Zahlen der ÖAK und der Media-Analyse korrekt wieder und weise in den Fußnoten auf die Quellen samt Erscheinungs-(und Erhebungs-)zeitraum hin. Sie wende sich an ein Fachpublikum, dem die Begrifflichkeiten, Erhebungszeiträume und periodischen Erscheinungszeitpunkte der genannten Quellen vertraut sei. Im Hinblick auf den im März 2009 zwischen den Parteien abgeschlossenen Vergleich, der auch im Anlassfall einen Exekutionstitel bilde, fehle der Klägerin das Rechtsschutzinteresse.
Das Erstgericht gab dem Sicherungsantrag in seinem unter b) beschriebenen Begehren statt und wies ihn im Übrigen ab. Die Beklagte verschweige Fallzahl und Schwankungsbreite der Reichweitenzahl; infolge kommentarlosen Nebeneinanderstellens von Druckauflagezahl und Reichweitenzahl entstehe der irreführende Eindruck, beides seien feststehende Größen, was auf die Reichweite nicht zutreffe, und die Reichweitenzahl gelte auch für das zweite Halbjahr 2009. Allerdings entspreche Punkt a) des Unterlassungsbegehrens dem Prozessvergleich, weshalb der Klägerin insoweit das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Das Begehren laut b) sei berechtigt, weil in der Grafik Zahlen nebeneinanderstünden, denen unterschiedliche Erhebungszeiträume zugrunde lägen, wodurch der durchschnittliche Leser über die Bedeutung von „Heute“ in die Irre geführt werde, weil die Zahlen der Media-Analyse für das zweite Halbjahr 2009 noch nicht vorgelegen seien.
Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss dahin ab, dass es den Sicherungsantrag zur Gänze abwies; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig sei. Da die Klägerin bereits aufgrund des im Vorverfahren abgeschlossenen Vergleichs Exekution führen könne, fehle ihr zu Punkt a) des Unterlassungsbegehrens das Rechtsschutzinteresse. Die Beklagte habe nämlich auch gegen den Prozessvergleich verstoßen, wenn sie in der hier beanstandeten Grafik weder Fallzahlen noch Schwankungsbreite nenne und die (unterschiedlichen) Erhebungszeiträume nicht oder nicht in gleich auffälliger Form wie die Daten offenlege. Zudem weise sie zwar auf die Quelle der Gesamt-Druckauflage deutlich hin, doch entspreche der kaum lesbare Hinweis „laut Media-Analyse 08/09“ nicht den Bedingungen des Vergleichs. Auch das Erfordernis, bei Reichweitenzahlen Fallzahl und Schwankungsbreite anzuführen, ergebe sich bereits aus dem Unterlassungsvergleich. Das zu b) begehrte Verbot gehe davon aus, dass sich aus der beanstandeten Grafik ein eindeutiger Zeitraum ergebe, auf den sich die Veröffentlichung nach ihrem Gesamteindruck beziehe; ein solcher sei hier nicht erkennbar. Damit sei der Beklagten nicht vorzuwerfen, dass die Leserzahl der Grafik im Veröffentlichungszeitpunkt noch gar nicht erhoben gewesen sei. Einen weiteren Gesichtspunkt einer allfälligen Irreführung betreffe der Umstand, dass die beiden Zahlen unterschiedliche Zeiträume beträfen, doch ziele das Unterlassungsbegehren darauf nicht ab. Selbst wenn man davon ausginge, dass auch eine irreführende Werbung durch Verwendung von Daten aus unterschiedlichen Zeiträumen verboten werden solle, wäre eine solche Irreführung vom Inhalt des Prozessvergleichs umfasst. Auch insoweit fehle der Klägerin daher das Rechtsschutzbedürfnis.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht zu Unrecht ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin verneint hat; das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.
1.1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers zu verneinen ist - mag auch das Prozesshindernis der entschiedenen Sache wegen des anders gestalteten Ausgangssachverhalts nicht vorliegen -, wenn er über einen rechtskräftigen Exekutionstitel verfügt, mit dem er auch wegen des neuen Sachverhalts Exekution führen kann (RIS-Justiz RS0079417). Bildet das im ersten Verfahren bereits erwirkte Gebot einen tauglichen Exekutionstitel zur Abstellung auch des gesamten im zweiten Verfahren behaupteten Verhaltens, fehlt dem Kläger insoweit das Rechtsschutzbedürfnis (RIS-Justiz RS0079417 [T6]).
1.2. Das Berufungsgericht ist von dieser Rechtsprechung abgewichen, wenn es das Rechtsschutzinteresse mit der unzutreffenden Begründung verneint hat, der Klägerin stehe mit dem im Vorverfahren abgeschlossenen Vergleich ein Exekutionstitel zur Verfügung, der sich auch zur Abstellung des im Anlassfall behaupteten lauterkeitswidrigen Verhaltens eigne.
1.3. Der Vergleich bezieht sich auf Leserzahlen- und/oder Reichweitenvergleiche, die nur unter bestimmten Bedingungen veröffentlicht werden dürfen („...die Leserzahlen und/oder die Reichweiten der periodischen Druckwerke ‘Heute’ und/oder von anderen Druckwerken mit den Leserzahlen und/oder Reichweiten von ‘Österreich’ zu vergleichen,….“). Das im Anlassfall erhobene Unterlassungsbegehren, das sich auf die beanstandete Grafik stützt, stützt sich nicht auf einen Leserzahlen- oder Reichweitenvergleich:
1.4. Das Unterlassungsbegehren zu a) wendet sich im Kern gegen ein in Bezug-Setzen von Auflagenzahlen mit Reichweitenzahlen. Dieses Verhalten ist vom bestehenden Exekutionstitel nicht umfasst.
1.5. Die zu b) begehrte Unterlassung hat die Verbreitung von Reichweitenzahlen zum Gegenstand; auch eine solche Verletzungshandlung ist nicht Gegenstand des Prozessvergleichs. Die Klägerin besitzt daher auch für dieses Begehren ein Rechtsschutzbedürfnis daran, sich einen Exekutionstitel zur Abstellung dieses Verhaltens zu verschaffen. In der Sache ist damit für die Rechtsmittelwerberin aber nichts gewonnen.
2.1. Das Unterlassungsbegehren zu a) gründet sich in seinem ersten Teil auf das Fehlen eines Hinweises auf die (unterschiedlichen) Erhebungszeiträume betreffend Auflagezahl und Reichweite, in seinem zweiten Teil auf das Fehlen von Angaben zu Schwankungsbreite oder Fallzahl der Reichweitenzahlen. Angesprochen ist damit der Tatbestand der irreführenden Geschäftspraktik infolge Fehlens notwendiger Informationen unter Berücksichtigung der Beschränkungen des Kommunikationsmediums (§ 2 Abs 4 UWG).
2.2. Bei Reichweitenerhebungen besteht ein gewisser Spielraum; es gibt nicht nur eine Methode und auch nicht nur einen Weg, eine Methode anzuwenden. Wie überzeugend ein Ergebnis ist, wird daher auch davon bestimmt, wer es erhoben hat (4 Ob 56/00i). Der Senat vertritt deshalb in ständiger Rechtsprechung, dass Werbung mit Reichweitenangaben ähnlich streng zu beurteilen ist wie vergleichende Werbung. Da die Aussagekraft von Reichweitenangaben ganz entscheidend davon abhängt, wie, von wem und wann sie errechnet wurden, muss der Werbende die von ihm angegebene Reichweite definieren, er muss die Quelle und den Erhebungszeitraum angeben (RIS-Justiz RS0113320). Mit diesen Angaben hat der mit Reichweitenangaben Werbende seine Informationspflichten nach § 2 Abs 4 UWG ausreichend erfüllt (Gamerith in Anmerkung zu 4 Ob 116/07y = ÖBl 2008, 134 - Weekend Magazin).
2.3. Die Leser-(Reichweiten-)zahl in der beanstandeten Grafik enthält - ebenso wie die Zahlen zur Druckauflage - eine Quellenangabe. Die Richtigkeit der ausgewiesenen Zahl stellt die Klägerin nicht in Abrede. Dass der Erhebungszeitraum (entgegen der zuvor dargelegten Rechtsprechung) nicht direkt angegeben, sondern nur mittelbar aus der Bezeichnung der Quellen (ÖAK 2.HJ '09 bzw Media-Analyse 08/09) erschließbar ist, hat die Klägerin nicht zum Gegenstand ihres Verbotsbegehrens gemacht. Ihr Vorbringen zu a) ist vielmehr in erster Linie auf das Verbot gerichtet, Auflage- mit Reichweitenzahlen zu vergleichen, sofern keine identen Erhebungszeiträume vorliegen. Ein solches Begehren ist unbegründet, weil der in einer komplexen Grafik angestellte Vergleich der Druckauflagen verschiedener Printmedien mit der Leserzahl eines dieser Printmedien nicht schon dann unlauter ist, wenn die jeweiligen Erhebungszeiträume nicht ident sind. Der Erwartungshorizont der angesprochenen Verkehrskreise umfasst nämlich (nur) den Umstand, dass die genannten Zahlen aus im Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuellen Erhebungen stammen. Schwankungsbreite und Fallzahl der Reichweitenerhebung lassen sich leicht aus der angegebenen Quelle erschließen, weshalb der Beklagten - berücksichtigt man die Beschränktheit eines Zeitungsinserats - auch insoweit keine Verletzung von Informationspflichten nach § 2 Abs 4 UWG zur Last gelegt werden kann.
3.1. Das Unterlassungsbegehren zu b) beanstandet die Veröffentlichung von Reichweitenzahlen (nur) unter dem Gesichtspunkt der Irreführung über deren Erhebungszeitraum. Auch in diesem Punkt gilt, dass sich das Verbotsbegehren nicht auf das Fehlen einer Angabe über den Erhebungszeitraum gründet.
3.2. Nach dem Gesamteindruck der beanstandeten Grafik bezieht sich die darin enthaltene Leserzahl auf keinen bestimmten Zeitraum. Wie schon in Punkt 2.3. ausgeführt, erwartet das Publikum im Übrigen im Zusammenhang mit Reichweitenzahlen nur, dass die genannten Zahlen aus einer im Zeitpunkt der Veröffentlichung noch aktuellen Erhebung stammen (die hier im Übrigen aufgrund der Quellenangabe leicht identifizierbar ist). Dass diese Erwartung des Publikums im Anlassfall enttäuscht worden wäre, hat die Klägerin nicht behauptet. Auch dieses Begehren erweist sich damit als unbegründet. Dem Revisionsrekurs ist deshalb insgesamt ein Erfolg zu versagen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
Schlagworte
Tageszeitung „Heute",Textnummer
E96248European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0040OB00179.10T.0118.000Im RIS seit
16.02.2011Zuletzt aktualisiert am
12.09.2011