Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers R***** K*****, vertreten durch Mag. Josef Hofinger und Dr. Roland Menschick, Rechtsanwälte in Grieskirchen, gegen die Antragsgegnerin Republik Österreich (Bundesstraßenverwaltung), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Entschädigung für eine Enteignung nach dem Bundesstraßengesetz (§ 20 Abs 3 und 5 BStG), infolge Revisionsrekurses des Antragstellers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 16. September 2010, GZ 4 R 83/10v-22, womit infolge Rekurses der Antragsgegnerin der Beschluss des Landesgerichts Wels vom 17. März 2010, GZ 20 Nc 1/09m-18, abgeändert wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die Antragsgegnerin ist schuldig, dem Antragsteller die mit 225,07 EUR (darin 37,51 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Mit Enteignungsbescheid des Amtes der Oö Landesregierung vom 8. 10. 2008, GZ Verk-960018/2-2008-See-Le, wurden Grundstücksteile aus dem Eigentum des Antragstellers für die Errichtung von Gewässerschutzanlagen im Zuge der Generalerneuerung der A 8 Innkreisautobahn im Wege der Enteignung beansprucht. Es handelt sich dabei um Teile der EZ ***** Grundbuch M*****, und zwar 730 m² aus dem Grundstück Nr 73/2 und 69 m² aus dem Grundstück Nr 49. Dafür wurden dem Antragsteller als Verkehrswert 3.196 EUR (799 m² à 4 EUR), als Entschädigung für Feldverformungen 643,50 EUR und als Wiederbeschaffungskosten 239,70 EUR, insgesamt also 4.079,20 EUR bescheidmäßig zugesprochen.
Innerhalb der Frist des § 20 Abs 3 BStG langte beim Erstgericht ein Antrag auf Festsetzung der Höhe der Entschädigung ein. Der Antragsteller begehrte zuletzt 10.000 EUR, womit er unter Berücksichtigung des bescheidmäßig zugesprochenen Betrags weitere 5.920,80 EUR begehrt.
Die Antragsgegnerin brachte vor, die schon geleistete Entschädigung sei angemessen.
Das Erstgericht setzte den Verkehrswert der Teilflächen mit 3.686,50 EUR (Grundstück Nr 73/2) und 345 EUR (Grundstück Nr 49), die Entschädigung für die erschwerte Bewirtschaftung der verbleibenden Restflächen mit insgesamt 990 EUR und die Wiederbeschaffungskosten (9 % der Verkehrswerte beider Grundstücke) mit 363 EUR fest und bestimmte die Höhe der Entschädigung insgesamt mit 5.384,50 EUR. Der zugesprochene Betrag gründe sich auf die nachvollziehbaren Überlegungen und Berechnungen des gerichtlichen Sachverständigen in seinem Gutachten, wobei festzustellen sei, dass auch im Verwaltungsverfahren Zuschläge für Hofnähe und Formverschlechterungen zuerkannt würden. Überlegungen und Berechnungen des gerichtlichen Sachverständigen seien insgesamt nachvollziehbar und nicht in Frage zu stellen.
Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss dahin ab, dass es die Höhe der Entschädigung für die enteigneten Grundstücksteile wie folgt bestimmte:
1. Verkehrswert
1.1. für Grundstück Nr. 73/2
730 m² à 5,05 EUR 3.686,50 EUR
1.2. für Grundstück Nr. 49
69 m² à 5 EUR 345 EUR
2. Entschädigung für erschwerte Bewirtschaftung
der verbleibenden Restflächen
2.1. Grundstück Nr. 73/2
780 m² à 1,20 EUR 936 EUR
2.2. Grundstück Nr. 49
45 m² à 1,20 EUR 54 EUR
zusammen daher 5.021,50 EUR
Das Rekursgericht sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, weil es in der Frage fiktiver Wiederbeschaffungskosten von höchstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen sei und in der Frage eines Hofnähezuschlags eine solche Rechtsprechung fehle. Der Oberste Gerichtshof habe schon mehrfach ausgesprochen, dass Wiederbeschaffungskosten (also die mit dem Erwerb eines Ersatzgrundstücks verbundenen Kosten) zu ersetzen seien; seien sie bereits konkret angefallen, sei auf deren Höhe abzustellen, andernfalls gebühre eine Pauschalentschädigung. Das Rekursgericht schließe sich der im Schrifttum von Kerschner und Roth dagegen vorgebrachten Kritik an, dass fiktive Grundwiederbeschaffungskosten ebenso wie fiktive Reparaturkosten nicht zu ersetzen seien. Eine Pauschalentschädigung bei Nichtwiederbeschaffung gewähre in Wahrheit fiktive Kosten der Naturalrestitution in Form der Herstellung einer Ersatzlage; solches sei mit den Prinzipien des Schadenersatzrechts nicht vereinbar, weil es zu einer Bereicherung führe. Wiederbeschaffungskosten von 363 EUR könnten daher im Anlassfall nicht berücksichtigt werden. Hingegen sei der Zuspruch eines „Hofnähezuschlags“ gerechtfertigt. Die enteignungsbedingten Nachteile seien nämlich konkret unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Enteigneten unter Heranziehung eines objektiven Maßstabs bei der Wertermittlung (objektiv-konkret) festzustellen. Der Enteignete solle das volle Äquivalent für das enteignete Gut erhalten, dem Enteigneten solle der Unterschied zwischen seiner Vermögenslage vor und nach Enteignung ausgeglichen werden. Dass hofnahe Grundstücke für den Enteigneten einen höheren Wert besäßen als hofferne, sei nachvollziehbar. Dass die Festsetzung oder Zahlung der Enteignungsentschädigung einer Endvermessung in der Natur vorbehalten bleiben könne, sei durch das Gesetz nicht gedeckt. Ein Abzug von 108 EUR wegen einer Wasserleitungsservitut (Grundstück Nr 73/2) sei vom Sachverständigen schon bei Ermittlung des Quadratmeterpreises für dieses Grundstück berücksichtigt worden.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus den vom Rekursgericht genannten Gründen zulässig; das Rechtsmittel ist auch berechtigt.
Der Antragsteller macht geltend, das Rekursgericht sei von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage der Wiederbeschaffungskosten abgewichen, wonach noch nicht konkret angefallene Wiederbeschaffungskosten durch eine Pauschalentschädigung zu ersetzen seien.
1. Gemäß § 18 Abs 1 BStG gebührt dem Enteigneten für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile Schadloshaltung (§ 1323 ABGB); bei Bemessung der Entschädigung hat jedoch der Wert der besonderen Vorliebe und die Werterhöhung außer Betracht zu bleiben, den die Liegenschaft durch die straßenbauliche Maßnahme erfährt.
2. Die ständige Rechtsprechung versteht diese Bestimmung als Auftrag, den Enteignungspreis individuell konkret als „Entgelt“ für die enteignete Liegenschaft zu ermitteln, wobei der Ankaufswert deshalb maßgeblich ist, weil sich der Enteignete gleichwertigen Ersatz verschaffen können soll (1 Ob 756/78 = SZ 51/175 mwN). Der Enteignete soll durch die Entschädigung in die Lage versetzt werden, mit dem Entschädigungsbetrag ein dem enteigneten Objekt in Form und Ausführung gleichwertiges an anderer Stelle zu errichten (RIS-Justiz RS0053314 [T5]). Die Enteignungsentschädigung muss dabei auf den Zeitpunkt der Aufhebung des Rechts bezogen festgesetzt werden (2 Ob 705/86).
3. Wiederbeschaffung bedeutet nicht, dass sich der Enteignete mit der Entschädigung tatsächlich immer einen dem enteigneten Gegenstand gleichartigen und gleichwertigen Gegenstand beschaffen kann; er soll vielmehr das volle Äquivalent für das enteignete Gut in Form einer Geldsumme erhalten (vgl RIS-Justiz RS0058053), dies unabhängig davon, ob ein Ersatzgrundstück angeschafft wird.
4. Der dem Enteigneten zustehende Anspruch auf Ersatz der Wiederbeschaffungskosten ist nicht dahin zu verstehen, dass der Enteignete tatsächlich in der Lage sein muss, sich einen gleichwertigen Ersatzgegenstand zu beschaffen; er soll vielmehr das volle fiktiv errechnete Äquivalent für das enteignete Gut in Form einer Geldsumme erhalten. Dass er allenfalls wegen der Lage auf dem örtlichen Realitätenmarkt, der Besonderheiten des enteigneten Grundstücks oder aus anderen Gründen zeitgerecht kein gleichwertiges Ersatzgrundstück erlangen kann, ist daher bei Bemessung der Enteignungsentschädigung nicht zu berücksichtigen. Diese hat nur so hoch zu sein, dass die Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzgrundstücks, gäbe es im Zeitpunkt der Enteignung ein solches, ermöglicht wird (1 Ob 756/78 = SZ 51/175).
5. Da im Fall einer Enteignung eine Naturalrestitution nicht in Frage kommt, ist - bezogen auf den Zeitpunkt der Enteignung - eine wirtschaftlich gleichwertige Ersatzlage zu schaffen. Diese setzt aber voraus, dass der Enteignete in die Lage versetzt wird, ein gleichwertiges Grundstück zu erwerben. Daher können die für den Erwerb eines solchen Grundstücks notwendigen Aufwendungen nicht aus der Enteignungsentschädigung ausgeklammert werden. Damit die Entschädigung für die aus der Enteignung hervorgegangenen Nachteile vollständig ist, sind dem Enteigneten auch jene Kosten zu ersetzen, die er - im Enteignungszeitpunkt - aufwenden muss, um ein dem enteigneten gleichwertiges Grundstück gleicher Art wieder zu erwerben (vgl 5 Ob 584/77 = SZ 50/158 mwN). Der Enteignete hat daher grundsätzlich Anspruch auf Abgeltung der Wiederbeschaffungskosten als unmittelbare Folgeschäden (RIS-Justiz RS0053314 [T4], vgl RIS-Justiz RS0053616). Darunter versteht man die zu erwartenden Kosten für die Einverleibung, die Vertragserrichtung und die treuhändige Abwicklung des Kaufvertrags (RIS-Justiz RS0121649, RS0053616). Sind solche Kosten bereits konkret angefallen, ist auf deren Höhe abzustellen, andernfalls gebührt eine Pauschalentschädigung (7 Ob 138/05b).
6. Kerschner (Funktion der Liegenschaftsbewertung bei der Bemessung der Enteignungsentschädigung, SV 2006, 156, 162) kritisiert diese Rechtsprechung mit dem Argument, bei der Enteignungsentschädigung gehe es um objektiv-konkret ermittelte Folgeschäden; die Pauschalentschädigung bilde aber bei Nichtwiederbeschaffung in Wahrheit nichts anderes als fiktive Reparaturkosten, nämlich fiktive Kosten der Naturalrestitution in Form der Herstellung einer Ersatzlage. Dies stehe in Widerspruch zur neueren und zutreffenden Judikatur, wonach fiktive Reparaturkosten nur mehr bis zur Höhe der Minderung des gemeinen Werts der beschädigten Sache (das wäre hier der bloße Verkehrswert der Liegenschaft) zuzusprechen seien. Rechtstechnisch wäre es gerade bei der Enteignungsentschädigung einfach, auf die tatsächlich angefallenen Wiederbeschaffungskosten abzustellen: Entweder bloßer Vorschuss und Rückforderung bei Nichtwiederbeschaffung oder - wohl noch einfacher - ein Verfahren nach § 9 EisbEG.
Roth (Doppelentschädigung und fiktive Grundwiederbeschaffungskosten, ZVR 2007, 360, 364) schließt sich dieser Kritik an und spricht sich ebenfalls gegen den Zuspruch von fiktiven Grundwiederbeschaffungskosten aus; damit würden die Prinzipien des Schadenersatzrechts verlassen. Der Geschädigte erhalte auf diese Weise nicht nur den ihm für den erlittenen Schaden gebührenden Ausgleich, sondern werde bereichert.
7.1. Diese Argumente verkennen zunächst, dass der Entschädigungsanspruch zwar privatrechtlicher Natur, aber kein Schadenersatzanspruch im Sinne des 30. Hauptstücks des ABGB ist; er gewährt nicht Ersatz für einen rechtswidrig verursachten Verlust, sondern entschädigt für einen rechtmäßigen, aufgrund höherer Interessen gerechtfertigten Eingriff in das Eigentum; er ist Entgelt für die Aufhebung des enteigneten Rechts (RIS-Justiz RS0084034).
7.2. Zwar stellt der Hinweis des Gesetzes auf § 1323 ABGB klar, dass der Schadenersatzberechtigte und der Enteignete gleich zu behandeln sind (so schon 1 Ob 756/78 = SZ 51/175), dies aber immer nur bei gleicher Interessenlage. Eine solche ist aber zwischen Enteignungsentschädigung für eine Liegenschaft und dem Ersatz fiktiver Reparaturkosten nicht gegeben.
7.3. Im Fall der Verrechnung fiktiver Reparaturkosten kann der Geschädigte die beschädigte Sache nach Beschädigung unrepariert weiter verwenden und die allenfalls eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit in Kauf nehmen. Gleiches ist bei einem enteigneten Grundstück nach Enteignung nicht möglich.
7.4. Der vom Rekursgericht unter Hinweis auf Kerschner und Roth vertretenen Gleichbehandlung von Enteignungsentschädigung und fiktiven Reparaturkosten ist darüber hinaus entgegenzuhalten, dass die Rechtsprechung, wonach fiktive Reparaturkosten grundsätzlich nur bis zur Höhe der objektiven Wertminderung zugesprochen werden können (RIS-Justiz RS0022844), gerade bei beschädigten Liegenschaften oder Gebäuden nicht uneingeschränkt anwendbar ist (vgl 4 Ob 86/08p; RIS-Justiz RS0053282).
7.5. Die Feststellung der enteignungsbedingten Nachteile hat konkret unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Enteigneten unter Heranziehung eines objektiven Maßstabs bei der Wertermittlung (objektiv-konkret) zu erfolgen (RIS-Justiz RS0053657). Der Enteignete kann Ersatz für die ihm weggenommenen Werte verlangen, und die richtig bemessene Geldentschädigung für den ihm entzogenen Grund soll ihn in abstracto in die Lage versetzen, einen gleichwertigen Grund zu kaufen (6 Ob 789/83). Die Herstellung einer gleichwertigen Ersatzlage verlangt dann aber bei Bemessung der Enteignungsentschädigung auch die Berücksichtigung jener Kosten, die zur Verbücherung, Vertragserrichtung und Abwicklung eines Liegenschaftskaufvertrags aufgewendet werden müssen. Eine enteignete Liegenschaft schlägt sich im Vermögen des Entreicherten nämlich nicht nur im Wert eines gleichwertigen Ersatzgegenstands, sondern auch in den zu dessen Verbücherung notwendigen Aufwendungen (Grunderwerbssteuer, Verbücherungskosten; vgl 7 Ob 138/05b; RIS-Justiz RS0053616) nieder.
8. Dem Revisionsrekurs ist daher Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.
9. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 30 Abs 2, 44 Abs 2 EisbEG.
Textnummer
E96096European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0040OB00213.10T.0118.000Im RIS seit
27.01.2011Zuletzt aktualisiert am
08.02.2013