TE OGH 2011/1/19 7Ob147/10h

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Veröffentlicht am 19.01.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** Versicherungsgesellschaft AG, *****, vertreten durch Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Walter Waizer, Rechtsanwalt in Innsbruck, und die Nebenintervenientin L***** AG, *****, vertreten durch Jarolim Flitsch Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 1.040.000 USD (715.285,02 EUR) sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 14. Juni 2010, GZ 2 R 96/10z-18, womit der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 10. März 2010, GZ 41 Cg 133/09s-13, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.764,65 EUR und der Nebenintervenientin die mit 2.766,45 EUR bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist Transportversicherer der S***** GmbH, *****, Österreich, die mit der in Deutschland ansässigen Beklagten am 20. 9. 2004 eine Transportvereinbarung (für Exportlieferungen, als Grundlage für die Erteilung weiterer Transportaufträge) abschloss. Darauf basierend wurde die Beklagte am 15. 7. 2008 von der S***** GmbH beauftragt, biopharmazeutische Produkte (Omnitrope) von ihrem Lager in Österreich zur S***** Inc nach M*****, USA, zu transportieren. Die Ware wurde im Landtransport nach Frankfurt, per Luftfracht via Frankfurt nach Philadelphia und ab Philadelphia im Landtransport zur Empfängerin transportiert.

Mit der beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrt die Klägerin - aufgrund ihrer Stellung als Versicherer dieses Transports - von der Beklagten den Rückersatz des Transportschadens von insgesamt 1.040.000 USD. Das Transportgut sei beschädigt abgeliefert worden, weil die Kühlvorschriften grob fahrlässig nicht eingehalten worden seien. Daher habe die gesamte Ware vernichtet werden müssen. Die Klägerin habe ihrer Versicherungsnehmerin den über den Selbstbehalt von 85.047 USD hinausgehenden (weiteren) Transportschaden von 954.953 USD ersetzt. Die Schadenersatzansprüche der Geschädigten (insgesamt 1.040.000 USD) seien gemäß § 67 VersVG und durch Forderungsabtretung auf die Klägerin übergegangen.

Zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts brachte die Klägerin - soweit in dritter Instanz noch von Bedeutung - vor, in der Transportvereinbarung vom 20. 9. 2004 sei die Anwendung österreichischen Rechts und als Gerichtsstand für sämtliche Streitigkeiten aus dieser Vereinbarung „A-6020 Innsbruck“ festgelegt worden. Das (dieser Vereinbarung entgegenstehende) Montrealer Übereinkommen (MÜ) sei nicht anzuwenden, weil der Lufttransport mit der Entladung in Philadelphia beendet gewesen sei und die Einlagerung der Waren nach der Entladung mit der bereits abgeschlossenen Luftbeförderung in keinem Zusammenhang stehe. Der Schaden sei nicht im Einflussbereich des Luftbeförderers und nicht am Flughafen Philadelphia eingetreten. Die Anwendbarkeit des MÜ sei auch deshalb ausgeschlossen, weil die Einlagerung nur der Vorbereitung der Weiterbeförderung am Landweg gedient habe und eine Fortsetzung des Lufttransports nicht vorgesehen gewesen sei. Gemäß § 38 MÜ sei das Übereinkommen beim vorliegenden - multimodalen -
Transport nämlich nur auf die tatsächliche Luftbeförderung anzuwenden; die Parteien hätten daher Bedingungen für die Zeit nach Beendigung des Lufttransports treffen können, wonach die internationale Zuständigkeit Österreichs gegeben sei.

Die Beklagte wendete - unter anderem - ein, das angerufene Gericht sei international nicht zuständig, weil sich die Ware zum Zeitpunkt des Schadenseintritts in der Gewahrsame des Luftfrachtführers (= Nebenintervenientin) befunden habe. Daher sei das MÜ anzuwenden, dem zwingender Charakter zukomme. Nach Art 49 MÜ sei die anderslautende Gerichtsstandvereinbarung nichtig, weil beim Erstgericht keiner der Anknüpfungspunkte des Art 33 MÜ vorliege.

Die Nebenintervenientin wendete ein, dass internationale Luftbeförderungsverträge dem MÜ unterlägen und durch die geringfügigen Temperaturüberschreitungen kein Schaden entstanden sei.

Das Erstgericht wies die Klage mangels internationaler Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts zurück. Dazu traf es folgende Feststellungen:

Die Beklagte hatte von der S***** GmbH den Auftrag, pharmazeutische Waren nach M*****, USA, zu transportieren. Sie gab den Auftrag für den Lufttransport an die Nebenintervenientin weiter; jenen für den Landtransport (Flughafen Philadelphia nach M*****) an die F*****, unter Einschaltung der Firma E*****. Die Produkte sollten gekühlt transportiert werden. Dies zum Teil in Passivkühlverpackungen, die die Beklagte zur Verfügung gestellt hatte und zum Teil in einem von der Nebenintervenientin zur Verfügung gestellten sogenannten Unicooler, wobei die Temperatur von sogenannten Dialoggern überwacht wurde.

Der Lufttransport nach Philadelphia wurde von der Nebenintervenientin am 16. 7. 2008 durchgeführt. Die Ware kam nach der Ankunft am 16. 7. 2008 in ein Zolllager der Nebenintervenientin, das außerhalb des Flughafengeländes (in 111 D***** CT, V*****) gelegen ist, wo sie am 21. 7. 2008 vom amerikanischen Zoll freigegeben wurde. Die Ware blieb in Verwahrung der Nebenintervenientin, während der Landfrachtführer und der Empfänger zwar informiert waren, wann das Flugzeug in Philadelphia ankam, jedoch vor Beendigung der Verzollung keinen Zugriff auf die Ware hatten. Der Agent, der die Verzollung im konkreten Fall durchführte, war die von der S***** GmbH namhaft gemachte Firma E*****.

Die pharmazeutischen Produkte hätten auf zwischen zwei und acht Grad Celsius gekühlt werden müssen. Es kam jedoch während der Lagerung der Ware im Zolllager der Nebenintervenientin zu Temperaturüberschreitungen, die zum Eintritt eines Schadens führten, der eine Woche nach dem Vorfall bei der Empfängerin entdeckt wurde. Dabei wurde festgestellt, dass die Ware wegen der zu hohen Temperatur „kaputt“ war.

In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht zum Ergebnis, dass das MÜ anzuwenden sei. Gemäß Art 18 Abs 3 MÜ erfasse die Luftbeförderung auch den Zeitraum, während dessen sich die Güter in der Obhut des Luftfrachtführers befänden. Nach den Feststellungen habe sich die Ware bis zur Freigabe durch den amerikanischen Zoll in der Obhut der Nebenintervenientin befunden, die von der Beklagten mit der Luftbeförderung beauftragt gewesen sei. Da die Temperaturerhöhungen, die den Schaden verursacht hätten, in diesem Zeitraum eingetreten seien, sei der Schaden - unabhängig davon, wer die Verzollung selbst durchzuführen gehabt habe - noch „bei der Luftbeförderung“ eingetreten. Alle Vereinbarungen, mit denen die Parteien durch Änderung der Vorschriften über die Zuständigkeit vom MÜ abwichen, seien nichtig (Art 49 MÜ). Dies gelte auch für die Gerichtsstandvereinbarung im Transportvertrag. Die Klage auf Schadenersatz nach diesem Übereinkommen hätte gemäß Art 33 MÜ entweder beim Gericht des Orts, an dem sich der Wohnsitz des Luftfrachtführers, seine Hauptniederlassung oder seine Geschäftsstelle befinde, oder beim Gericht des Bestimmungsorts erhoben werden müssen. Das angerufene Gericht sei daher international nicht zuständig.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Klägerin nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Nach Art 18 Abs 1 des MÜ habe der Luftfrachtführer den Schaden zu ersetzen, der durch Zerstörung, Verlust oder Beschädigung von Gütern entstehe. Dies jedoch nur, wenn das Ereignis, durch das der Schaden verursacht worden sei, während der Luftbeförderung eingetreten sei. Nach Art 18 Abs 3 MÜ umfasse die Luftbeförderung im Sinn des Abs 1 den Zeitraum, während dessen die Güter sich in der Obhut des Luftfrachtführers befänden. Nach Abs 4 umfasse der Zeitraum der Luftbeförderung nicht die Beförderung zu Land, zur See oder auf Binnengewässern außerhalb eines Flughafens. Erfolge jedoch eine solche Beförderung bei Ausführung des Luftbeförderungsvertrags zum Zweck der Verladung, der Ablieferung oder Umladung, so werde bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Schaden durch ein während der Luftbeförderung eingetretenes Ereignis verursacht worden sei.

Der Begriff „während der Luftbeförderung“ werde in Art 18 Abs 3 MÜ näher definiert: es handle sich dabei um den Zeitraum, während dessen die Güter sich in Obhut des Luftfrachtführers befänden. Im Gegensatz zum bisherigen Art 18 Abs 2 des Warschauer Abkommens (WA 1929/1955) sei dieser Haftungszeitraum nicht mehr länger auf diejenige Zeitspanne beschränkt, während deren die Güter sich „auf einem Flughafen“ oder „an Bord eines Luftfahrzeugs“ befänden. Vielmehr werde nun insbesondere derjenige Zeitraum haftungsrechtlich miterfasst, während dessen die Güter in einem außerhalb des Flughafengeländes befindlichen Lager des Luftfrachtführers zwischengelagert würden.

Mit dem Begriff „Obhut“ werde somit nicht auf die Luftbeförderung im engen technischen Sinn abgestellt. Der Begriff sei stattdessen im räumlichen Sinn dahin ausgeweitet, dass das Schadensereignis in einem Augenblick eingetreten sein müsse, während dessen das Gut sich allgemein in der Obhut des Luftfrachtführers befunden habe. Hiebei dürfe die „Obhut“ nicht gleichgesetzt werden mit Besitz oder Gewahrsam. So sei für die Obhut auch nicht eine körperliche Inbesitznahme durch den Luftfrachtführer oder ein Ausschluss aller Einwirkungsmöglichkeiten des Anlieferers erforderlich. Die Obhut beginne für den Luftfrachtführer mit der Annahme des Guts zur Beförderung. Dies sei der Augenblick, in dem das Gut sich mit seinem Willen derart in seinem Einwirkungsbereich befinde, dass er in der Lage sei, das Gut gegen Verlust oder Beschädigung zu schützen. Insoweit dauere seine „Obhut“ auch noch so lange an, wie er nachfolgend fähig sei, das Frachtgut weiterhin gegen Verlust oder Beschädigung zu schützen. Dazu sei ein körperlicher Gewahrsam nicht erforderlich (Ruhwedel in MünchKommHGB VII² Art 18 MÜ Rn 39 ff).

Aufgrund der Feststellung, dass es während der Lagerung der Ware im Zolllager der Nebenintervenientin zu Temperaturüberschreitungen gekommen sei, die zum Schadenseintritt geführt hätten, könne kein Zweifel daran bestehen, dass sich die versicherten Güter noch in der Obhut der Nebenintervenientin befunden hätten und der Schaden noch während der Luftbeförderung im Sinn des Art 18 Abs 1 MÜ eingetreten sei. Der Transport der Güter von K***** über Frankfurt und Philadelphia an den Bestimmungsort sei im Wege einer gemischten Beförderung gemäß Art 38 Abs 1 MÜ erfolgt. Für jene Transportstrecken innerhalb der Transportkette, für die kein Luftfahrzeug, sondern ein anderes Verkehrsmittel eingesetzt werde, gelte für diesen Beförderungsabschnitt nicht mehr das MÜ, sondern die für das jeweilige Transportmittel einschlägige Regelung. Art 38 MÜ erfasse aber lediglich die Tatbestände von größer angelegten Transportabschnitten durch „Nicht-Luftfahrzeuge“, also selbständige Transporteinheiten, die nicht mit dem Luftfahrzeug durchgeführt würden (Ruhwedel in MünchKommHGB VII² Art 38 MÜ Rn 2; Art 18 MÜ Rn 63). In Fällen bloßer Beförderung zu Land, zur See oder auf Binnengewässern bloß zum Zweck der Verladung, der Ablieferung oder der Umladung werde hingegen nach Art 18 Abs 4 MÜ bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Schaden durch ein während der Luftbeförderung eingetretenes Ereignis verursacht worden sei.

Abgesehen davon, dass nach den Feststellungen des Erstgerichts der Schaden nicht während eines Transports vom Flughafen zum Zolllager der Nebenintervenientin, sondern erst im Zolllager selbst eingetreten sei, wäre der Transport der Ware per LKW vom Flughafen in Pennsylvania bis zum Zolllager der Nebenintervenientin als eine Beförderung (bloß) zum Zweck der Verladung, Ablieferung bzw Umladung nach Art 18 Abs 4 MÜ zu qualifizieren. Dieser Transport sei daher nicht als selbständige Transporteinheit anzusehen, wie sie Art 38 Abs 1 MÜ im Auge habe. Entgegen der Ansicht der Klägerin beschränke sich die Anwendbarkeit von Art 18 Abs 4 zweiter Satz MÜ nicht auf Oberflächenbeförderung zum Zweck der Verladung, Ablieferung oder Umladung zwischen verschiedenen Lufttransporten. Dieser beschränkte Anwendungsbereich lasse sich dem Wortlaut nicht entnehmen. Die widerlegbare Vermutung nach Art 18 Abs 4 MÜ greife vielmehr auch dann, wenn sich an die Verladung, Ablieferung oder Umladung eine Beförderung zu Land, zu See oder auf Binnengewässern anschließe. Der Schadenseintritt sei daher zu einem Zeitpunkt erfolgt, als sich die versicherte Ware in Obhut der Nebenintervenientin befunden habe, sodass der Schaden während der Luftbeförderung eingetreten sei.

Infolge Anwendbarkeit des MÜ auf den Schadensfall seien gemäß Art 49 MÜ die zwischen den Streitteilen getroffenen Zuständigkeitsvereinbarungen nichtig. Das angerufene Landesgericht Innsbruck erfülle nicht die von Art 33 Abs 1 MÜ statuierten Kriterien. Das Erstgericht habe die Klage daher zu Recht mangels internationaler Zuständigkeit zurückgewiesen.

Der Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil die zu beurteilenden Rechtsfragen „einzelfallbezogen“ seien.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin, der unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht, mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts „festgestellt“ und ihm die Verfahrensfortsetzung aufgetragen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte und die Nebenintervenientin stellen in den ihnen freigestellten Revisionsrekursbeantwortungen die Anträge, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen; in eventu, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist, weil sich der Oberste Gerichtshof mit Art 18 MÜ bisher noch nicht befasst hat, zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.

Vorweg ist festzuhalten, dass der bestätigende Beschluss des Rekursgerichts nicht jedenfalls unbekämpfbar, sondern unter den Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO anfechtbar ist, weil die Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen wurde (§ 528 Abs 2 Z 2 ZPO). Entgegen der - nicht bindenden Beurteilung des Rekursgerichts - sind diese Voraussetzungen hier gegeben.

Die Revisionsrekurswerberin vertritt den Standpunkt, das Rekursgericht habe den in Art 18 Abs 3 MÜ definierten Begriff „während der Luftbeförderung“ zu Unrecht mit jenem der „Obhut des Luftbeförderers“ nach der genannten Gesetzesstelle gleichgesetzt. Dies sei ein unrichtiger „Zirkelschluss“, weil Art 18 Abs 4 Satz 2 MÜ gerade die (bei dieser Auslegung inhaltslose) widerlegbare Vermutung festlege, dass bei Hilfsbeförderungen zum Lufttransportvertrag (zwecks „Verladung, Ablieferung oder Umladung“) der Schaden bereits während des Lufttransports eingetreten sei. Die Klägerin beruft sich weiterhin darauf, dass der Schaden im Zolllager der Nebenintervenientin und damit „außerhalb des Flughafens“ eingetreten sei, somit nicht während („im Kernbereich“) der „tatsächlichen Luftbeförderung“ (was nichts anderes heißen könne, als im Luftfahrzeug oder am Flughafen); Oberflächentransporte, auch wenn sie als bloße Hilfstransporte zum Lufttransportvertrag dienten, und entsprechende Zwischenlagerungen seien nicht von der Obhut des Lufttransportführers umfasst, weil es sonst der Vermutung des Art 18 Abs 2 Satz 2 MÜ gar nicht bedurft hätte. Für den multimodalen Transport sei vielmehr in der lex specialis des Art 18 Abs 4 Satz 1 MÜ bestimmt, dass der Zeitraum der Luftbeförderung nicht die Beförderung zu Land, zur See oder auf Binnengewässern „außerhalb eines Flughafens“ umfasse.

Nichts anderes könne für die - der Vorbereitung des Landtransports dienende - „Lagerung“ in einem außerhalb des Flughafens gelegenen Zolllager gelten, zu dem die Waren nach Entladung aus dem Flugzeug per Straßentransport gebracht und von dem sie zum weiteren Straßentransport abgeholt würden. Eine Lagerung der Waren außerhalb des Flughafens würde nur dann dem MÜ unterliegen, wenn danach die Luftbeförderung sofort begonnen oder fortgesetzt werde; andernfalls sei die verkehrsbedingte Lagerung Teil des Landtransports. Nur im Fall der Einlagerung am Flughafen werde der neue selbständige Transportabschnitt im Sinn der multimodalen Beförderung erst mit der Ablieferung (Übergabe der Gewahrsame an) der Fracht an den nächsten Frachtführer beginnen. „Manipulationen“ außerhalb des Flughafens (Oberflächenbeförderungen und Einlagerungen) seien nicht mehr unter das MÜ zu subsumieren.

Im vorliegenden Fall sei der „Zeitraum der Luftbeförderung“ mit Beginn des Oberflächentransports außerhalb des Flughafens zum Zolllager jedenfalls beendet worden, weil der Transport der Ware per LKW zum Zolllager der Nebenintervenientin eine Beförderung zum Zweck der Verladung, Ablieferung bzw Umladung nach Art 18 Abs 4 MÜ darstelle. Damit sei der Anwendungsbereich des MÜ mangels Obhut des Luftfrachtführers ausgeschlossen. Entgegen der Ansicht des Rekursgerichts habe die Obhut auch nicht wieder eintreten können, weil die Ware zur Vorbereitung des Landtransports (also außerhalb des Kernbereichs einer [weiteren] Luftbeförderung) eingelagert wurde.

Die „Einschränkung der Anwendbarkeit“ des MÜ auf die Frage der Obhut sei auch insoweit verfehlt, als die Beklagte mit der Durchführung des Gesamttransports beauftragt gewesen sei und daher gegenüber der Versicherungsnehmerin der Klägerin auch die Stellung eines Luftfrachtführers gehabt habe. Der Obhutszeitraum nach den Bestimmungen des Art 18 MÜ habe daher zwangsläufig mit der Entladung des Flugzeugs und dem Verbringen der Ware aus dem Flughafen geendet und nicht mehr bestehen können, als die Ware nicht mehr am Flughafen gewesen sei. Die Obhut durch einen beauftragten ausführenden Luftfrachtführer habe gegenüber dem Auftraggeber keine eigene „Obhutsstellung“ außerhalb der Luftbeförderung entfalten können. Der Obhutsbegriff sei nach den Regeln des „Uniform Law“ auszulegen, wonach die Obhut des Luftfrachtführers (nur) dann nicht ausgesetzt sei, solange sich das Gut in Verwahrung des Zolls oder einer anderen Behörde befinde, sofern der Luftfrachtführer die Verzollung vorzunehmen und das Gut beim Zoll abzuliefern habe. Hier habe die Nebenintervenientin aber selbst gar keinen Zugriff auf die Güter gehabt, weil die Verzollung ein von der Versicherungsnehmerin der Klägerin beauftragter Agent E***** (ein selbständiges Unternehmen in den USA) durchzuführen gehabt habe. Dass die Ware in Verwahrung der Nebenintervenientin gewesen sei, reiche zur Beantwortung der Obhutsfrage nicht aus. Feststellungen über ihre Zugriffsmöglichkeit seien nicht getroffen worden.

Die Revisionsrekursbeantwortungen der Beklagten und der Nebenintervenientin halten dem entgegen, dass - anders als in der Vorgängerregelung des Art 18 Abs 2 WA 1929/1955 - der Haftungszeitraum des Luftfrachtführers und somit die Anwendung des MÜ nach der entsprechenden Nachfolgeregelung nicht mehr auf die Zeitspanne beschränkt sei, während der sich die Güter auf einem Flughafen oder an Bord eines Luftfahrzeugs befänden; es werde vielmehr auch der Zeitraum (und damit der Anwendungsbereich des MÜ) haftungsrechtlich miterfasst, während dessen die Güter in einem außerhalb des Flughafengeländes befindlichen Lager des Luftfrachtführers (in dessen Obhut) zwischengelagert würden (Art 18 Abs 3 MÜ). Da der Schaden (nach den Behauptungen der Klägerin) in einem Zolllager der Nebenintervenientin, also des Luftfrachtführers, eingetreten sei, könne die Rechtsfrage anhand der kodifizierten internationalen Abkommen (MÜ etc) ohne weiters beantwortet werden.

Dazu wurde erwogen:

Gemäß Art 33 Abs 1 MÜ, dessen Vertragsstaaten Österreich und Deutschland sind (BGBl III 2004/131), muss die Klage auf Schadenersatz gegen den Luftfrachtführer im Hoheitsgebiet eines der Vertragsstaaten erhoben werden, und zwar nach Wahl des Klägers entweder bei dem Gericht des Orts, wo der Luftfrachtführer seinen Wohnsitz hat, oder wo sich seine Hauptniederlassung oder seine Geschäftsstelle befindet, durch die der Vertrag geschlossen worden ist, oder bei dem Gericht des Bestimmungsorts. Davon abweichende Zuständigkeitsvereinbarungen sind nach Art 49 MÜ nichtig. Bei gemischter (multimodaler) Beförderung darf die Anwendung der zwingenden Vorschriften des MÜ hinsichtlich der Luftbeförderung nicht eingeschränkt werden (Art 38 Abs 2 letzter HS MÜ).

Das von der Klägerin gegen die beklagte Frachtführerin angerufene Erstgericht entspricht nicht den in Art 33 Abs 1 MÜ geforderten Zuständigkeitskriterien. Sollte das MÜ auf die geltend gemachten Ersatzansprüche anwendbar sein, ist die Zuständigkeitsvereinbarung, auf die sich die Klägerin stützt, nichtig und die Klage wurde zu Recht mangels internationaler Zuständigkeit zurückgewiesen.

Nach Art 18 Abs 1 MÜ hat der Luftfrachtführer den Schaden zu ersetzen, der durch Zerstörung, Verlust oder Beschädigung von Gütern entsteht, jedoch nur, wenn das Ereignis, durch das der Schaden verursacht wurde, während der Luftbeförderung eingetreten ist. Nach Abs 3 dieser Bestimmung umfasst die Luftbeförderung im Sinn des Abs 1 den Zeitraum, während dessen die Güter sich in der Obhut des Luftfrachtführers befinden. Der Zeitraum der Luftbeförderung umfasst (gemäß Abs 4 Satz 1 leg cit) nicht die Beförderung zu Land, zur See oder auf Binnengewässern außerhalb eines Flughafens. Erfolgt jedoch eine solche Beförderung bei Ausführung des Luftbeförderungsvertrags zum Zweck der Verladung, der Ablieferung oder der Umladung, so wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Schaden durch ein während der Luftbeförderung eingetretenes Ereignis verursacht worden ist (Art 18 Abs 4 Satz 2 MÜ).

Wie bereits das Rekursgericht zutreffend erkannt hat, muss das Ereignis, durch das der Schaden verursacht wurde, somit „während der Luftbeförderung“ eingetreten sein (Art 18 Abs 1 MÜ), was in Art 18 Abs 3 MÜ mit dem Zeitraum definiert wird, während dessen die Güter sich „in der Obhut“ (im englischen Originaltext: „in charge“) des Luftfrachtführers befinden. Im Gegensatz zum bisherigen Art 18 Abs 2 des Warschauer Abkommens (WA 1955) fordert Art 18 Abs 3 MÜ nicht mehr, dass der Schaden „auf einem Flughafen“, „an Bord eines Flugzeugs“ oder „bei einer Ladung außerhalb eines Flughafens, an einem beliebigen Orte“ unter der Obhut des Luftfrachtführers entstanden ist (Koller, Transportrecht7 Art 18 MÜ Rn 3; Ruhwedel in MünchKommHGB VII² Art 18 MÜ Rn 37); das MÜ erweitert vielmehr im Art 18 Abs 3 den Haftungszeitraum der „Luftbeförderung“ auf den Zeitraum der Ausübung der „Obhut“ durch den Luftfrachtführer, wodurch nach herrschender Ansicht etwa auch eine (Zwischen-)Einlagerung im Warenlager des Luftfrachtführers oder seiner Leute außerhalb des Flughafengeländes von der Haftung gemäß Art 18 MÜ erfasst wird (Müller-Rostin in Giemulla/Schmid, Montrealer Übereinkommen Internationales Lufttransportrecht III [33. AL Dezember 2009] Art 18 MÜ Rn 86 [vgl auch Rn 45]; Ruhwedel aaO Art 18 MÜ Rn 38 mwN; Reuschle, Montrealer Übereinkommen, Art 18 MÜ Rn 21 mwN).

Die Obhut des Luftfrachtführers bleibt also bestehen, wenn er - wie hier - selbst die Güter in seinem Lagerhaus zur Zollgestellung auch außerhalb des Flughafens einlagert und damit auch seine rechtlichen und tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeiten aufrecht bleiben (Müller-Rostin aaO Art 18 MÜ Rn 55), sodass er jederzeit in der Lage ist, das Gut seiner Obhutspflicht entsprechend vor Verlust oder Beschädigung zu schützen (Reuschle aaO Art 18 MÜ Rn 21 mwN in FN 73 und 74). Mit dieser räumlichen Haftungserweiterung kommt Art 18 Abs 3 MÜ der Entwicklung in der Luftfahrtpraxis entgegen. Wegen des ständig steigenden Frachtaufkommens mussten nämlich Luftfrachtführer immer häufiger auf Frachtlager außerhalb des Flughafengeländes ausweichen. Sie hafteten sodann für Güterschäden zwar grundsätzlich weiterhin, aber nur auf der Grundlage des jeweiligen Vertragsstatuts. Im Interesse der internationalen Vereinheitlichung der Luftfrachtführerhaftung auch in diesem Arbeitsbereich des Frachtguttransports gibt Art 18 Abs 3 MÜ deshalb die bisherige räumliche Beschränkung der Obhutshaftung des Luftfrachtführers auf den Flughafenbereich auf und stellt hier nur noch allgemein auf das Bestehen einer „Obhut des Luftfrachtführers“ ab, für die aber weiterhin das Synonym „während der Luftbeförderung“ verwendet wird (Ruhwedel aaO Art 18 MÜ Rn 34 ff mwN).

Nach diesen Grundsätzen ist auch der hier behauptete, während der Einlagerung im (wenn auch außerhalb des Flughafens situierten) Zolllager des Luftfrachtführers eingetretene Schaden noch „während der Luftbeförderung“ entstanden; die transportierten Güter standen zum Zeitpunkt des Schadenseintritts jedenfalls noch in dessen „Obhut“ (Müller-Rostin aaO Art 18 MÜ Rn 55) und waren daher von der Haftung gemäß Art 18 MÜ erfasst. Da das Transportgut nicht nur „bis zum Zoll“ zu transportieren und auch nicht an einen Dritten zu übergeben war, sondern von der Nebenintervenientin weiterhin (dort) verwahrt wurde, liegt - entgegen der Ansicht der Klägerin - auch von keine „Ablieferung“ im Zolllager und daher auch keine damit eintretende Beendigung des Haftungszeitraums vor (OLG Stuttgart, TranspR 2010, 37 [zu Art 18 WA]).

Die weiteren Rechtsmittelausführungen zu Art 18 Abs 4 MÜ (der die Beförderung zu Land, zur See oder auf Binnengewässern außerhalb eines Flughafens regelt) und zur gemischten (multimodalen) Beförderung können daran nichts ändern.

Es trifft zwar zu, dass sich die Güter bei der Beförderung mit Oberflächenbeförderungsmitteln von und zu einem Warenlager des Luftfrachtführers, welches außerhalb des Flughafens gelegen ist, im Regelfall (ebenfalls) in der Obhut des Luftfrachtführers befinden; dass diese Beförderungen aber nach dem Wortlaut des Art 18 Abs 4 Satz 1 MÜ nicht unter den Haftungszeitraum „Luftbeförderung“ gemäß Art 18 Abs 3 fallen. Müller-Rostin (aaO Art 18 MÜ Rn 86) führt zu dem darin erblickten Widerspruch aus, es erscheine wenig sinnvoll, Beförderungen zu Warenlagern des Luftfrachtführers, die außerhalb des Flughafens gelegen seien, einer anderen Haftungsordnung zu unterwerfen als die haftungsrechtlich dem MÜ unterliegende Einlagerung, weil sie ebenfalls während der Obhutsausübung durch den Luftfrachtführer oder seiner Leute erfolgten.

Das Rekursgericht hat sich insoweit (auch) den Ausführungen von Ruhwedel (in MünchKommHGB VII² Art 38 MÜ Rn 2 und Art 18 MÜ Rn 62 f) zur Auslegung des Art 38 MÜ (der normiert, dass das MÜ bei gemischter Beförderung durch Luftfahrzeuge und andere Verkehrsmittel „vorbehaltlich des Art 18 Abs 4 MÜ“ nur für die Luftbeförderung gilt) angeschlossen:

Demnach erfasst Art 38 MÜ lediglich Tatbestände von größer angelegten Transportabschnitten durch „Nicht-Luftfahrzeuge“, also selbständige Transporteinheiten, die nicht mehr allein zum Zweck der Verladung, Ablieferung oder Umladung durchgeführt werden (Ruhwedel aaO; iglS Müller-Rostin in Giemulla/Schmid, Montrealer Übereinkommen Internationales Lufttransportrecht III [August 2004] Art 38 MÜ Rn 9 [der ausführt, dass sich die Teilstrecke nicht auf das bloße Abholen und Abliefern von Frachtgut im Rahmen eines Einzelbeförderungsauftrags beschränken darf, sondern im Rahmen der gesamten Beförderungsstrecke gleiches Gewicht haben muss wie andere Teilbeförderungsstrecken]). Demnach stelle der Transport der Ware per LKW vom Flughafen in Pennsylvania bis zum Zolllager der Nebenintervenientin eine Beförderung (bloß) zum Zweck der Verladung, Ablieferung bzw Umladung nach Art 18 Abs 4 Satz 2 MÜ dar und sei daher nicht als selbständige Transporteinheit anzusehen, wie sie Art 38 Abs 1 MÜ im Auge habe.

Auf diese Überlegungen ist aber nicht weiter einzugehen; für die Lösung des vorliegenden Falls kommt ihnen nämlich schon deshalb keine Bedeutung zu, weil der geltend gemachte Schaden nicht anlässlich einer Beförderung nach Art 18 Abs 4 MÜ eingetreten ist, sondern während der (Zwischen-)Einlagerung des Transportguts im Zolllager des Luftfrachtführers, die nach herrschender Ansicht in den Haftungszeitraum nach Art 18 Abs 3 MÜ fällt (aA Kirchhof, Wo endet die „Luft“ im Sinne des Montrealer Übereinkommens?, TranspR 2010, 321 ff [326, Punkt 3.4 und 3.5], der aber selbst die „herrschende Meinung“ wiedergibt, dass bezüglich des Haftungsbereichs „zunächst einmal“ auf die Obhut des Luftfrachtführers abzustellen sei und eine Haftungserweiterung in der Weise erfolge, dass auch ein außerhalb des Flughafen liegendes Lager nach dem MÜ in den Haftungsbereich einbezogen werde).

Der herrschenden Ansicht folgend sind -  im Hinblick auf die Anwendbarkeit des MÜ auf den vorliegenden Schadensfall - abweichende Zuständigkeitsvereinbarungen der Parteien gemäß Art 49 MÜ nichtig. Da das Erstgericht die in Art 33 Abs 1 MÜ festgelegten Kriterien nicht erfüllt, wurde die Klage zutreffend wegen fehlender internationaler Zuständigkeit zurückgewiesen.

Dem Revisionsrekurs der Klägerin ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO, wobei die Umsatzsteuer nicht zuzuerkennen ist, weil Leistungen österreichischer Rechtsanwälte für ausländische Unternehmer der österreichischen Umsatzsteuer nicht unterliegen. Verzeichnet der österreichische Anwalt im Prozess - kommentarlos - 20 % USt, so wird im Zweifel aber nur die österreichische Umsatzsteuer angesprochen (stRsp; 6 Ob 163/06y mwN; RIS-Justiz RS0114955).

Schlagworte

Gruppe: Internationales Privatrecht und Zivilverfahrensrecht

Textnummer

E96375

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0070OB00147.10H.0119.000

Im RIS seit

07.03.2011

Zuletzt aktualisiert am

17.09.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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