TE OGH 2011/1/19 3Ob241/10b

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.01.2011
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsident Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*****, Sachbearbeiterin, *****, vertreten durch Dr. Stefan Duschel und Mag. Klaus Hanten, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch Dr. Peter Rudeck und Dr. Gerhard Schlager, Rechtsanwälte in Wien, wegen 50.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. Oktober 2010, GZ 16 R 57/10k-42, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 22. Jänner 2010, GZ 23 Cg 57/07g-38, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Klägerin erlitt am 8. Jänner 2000 bei einem Skiunfall ohne Fremdverschulden einen Riss des vorderen Kreuzbandes und einen Einriss des inneren Seitenbandes ihres rechten Kniegelenks. Am 2. März 2000 wurde der Klägerin in einem Spital, dessen Rechtsträger die beklagte Partei ist, operativ das vordere Kreuzband durch ein Transplantat ersetzt. Die Operation erfolgte lege artis, doch stellte sich postoperativ eine Infektion ein, die nicht lege artis behandelt wurde, sodass weitere Behandlungen und Operationen notwendig wurden, die schließlich zu einer Entfernung der eingesetzten Kreuzbandersatzplastik führten. Wegen dieses Behandlungsfehlers begehrte die Klägerin im Vorprozess 57 Cg 7/03y des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien die Zahlung von Schmerzengeld in Höhe von 18.000 EUR und die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für künftige Schäden. Mit Urteil vom 1. Februar 2005 gab das Erstgericht im Vorprozess dem Klagebegehren - rechtskräftig - zur Gänze statt. In Bezug auf das Schmerzengeldbegehren ging es davon aus, dass als Abgeltung für die im Zeitraum vom 1. April 2000 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung am 5. Oktober 2004 als Folge der Infektion aufgetretenen physischen und psychischen Schmerzen ein Schmerzengeld in Höhe von 18.000 EUR angemessen sei.

Am 5. Dezember 2008 gab das rechte Kniegelenk der Klägerin, als sie eine Treppe hinabstieg, plötzlich nach und sie kam zu Sturz. Folge dieses Sturzes war eine Zerrung nunmehr des linken Kniegelenks bei vorbestehender vorderer Kreuzbandruptur sowie ein Einriss des Hinterhorns des inneren Meniskus.

Nunmehr begehrt die Klägerin ein weiteres Schmerzengeld von 50.000 EUR. Im Vorprozess seien nur die physischen und seelischen Schmerzen bis 5. Oktober 2004 abgegolten worden, nicht jedoch die zukünftigen Beschwerden, sodass eine ergänzende Schmerzensgeldbemessung zulässig sei. Im Übrigen sei die durch den Behandlungsfehler herbeigeführte „Giving away-Attacke“ des rechten Kniegelenks für den Sturz vom 5. Dezember 2008 ursächlich gewesen, sodass das Schmerzengeldbegehren auch auf diese unvorhergesehene Folge gestützt werde.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Teilbetrag von 6.000 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren von 44.000 EUR sA sowie einen geringfügigen Teil des Zinsenbegehrens ab.

Über die eingangs angeführten Feststellungen hinaus stellte es zum einen Beeinträchtigungen der Klägerin durch den Behandlungsfehler fest, und zwar in Form so genannter „Giving away-Attacken“ des rechten Kniegelenks (= nicht der willentlichen Kontrolle unterworfene Instabilitätssituationen des Kniegelenks), Aufbrauchserscheinungen des rechten Kniegelenks und Verschleißerscheinungen der Menisci, sodass mit einer frühzeitigen Implantation einer Kniegelenksprothese zu rechnen ist. Zum anderen stellte es auch fest, dass zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung im Vorprozess am 5. Oktober 2004 diese Beeinträchtigungen als Spät- und Dauerfolgen bereits vorhersehbar gewesen seien.

Rechtlich führte es aus, dass die Voraussetzungen einer ergänzenden Schmerzengeldbemessung nicht vorlägen. Eine Teilbemessung sei nur dann zulässig, wenn die Auswirkungen der Verletzungen für die Zukunft noch nicht in vollem Umfang abschätzbar seien. Dies sei hier jedoch nicht der Fall, weil sämtliche nun festgestellten Folgen bereits im Vorprozess zu erwarten und vorhersehbar gewesen seien.

Bei den Folgen des Sturzes vom 5. Dezember 2008 sei zwischen dem Meniskusriss (als Folge der Giving away-Attacke) und der bereits vorbestehenden Kreuzbandverletzung zu unterscheiden: Da der Kreuzbandriss als vorbestehend weder mit dem Sturz vom 5. Dezember 2008 noch mit dem Behandlungsfehler im Jahr 2000 in kausale Verbindung zu bringen sei, habe die Klägerin diesbezüglich keinen Anspruch auf Schmerzengeld. Hinsichtlich des Meniskusrisses sei eine 50%ige Beeinträchtigung durch den vorbestehenden Kreuzbandeinriss des linken Kniegelenks zu berücksichtigen; im Übrigen sei er aber durch die Giving away-Attacke bedingt, die wiederum auf den Behandlungsfehler zurückzuführen sei. Für die Meniskusverletzung sei ein Gesamtschmerzensgeldbetrag von 6.000 EUR angemessen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das erstinstanzliche Urteil dahingehend ab, dass es der Klägerin 50.000 EUR sA zusprach. Nach Beweiswiederholung traf es im Wesentlichen die ergänzende Feststellung, dass das Ausmaß der Kniegelenksarthrose zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung im Vorprozess noch nicht erkennbar gewesen sei. Im Vorprozess sei daher nicht abschätzbar gewesen, wann es zur Implantation einer Prothese kommen werde; es sei nur absehbar gewesen, dass diese Maßnahme mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit notwendig sein würde.

Seiner rechtlichen Beurteilung legte das Berufungsgericht zugrunde, dass im Vorprozess die Voraussetzungen für eine zeitliche Begrenzung des Schmerzengelds gegeben gewesen seien, weil das Gesamtbild der physischen und psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin noch nicht im vollen Umfang überblickt und abgeschätzt werden habe können. Da mit dem Implantat eines Kniegelenkersatzes in etwa fünf Jahren zu rechnen sei und der Leidenszustand der Klägerin vor und nach der Operation bereits abschätzbar sei, lägen jetzt die Voraussetzungen für die Globalbemessung (einschließlich der für die Zukunft abschätzbaren Beschwerden) vor. Unter Berücksichtigung der psychischen Alteration aufgrund der erheblichen Einschränkungen im Alltag und bei der Sportausübung sei das von der Klägerin nun im Rahmen einer Globalbemessung für die Abgeltung der Folgen des verletzten Kniegelenks begehrte Schmerzengeld von 50.000 EUR unter Einrechnung des erstinstanzlichen Zuspruchs angemessen.

Die Revision sei nicht zulässig, weil die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Teilbemessung des Schmerzengelds vorliegen, von den Umständen des Einzelfalls abhängig sei.

In ihrer außerordentlichen Revision macht die beklagte Partei unrichtige rechtliche Beurteilung durch das Berufungsgericht geltend: Die Klägerin habe bereits im Vorprozess ein Globalschmerzengeld gefordert; außerdem sei bereits im Vorprozess das Erfordernis einer Implantation einer Knieprothese absehbar gewesen, sodass eine „Nachklage“ nicht zulässig sei. Außerdem sei dem Berufungsgericht eine erhebliche Fehlbemessung des Schmerzengelds unterlaufen.

Rechtliche Beurteilung

Dazu wurde erwogen:

1. Das Schmerzengeld stellt grundsätzlich eine Globalabfindung für alle eingetretenen und für alle nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden künftigen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen durch die Unfallfolgen dar (RIS-Justiz RS0031300, RS0031307, RS0031015 [T3]). Grundsätzlich ist das Schmerzengeld als einmaliger Globalbetrag zu bemessen.

1.1. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine mehrmalige (ergänzende) Schmerzengeldbemessung nur dann zulässig, wenn eine Globalbemessung zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz versagt,

a) weil noch kein Dauer(end)zustand vorliegt, weshalb die Verletzungsfolgen noch nicht oder im vollen Umfang und mit hinreichender Sicherheit überblickt werden können,

b) wenn Schmerzen in ihren Auswirkungen für den Verletzten zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz noch gar nicht oder nicht gültig überschaubar erscheinen, oder

c) wenn der Kläger nachweist, dass ihm gegenüber dem Vorprozess und der dort vorgenommenen Globalbemessung weitere, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge vorerst nicht zu erwartende, aus der damaligen Sicht daher nicht abschätzbare, aber dennoch kausale Unfallfolgen verbunden mit weiteren Schmerzbeeinträchtigungen, mit deren Eintritt nicht oder nicht ernstlich zu rechnen war, entstanden sind (2 Ob 150/06g; 6 Ob 185/09p; RIS-Justiz RS0031082, RS0031056).

1.2. Ob die Voraussetzungen für eine ergänzende Schmerzengeldbemessung vorliegen, hängt daher grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab und stellt, soweit es sich um keine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung handelt, regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar.

1.3. Der Umstand, dass die Klägerin im Vorprozess von einer Globalabgeltung ausgegangen ist, steht einer Nachbemessung nicht entgegen, solange sie nicht auf die Geltendmachung weiteren Schmerzengelds verzichtet hat, wofür aber keine Anhaltspunkte vorliegen. Die Frage der Zulässigkeit einer ergänzenden Schmerzengeldbemessung ist nicht im früheren, sondern - nach den genannten Kriterien -
im Folgeprozess zu beurteilen (2 Ob 233/06p; Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld9 241 f).

1.4. Das Berufungsgericht hat die Zulässigkeit einer ergänzenden Schmerzengeldbemessung auf der Grundlage der ergänzenden Feststellungen bejaht, wonach das Ausmaß der Kniegelenksarthrose zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz im Vorprozess noch nicht absehbar war. Zwar wäre erkennbar gewesen, dass sich eine derartige Veränderung entwickeln würde, doch waren das Ausmaß sowie der Zeitpunkt der Implantation einer Prothese noch nicht absehbar. Anders als im Vorprozess ist nunmehr die Durchführung der Implantation und einer Wechseloperation abschätzbar.

Auf dieser Grundlage ist das Berufungsgericht in durchaus vertretbarer Weise zum Schluss gekommen, dass die Voraussetzungen einer ergänzenden Schmerzengeldbemessung vorliegen (vgl RIS-Justiz RS0031405).

2. Die Höhe des angemessenen Schmerzengelds ist grundsätzlich einzelfallbezogen zu beurteilen, sodass regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage vorliegt (RIS-Justiz RS0042887 [T2]). Nur im Fall einer eklatanten Fehlbemessung ist die Revision ausnahmsweise aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit (zur Vermeidung einer gravierenden Ungleichbehandlung durch die Rechtsprechung) zulässig (RIS-Justiz RS0044088, RS0042887 [T5, T6])

2.1. Nach ständiger Rechtsprechung darf eine Schmerzengeldergänzung insgesamt zu keinem höheren Zuspruch als bei einer einmaligen Globalbemessung führen (RIS-Justiz RS0031064, RS0031323).

2.2. Die Revisionswerberin hat daher zutreffend den im Vorprozess zuerkannten und den nunmehr vom Berufungsgericht zugesprochenen Betrag zusammengerechnet (18.000 + 50.000 = 68.000 EUR). Eine Schmerzengeldbemessung (als Globalbemessung) in dieser Höhe ist angesichts der von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen über die erlittenen und noch zu erwartenden Schmerzen zweifellos an der Obergrenze angesiedelt; eine krasse, aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt aber nicht vor.

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei ist daher mangels erheblicher Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) als unzulässig zurückzuweisen.

Textnummer

E96149

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0030OB00241.10B.0119.000

Im RIS seit

08.02.2011

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten